Neugestaltete Logistik

Lydia weiß alles!

28.10.2005 von Lars Reppesgaard
Beim Werkzeugbauer Hazet wurde die Logistik neu gestaltet. Dazu gehörte auch die Einführung einer Spracheingabelösung mit dem Ziel, die Kunden noch besser zu bedienen. Die Ergebnisse der Umstrukturierung können sich sehen lassen.

Lydia weiss alles! Sie sagt den Frauen, die für die Hazet-Werk GmbH im Logistikzentrum in Heinsberg bei Aachen die Lieferungen an die Kunden zusammenstellen, welche Zange und welcher Schraubenzieher bestellt wurden, in welchem Regal man sie findet und wie viele von ihnen in welches Paket gehören. Und gleichzeitig teilt sie dem Warenwirtschaftssystem des Werkzeugherstellers in Remscheid mit, welche Waren aus den Regalen entnommen und an wen sie gesendet wurden.

Mit vollem Namen heißt Lydia eigentlich "topSPEECH-Lydia-PDA" und ist natürlich keine Kommissioniererin aus Fleisch und Blut. Lydia ist vielmehr ein "Pick by Voice"-System, das Hazet einsetzt, um trotz einer steigenden Zahl von Aufträgen und zunehmend komplexeren Kundenwünschen zuverlässig alle Lieferungen abarbeiten zu können. Nachdem sich die Hazet-Mitarbeiterinnen mit einer Identifikationsnummer auf einem Handheld angemeldet haben, bekommen sie Lydias Hinweise über einen Kopfhörer zugespielt - und antworten mit kurzen Sätzen, die das Headset-Mikrophon an die Sprachsoftware überträgt.

Bei Hazet arbeitet man seit einem Jahr mit dieser Lösung. Das Spracheingabeprojekt ist Folge einer unternehmensweiten Neugestaltung der Logistik. Neben den beiden Werken in Remscheid und Hagen verfügten auch die sechs über die Bundesrepublik verteilten Vertretungen des Werkzeugbauers über eigenständige Lager. Vor zwei Jahren begann Hazet, sie zu zentralisieren, um den Versand effizienter zu gestalten. "Wir wollten kein zusätzliches Personal aufbauen", erinnert sich Dieter Dyhr, Leiter Datenverarbeitung und Organisation, "aber gleichzeitig noch besser als bisher auf die Wünsche unserer Kunden eingehen können."

Rund 5000 unterschiedliche Produkte bietet Hazet an, und alle Abnehmer - Autohersteller, Werkstätten, Luftfahrtunternehmen und der Handel - haben mittlerweile unterschiedliche Anforderungen an die Werkzeuge selbst und auch an die Art und Weise, wie diese versandt werden. "Die Kunden geben nicht nur Inhalt und Maße eines Pakets vor, sondern auch, wie das Paket selbst aussehen muss", sagt Dyhr. "Und weil jeder Kunde andere Vorgaben hat, wollten wir, dass alles Wissen zentral vorgehalten und dokumentiert wird."

Hazet-Werk GmbH

Der Remscheider Werkzeughersteller Hazet wurde 1868 von Hermann Zerver, dessen Initialen der Ursprung des Firmennamens sind, gegründet. Das Unternehmen ist seit fünf Generationen im Familienbesitz und fertigt rund 5000 verschiedene Produkte, beispielsweise Rohrzangen oder Schraubenschlüssel, aber auch komplette Sortimente, um Werkzeugkästen zu bestücken, wie sie in jedem Baumarkt verkauft werden. 550 Mitarbeiter erwirtschaften jährlich rund 51 Millionen Euro Umsatz.

Dies war bislang nicht der Fall. Dyhrs IT-Mannschaft besteht zwar aus sechs Vollzeit- und zwei Teilzeitkräften, die für 210 Anwender verantwortlich sind. Sie pflegen und verwalten drei Applikations- und zwei Datenbankserver, die in einem Cluster 1,2 Terabyte Daten vorhalten, sowie elf weitere Server für Aufgaben wie beispielsweise den E-Mail-Verkehr. Die Hazet-Mitarbeiter greifen über ein Ethernet-Netz auf ihre Daten zu und arbeiten mit diversen SAP R/3-Anwendungen, zum Beispiel für das Finanz- und das Personalwesen, den Verkauf, die Produktionsplanung und das Customer Relationship Management.

Abwicklung ohne Medienbruch

Die Kommissionierung in den Lagern erfolgte aber lange Zeit losgelöst vom R/3-System per Hand auf der Grundlage ausgedruckter Kommissionierlisten. Alle bestellten Werkzeuge mussten einzeln gewogen, verpackt und kontrolliert werden. Ein wenig optimales Verfahren, denn laut Studie des Lehrstuhls für Fertigungsvorbereitung der Universität Dortmund sind beim Kommissionieren auf Basis schriftlicher Unterlagen im Schnitt vier von tausend Vorgängen fehlerhaft.

Hazet bietet seinen Kunden rund 5000 unterschiedliche Produkte an.

Zwar wurden jeden Monat auf diese Weise 164 000 Kilogramm Ware umgeschlagen. Doch es lag nahe, diese händischen Abläufe mit Technikunterstützung umzugestalten. So führte Dyhr im Herbst 2004 zusammen mit der Logistik-Unternehmensberatung Vialog einige Neuerungen ein: ein Transportbandsystem etwa, ferner Kommissionierfahrzeuge, die mit PC, Drucker und Barcodescanner bestückt durch die Regalschluchten rollen. Die Versandaufträge werden auf dem Bildschirm angezeigt, die entnommenen Waren über die Scanner eingelesen. Diese Daten werden per WLAN an das R/3-System übertragen - ein wichtiger Schritt in Richtung des Zieles papierlose Kommissionierung, das sich Dyhr gesetzt hat. "Wenn der Lieferschein aus der Datenverarbeitung auf einem Bildschirm im Lager auftaucht, soll der Vorgang bis zum Ende ohne Medienbruch abgewickelt werden", sagt er. Erst beim Ausdruck des Versandlabels aus dem SAP-System und der im Paket liegenden Versandliste fällt Papier an.

Der Anteil der über das Zentrallager verschickten Waren stieg schnell, bald wurden zwei Drittel der Waren von Heinsberg aus geliefert. Doch mit zunehmendem Warenverkehr taten sich neue Probleme auf. "Es zeigte sich, dass wir durch die Übernahme der Vertriebsverantwortung in Heinsberg nicht nur große, sondern auch viele kleine Lieferungen abzuwickeln hatten", erinnert sich Dhyr. So gibt es Unternehmen, für die Hazet pro Tag 200 Einzelsendungen zusammenstellen muss. "Wir bekommen die Bestelldaten um 9.00 Uhr und sind vertraglich verpflichtet, die Pakete bis 13.30 Uhr auf die Reise zu schicken", erklärt der IT-Leiter.

Das Projekt

Projektart: Pick by Voice

Zeitrahmen: Juli 2004 bis Oktober 2004, Programmierung, Einrichtung, Tests bis Echtlauf

Stand heute: läuft produktiv mit vier Kommissioniererinnen

Aufwand: Investitionen in Höhe von ca. 30000 Euro, drei Mitarbeiter

Produkte: SAP 4.6c, Sprachsoftware von Top System Systemhaus, topSPEECH-Lydia

Dienstleister: Pick by Voice: Top System Systemhaus, Würselen

ABAP-Programmierung: Flexus, Würzburg, und Hazet

Ergebnis: Es werden bis zu 300 Sendungen mit zwei Mitarbeiterinnen in der Zeit von zirka 8.00 Uhr bis 13.00 Uhr zusammengestellt. Dabei werden rund 3000 Artikel (von etwa 5000) auf einer Fläche von 100 qm angesprochen, in Sichtkästen und Regalen nach Umschlagshäufigkeit liegend.

Größte Herausforderung: SAP und topSPEECH-Lydia sind ohne Middleware über SAP-/Web-Console verbunden.

Nächster Schritt: Anzahl Mitarbeiter und Artikelanzahl erhöhen, um die Leistung weiter zu verbessern.

Derartig komplexe Kleinaufträge sorgten dafür, dass sich die Auslieferungen stauten: Um sie abzuarbeiten, mussten die Mitarbeiter immer wieder kreuz und quer durch die Gänge der Regallager laufen, um die Waren zusammenzutragen. So blockierten sie immer wieder die Kollegen mit den Kommisionierfahrzeugen auf ihren Touren, die erhofften Effizienzgewinne schienen fraglich. Aus diesem Grund begann sich Dyhr nach Lösungen umzusehen, mit deren Hilfe die kleinen Bestellungen ebenfalls effizienter abgearbeitet werden könnten. "Dabei stießen wir auch auf Pick by Voice", erinnert er sich. Doch zunächst hatte man bei Hazet Bedenken, ob die empfindliche Technologie auch für den Kommissionierungsalltag taugt. "Im Büro funktionieren alle Sprachsysteme, aber im Lager oder in Produktionsumgebungen sieht es anders aus", weiß auch Dietmar Bothe, Marketingleiter des Sprachtechnologieanbieters Top System in Würselen bei Aachen.

Störgeräusche werden ignoriert

Außerdem sollte sich die Lösung für die Kleinbestellungen nahtlos in die bestehende R/3-Landschaft einbinden lassen. "Die meisten Sprachsoftwareanbieter konnten das nicht. Sie brachten Middleware oder proprietäre, eigene Lösungen ins Spiel - was bedeutete, dass wir von externen Fachleuten abhängig wären", moniert Dyhr.

Die Lydia-Lösung nutzte der IT-Leiter, um ein zusätzliches Kommissionierungssystem zu entwerfen, das direkt an R/3 angebunden ist. Zwischen Juni und Oktober 2004 entstand innerhalb des Zentrallagers in Heinsberg eine acht mal zehn Meter großes Testfläche, auf der speziell die Artikel stehen, die in den Kleinsendungen am häufigsten nachgefragt werden. Zusammen mit den betroffenen Mitarbeitern entwarfen Dyhr und sein Team eine Serie von Sprachbefehlen und Anweisungen, mit denen die Kommissionierer Lydia aktivieren und die Sprachsoftware im Gegenzug die Packabläufe vorgibt. Zudem wurden Arbeits- und Umgebungsgeräusche wie das Rumpeln eines vorbeifahrenden Gabelstaplers oder das Scheppern eines herabfallenden Werkzeugkastens aufgenommen, Top-System-Programmierer arbeiteten sie in das Lydia-System ein. Von der Software werden diese Umgebungseinflüsse als Störgeräusche erkannt, das System ignoriert sie und kann seine Ressourcen voll für das Erkennen der Sprachbefehle nutzen.

Optimale Abwicklung

Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit lief die Kommissionierung mit Hilfe von Lydia effizienter denn je. Rasch stockte Hazet das reduzierte Sortiment von 1600 Testartikeln auf 3000 Positionen, also rund 60 Prozent des Warenbestandes, auf. Wenn heute eine Bestellung eine bestimmte Anzahl von Teilen unterschreitet, leitet das SAP-System den Auftrag auf einen der Handhelds um, die vier Mitarbeiterinnen in der Kommissionierung für ihre Arbeit nutzen. Die Datenerfassung erfolgt nicht mehr über Tastatur oder Scanner, sondern über die Spracheingabe des Mitarbeiters in das Mikrofon. Die kurzen Befehle der Anwender - zum Beispiel die Anweisung "Beginne Auftrag" - werden dabei durch die Sprachsoftware in einen binären Befehl umgewandelt, den wiederum auch das Warenwirtschaftssystem versteht. "Die Maschine lenkt den Kommissionierungsprozess nach einem bestimmten Muster, und anhand der registrierten Entnahmen von Waren aus den Regalen verfolgt sie, ob alles sauber erledigt wird", erklärt Dyhr.

„Wir haben unser Umschlagvolumen um 50 Prozent gesteigert.“ Dieter Dyhr, DV-Leiter

Lydia befreit die Mitarbeiter dabei von Arbeitsschritten wie dem Hantieren mit Papierzetteln oder Barcodegeräten. Die bisherige Ausgabe schriftlicher Anweisungen wird durch ein Sprachkommando auf den Kopfhörer ersetzt. Die Anforderungen jedes einzelnen Kunden werden nun auch für die Kleinsendungen automatisch berücksichtigt. Das gilt auch, wenn die wichtigsten Anweisungen - zum Beispiel die Vorgabe, dass ein einzelnes Paket nicht mehr als 20 Kilogramm wiegen darf - nicht auf einem Bildschirm, sondern über den Kopfhörer kommuniziert werden.

Mit den Ergebnissen der sprachgesteuerten Kommissionierung ist Dyhr zufrieden: "Unser Umschlagvolumen haben wir um 50 Prozent gesteigert, ohne dass zusätzliches Personal oder längere Arbeitszeiten nötig waren", bilanziert er. "Wir haben weniger Lauferei, weniger Fragerei, und die Informationen zu jedem Auftrag sind vollständig und besser aufbereitet." Und dabei arbeitet die Auslieferung zuverlässiger denn je: Bei 52500 kommissionierten Positionen unterliefen den Hazet-Mitarbeitern nur 21 Fehler.

Lars Reppesgaard ist freier Journalist in Hamburg.