Lücken und Knicken auf der Spur

11.09.2002 von Corinna Linke
Virtuelle Konstruktions- und Simulationsmethoden haben die Entwicklungszyklen in der Automobilindustrie erheblich verkürzt. Sie stellen hohe Ansprüche an die Datenqualität von CAD-Modellen. So werden mittlerweile Prüfprogramme konstruktionsbegleitend eingesetzt, um mögliche Fehler sofort beheben zu können.

Facharbeiter an einer Hochleistungs-Fräsmaschine bei Karmann.   Foto: Karmann

Die Wilhelm Karmann GmbH, Osnabrück, ein großer Automobilzulieferer und Produzent kompletter Fahrzeuge, sichert die Datenqualität für Volkswagen- und Audi-Projekte mit dem Prüfprogramm Validat. Das Tool für die geometrische Überprüfung von CAD-Daten ist nach der VDA-Empfehlung 4955/2 abgenommen.

"Die Entwickler wollen weg von den realen Prototypen", erklärt Andreas Groll. "Sie möchten viel mehr digital machen, weil das Kosten und Zeit spart." Für den Diplomphysiker aus der Systemabteilung der Technischen Entwicklung bedeutet dieser Trend, dass der Stellenwert der reinen CAD-Daten zunimmt. "Je weniger ich mit Stahl und Eisen arbeite, je mehr ich mit Daten simuliere, desto größer ist die Gefahr, dass Fehler in diesen Daten falsche Ergebnisse liefern."

Daher legt Groll Wert auf ein hohes Qualitätsniveau der CAD-Daten, und zwar von Anfang an und nicht erst bei der Simulation: "Denn Fehler zu Beginn der Konstruktion führen in den Folgeabteilungen zu erheblichen Problemen."

Er verdeutlicht das mit einem Beispiel: Im Flächenverbund eines Kotflügels sind einige Flächennormalen invertiert, das heißt Oben und Unten sind vertauscht. Korrigiert der Konstrukteur diese Fehler nicht am Rechner, muss sie der Programmierer ändern, der das Fräsprogramm für das passende Werkzeug erstellt. Ansonsten würde der Fräskopf möglicherweise an der falschen Seite ansetzen. Das sollte kein Problem sein - wenn es denn bei der einmaligen Korrektur des digitalen Modells bliebe. Doch in der Regel durchläuft ein Kotflügel mehrere Änderungen, bis die endgültige Version steht. Und so oft müsste der Programmierer immer wieder die gleichen Fehler korrigieren.

Dieser Aufwand ist bei den stets kürzer werdenden Entwicklungszyklen nicht mehr praktikabel, wie der erfahrene Karmann-Mitarbeiter weiß: "Während die komplette Entwicklungszeit für ein neues Fahrzeug vor etwa acht Jahren noch 36 Monate betrug, liegt sie aktuell bei 24 und steuert auf die 18 Monate zu."

Ohne modernste Informationstechnologie wäre dieses Tempo nicht denkbar. Doch das verursacht einen grundlegenden Wandel der Arbeitsweise in der Konstruktion, beispielsweise werden immer mehr elektronische Hilfsmittel zur Qualitätssicherung der CAD-Daten benötigt. Diese Prüfprogramme checken elektronische Modelle auf mathematische und geometrische Fehler und bieten teilweise Funktionen für die Korrektur.

Karmann zählt zu den wenigen Zulieferern, die nicht nur einzelne Module, sondern auch komplette Fahrzeuge liefern. In den vergangenen 50 Jahren waren das an die drei Millionen Stück für Kunden wie Volkswagen, Audi, Daimler-Chrysler oder Ford. Legende ist der VW Karmann-Ghia, der 1955 auf den Markt kam. In den 19 Jahren der Modell-Laufzeit liefen davon fast eine halbe Million als Coupés und Cabriolets vom Band.

Zurzeit arbeitet ein Großteil der Karmann-Konstrukteure an VW- und Audi-Projekten. Ihre "Catia"-Modelle prüfen sie mit VW-eigenen Programmen des Tochterunternehmens Gedas. Mit dem Tool "Validat" kontrollieren sie geometrische Fehler und mit "Endcheck" strukturelle. So besteht die Prüfung der Datenqualität formal aus zwei Schritten.

Die Konstrukteure checken auch übernommene Modelle von Zulieferern mit den Tools. Dies gehört zu den Vereinbarungen über den Datenaustausch, wonach die Prüfung mit Endcheck für die Zulieferer zur Pflicht gehört. Der Check mit Validat ist zur Zeit noch optional. "Doch das ist nur eine Frage der Zeit", schätzt Groll.

Der Physiker beschäftigt sich mit dem Thema Datenaustausch, zu dem auch die Datenqualität zählt. So kümmert er sich um die Bereitstellung der Prüfprogramme und organisiert interne Schulungsmaßnahmen. Weiter ist er Anlaufstelle für Fragen und Probleme der Anwender.

Prüfergebnis ist nicht gleich Prüfergebnis

Groll engagiert sich im Verein der Deutschen Automobilindustrie e.V. (VDA) und gehört der Arbeitsgruppe Datenqualität an. Diese entwickelt beispielsweise die VDA-Empfehlung 4955 für "Geometriechecker". Mit der Abnahme nach dieser Empfehlung sollen die unterschiedlichen Ergebnisse minimiert werden, die verschiedene Prüfprogramme liefern. "Noch sind die Unterschiede gravierend", bedauert Groll. Doch mit der neuen Version 2 der 4955 soll sich das ändern. Zur Zeit ist jedoch nur Validat nach 4955/2 abgenommen, sodass die Automobilbranche noch mit den Unterschieden leben muss.

Da in der Regel jeder Hersteller mit einem eigenen Programm und speziellen Prüfkriterien arbeitet, müssen auch deren Zulieferer diese nutzen. Das ist zwar keine Pflicht, doch anders kaum praktikabel. Für die Osnabrücker bedeutet das, gleich mehrere Prüfprogramme vorzuhalten, beispielsweise Validat für VW- und Audi-Projekte und den Q-Checker für Daimler-Chrysler. "Uns trifft das nicht so hart, weil wir groß genug sind", meint Groll. "Aber für kleinere Ingenieurbüros fallen die Lizenzkosten mehrerer Programme durchaus ins Gewicht."

Validat erkennt einen Knick in der CAD-Konstruktion. Screenshot: Gedas

Ulrich Maihöfer, ein Kollege Grolls in der Systemabteilung der Technischen Entwicklung bei Karmann, übernimmt das Training der Konstrukteure und weist sie innerhalb von zwei Stunden in Validat ein. "Länger ist nicht nötig, weil das Programm intuitiv zu bedienen ist", erklärt er. Schwerer ist da schon die Fehlerkorrektur, die einige Übung erfordert. Denn die Anzahl möglicher Fehler ist beträchtlich und benötigt individuelle Korrekturen.

Zu den häufigsten Fehlern in CAD-Modellen gehören ungewollte Lücken, Überlappungen und Knickwinkel zwischen Flächen. Auch kann der Flächenaufbau unsauber sein in Form invertierter Flächennormalen oder nicht eingehaltener Minimalradien. Weitere Fehler entstehen durch Probleme beim Datenaustausch oder vergessene Datenbereinigung. Die Ursachen solcher Fehler liegen einerseits darin, dass der Konstrukteur nicht völlig fehlerfrei arbeitet. Andererseits beruhen sie auf Programmierfehlern im CAD-System und auf falschen Ergebnissen der mathematischen Berechnung.

Das Programm erkennt diese vielfältigen, möglichen Fehler in der Geometrie von CAD-Daten und stellt die Ergebnisse der Prüfung als Fehler-Liste dar. Maihöfer präsentiert das an einem Modell, bei dem die Liste Einträge enthält wie

- 1 Element doppelt,

- 5 Lücken,

- 21 Knicke zwischen zwei Flächen und

- 2 invertierte Flächennormalen in der Topologie.

Je nach Größe des geprüften Modells dauert der Check nur einige Sekunden oder ganze Stunden. Die Kriterien sind als Prüfprofile im System hinterlegt und lassen sich vom Konstrukteur projektbezogen auswählen. So kann er sehr schnell zwischen verschiedenen Vorgaben der Hersteller wechseln.

Nach dem Check erscheint ein ausführliches Prüfprotokoll, das zu jedem Kriterium die fehlerhaften Geometrien enthält. Liegen Elemente außerhalb der aktuellen Toleranz, werden sie hier aufgeführt. Da nicht jedes gemeldete Element zwangsläufig fehlerhaft ist, muss Maihöfer die Prüfergebnisse interpretieren.

Leichte Fehler wie das doppelte Element aus der Fehler-Liste kann er direkt beheben. Dazu markiert er den Fehler und zoomt an die entsprechende Stelle im CAD-Modell. "Hier ist ein Kurvenabschnitt doppelt - wohl ein Kopierfehler zu Anfang der Konstruktion", meint der Trainer. "Der ist schnell behoben." Dazu ruft er die Korrekturfunktion auf und löscht das identische Element.

"Die Korrekturmöglichkeiten, die das Programm bietet, funktionieren recht komfortabel", findet Maihöfer. Doch längst nicht alle Fehler kann er direkt beheben: Bei schwerwiegenden Fehlern muss er die gesamte Konstruktion überarbeiten, was er im CAD-Programm Catia erledigt.

Schon eine einfache Lücke kann nach den Erfahrungen des erfahrenen CAD-Konstrukteurs viel Arbeit bedeuten. Denn er muss die bestehenden Flächen neu trimmen oder eine neue Fläche generieren. Dabei ist der gesamte Flächenverbund zu betrachten, damit keine Knicke zu den angrenzenden Flächen entstehen. Auch soll der gesamte Flächenverlauf in sich geschlossen sein, damit die Optik später stimmt.

So sind die Korrekturen zum Teil komplex und erfordern vom Anwender schon eine gewisse Erfahrung. "Die Prüfung macht erst einmal mehr Arbeit", weiß Maihöfer. Doch unterm Strich ersparen sich die Anwender mögliche Folgefehler und damit wertvolle Zeit.

Die Prüfung ist in den Workflow eingebunden

Damit sich der Aufwand für die Prüfung besser mit dem Tagespensum vereinbaren lässt, rät Groll zur regelmäßigen Kontrolle wenigstens einmal pro Woche. So verteilt sich die Arbeit in mehrere kleine Einheiten. "Ansonsten sitzt der Konstrukteur am Ende ganze Tage daran", betont der Physiker.

Der Check ist bei Karmann in den Workflow eingebunden. So kann die Konstruktion ein CAD-Modell nicht an die DMU-Abteilung weiterreichen, bevor die Fehler nicht behoben sind. Im Digital Mock Up arbeiten die Mitarbeiter also nur mit bereinigten Daten. Sollten sie beispielsweise Kollisionen im Zusammenspiel mehrerer Bauteile feststellen, geben sie den Vorgang an die Konstruktion zur Überarbeitung zurück. Danach beginnt der Prozess von vorn und wiederholt sich so lange, bis die DMU-Abteilung das Modell geometrisch freigibt. Erst dann gelangt das CAD-Modell an den Auftraggeber und garantiert die höchst mögliche Datenqualität.

Trotzdem werden die Daten zur Zeit noch einmal vom Auftraggeber überprüft, also doppelt. Das muss nicht sein, findet Groll: "Denn der Rechenaufwand für die Qualitätsprüfung größerer Modelle ist beträchtlich." Eine Alternative sieht er in einem elektronischen Prüfsiegel für CAD-Daten, das ein Modell als geprüft kennzeichnet. "Damit hätte der Empfänger die Gewissheit, dass es seinen Anforderungen genügt", erklärt der Physiker, "und könnte sich die eigene Prüfung sparen." Mit dieser Vision rückt Groll noch kürzeren Entwicklungszeiten einen Schritt näher.