Kritik an der Vorratsdatenspeicherung organisiert sich

22.01.2007
An der geplanten Kontrolle der Gesamtbevölkerung zur Gefahrenabwehr scheiden sich die Geister: Rechtfertigen der Aufwand und die Beschneidung der Freiheitsrechte den Nutzen der Gesetzesinitiative?

In einer heute veröffentlichten gemeinsamen Erklärung haben 27 Verbände einen Gesetzentwurf von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries abgelehnt, dem zufolge künftig Daten über jede Nutzung von Telefon, Handy, E-Mail und Internet auf Vorrat gesammelt werden sollen (so genannte "Vorratsdatenspeicherung"), damit sie Polizei und Staatsanwaltschaften zur Verfügung stehen. Die Verbände bezeichnen es als "inakzeptabel", dass ohne jeden Verdacht einer Straftat sensible Informationen über die sozialen Beziehungen, die Bewegungen und die individuelle Lebenssituation von über 80 Millionen Bundesbürgern gesammelt werden sollen. Getragen wird die gemeinsame Erklärung von Bürgerrechts-, Datenschutz- und Menschenrechtsverbänden, von Journalistenorganisationen und Medienverbänden, von der Internetwirtschaft und der Telefonseelsorge, von Anwalts- und Juristenverbänden sowie von der Verbraucherzentrale.

Neben einer verbesserten Strafverfolgung begründet die Bundesregierung die geplante Vorratsdatenspeicherung damit, dass eine EG-Richtlinie vom März 2006 umgesetzt werden müsse. Diesem Argument erteilt der Jurist Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung eine Absage: "Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist so offensichtlich rechtswidrig, dass Deutschland zu ihrer Umsetzung nicht verpflichtet ist." Die gemeinsame Erklärung von heute erläutert: "Die Richtlinie verstößt gegen die im Europarecht verankerten Grundrechte und ist in vertragsverletzender Weise zustande gekommen." Seit Juli 2006 ist gegen die Richtlinie bei dem Europäischen Gerichtshof eine Nichtigkeitsklage anhängig. Die Verbände fordern, zumindest den Ausgang dieser Klage abzuwarten, bevor eine "derart weitreichende Registrierung des Verhaltens der Menschen in Deutschland" beschlossen wird.

Den angeblichen Nutzen einer Vorratsdatenspeicherung stellt eine Analyse (.PDF) des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vom vergangenen Freitag in Frage. Danach fehlten den Strafverfolgern Kommunikationsdaten nur selten. Aus einer Studie des Bundeskriminalamts ergebe sich, dass eine Vorratsdatenspeicherung die durchschnittliche Aufklärungsquote "von derzeit 55 Prozent im besten Fall auf 55,006 Prozent erhöhen" könne. Eine Vorratsdatenspeicherung hätte in Irland und anderen Staaten keinen ersichtlichen Einfluss auf die Kriminalitätsrate gehabt. "Somit ist nicht erkennbar, dass eine Vorratsdatenspeicherung die Sicherheit der Bevölkerung stärkt."

Stattdessen würde die Datenspeicherung "Millionen von Euro kosten, die Privatsphäre Unschuldiger gefährden, vertrauliche Kommunikation beeinträchtigen und den Weg in eine immer weiter reichende Massenansammlung von Informationen über die gesamte Bevölkerung ebnen." Müsse jeder die Aufzeichnung großer Teile seines Kommunikations-, Bewegungs- und Internetnutzungsverhaltens bedenken, seien "Kommunikationsstörungen und Verhaltensanpassungen" zu erwarten. Deshalb schade die Massendatenspeicherung der "freiheitlichen Gesellschaft insgesamt", so die Stellungnahme des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung gegenüber dem Bundesjustizministerium (weitere Informationen zur Aktion und den Unterzeichnern hier). (ajf)