Lean Six Sigma: So klappt die Einführung

03.12.2007 von Frank Bornhöft
Was zu beachten ist, damit das Qualitätssicherungs-Konzept Six Sigma tatsächlich etwas bringt.

Unternehmen müssen sich täglich dem harten Wettbewerb stellen. Die Kunden werden anspruchsvoller, die Konkurrenten besser und der Druck auf die Margen stärker. Bei der Lösung dieser Probleme hilft nur ein wissenschaftlicher Lösungsansatz, der die Ursachen einbezieht.

Hier lesen Sie ...

  • was sich hinter dem Begriff (Lean) Six Sigma verbirgt;

  • warum dieses Konzept auch für interne und externe IT-Dienstleister Erfolg verspricht;

  • wie der Six-Sigma-Pionier General Electric die Einführung im IT-Servicebereich gemeistert hat;

  • welche Erfolgsfaktoren sich daraus ableiten lassen.

Wer von Six Sigma profitieren will, muss sich mit den kritischen Faktoren der Einführung auseinandersetzen.
Foto: Frank Bornhöft

Lean Six Sigma ist ein solcher Ansatz. Das Konzept bietet einen erprobten und in seinen Einzelteilen aufeinander abgestimmten Werkzeugkasten sowie Management-Grundsätze zur kontinuierlichen Verbesserung.

Was bedeutet Lean Six Sigma?

Das Six-Sigma-Konzept wurde in den 70er Jahren für den japanischen Schiffsbau entwickelt und setzte sich aufgrund der herausragenden Ergebnisse auch in Unternehmen anderer Industrien durch. Mittlerweile sind auch die Dienstleistungs- und Finanzbranche darauf aufmerksam geworden. Laut einer Studie der Fachhochschule Köln hat sich die Zahl der Anwender in Deutschland von 2002 auf 2004 verdoppelt. Dabei setzten sie zumeist auf den "Lean-Six-Sigma"-Ansatz.

Lean Six Sigma setzt sich aus zwei Konzepten zusammen: Six Sigma und Lean Management. Six Sigma ist zum einen ein statistisches Maß für die Prozessfähigkeit. Der Begriff beschreibt eine Fehlerquote von 3,4 auf eine Million Fehlermöglichkeiten – oder anders ausgedrückt: eine Güte von 99,99966 Prozent im Prozess. Zum anderen ist Six Sigma eine Methode zur kontinuierlichen Verbesserung von Prozessen und Produkten im Hinblick auf das "Null-Fehler-Ziel". (Eine Einführung in das Thema bietet auch der Artikel "Six Sigma zahlt sich in der IT aus")

Das Buch

Viele Unternehmen in Deutschland stehen vor der Einführung eines Lean-Six-Sigma-Programms; einige befinden sich sogar schon mitten in der Implementierung. Aber viele Verantwortliche fragen sich, ob die Einführung tatsächlich lohnt, welche Vorteile das Programm bringt und was sie beachten müssen, um Erfolg zu haben. Das Buch "Lean Six Sigma erfolgreich implementieren" von Frank Bornhöft und Norbert Faulhaber will anhand praktischer Beispiele Tipps und Anleitungen geben, wie sich die Klippen umschiffen lassen. Erschienen ist es im September dieses Jahres im Frankfurt School Verlag.

Als Unternehmensphilosophie und Strategie wurde Six Sigma von anerkannten Weltklasseunternehmen eingeführt – mit der übergeordneten Intention, die gesamte Unternehmensleistung auf den Kunden hin auszurichten. Prozesse, deren Haupteinflussfaktor nicht eine Maschine, sondern der Mensch ist, benötigen dafür ein professionelles Veränderungs-Management. Gerade in transaktionalen Prozessen hängt ein Großteil des Erfolgs von diesen "weichen Faktoren" ab.

Die Gründe für den Einsatz

Lean Six Sigma ist also ein Konzept, mit dem sich gleichzeitig die finanziellen Ergebnisse, die Kundenzufriedenheit und die Qualität verbessern lassen. Voraussetzungen sind das Verständnis für die tatsächlichen Kundenanforderungen, die disziplinierte Anwendung von Daten und Fakten sowie die konsequente Verbesserung beziehungsweise Neuentwicklung von Geschäftsprozessen, Produkten und Services. Der kombinierte Einsatz von Lean-Management-Philosophie und statistischen Six-Sigma-Methoden ermöglicht hervorragende Projektergebnisse innerhalb kürzester Zeit.

General Electric (GE) hat im ersten Jahr der Einführung – trotz des Initial- und Entwicklungsaufwands – bereits ein Aufwand-Nutzen-Verhältnis von eins zu eins erzielt. Im zweiten Jahr verdoppelte sich der Aufwand dadurch, dass mehr und mehr Geschäftseinheiten das Programm einführten, also die Durchdringung im Unternehmen zunahm. Aber der Nutzen überstieg den Aufwand bereits um 100 Prozent, was in einem Aufwand-Nutzen-Verhältnis von eins zu zwei resultiert. In den Jahren darauf ließ es sich sogar auf eins zu sechs erhöhen.

Bei GE bildet Six Sigma seit mehr als zehn Jahren eine Kerninitiative. Es ist dort viel mehr als nur eine Methode zur Prozessverbesserung: Für GE bedeutet Six Sigma eine niemals endende Reise, deren Ziel darin besteht, Kundenanforderungen wirtschaftlich zu erfüllen und Marktführer zu werden beziehungsweise zu bleiben. Six Sigma ist aber auch ein statistisches Messinstrument, mit dem sich die Leistungsfähigkeit der eigenen Prozesse optimal an die Bedürfnisse der Kunden anpassen lässt. Darin liegt einer der Gründe, warum es im Vergleich zu anderen Qualitätsinitiativen so erfolgreich ist.

Hinzu kommen weitere Faktoren, die (Lean) Six Sigma in der Praxis attraktiv und zielführend machen. Dazu zählen:

Implementierung im IT-Service

Am Beispiel General Electric lassen sich die Phasen der Lean-Six-Sigma-Implementierung nachzeichnen.
Foto: Frank Bornhöft

An einem konkreten Beispiel lässt sich am besten zeigen, wie eine Six-Sigma-Implementierung aussehen kann: Mitte 1996 kaufte General Electric einen IT-Service-Anbieter in Deutschland und integrierte ihn in den Unternehmensbereich GE Capital (Zur Firmenstruktur siehe den Artikel "Der tanzende Elefant" im Wirtschaftsmagazin "Brand Eins".). Die übernommene Firma hatte erste Erfahrungen mit anderen Qualitätsinitiativen gesammelt, beispielsweise mit Total-Quality-Management (TQM). Zudem hatte sie ihre zentralen Services nach ISO 9000 zertifizieren lassen. Six-Sigma-Know-how war bis dato aber nicht vorhanden.

Im ersten Jahr baute GE Capital die Six Sigma-Organisation auf. Es wurden "Black Belts", also Vollzeit-Projektleiter für Six-Sigma-Verbesserungsprojekte, ausgebildet und "Master Black Belts" (Vollzeit-Coach, Trainer und Projektleiter für Six Sigma) eingestellt. In ersten Projekten sammelte die Organisation Erfahrungen mit dem Konzept. Es ging zunächst darum, das Six-Sigma-Bewusstsein ins Unternehmen zu tragen.

Im zweiten Jahr hieß es dann, die Kernprozesse kontinuierlich zu messen und Schwachstellen offenzulegen. Die Prozessverantwortlichen bekamen das notwendige Prozess-Management-Wissen vermittelt. Gleichzeitig vertieften die Black Belts ihre Erfahrung in DMAIC-Projekten. DMAIC (Define, Measure, Analyse, Improve, Control) ist die Six-Sigma-Methode zur Optimierung bestehender Prozesse.

Ab dem dritten Jahr galt es, die Ergebnisse aus der konsequenten Implementierung von Six Sigma nachzuweisen. Alle wichtigen Prozesse sollten auf ein Weltklasse-Niveau gebracht werden.

Bonus an Six-Sigma-Ziele gekoppelt

Um dieses Ziel zu erreichen, musste das Management eng in das Six-Sigma-Programm eingebunden werden. Persönliches Commitment und die Auswahl der richtigen Black-Belt-Kandidaten waren gefragt. Deshalb führte GE Capital für jeden Standort ein "Quality Scoring" ein: 30 Prozent des Geschäftsführer-Bonus wurden direkt mit dem Erreichen von Six-Sigma-Zielen gekoppelt.

Zusätzlich baute das Unternehmen ein zentrales Six-Sigma-Team auf. Es setzte sich aus einem Programm-Manager (Business Quality Leader) und extern rekrutierten Master Black Belts (MBBs) zusammen. Die MBBs sollten die Black Belts (BBs) betreuen, die dezentral in den einzelnen Geschäftsstellen installiert wurden.

Die Management-Ziele für das erste Jahr konzentrierten sich hauptsächlich darauf, ausreichende Ressourcen für das Six-Sigma-Programm bereitzustellen (Infrastrukturziele). In den nachfolgenden Jahren drehten sie sich jedoch mehr um Qualitätssteigerung (Ergebnisziele) und bessere Kundenzufriedenheit.

Als sich die Kunden darüber beklagten, dass sie eigentlich keine Verbesserung durch die Six-Sigma-Programme spürten, passte GE Capital die Ziele seiner Mitarbeiter an: Jetzt wurden Projekte mit externen Kunden besonders honoriert, und die Bewertung durch die Klientel floss in die Ziele ein.

Bessere Kommunikation durch Reorganisation

Im Jahr 2000 wurden alle BBs und MBBs in einer Stabsfunktion zusammengefasst. Die deutschlandweit verteilten Six-Sigma-Experten organisierten sich in regionalen Teams, für die jeweils ein MBB zuständig war. Zusätzlich übernahmen die MBBs die Betreuung definierter Funktionen wie Einkauf, Personalwesen, Vertrieb oder System-Engineering.

Auf diese Weise verbesserte sich die interne Kommunikation sowie die Betreuung der Black Belts. Die Six-Sigma-Projekte ließen sich zudem konsequenter an der Unternehmensstrategie ausrichten.

Jahr für Jahr neu erfunden

Parallel dazu entwickelte sich das Six-Sigma-Programm von Jahr zu Jahr weiter, und die Unternehmenseinheiten tauschten ihre Erfahrungen aus. Das führte beispielsweise dazu, dass statistische Werkzeuge stärker in die Ausbildung der BBs und MBBs einbezogen wurden. Außerdem ließ sich so die Lernkurve neuer Black-Belt-Kandidaten wesentlich dynamisieren.

Um Six Sigma langfristig erfolgreich zu etablieren, definiert GE Capital die Schwerpunkte und den Fokus des Programms jedes Jahr auf Neue. Six Sigma wird sozusagen von Jahr zu Jahr neu erfunden. Damit blieb das Interesse im Management, innerhalb des Six-Sigma-Teams und bei den Mitarbeitern wach.

Die zehn größten Fehler

Woran die erfolgreiche Lean-Six-Sigma-Einführung scheitern kann:

  1. Die Unterstützung durch das Topmanagement (den Vorstand) fehlt.

  2. Die Ziele des mittleren Managements sind nicht mit dem Lean-Six-Sigma-Programm gekoppelt.

  3. Es werden die falschen Projekte ausgewählt, nämlich solche, die nicht wichtig sind, denen der Kundenbezug fehlt oder deren Lösung bereits feststeht.

  4. Die Black-Belt-Kandidaten sind nicht die richtigen, also statt der besten werden die gerade verfügbaren rekrutiert.

  5. Die Black Belts sind nicht zu 100 Prozent vom Tagesgeschäft freigestellt; im Zweifelsfall siegt das Tagesgeschäft immer!

  6. Es gibt kein Coaching-Konzept für die Kandidaten; außerhalb der Trainings fällt die Betreuung flach.

  7. Die Projekt-Benefits werden nicht von einem neutralen Controller geprüft, sondern schöngerechnet.

  8. Aktives Marketing? Fehlanzeige! Das Six-Sigma-Team wartet, dass die Projekte zu ihm kommen, was sie aber nicht tun.

  9. Ein Personalentwicklungskonzept, um gute "Belts" im Unternehmen zu halten, ist nicht vorhanden.

  10. Es entsteht eine bürokratische Projektorganisation, die mit den ursprünglichen Intentionen nichts gemein hat.

Die Einführung eines Lean-Six-Sigma-Programms stößt auf viele Stolpersteine. Einige davon fasst der Kasten "Die zehn größten Fehler" zusammen. Andererseits gibt es eine Handvoll Erfolgsfaktoren, die einen unterschiedlich starken Einfluss auf die Six-Sigma-Implementierung ausüben. Hier sind die wichtigsten:

Glossar Six Sigma

Glossar zum Thema "Six Sigma"

BB (Black Belt)

Vollzeitmitarbeiter in der Six-Sigma-Organisation, Projektleiter für Six- Sigma-Verbesserungsprojekte; Experte in der Anwendung von Six-Sigma-Methoden und -Werkzeugen

Best Practice

derzeit beste/r im eigenen oder in fremden Unternehmen angewendete Methode, Werkzeug oder Prozess

Business Case

Begründung eines Projekts

Business Quality Council (BQC)

ständiges Gremium, bestehend aus Vorstandsmitgliedern beziehungsweise Geschäftsführern sowie dem Quality Leader, fällt strategische Entscheidungen zu Six Sigma

CAP (Change Acceleration Program)

Trainingsprogramm und Werkzeugkasten zum Management von Veränderungen mit dem Schwerpunkt auf den "weichen" Faktoren zur Unterstützung und Beschleunigung des Wandels

Champion/Sponsor

Auftraggeber für ein Six-Sigma-Projekt, muss in der Lage sein, bereichsübergreifende Entscheidungen zu treffen oder Mitarbeiter und Mittel für das Projekt zur Verfügung zu stellen, meist Geschäftsführer oder Bereichsleiter

Cost-Benefit-Analysis

Analyse von Kosten im Vergleich zum erwarteten Nutzen

DFSS

"Design for Six Sigma", auch DMADV genannt

DMADV

"Define, Measure, Analyse, Design, Verify", Six-Sigma-Methode, um neue Prozesse zu erzeugen

DMAIC

"Define, Measure, Analyse, Improve, Control", Six Sigma-Methode zur Optimierung bestehender Prozesse

GB (Green Belt)

Teilzeit-Projektleiter (20 bis 50 Prozent der Arbeitszeit) für Verbesserungsprojekte nach der Six-Sigma-Methodik

MBB (Master Black Belt)

Vollzeit-Coach, Trainer und Projektleiter für die Six-Sigma-Methodik, Experte in Statistik und Projekt-Management-Methoden, unterstützt Champions und Black Belts bei Qualitätsprojekten

Net Benefit

in Geld messbarer Erfolg von Six-Sigma-Projekten, positiv zählen dabei zusätzlicher Umsatz, mehr Produktivität und weniger Kosten, negativ die Kosten der Umsetzung

Process Management System

Management-System zur Steuerung von Prozessen mit dem Ziel, den Prozess mit hoher Zuverlässigkeit und ohne Fehler zu betreiben

Process Owner

Mitarbeiter, der für einen Prozess oder Teilprozess und dessen langfristige Leistungsfähigkeit verantwortlich ist, soll die Nachhaltigkeit der Prozessverbesserungen sicherstellen

Programm-Manager

Six-Sigma-Leiter, Verantwortlicher für die Six-Sigma-Implementierung im Unternehmen und für das Gesamtprogramm, wird auch Six-Sigma-Direktor, Business Excellence Head oder Deployment-Manager genannt

Requirements

Kundenanforderungen, relevant für die Zufriedenheit des Kunden (Kundenanforderungen sind wichtiger als "Kundenwünsche")

Sigma

1. griechisches Symbol, steht für die Einheit der Standardabweichung;

2. Maß für die Leistungsfähigkeit von Prozessen

Six Sigma

1. sechs Sigma bedeuten in der Statistik 3,4 Fehler auf eine Million Möglichkeiten, Fehler zu machen, also die Kundenanforderungen nicht zu erfüllen;

2. Qualitätsbewusstsein und Management-Philosophie

Tollgate

Meilenstein zwischen zwei Phasen in einem Six-Sigma-Projekt

TQM (Total Quality Management)

übergreifender Geschäftsansatz ("Philosophie"), der Kundenorientierung, Mitarbeiterbeteiligung und Fehlerbeseitigung einschließt

VOC (Voice of t he Customer)

Sammlung von Kundenaussagen zur Qualität der erhaltenen Produkte oder Dienstleistungen, werden direkt beim Kunden erhoben

Yellow Belt

Mitarbeiter, der aufgrund seiner Funktion eine vertiefende Six-Sigma-Schulung erhält und häufig Kontakt mit Six-Sigma-Projekten hat