Neues Denken, neue Ideen

Kreativ trotz Krawatte - geht das?

25.06.2011 von Renate Oettinger
Manager müssen kreativer werden. Statt nur die Prozesse zu optimieren, müssen sie eine Innovationskultur in ihrer Organisation schaffen. Details von Jens-Uwe Meyer.

Unternehmen müssen kreativer werden. Für deren Manager bedeutet dies: Sie müssen radikal umdenken. Statt nur die Prozesse zu optimieren, müssen sie zu Katalysatoren für neues Denken und neue Ideen werden und eine Innovationskultur in ihrer Organisation schaffen. In seinem neuen Buch "Kreativ trotz Krawatte" verrät der Innovationsberater Jens-Uwe Meyer, wie dies funktioniert.

Mit dem Begriff Kreativität verbindet man im Allgemeinen so etwas wie Kunst, Architektur oder Musik. Was können Unternehmen damit anfangen?

Foto: Fotolia, ArTo

Jens-Uwe Meyer: Wenn man Kreativität in diese Richtung interpretiert, dann wenig. Dieses Klischee von Kreativität greift jedoch zu kurz. Im Unternehmen bedeutet Kreativität, eine Innovationskultur zu schaffen, durch die neue, nützliche Ideen in jedem Bereich entstehen. Ein Buchhalter kann kreativ sein. Nicht indem er - wie gemeinhin angenommen - die Bilanzen fälscht, sondern indem er zum Beispiel neue Wege ersinnt, um das Buchen von Belegen zu beschleunigen. Ein Marketingleiter, indem er eine Kampagne entwirft, die nur die Hälfte kostet, aber eine doppelt so hohe Wirkung wie die bisherigen Kampagnen erzielt. Und ein kreativ denkender Geschäftsführer sucht ständig nach neuen Märkten sowie Dienstleistungen, die sein Unternehmen anbieten kann.

Lässt sich Kreativität überhaupt managen?

Meyer: Kreativität muss sogar gemanagt werden. Denn ein Unternehmen, das nur kreativ ist, in dem aber niemand das Ziel definiert hat, ist genauso erfolglos wie ein Unternehmen, das stur auf alten Wegen beharrt. Eine gute Innovationskultur vereint das Beste aus beiden Welten: Klare Strategien, Prozesse und Zuständigkeiten, aber eben auch Freiräume für Visionen, Träume und Ideen.

In einer Studie haben Sie die 25 weltweit innovativsten Unternehmen untersucht. Darunter waren Apple, Microsoft , McDonald's, aber auch der indische Tata-Konzern. Was machen diese Unternehmen anders?

Meyer: Diese Unternehmen haben vor allem verstanden, dass es entscheidend ist, eine Innovationskultur aufzubauen. Sie haben Kreativität tief in ihrer DNA verankert. Es gibt hierfür klar definierte Prozesse, Strukturen und Ziele. Gleichzeitig aber schaffen sie den Rahmen für kreatives Denken.

Rahmen für kreatives Denken

Wie sieht der aus?

Meyer: Wir haben einige wesentliche Faktoren ermittelt. Unter anderem die Frage, welche Zielvorgaben das Management macht. In hochinnovativen Unternehmen sind es Ziele, die wir "magische Visionen" nennen. Es geht nicht einfach nur darum, das nächste Umsatzziel zu erreichen, sondern die Unternehmensziele mit Visionen zu verbinden, die das Unternehmen nach vorne bringen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Rolle des Managements. Man kann es auf die Kurzformel bringen: vom Kommandeur zum Katalysator.

Wie sieht diese Katalysatorfunktion aus?

Meyer: Führungskräfte haben einen entscheidenden Einfluss darauf, welche kreativen Leistungen ihre Mitarbeiter erbringen und in welchen Feldern sie diese erbringen. Sie können Ziele vorgeben, Rahmenbedingungen definieren und Teams zusammenstellen, die gemeinsam Ideen generieren, die jeder Einzelne nicht gehabt hätte. Das Management initiiert diese Ideenentwicklungsprojekte, lenkt und leitet sie. Dabei ist der Führungsstil sehr wichtig. Denn Ideen lassen sich nicht einfach anordnen.

Auf welche Führungsprinzipien sind Sie bei den untersuchten Unternehmen gestoßen?

Meyer: Auf viele sehr spannende Ansätze. So zum Beispiel das Prinzip der Autonomie. Aufträge werden nicht einfach vergeben, sondern Mitarbeiter suchen sich die Aufgaben, die sie interessieren. Dieses Prinzip der "selbstinitiierten Aktivität" ist seit Jahren bekannt. Google und 3M praktizieren es mit großem Er-folg. Dahinter steckt ein einfaches Kalkül:

Ideen entstehen vor allem, wenn jemand eine große Leidenschaft für ein Thema empfindet. Wenn eine Person diese natürliche Neugier verspüren, arbeitet sie sich viel schneller in ein Thema ein. Sie braucht niemand, der ihr sagt, wo sie nach neuen Informationen zu suchen hat. Sie tun es, weil es ihr selbst eine tiefe Befriedigung verschafft. Deshalb stellt sie ihren Kopf auch nicht ab, nur weil es zum Beispiel Freitag 16.00 Uhr ist. Ihr Unterbewusstsein arbeitet weiter. So kommt sie auf neue Ideen, die sie ansonsten nie gehabt hätte.

Womit verdienen unsere Firmen in zehn Jahren ihr G
Womit verdienen unsere Firmen in zehn Jahren ihr Geld?
"Bewahrer der Tradition" und "Hüter des Geschäftsmodells" haben schlechte Karten. Ein Mittelweg muss gefunden werden, sagt Dr. Georg Kraus. Neun Tipps, wie Sie ihr Unternehmen auf den richtigen Weg bringen können:
Neue Wege:
Scheuen Sie sich als Unternehmensführer nicht, unkonventionelle Wege zu gehen - selbst wenn alle Zahlen, Daten und Fakten Ihrem Vorhaben (scheinbar) widersprechen. Denn Zahlen spiegeln nur die Vergangenheit wider. Ihren Aufgabe als Unternehmensführer ist es aber, neue Richtungen einzuschlagen.
Aufgaben abgeben:
Geben Sie Ihr operatives Geschäfts, selbst wenn es Ihnen Spaß macht, an die nächste Ebene ab! Denn Ihre Kernaufgabe als Unternehmensführer ist es nicht, Ihr Unternehmen zu managen, sondern dessen Entwicklung zu steuern.
Neue Märkte:
Bringen Sie Ihre Mitarbeiter in Situationen, in denen sie erleben, was wirklich in den Märkten "abgeht" - zum Beispiel in den Schwellenländern. Deren Entwicklungsdynamik ist faszinierend und erschreckend zugleich. <br><br>Bild: T. Gründer
Motivation:
Belohnen Sie mutige Mitarbeiter - selbst wenn sich ihre Ideen als nicht tragfähig oder umsetzbar erweisen. Ihre Mitarbeiter inklusive Führungskräfte müssen spüren: Das Suchen nach neuen Lösungen und Wegen ist von unseren Vorgesetzten erwünscht und wird (mit Anerkennung) belohnt.
Kreativität:
Richten Sie in Ihrer Organisation "Kreativ-Inseln" ein, wo sich zum Beispiel Ihre High-Potentials als Unternehmer betätigen können. "Start-ups" generieren oft großartige Ideen und Business-Modelle.
Unternehmer-Budget:
Stampfen Sie Ihr betriebliches Vorschlagswesen ein. Installieren Sie stattdessen ein "Unternehmer-Budget". Stellen Sie Ihren Mitarbeiter ohne große Bürokratie Geld zum Ausfeilen, Austesten und Umsetzen neuer Ideen zur Verfügung.
Fordern:
Pushen Sie Ihr Management permanent, sich über die künftigen Entwicklungen in Ihrem Markt sowie im Unternehmensumfeld Gedanken zu machen! Haken Sie in Meetings nicht nur die Agenda ab, sondern fragen Sie zum Beispiel auch mal: Was bedeutet diese technologische Entwicklung für uns? Wie könnte sie weiter gehen?
Fördern:
Stellen Sie sicher, dass Sie ausreichend Menschen um sich haben, die Trendsetter sind oder über Trendscout-Fähigkeiten verfügen. Regelmäßige Workshops mit diesen Menschen und Ihrem Management helfen Ihnen, Marktentwicklungen und Technologiesprünge zu antizipieren.
"Freie" Mitarbeiter:
Stellen Sie Mitarbeiter ohne klare Funktion ein. Bitten Sie diese Mitarbeiter, sich umzuschauen und nach sechs oder zwölf Monaten mit einer Idee für ein neues Geschäfts- oder Businessmodell zurückzukommen.

Mitarbeiter finden Themenfelder selber

Heißt das: Die Mitarbeiter sollen machen, was sie wollen?

Meyer: In einem begrenzten Rahmen ja. Natürlich fängt der Mitarbeiter einer Gummistiefelfabrik nicht an, neue Designs für Zigarrenverpackungen zu entwerfen. Es ist wichtig, dass die Unternehmensziele allen Mitarbeitern bekannt und tief in deren Köpfen verankert sind. Innerhalb dieses begrenzten Rahmens suchen sich Mitarbeiter dann in der Tat die Themenfelder selbst, für die sie eine tiefe Leidenschaft empfinden.

Wird das bereits in deutschen Unternehmen praktiziert?

Meyer: Ja. Einer unserer Kunden ist der IT-Dienstleister eines DAX30-Konzerns. In diesem Unternehmen haben sich drei Mitarbeiter für das Thema Web Analytics begeistert. Eigentlich hatte das Unternehmen gar nicht vor, hier besondere Dienstleistungen anzubieten. Doch weil diese drei "Freaks" sich gefunden und wirklich innovative Lösungen entwickelt haben, verfügt der Konzern heute über einige sehr intelligente Lösungen in diesem Bereich.

Die Mitarbeiter haben nicht nur dafür gesorgt, dass das Innovationsthema auf die Agenda kam. Sie suchten auch gleich die ersten Kunden, an denen sie die neuen Lösungen "ausprobieren" konnten. Eine Innovationskultur kann so schnell zu klar messbaren Erfolgen führen.

Sind die Führungsmethoden, die Sie in Ihrem Buch beschreiben, ein Ersatz für die Innovationsprozesse, die in vielen Unternehmen bereits etabliert sind?

Meyer: Kein Ersatz, eher eine kluge Ergänzung. Ein Innovationsprozess allein macht kein Unternehmen innovativ. Es sind immer die Menschen und ihre persönlichen Aktivitäten, die durch den Prozess im besten Fall unterstützt werden. In unserer täglichen Arbeit erleben wir aber viele Innovationsprozesse, die das Gegenteil von dem bewirken, wofür sie konstruiert wurden. Sie ersticken Innovation und kreatives Denken.

Warum?

Meyer: Weil sie aus dem Prinzip der Angst heraus entwickelt wurden. Das Unternehmen möchte innovativ sein, hat aber vor allem Angst vor Fehlschlägen. Entsprechend ist der Innovationsprozess angelegt. Er soll vor allem aus den vielen Ideen, die es im Unternehmen gibt, die "gefährlichen" herausfiltern. Man schenkt den potenziellen Gefahren zu viel Beachtung und vergisst die Chancen.

Sie sagen: Unternehmen entwickeln oft die falschen Ideen. Ist es denn überhaupt möglich, die Ideengenerierung so zu steuern, dass am Ende die richtigen Ideen herauskommen?

Meyer: Ja. Dies ist allerdings ein komplexer Prozess. Er ist viel umfassender als klassische Kreativitätstechniken wie Brainstorming. Wir haben mit Dutzenden von Unternehmen gezielt neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle entwickelt. Wichtig ist, vor der Ideenentwicklung einen klaren Rahmen und klare Ziele zu definieren. Daran hapert es meist. Die Ideenfindung wird viel zu allgemein angegangen. Es herrscht der Gedanke vor, man müsse doch mal "ganz offen und ohne Beschränkungen" denken. Genau das führt zur Ideenblockade.

Mutige Ziele setzen

Welchen Rat geben Sie Managern und Führungskräften?

Meyer: Definieren Sie mutige Ziele! Ziele, von denen Sie heute nicht glauben, dass Sie sie als Team jemals erreichen können. Sagen Sie nicht "Wir suchen nach neuen Ideen für ein Geschäftsmodell", sondern verkünden Sie: "In sechs Monaten werden wir drei neue Produkte im Markt haben, die erfolgreich sind. Bis dahin werden wir sie entwickelt und getestet haben."

Und gehen Sie es sportlich an, nicht verbissen. Wenn am Ende nur ein Produkt marktreif ist, ist dies auch schon ein gigantischer Erfolg. Es ist wie beim Weitsprung. Wenn Sie sich niemals vornehmen, den bestehenden Rekord zu brechen, werden Sie es auch nicht schaffen. Wer sich keine großen Ziele setzt, macht auch keine weiten Sprünge.

Kontakt:

Jens-Uwe Meyer ist Geschäftsführer der Ideeologen - Gesellschaft für neue Ideen GmbH, Baden-Baden, Deutschlands erster Beratungsfirma für unternehmerische Kreativität (Tel.: 0700 4333-6783, E-Mail: meyer@ideeologen.de, Internet: www.ideeologen.de).

Zehn Tipps für Projekt-Manager
So kommen Sie groß raus ... oder?
Sie möchten, dass Ihre Projekte zäh verlaufen, weil Sie sich damit in der Firma profilieren können? Dann folgen Sie den Ratschlägen von Jürgen Rohr.
Tipp 1
Setzen Sie die Verantwortlichen unter Termindruck. Mit engen Terminen stellen Sie sicher, dass möglichst wenige Betroffene ins Boot geholt werden. Damit vermeiden Sie die sowieso unnötigen Diskussionen um Meinungs- sowie Wahrnehmungsunterschiede.
Tipp 2
Starten Sie mit einer problem-orientierten Ist-Analyse. Fragen Sie immer zuerst danach, was nicht gut läuft. Damit fokussieren Sie die Aufmerksamkeit aller Beteiligten auf die Schwächen der Organisation. Sie stellen sicher, dass niemand auf die Idee kommt, sich auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen.
Tipp 3
Geben Sie möglichst kein zusammenfassendes Feedback. Halten Sie die Betroffenen im Unklaren. Das fördert zwar die Gerüchteküche, hält aber den Änderungsaufwand für die Konzeptionierer gering. Sie erhalten schon mit dem ersten Wurf ein Konzept aus einem Guss - ohne lästige und zeitaufwändige Anpassung an unterschiedliche Wahrnehmungen der Beteiligten.
Tipp 4
Lassen Sie das Konzept ohne Beteiligung der Betroffenen ausarbeiten. Hier können Sie Aufwand und Budget einsparen. Jeder Betroffene wird mit seinen individuellen Ansichten sowieso nur das Konzept verwässern. Außerdem: Wenn ein Außenstehender den Sollzustand konzipiert, kommt endlich frischer Wind in die Organisation.
Tipp 5
Vermitteln Sie das Konzept frontal mit mindestens 100 PowerPoint Slides. Hier gilt: Je mehr Input, desto weniger lästige Rückfragen. Halten Sie das Präsentationstempo hoch. Planen Sie ja keine Zeit für die Diskussion ein. Das Konzept steht. Basta!
Tipp 6
Planen Sie keine Zeit für die Überarbeitung des Konzepts ein. Das wäre ja noch schöner: Sie planen knapp bei Budget und Terminen und wollen sich den Erfolg nicht durch unplanbare Überarbeitungsaufwände vermiesen lassen. Denn jede Überarbeitungsschleife würde den schönen Entwurf zerstören.
Tipp 7
Schränken Sie die Zugriffsrechte auf neue Tools möglichst stark ein. Ganz wichtig: Wenn Sie im Rahmen der Organisationsentwicklung neue Werkzeuge (zum Beispiel ein IT-System) einführen, achten Sie darauf, dass niemand außer den Konzeptionierern in der Lage ist, die Werkzeuge anzupassen.
Tipp 8
Lassen Sie die Betroffenen beim Umsetzen des Konzepts alleine. In diesem Punkt gilt das Motto: Die Leute werden sich schon umgewöhnen. Durch die Unterstützung während der Umsetzungsphase könnte wiederum das sorgfältig ausgearbeitete Konzept verwässert werden. Das ist unbedingt zu vermeiden.
Tipp 9
Vermeiden Sie persönlichen Kontakt zwischen den Beteiligten. Stellen Sie sich vor, was Sie hier an Reisekosten einsparen können. Diskussionen können auch per E-Mail geführt werden. Das spart richtig Geld.
Tipp 10
Betrachten Sie jegliches Feedback als persönliche Kritik. Wenn jemand mit einem Feedback zu Ihnen kommt, will er damit eigentlich sagen, dass Sie Ihre Arbeit nicht richtig gemacht haben. Das wirkt sich schlecht auf Ihr Selbstwertgefühl aus.