Linux-Zertifikate: Wer bietet was?

19.05.2004 von Winfried Gertz
Wer seine Linux-Kenntnisse zertifizieren lassen will, kann unter mehreren Kursanbietern und -typen wählen. Mit dem Markteintritt Novells wird die Szene noch unübersichtlicher. Der führende Linux-Distributor Red Hat hat einen Konkurrenten mehr.

Dominiert wird der Linux-Weiterbildungsmarkt von Red Hat und dem Linux Professional Institute (LPI). Alternativen wie das seit 2001 offerierte "Comptia Linux+" gelten allenfalls als Einstiegszertifizierung. Kaum bekannt unter Personalentscheidern sind die Prüfungen von "Sair Linux/ GNU", die in deutschen Testzentren auch selten angeboten werden. Dabei handelt es sich um die erste überhaupt verfügbare Linux-Zertifizierung. Sie richtet sich insbesondere an den klassischen Unix-Administrator.

Linux-Zertifizierung in Bewegung

Vor wenigen Monaten ist der Linux-Zertifizierungsmarkt in Bewegung geraten: Ins Rampenlicht getreten ist kein Geringerer als Novell. Nach der Übernahme von Ximian und Suse wollen die Amerikaner an ihren einstigen Ruf als Pionier der IT-Zertifizierung anknüpfen. Obwohl die Zertifizierung zum "Novell Certified Linux Engineer" (CLE) nahtlos mit hauseigenen Produktlinien ("Novell Enterprise Linux Services") verknüpft ist und auf den ersten Blick der Strategie des weltweit führenden Linux-Distributors Red Hat ("Red Hat Certified Engineer" = RHCE, "Red Hat Certified Technician" = RHCT) ähnelt, ergreift Novell eindeutig Partei für die herstellerunabhängige Zertifizierung von LPI.

Hohe Durchfallquoten

Damit setzt Novell den zuvor von Suse verfolgten Kurs konsequent fort. Auf Basis der seit 1999 verfügbaren LPI-Zertifizierungen "LPIC Level 1" (LPI 1) sowie "LPIC Level 2" (LPI 2) konzipierte der Nürnberger Linux-Distributor nicht nur seine hauseigenen Tests "Suse Certified Linux Professional" (SCLP) und "Suse Certified Linux Expert" (SCLE). Auch die Zertifizierungsinitiative, die das inzwischen in Auflösung begriffene Firmenkonsortium United Linux (UL) (Suse, Turbo Linux, Conectiva und SCO) noch Ende 2003 verfolgte, stand auf solidem LPI-Fundament.

Das Interesse an Linux wächst: Die Zahl der zertifizierten IT-Profis ist im vorigen Jahr weltweit von 30.000 auf 50.000 gestiegen, gleichzeitig sind aber auch die Tests schwerer geworden. (Foto: Joachim Wendler)

Ebenso wie die LPI-Prüfungen oder die Zertifizierungstests von Suse, Comptia und Sair/GNU hätten die Examina für den "United Linux Certified Professional" (ULCP) sowie den "United Linux Certified Expert" (ULCE) online in einem Testcenter von VUE oder Thomson Prometric abgelegt werden müssen. Rund 6000 Testcenter gibt es weltweit. Die meisten befinden sich in einer größeren Stadt unter dem Dach eines IT-Weiterbildungsanbieters.

Novell verfolgt mit den Linux-Tests ehrgeizige Ziele. Nach Angaben von Michael Weyrauch, Ende April vom Suse-Trainingsleiter zum Director Novell Emea Training Services aufgestiegen, sollen bis Jahresende etwa 500 Linux-Spezialisten im Vertriebsraum Europa, Naher Osten und Afrika zum CLE zertifiziert werden. Bei der Prüfung muss der Kandidat anspruchsvolle Aufgaben am Computer lösen, "wofür grundlegendes Wissen über Linux erforderlich ist". Als Voraussetzung wird Interessenten eine LPI-1-Zertifizierung empfohlen, "eine Bedingung ist es aber nicht". Karriereorientierte Linux-Profis sollten den Rat befolgen, schließlich falle die CLE-Durchfallquote relativ hoch aus, "weil nur wenige Teilnehmer die LPI-Zertifizierung besitzen", so Weyrauch.

Als noch schwieriger gelten Red Hats Prüfungen. Selbst gestandene IT-Spezialisten, die gewohnt sind, Netzwerke und Server zu installieren, müssen die Tests relativ häufig wiederholen. Nach Angaben von Jens Ziemann, als Schulungsleiter von Red Hat für Zentral- und Osteuropa verantwortlich, dürfte die ohnehin hohe Durchfallquote von 65 Prozent bei der Prüfung zum RHCE kurzfristig weiter steigen, da der Linux-Distributor in den Prüfungen jüngst die Multiple-Choice-Fragen gestrichen hat und Kandidaten ihr Können "ausschließlich live unter Beweis stellen müssen".

In zahlreichen Zertifizierungsranglisten, die im Web kursieren, erobert die RHCE-Prüfung regelmäßig vordere Plätze. Ihr eilt der Ruf des "King of Linux Certs" voraus. Insidern zufolge steht sie qualitativ den als sehr schwierig geltenden Cisco-Zertifizierungen zum "Cisco Certified Network Professional" (CCNP) und "Cisco Certified Network Professional" (CCNP) in nichts nach.

Vor dem RHCE-Examen müssen die Teilnehmer die Schulbank drücken. Pro Jahr finden weltweit rund 1300 Kurse statt, die mit einer schweren ganztägigen Prüfung enden. Anders als beim LPI, das wie Novell oder Suse für die Online-Tests zwischen 100 und 200 Dollar in Rechnung stellt, müssen die RHCE-Kandidaten tief in die Tasche greifen. Für die fünfteilige, mehrwöchige Schulung sind inklusive Prüfung gut 8000 Euro fällig. Das in der Linux-Gemeinde hoch gehandelte Zertifikat erhält, wer eine Maschine unter Zeitdruck auf eingebaute Fehler untersucht und erfolgreich repariert (Troubleshooting) sowie ein System gemäß Pflichtenheft installiert und konfiguriert. Wer nicht genug Punkte für den RHCE zusammenbekommt, kann sich mit dem weniger gehobenen Grad des Red Hat Certified Technician trösten - oder ganz durchfallen.

Die Nachfrage steigt

Laut Schulungsleiter Ziemann gilt der insbesondere für Systemadministratoren gedachte RHCE als Äquivalent zum Microsoft Certified Systems Engineer (MCSE), während der RHCT sich an Operatoren (Junior-Administratoren) wendet und etwa dem Microsoft Certified Professional (MCP) vergleichbar ist.

Die Nachfrage boomt: Schmücken sich weltweit bereits 10 400 IT-Profis mit dem 1999 erstmals vergebenen Edel-Label RHCE, verzeichnet Red Hat seit dem Programmstart vor einem Jahr immerhin schon 3700 zertifizierte RHCTs. Anwender würden Ausbildungsprojekte "auf Vorrat" starten, erklärt sich Ziemann den Bewerberandrang. In Erwartung einer bevorstehenden Kurskorrektur in der Lizenzpolitik "machen Unternehmen ihre Systemadministratoren bereits jetzt zum Thema Linux fit".

Wer nun meint, der durchaus beachtliche Erfolg von Red Hats Zertifizierungsstrategie gehe zu Lasten von LPI, sieht sich getäuscht. Allein im letzten Jahr ist die Zahl der weltweit abgelegten Examina von 30 000 auf 50 000 hochgeschnellt. Laut Torsten Scheck, Softwareentwickler und im Herbst 2003 in den LPI-Vorstand berufen, sind weltweit etwa 13000 Linux-Spezialisten im Besitz der Zertifikate LPI 1 und LPI 2. LPI 1 gibt es nach zwei Prüfungen: Jede dauert 90 Minuten und beinhaltet etwa 60 Fragen, die im Multiple-Choice-Verfahren zu beantworten sind. Bestanden hat, wer auf der von 200 bis 800 reichenden Punkteskala mindestens 490 erreicht.

Konzentriert sich die Einstiegszertifizierung auf die Verwaltung von Einzelplatzrechnern, setzt LPI 2 längere berufliche Erfahrungen voraus. Hier dreht sich alles um Netzanwendungen und Mehrbenutzer-Umgebungen. Auch diese Prüfung besteht aus zwei Teilen. Für die Lösung der etwa 55 Fragen ist ebenfalls anderthalb Stunden Zeit. Diesmal sind mindestens 460 Punkte zu erreichen.

Die bisher in Englisch und Japanisch verfügbaren Tests werden derzeit um eine deutsche Version ergänzt; französische, spanische und chinesische Tests sind in Arbeit. Unmittelbar vor Einführung befindet sich nach Angaben von Scheck die Zertifizierung LPI 3, die sich an Linux-Spezialisten für Datenbankadministration, Softwareentwicklung oder Embedded Technologies wendet.

Ungebrochen setzt LPI seinen hersteller-unabhängigen und technologieorientierten Kurs fort und grenzt sich damit auch künftig vor allem von Red Hat ab: "Genügt es Red Hat, dem Kandidaten die Handhabung seiner eigenen Produkte zu bescheinigen", fasst Scheck zusammen, "wollen wir ein objektives Werkzeug zur Verfügung stellen, um die Eignung als Linux-Systemadministrator zu überprüfen."

Red Hats aufwändige praktische Prüfungen sind naturgemäß teurer als LPIs Multiple-Choice-Tests. So kann LPI mit günstigen Preisen werben, sieht sich aber andererseits dem Vorwurf mancher Szenekenner ausgesetzt, seine Ankreuz-Zertifikate träfen überhaupt keine Aussage über die Praxistauglichkeit des Absolventen, sondern nur über dessen Fähigkeit zum sprachlichen Auswendiglernen. Scheck argumentiert dagegen, in den Fragenkatalog fließe das praktische Wissen der LPI-Community ein.

*Winfried Gertz ist freier Autor in Starnberg.