Kein Rechtsanspruch, aber faktische Bindungswirkung

Letter of Intent - unverzichtbar bei Großprojekten

10.06.2009 von Renate Oettinger
Was im Vorfeld zum Abschluss wirtschaftlich wichtiger Verträge zu beachten ist und warum der Letter of Intent immer mehr an Bedeutung gewinnt, sagt Wolfgang Nebel.

Im Vorfeld zum Abschluss wirtschaftlich bedeutsamer Verträge wollen die Beteiligten sehr häufig das Ergebnis ihrer bisherigen Verhandlungen als auch die weitere Vorgehensweise schriftlich fixieren. Insbesondere bei Unternehmenskäufen und -beteiligungen, bei großen Bauvorhaben, der Gründung von Joint Ventures und bei Großaufträgen geschieht dies regelmäßig durch entsprechende Erklärungen, die mit der Bezeichnung "Letter of Intent" überschrieben werden.

Quelle: Fotolia, L. Jerry
Foto: Fotolia, L. Jerry

Sowohl die Bezeichnung als auch die inhaltliche Ausgestaltung eines Letter of Intent (kurz LOI genannt) sind in der Praxis sehr häufig unterschiedlich. Auch Begriffe wie "Proposal Letter" oder "Memorandum of Understanding" (MoU) finden oft gleichbedeutend Verwendung.

Einseitige Erklärung

Der Letter of Intent stellt eine Absichtserklärung dar, die ein Partner eines eventuellen künftigen Vertrages gegenüber dem anderen (potenziellen) Partner abgibt. Inhalt des Letter of Intent ist vom Grundsatz her die Erklärung, demnächst mit einem bestimmten Partner einen bestimmten Vertrag unter bestimmten Voraussetzungen abschließen zu wollen. Dabei handelt es sich um eine einseitige Erklärung, die gegenüber dem anderen Verhandlungspartner erfolgt (deshalb heißt es auch "Letter" und nicht etwa "Agreement").

In aller Regel geben beide bzw. mehrere potenzielle Vertragspartner wechselseitig entsprechende Erklärungen ab oder unterzeichnen gemeinsam eine entsprechende Vereinbarung. Auf diese Weise dokumentieren sie ihre Vertragsbereitschaft und die Tatsache der aktuell miteinander geführten Verhandlungen.

Gleichzeitig wollen die Beteiligten aber auch deutlich zum Ausdruck bringen, dass auf jeden Fall noch weitere Verhandlungen über den (künftigen) Vertragsinhalt erforderlich sind, bevor der angestrebte Vertrag selbst unterzeichnet werden kann.

In der Praxis enthält ein Letter of Intent meistens sowohl rechtlich unverbindliche als auch bindende Elemente.

Unverbindliche und bindende Elemente

Nicht binden wollen die Parteien sich regelmäßig hinsichtlich des (endgültigen) Vertragsabschlusses, da hier die Verhandlungen eben gerade noch nicht entsprechend weit gediehen bzw. abgeschlossen sind. Vielmehr dient der Letter of Intent seinem Zweck und seiner ursprünglichen Idee nach dazu, ein bereits erzieltes Verhandlungs- oder Gesprächsergebnis zu fixieren, die wechselseitig bestehenden Absichten zu bekunden und ggf. die noch offenen Punkte aufzulisten, ohne dass die Beteiligten sich an ihre Ausführungen rechtlich binden lassen wollen.

Deshalb wird üblicherweise darauf hingewiesen, dass die Absprache insgesamt bzw. in bestimmten Teilen rechtlich nicht verbindlich sein soll (sogenannte Non-Binding-Close).

Grundlage für die weiteren Verhandlungen

Die vorrangige Funktion des Letter of Intent besteht somit darin, die Grundlage für weitere Verhandlungen zu schaffen, an deren Ende der (eigentliche) bindende Vertragsabschluss stehen soll. Er stellt deshalb eine vertrauensbildende Maßnahme dar, die gerade bei umfangreichen und langwierigen Vertragsverhandlungen als entsprechende Basis dienen soll.

Sehr oft enthält ein Letter of Intent gleichzeitig aber auch schon verbindliche Absprachen, die sich in aller Regel auf den Inhalt und die Form der noch folgenden Verhandlungsführung sowie eine eventuelle Beendigung der Vertragsgespräche beziehen.

Dabei handelt es sich typischerweise um folgende Punkte:

- Vertraulichkeitsvereinbarung für bestimmte Themen

- Offenlegung von Betriebsinterna mit der Verpflichtung, auch im Falle einer Beendigung der Verhandlungen diese nicht zu nutzen, in welcher Form auch immer

- Zuordnung von Kosten (z.B. für Planungen, Beratungen usw.), die im Zusammenhang mit der Vorbereitung des angestrebten Vertragsschlusses anfallen

- Übernahme von Haftungen bzw. Haftungsausschlüsse

- Festlegung des anzuwendenden Rechtes, Gerichtsstandvereinbarung usw.

- Fixierung derjenigen Teile des Hauptvertrages, über welche sich die Parteien schon geeinigt haben.

Wirkungen des Letter of Intent

Dabei ist zu beachten, dass ein Letter of Intent eine erhebliche faktische Bindungswirkung erzeugt, und zwar unabhängig von der im Einzelfall ausgestalteten rechtlichen Verbindlichkeit. Denn erfahrungsgemäß berufen sich die Beteiligten im Laufe der weiteren Verhandlungen auf den Inhalt des Letter of Intent und nehmen diesen als Maßstab für die Beurteilung des Verhaltens der jeweils anderen Seite.

Auch wenn sich aus einem Letter of Intent regelmäßig nicht der Anspruch auf den tatsächlichen Abschluss des angestrebten Vertrages herleiten lässt, entsteht bereits aus der faktischen Bindungswirkung ein Vertrauensschutz für die jeweils andere Partei. Daher können sich die Beteiligten auf einseitigem Wege nicht ohne Weiteres wieder von dem Letter of Intent lösen. Der Letter of Intent ist ein vorvertragliches rechtsgeschäftliches Handeln und kann unter Umständen eine Haftung aus Verschulden bei Vertragsabschluss in Verbindung mit einer entsprechenden Schadensersatzverpflichtung auslösen.

Vorsichtige Anwendung empfehlenswert

Deshalb kann nur dringend angeraten werden, bei der Ausformulierung eines Letter of Intent mit größter Sorgfalt zu arbeiten. Denn es kommt immer darauf an, wie der jeweilige Empfänger den Letter of Intent verstehen musste und durfte. Eventuelle Ungenauigkeiten bei der Formulierung können deshalb ohne Weiteres bestimmte Rechtspflichten auslösen, obwohl der Verfasser des Letter of Intent dies gar nicht beabsichtigt hat.

Dem Letter of Intent stehen einige andere Rechtsformen vergleichsweise nahe, so dass sich im Einzelfall die entsprechende Abgrenzung recht schwierig gestalten kann.

Vorvertrag

So wird häufig auch im Vorfeld eines Vertrages ein sogenannter Vorvertrag abgeschlossen.

Im Unterschied zum Letter of Intent begründet ein solcher Vorvertrag jedoch die Verpflichtung der Vertragspartner, den (nachfolgenden) Hauptvertrag auch wirklich abzuschließen, während ein Letter of Intent diese Möglichkeit in der Regel offen lässt.

Ein wirksamer Vorvertrag setzt voraus, dass sich die Parteien über alle wesentlichen Vertragspunkte geeinigt haben und der Inhalt des noch abzuschließenden Hauptvertrages zumindest bestimmbar ist. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, können die Parteien eines Vorvertrages den Abschluss des Hauptvertrages gerichtlich einklagen, wobei der endgültige Inhalt dieses Hauptvertrages erforderlichenfalls durch das Gericht im Wege der ergänzenden Auslegung ermittelt werden kann.

Aufgrund des sich insoweit ergebenden Kontrahierungszwanges muss ein Vorvertrag sehr gut überlegt sein, da dieser ein einseitiges "Zurück" unmöglich macht und zudem die Gefahr besteht, dass im Streitfalle ein Gericht den genauen Vertragsinhalt festlegt, was üblicherweise mit einem erheblichen "Unsicherheitsfaktor" einhergeht.

Wie bereits ausgeführt, besteht ein solcher Kontrahierungszwang bei dem Letter of Intent üblicherweise nicht, bei einem Abweichen davon durch eine der Parteien können sich jedoch entsprechende Schadenersatzverpflichtungen für diese Partei ergeben.

Kaufmännisches Bestätigungsschreiben

In vergleichbarer Weise zum Letter of Intent verhält sich auch das kaufmännische Bestätigungsschreiben, welches ebenfalls eine einseitige Erklärung ist. Das kaufmännische Bestätigungsschreiben bestätigt dabei einen zuvor lediglich mündlich geschlossenen Vertrag und soll deshalb einen bereits erfolgten Vertragsabschluss dokumentieren.

Soweit es sich bei dem Adressaten um einen Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuches handelt, muss dieser dem kaufmännischen Bestätigungsschreiben in angemessener Frist widersprechen. Anderenfalls gilt der Vertrag als in der Form abgeschlossen, wie der Absender diesen in seinem Bestätigungsschreiben dargestellt hat.

Fazit

Im Ergebnis muss somit festgehalten werden, dass der Letter of Intent als Instrument im rechtsgeschäftlichen Verkehr mit großer Sorgfalt und Vorsicht zu behandeln ist. Dies führt sehr oft dazu, dass die Vorbereitungen und Verhandlungen für einen Letter of Intent ähnlich umfangreich sind wie für den eigentlich angestrebten Hauptvertrag.

Der Autor Wolfgang Nebel ist Rechtsanwalt und Mitglied der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V. (www.mittelstands-anwaelte.de)

Kontakt:

Kanzlei Meyer & Nebel, Bredeneyer Str. 95, 45133 Essen, Tel.: 0201 41884, Fax: 0201 422568, E-Mail ra-nebel@ra-nebel.de, Internet: www.meyerundnebel.de und www.mittelstands-anwaelte.de