Dipl.-Vwt. Dr. Lothar Scholz

Leiter der Projektgruppe Energie, Rohstoffe,Technologie im Ifo-lnstitut für Wirtschaftsforschung MünchenArbeitsmarktprobleme durch Mikroprozessoren?

28.07.1978

In der öffentlichen Diskussion um die von den Mikroprozessoren ausgelösten wirtschaftlichen und sozialen Folgewirkungen wird Mikroprozessor gleich Mikroelektronik gesetzt. Das ist nicht korrekt. Der Mikroprozessor umfaßt nur eine Produktfamilie im Rahmen des weiten Produktspektrums der gesamten Mikroelektronik. Wenn in der öffentlichen Diskussion diese meines Erachtens sehr wichtige Unterscheidung nicht gemacht wird, dann nicht zuletzt darum weil die Marketing- und PR-Experten der Bauelementeindustrie es verstanden haben, einen im Trend zur Großintegration folgerichtigen und konsequenten technischen Entwicklungsschritt der Mikroelektronik als "technologische Revolution" an den Mann zu bringen. Kein Wunder, wenn der damit verbundene Super-Superlativ-Jargon die Öffentlichkeit aufschreckt. Ohne jeden Zweifel sind die technologischen Fortschritte in der Mikroelektronik äußerst rasant. Die Anwendung und Verbreitung mikroelektronischer Bausteine hält damit aber bei weitem in der Bundesrepublik nicht Schritt.

Der kommerzielle Verbreitungsprozeß der Mikroelektronik begann in der Bundesrepublik im Jahre 1965 - in den USA etwa fünf Jahre früher. Von einigen kurzfristigen Rückschlägen in den Jahren 1970/71 und 1974/75 abgesehen, hat diese neue Technologie dennoch auch bei uns einen bemerkenswerten Siegeszug zu verzeichnen. Die erste Generation aktiver Komponenten (Elektronen- und Verstärkerröhren) ist nahezu bedeutungslos geworden. Und in den Jahren 1976/77 hat sich das vollzogen, was langst erwartet wurde: Der Inlandsmarkt an integrierten Halbleiterschaltungen (ca. 0,5 Milliarden Mark) war erstmalig wertmäßig größer als der der diskreten Halbleiter-Komponenten (ohne Leistungshalbleiter). Die dritte Generation der aktiven Komponenten ist dabei, die zweite Generation sukzessive an Bedeutung verlieren zu lassen. Die Produktfamilie der Mikroprozessoren hatte bislang daran einen verschwindend geringen Anteil. Diese "neue Generation" wird aber ohne Zweifel an Gewicht gewinnen. Das hängt damit zusammen, daß "konventionellen" Standard- und Kundenschaltungen in Anbetracht zu kleiner und zu zersplitterter Absatzmärkte in der Verbreitung enge Grenzen gezogen sind.

Diese Grenzen durchbrechen die Mikroprozessoren. Sie stellen software-programmierbare, universell anwendbare Standard-Bausteine dar, die durch die Zuschaltung von Speichersubsystemen und Ein- und Ausgabeeinheiten zu sogenannten Microcomputern vereinigt werden können. Damit wird der aus der konventionellen Halbleiterphilosophie resultierende Trend zu zentralen "Einheits-Groß-Systemlösungen" durchbrochen, die Architektur neuer Computersysteme erhält Impulse in Richtung größere Vielfalt und Dezentralisierung. Kurz: Das Anwendungsspektrum der Mikroelektronik wird auf eine größere Basis gestellt.

Insofern ist es nicht völlig abwegig, die von der Mikroelektronik ausgelösten wirtschaftlichen und sozialen Folgewirkungen zukünftig vor allem in Abhängigkeit vom Verbreitungsprozeß der Mikroprozessoren zu sehen. Empirische Erfahrungen liegen hierüber jedoch heute kaum vor. Erfahrungen mit der "konventionellen" Mikroelektronik geben aber gewisse Anhaltspunkte über diese Folgewirkungen.

Eine direkte Eingriffsmöglichkeit zur Steuerung der Verbreitungsgeschwindigkeit der Mikroprozessoren hat der Staat allerdings durch seine Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsförderungsprogramme. Schraubt er hier seine Fördermaßnahmen zurück, ergeben sich negative Folgewirkungen für die Strukturanpassung unserer Wirtschaft.

Außerdem muß sich die Bundesregierung dann die Frage gefallen lassen, warum sie in der Vergangenheit die Mikroelektronik mit Steuergeldern gefördert hat, damit unsere Bauelementeindustrie die "Technologische Lücke" halbwegs schließen kann - was als Erfolg zu verbuchen ist -, wenn sie nunmehr den Verbreitungsprozeß dieser Technologie eher behindern als fördern würde.

Ich habe im Rahmen meiner Forschungsarbeiten im Info-Institut für Wirtschaftsforschung die Probleme kennengelernt, die Unternehmen haben, wenn sie Mikroprozessoren anwenden wollen. Hier existieren Innovationsbarrieren, die es abzubauen und nicht zu verstärken gilt, wenn man unsere Strukturanpassungs- und Beschäftigungsprobleme lösen wil. Den Vorwurf, das sei technokratisches Denken, habe ich oft genug gehört. Ich bin kein Technokrat, sondern Wissenschaftler und damit Pragmatiker.

Oft hört man die Forderung, wir müßten eine Denkpause einlegen,

um uns über die weitere technische Entwicklung klar zu werden. Wir hatten in den vergangenen Jahren hierfür Zeit genug. Ich habe den Eindruck, daß einige diese Zeit nicht für eine Pause zum Denken, sondern für eine Pause im Denken benützt haben. Die von einigen partikularen Gruppen geforderten Entwicklungsperspektiven in technischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht sind schlichtweg unrealistisch.

Vor diesem Hintergrund tut es Not, den Mikroprozessor ebenso wie andere technologische Entwicklungsperspektiven nüchtern und nicht plakativ als folgerichtigen, wohlbedachten Entwicklungsschritt darzustellen. Es ist ein Novum, daß die Öffentlichkeit interessiert ist, hierüber informiert zu werden - und zwar auch über die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen. Das setzt Technologie-Folgenabschätzungen voraus. Das ist eine relativ junge Forschungsrichtung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. In unserem Institut bearbeiten wir solche Fragestellungen in einem Forschungsschwerpunkt. Diese notwendigerweise empirische Forschungsarbeit setzt die Zusammenarbeit mit Herstellern und Anwendern neuer Technologien voraus.

Je vertrauensvoller diese Zusammenarbeit ist, desto problema(...)äquater können die gestellten Fragen beantwortet werden. An öffentlichen Auftraggebern, die uns diese Fragen vorgeben, herrscht gegenwärtig kein Mangel. Wir sind bemüht, diese Forschungsergebnisse auch der breiteren Öffentlichkeit in einer verständlichen Form nahezubringen. Allerdings bedarf das der Unterstützung von Publikationsorganen, die nicht allein im Bereich der Fachzeitschriften und Fachliteratur angesiedelt sind. Nüchterne Analysen entbehren jedoch jeglicher Reizworte und lassen sich darum schlecht verkaufen - zumindest in der Öffentlichkeit. Es bleibt nur zu hoffen, daß die Entscheidungsträger im Bereich der Wirtschaft auf seiten der Tarifparteien und in der Politik hinreichend nüchtern in der Beurteilung der durch den technologischen Wandel ausgelösten wirtschaftlichen und sozialen Folgen bleiben. Das ist gegenwärtig eine vorrangige Voraussetzung, um zu einem sachdienlichen Konsens zu kommen!