Wann die Grenze überschritten ist

Krankfeiern und blaumachen - ein Kündigungsgrund?

15.12.2009 von Renate Oettinger
Fenimore v. Bredow stellt die wichtigsten rechtlichen Regelungen zur Arbeitnehmererkrankung vor.

Welcher Arbeitgeber ärgert sich nicht darüber? Besonders montags oder an Werktagen nach einem Feiertag bleiben überdurchschnittlich viele Arbeitnehmer der Arbeit fern - häufig immer dieselben und nicht selten auch noch mit ärztlicher Bescheinigung. Aber wann ist die Grenze überschritten, dass Blaumachen oder häufiges Krankfeiern" einen Kündigungsgrund darstellt?

Fotolia, Gradt.
Foto: Gradt - Fotolia.com

Aufgrund des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFzG) ist der Arbeitgeber verpflichtet, während einer Erkrankung des Arbeitnehmers diesem für eine Dauer von bis zu 6 Wochen die vereinbarte Vergütung weiter zu bezahlen, obwohl dieser aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage ist, die vertraglich geschuldete Arbeitskraft zu erbringen. Auch wenn diese Regelung noch nicht in den ersten vier Wochen eines Arbeitsverhältnisses gilt, so kann diese Verpflichtung danach für den Arbeitgeber schnell sehr teuer werden.

Allerdings sind Arbeitnehmer selten immer gleich sechs Wochen am Stück erkrankt. Meist fehlen sie mal hier ein bisschen, mal dort ein bisschen. Über einen längeren Zeitraum betrachtet fällt dann aber auf, dass die Fehltage gehäuft vor oder nach einem Wochenende, an sog. Brückentagen oder gar gegen Ende des Erholungsurlaubs auftreten. Schnell liegt der Verdacht nahe, dass seitens des betreffenden Arbeitnehmers ein steuernder Einfluss auf den Grund und die Lage des Krankheitstages genommen wird. Wie kann der Arbeitgeber in einer solchen Situation reagieren? Welche Pflichten treffen den Arbeitnehmer im Falle seiner Erkrankung?

Pflichten des Arbeitnehmers bei Krankheit Im Inland ...

Jeder Arbeitnehmer muss gem. § 5 EFzG dem Arbeitgeber unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, und formlos mitteilen, dass und wie lange er voraussichtlich krank sein wird. Wenn er nicht zur Arbeit erscheint oder den Arbeitsplatz verlässt, um einen Arzt aufzusuchen, muss er den Arbeitgeber bzw. seinen Vorgesetzten zuallererst über seinen Ausfall informieren. Sobald er weiß, wie lange sein Ausfall dauern wird, muss er den Arbeitgeber hierüber ebenfalls informieren. Zusätzlich muss er dem Arbeitgeber ab dem 4. Krankheitstag eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) zusenden. Den Arbeitnehmer treffen also zum einen eine Anzeigepflicht und zum anderen eine Nachweispflicht.

Was viele nicht wissen: Soweit vertraglich nicht anders geregelt, ist der Arbeitgeber gem. § 5 Abs. 1 EFzG berechtigt, diesen Nachweis bereits vor dem 4. Krankheitstag zu verlangen, also etwa ab dem ersten Tag. Dies ist in jedem Fall immer dann angezeigt, wenn die Lage und die Häufung der Krankheitstage den Verdacht der Manipulation aufkommen lassen. Dies gibt dem betreffenden Arbeitnehmer ein deutliches Warnsignal. Es empfiehlt sich, den Arbeitnehmer schriftlich hierzu aufzufordern. Bei Abschluss von Neuarbeitsverträgen kann dies von vorneherein so festgeschrieben werden.

... und bei Erkrankung im Auslandsurlaub

Mitunter kommt es vor, dass Arbeitnehmer gegen Ende ihres Urlaubs im Ausland erkranken und sich deswegen zunächst gehindert sehen, unmittelbar nach Ende des Urlaubs wieder ihre Arbeit aufzunehmen, da sie wegen der Erkrankung nicht reisefähig seien. Befindet sich der Arbeitnehmer bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit im Ausland, ist er gem. § 5 Abs. 2 EFzG verpflichtet, den Arbeitgeber nicht nur über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer, sondern auch über die Adresse seines Aufenthaltsortes, in der schnellstmöglichen Art der Übermittlung mitzuteilen. Die hierdurch entstehenden Kosten trägt der Arbeitgeber. Was ebenfalls viele nicht wissen: Kehrt der Arbeitnehmer dann vor Ende des Urlaubs aus dem Ausland zurück, ist er verpflichtet, dies dem Arbeitgeber ebenfalls unverzüglich anzuzeigen

Maßnahmen bei Pflichtverstößen

Verletzt der Arbeitnehmer schuldhaft eine dieser Pflichten, so ist dem Arbeitgeber zu raten, zunächst eine Abmahnung, im Wiederholungsfalle je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit eine zweite, u.U. sogar eine dritte Abmahnung auszusprechen, jeweils verbunden mit der Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen für den Wiederholungsfall. Kommt es danach gleichwohl weiter zu gleichartigen Pflichtverletzungen, so rechtfertigt dies jedenfalls die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Erfüllt der Arbeitnehmer Anzeige- und Nachweispflichten hingegen ordentlich, hat auf den ersten Blick also alles den Anschein der Ordnungsgemäßheit, macht aber gleichwohl die besondere Häufung der Arbeitunfähigkeitstage um Wochenenden und Brückentage herum stutzig, so dass sich der Verdacht der Vortäuschung der Arbeitsunfähigkeit aufdrängt, sollte der Arbeitgeber mit Bedacht vorgehen und nicht überstürzt handeln.

Außerordentliche Kündigung nur bei klarer Beweislage

In Betracht kommt eine außerordentliche Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Damit diese wirksam ist, muss gerichtsverwertbar nachgewiesen sein, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich vorgetäuscht hat. Wurde der Arbeitnehmer beispielsweise von Zeugen dabei gesehen, dass er während seiner "Arbeitsunfähigkeit" woanders gearbeitet hat, ist die Sache offensichtlich. In der Praxis sind Fälle wie dieser allerdings selten, da solche klaren Beweise i.d. Regel fehlen. Im Übrigen ist auch nicht immer eindeutig, welches Verhalten des Arbeitnehmers während einer Arbeitsunfähigkeit zulässig ist und welches nicht. Spaziergänge an der frischen Luft etwa oder Besorgungs- oder Einkaufsgänge des Arbeitnehmers sind nicht per se unzulässig. Als Richtschnur gilt: Der Arbeitnehmer hat all das zu unterlassen, was seiner raschen Genesung entgegensteht.

Beispiel: In einem Fall hatte der Arbeitgeber die fristlose Kündigung ausgesprochen, weil er den wegen eines grippalen Infekts arbeitsunfähig gemeldeten Arbeitnehmer in der Lokalzeitung auf einem Foto bei einem Volksfest mit einem Glas Kölsch in der Hand entdeckt hatte. Das Arbeitsgericht Köln hielt das nicht für einen ausreichenden Kündigungsgrund: Frische Luft und ein Glas Kölsch seien nicht von vorneherein geeignet, den Heilungsprozess zu verzögern. An diesem Fall wird deutlich, dass immer ein individueller und einzelfallbezogener Maßstab anzulegen ist.

Fehlen eindeutige Beweise, kann der Arbeitgeber versuchen, diese zu beschaffen, etwa durch Beauftragung eines Detektivbüros. Ob die dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten in einer angemessenen Relation zum Nutzen stehen, ist in jedem Einzelfall gesondert zu beurteilen. Zwar kann man diese Kosten vom Arbeitnehmer zurück fordern. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil v. 17.09.1998, Az: 8 AZR 5/97) hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die durch das Tätigwerden eines Detektivs entstandenen notwendigen Kosten zu ersetzen, wenn der Arbeitgeber anlässlich eines konkreten Tatverdachts gegen den Arbeitnehmer einem Detektiv die Überwachung des Arbeitnehmers überträgt und der Arbeitnehmer einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt wird. Wenn aber der Arbeitnehmer finanziell nicht in der Lage ist, diese Detektivkosten zu ersetzen, nützt ein Zahlungsurteil im Ergebnis wenig. Erweist sich der Verdacht im Rahmen der Überwachung sogar als unbegründet, verbleiben diese Kosten ohnehin beim Arbeitgeber.

Hilfe durch den medizinischen Dienst

Existieren keine derartigen Beweise, gibt es neben der außerordentlichen Kündigung auch andere Handlungsmöglichkeiten: Bei gesetzlich Krankenversicherten kommt auch die Einschaltung des medizinischen Dienstes der Krankenkasse in Betracht. Der Arbeitgeber informiert die Krankenkasse des Betreffenden, unterrichtet sie über seinen Verdacht und bittet um Überprüfung der Diagnose des behandelnden Arztes durch den medizinischen Dienst. Auf diese Weise holt er von unabhängiger Seite eine medizinische Einschätzung ein. Dieses Verfahren ist für den Arbeitgeber kostenfrei. Bei privat versicherten Arbeitnehmern ist der medizinische Dienst dagegen nicht zuständig. Hier ist der Arbeitgeber allein auf detektivische Maßnahmen oder das Sammeln anderer Indizien beschränkt.

Bestätigt der medizinische Dienst die ärztliche Diagnose, ist zumindest der Verdacht des Arbeitgebers ausgeräumt. Widerspricht der medizinische Dienst der ärztlichen Diagnose, wird das Ergebnis dem Arbeitgeber hinsichtlich der Dauer seiner Entgeltfortzahlungspflicht mitgeteilt. Gleiches gilt für den Fall, dass der Arbeitnehmer nicht zu dem Untersuchungstermin beim medizinischen Dienst erscheint. Allerdings bedeutet dies noch nicht zwangsläufig, dass tatsächlich keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat und nun der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung per se wirksam wäre.

Aufgrund des Untersuchungsergebnisses ist zunächst nur der Beweiswert der AU-Bescheinigung des Arbeitnehmers beseitigt, da es sich hierbei - prozessrechtlich betrachtet - bloß um eine Privaturkunde handelt, für deren inhaltliche Richtigkeit lediglich der Beweis des ersten Anscheins spricht. Und genau der ist durch die anders lautende Beurteilung des medizinischen Dienstes so stark erschüttert, dass den Arbeitnehmer nunmehr die volle Beweislast dafür trifft, dass er tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist. Der Arbeitgeber kann jetzt bis zur Erbringung des Vollbeweises durch den Arbeitnehmer die Entgeltfortzahlung für die Fehltage verweigern.

Vollbeweis der Arbeitsunfähigkeit durch den Arbeitnehmer

Klagt der Arbeitnehmer den Lohn für den Entgeltfortzahlungszeitraum bei Gericht ein, kann er nun nicht mehr bloß die AU-Bescheinigung vorlegen, da diese ihren Beweiswert verloren hat. Vielmehr muss er nun einen ausführlichen Tatsachenvortrag zu seiner Erkrankung liefern, seinen behandelnden Arzt als Zeugen benennen und diesen gegenüber dem Gericht von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden.

Das Gericht muss den Arzt dann im Rahmen einer Beweisaufnahme im Einzelnen nach Diagnose, Krankheitsverlauf und Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit am konkreten Arbeitsplatz befragen. Ferner wird der Arzt mit dem Ergebnis der Untersuchung des medizinischen Dienstes konfrontiert und muss hierzu Stellung nehmen. Selbstverständlich können verschiedene Ärzte über den Gesundheitszustand eines Menschen durchaus unterschiedlicher Auffassung sein. Verbleiben jedoch Restzweifel, so gehen diese zu Lasten des Arbeitnehmers, da dieser für seine Arbeitsunfähigkeit beweispflichtig ist. War die Arbeitsunfähigkeit aber tatsächlich vorgetäuscht, wird ein Arbeitnehmer einen solchen Prozess eher scheuen, da er weiß, dass er den Beweis nicht erbringen kann.

Allerdings hat die Sache oftmals einen Haken: Die Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass der medizinische Dienst nicht immer unmittelbar sofort tätig wird. Zumeist wird ein Termin innerhalb der nächsten 7 bis 14 Tage mit dem Betroffenen zu einer medizinischen Untersuchung vereinbart - bei Kurzerkrankungen kann die Einschaltung des medizinischen Dienstes daher ein stumpfes Schwert sein. Im Falle auffällig häufiger Wiederholungen ist daher anzuraten, mit dem medizinischen Dienst ein schnelleres Vorgehen abzusprechen.

Neben der Einschaltung des medizinischen Dienstes kann nämlich auch das Vorliegen anderer Indizien den Beweiswert der AU-Bescheinigung ebenfalls so stark erschüttern, dass der Arbeitnehmer den Vollbeweis seiner Arbeitsunfähigkeit erbringen muss. Hierzu zählen u.a. häufiger Arztwechsel, wiederholte gemeinsame und gleichzeitige Erkrankung von Ehegatten oder ausländischen Arbeitnehmern im Anschluss an den Urlaub, Nichtbefolgung einer Vorladung zur Untersuchung des Vertrauensarztes oder des medizinischen Dienstes oder die Durchführung von beschwerlichen Reisen oder strapaziösen sportlichen Betätigungen während der Arbeitsunfähigkeit.

Noch keine Berechtigung zum Ausspruch einer Kündigung

Wohlgemerkt: Das Vorliegen solcher Indizien führt nur dazu, dass der Arbeitnehmer den Vollbeweis seiner Arbeitsunfähigkeit erbringen muss und der Arbeitgeber bis dahin die Entgeltfortzahlung für die Dauer der vermeintlichen Arbeitsunfähigkeit einstellen kann. Dagegen berechtigt dies für sich genommen nicht zum Ausspruch einer Kündigung.

Fehlen jegliche Beweise für das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit, hegt der Arbeitgeber aber aufgrund der gesammelten Indizien diesen Verdacht, wäre an den Ausspruch einer sog. Verdachtskündigung zu denken. Doch Vorsicht: Die Rechtsprechung hat strenge Voraussetzungen an die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung geknüpft, da mit diesem Mittel der Arbeitnehmer allein aufgrund eines Verdachts seinen Arbeitsplatz verlieren kann. Es müssen im Zeitpunkt der Kündigung objektive, nachprüfbare Tatsachen vorliegen, aus denen sich der dringende Verdacht einer Vertragsverletzung von erheblichem Gewicht ergibt, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber schlichtweg unzumutbar macht. Da aber lediglich Indizien vorliegen, die einer Interpretation zugänglich sind und daher durchaus unterschiedlich bewertet werden können, scheitert eine Verdachtskündigung in aller Regel bereits daran, dass keine objektiven und nachprüfbaren Tatsachen vorliegen.

Fazit

Legen bestimmte nachvollziehbare Indizien oder gar das Ergebnis der Untersuchung des medizinischen Dienstes den Verdacht nahe, dass ein Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht hat, ist dem Arbeitgeber anzuraten, die Entgeltfortzahlung für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit einzustellen und so lange zurück zu halten, bis der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit nachweist. Seine AU-Bescheinigung hat dabei keinerlei Wert, da lediglich der Beweis des ersten Anscheins für dessen inhaltliche Richtigkeit spricht. Der erste Anschein ist durch die Indizien jedoch erschüttert. Liegen dagegen Beweise für das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit vor, kann eine fristlose Kündigung ausgesprochen werden.

Der Autor ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Mitglied der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V.

Kontakt:

Tel.: 0221 283040, E-Mail: v.bredow@dvbw-legal.de, Internet: www.dvbw-legal.de und www.mittelstands-anwaelte.de.