"Kosteneinsparungen können nur eine Rechtfertigung sein"

13.10.1978

- Herr Dr. Wildemann, Sie haben zusammen mit Herrn Dr. Dr. Theodor Ellinger an der Universität Köln Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme nach betriebswirtschaftlichen und technologischen Aspekten untersucht. Als Ergebnis dieser empirischen Analyse plädieren Sie dafür, daß für die Arbeitsvorbereitung und Produktionsplanungssysteme möglichst früh EDV eingesetzt werden sollte. Wie viele der untersuchten vierzig Unternehmen bedienten sich für diese Aufgaben eines Computers?

Zunächst muß ich klarstellen, daß unsere Untersuchung nicht den Anspruch der Repräsentativität erhebt. Zur Frage: Etwa sechzig Prozent der Unternehmen setzten EDV ein.

- Welche Größenklassen waren das, wenn Sie nach den üblichen Merkmalen Groß-EDV, MDT, Minis klassifizieren?

Überwiegend handelte es sich um Großrechner, auch in mittleren Unternehmen. Die Untersuchung erstreckte sich über den Zeitraum von 1974 bis 1976, und da herrschte unter anderem noch eine Tendenz zur kooperativen Nutzung von Großrechnersystemen...

- ... doch waren vermutlich kaum Dialoganwendungen realisiert?

Ja. Ich möchte feststellen, daß jetzt die Tendenz in die andere Richtung geht. Es wird dezentralisiert. Ich denke da an den Bereich der MDT und der Prozeßrechner, die sich von der technischen Realisierung her kaum, im Preis aber ganz gravierend von Großrechnern unterscheiden.

- Ob Großrechner oder MDT - Sie kritisieren, "der Anwender sei weitgehend den Versprechungen des Herstellers ausgeliefert". Des weiteren erklären Sie, Learning by Doing sei eine wichtige Phase der System-Einführung: Ab wann kann der Anwender eigentlich beurteilen, ob das System, das er im Haus hat, seinen Ansprüchen tatsächlich gerecht wird?

Ehe sich ein Anwender für eine EDV-Anlage im Produktionsplanungs- und Steuerungsbereich entscheidet, sollte er überlegt haben, welcher Konzeption er folgen möchte; ob MDT, Leitstand oder ob er Großrechner mit rein manuellen Systemen realisieren will. Wenn er diese Entscheidung gefällt hat, ist er in der Lage, mit den einzelnen Herstellern in eine für beide Seiten fruchtbare Kommunikation einzutreten. Dabei muß ich voraussetzen, daß er genügend Erfahrung hat, die richtigen Fragen zu stellen. Anlaß unserer Untersuchung war ja auch, daß der Anwender lernt, diese Fragen zu präzisieren, und zwar weitgehend unabhängig von einem Hersteller.

- Nun fordern Sie, zuerst müsse sich der Anwender bewußt werden, was ihm das Informationsverhalten in seinem Unternehmen wert sei und ob er dafür den Aufwand einer EDV-Einführung treiben wolle, wenngleich die EDV nach ehren Worten immer noch die eleganteste Lösung darstelle. Doch, Herr Dr. Wildemann, selbst wenn die Entscheidung für den Computer fällt - weiß der Anwender, was er sich damit aufbürdet? Oder, um bei einem Bild zu bleiben: Wer in diesen Kanal springt, wird feststellen, daß die Ufer steil und verdammt hoch sind und daß das Wasser reißend schnell fließt.

Darauf gibt es mehrere Antworten. Zunächst sollte der Anwender seine Anforderungen präzisieren. Das Anforderungsprofil für sein Unternehmen, für seine Bedürfnisse, das muß man wohl als das Wichtigste hervorheben. Daß seine Bedürfnisse im Vordergrund stehen, ist klar: Ein EDV-System liefert ja Informationen für weitreichende unternehmerische Entscheidungen. Und wer diese Entscheidungen verbessern will, der benötigt bessere und aktuellere Informationen. Die Wertung der Information kann aber nur der Anwender selbst mittels Gewichtung durchführen.

- Selbst gewichten? Raten Sie, auf externes Urteil zu verzichten?

Ich glaube nicht, daß der Anwender auf externen Rat verzichten kann. In einer bestimmten Phase - etwa der Konzeptions- und Planungsphase - muß er sogar verstärkt externe Informationen einholen - deshalb auch die Aussage, er sei abhängig von Informationsmonopolen bestimmter Hersteller oder Systemplaner. Aber: Diese externen Informationen können nicht derart sein, daß ihm die Entscheidung abgenommen wird. Sie können ihm nur sagen, welche Fragen erstellen müßte, wenn er seine Entscheidung rational begründen will. Auch von der Wissenschaft können ihm nur die Informationen zur Verfügung gestellt werden, die er, nach logischer Ableitung, für eine ganz bestimmte Entscheidung benötigt. In unserer Untersuchung haben wir uns deshalb bemüht, die notwendigen Formationen anhand von empirischen Beobachtungen systematisch bereitzustellen. Als Ergebnis wurde ein Ziel- und Anforderungssystem entwickelt, das für praktische Entscheidungen als Checkliste dienen kann. In diesem Anforderungskatalog stehen Fragen nach der ökonomischen, personellen und technologischen Eignung im Vordergrund.

- Und wie müßte der Anwender abfragen?

Ob das System für das bestimmte Datenprofil anwendbar ist; ob die Mitarbeiter bereits über einen ausreichenden Informationsstand verfügen, damit sie das System handhaben können? Dann kommt es darauf an: Welche Kosten bin ich bereit auszugeben, um dieses System zum Einsatz zu bringen? Welche Erträge - jetzt nicht monetär, sondern als Zielerreichungsgrade - kann ich erwarten? Wichtig erscheint mir zudem auch die Frage nach der Nutzungsdauer. Die kann man ja auch so formulieren: Wie lange binde ich mich an einen Hersteller?

- Wenn Sie jetzt diese Grundvoraussetzungen gewichten müßten, was würden Sie an die erste Stelle reihen?

Anhand der empirischen Daten würde ich sagen, daß die ökonomische Eignung Priorität hat und daß an zweiter Stelle, die personelle Eignung stehen sollte. Daß die technologische Eignung erst an dritter Stelle gesetzt wird, erklärt sich damit, daß wir heute über genügend Programme verfügen, unter denen wir auswählen können. Das heißt: Die Pionierphase ist abgeschlossen, weil wir heute zwischen wirklich gleichwertigen Programmen wählen können.

- Nun diskutieren auch Praktiker immer wieder: Wieviel Prozent Kosten müssen eingespart werden, um eine Entscheidung zu erzwingen?

Bei der Begründung für eine derartige Entscheidung sprechen wir zunächst von der Rechtfertigung einer Investitionsentscheidung. Kosteneinsparungen stellen nur eine Komponente der Rechtfertigung dar. Von der wissenschaftlichen Seite her kann man nur Wenn-Dann-Beziehungen aufstellen. Wenn ich die Mitarbeiterzahl reduziere, dann spare ich x DM ein. Wenn der Lagerbestand abgesenkt und die Produktivität erhöht werden, ergeben sich ebenfalls Kostenreduzierungen. Diese Informationen sind für den einzelnen zwar wichtig, aber nur unter ganz bestimmten Annahmen für den speziellen Fall zu treffen. Generalisierbar sind diese Dinge nicht.

- Am Ende bleibt der Anwender bei seiner Entscheidung also allein?

Im speziellen Fall kann ein wohlinformierter Entscheidungsträger in der Unternehmung durchaus beantworten, was kostet das jetzige System was könnte ein Soll-System kosten, welches Budget steht zur Verfügung, um eine Reorganisation im Produktionsplanungs- und -steuerungsbereich durchzuführen. Generell ist diese Frage quantitativ nicht zu beantworten.

- Ein ganz bemerkenswerter Satz von Ihnen war, daß Sie für Standardprogramme plädieren und mit gut zueinandergefügten Standardpaketen Individualität herstellen wollen. Haben Sie bedacht, was es heißt, Standardprogramme anzupassen, und, vor allem, was es nach drei, vier, fünf Jahren an Wartungsaufwand bedarf, um das zu erreichen, was ein individuelles Paket effizienter geboten hätte?

Ich glaube, daß der Aufwand für Informationstechnologie in der Produktionsplanung und -steuerung so hoch ist, daß der einzelne sich individuelle Programme kaum leisten kann. Ich plädiere für Standardisierung, weil man typische Problemlösungen durch Kombination ebensogut erreichen kann wie durch individuelle Lösungen. Ich denke da an Pakete wie PICS, ISI, UNIS, MACS und auch an Programme, die auf Anlagen von Nixdorf, NCR, WANG und andere realisiert sind. Was mich bisher an individuellen Lösungen geschreckt hat: Sie waren sehr, sehr teuer.

- Aber vielleicht effizienter?

Es kann erwartet werden, daß individuelle Lösungen höhere Effekte, bessere Zielerreichungsgrade bringen. Nur, wenn ich hier die Anspruchs-Anpassungstheorie zu Hilfe nehme: Wenn die Zielerreichungsgrade einen bestimmten Grundnutzen erreicht haben, dann kann ich den Zusatznutzen rational nicht mehr begründen. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß alle angebotenen Programme modular aufgebaut sind und durch Hinzufügen oder Wegen einzelner Bausteine ähnliche Zielerreichungsgrade wie bei individuellen Lösungen ermöglichen.

- Herr Dr. Wildemann, Sie erklären, daß heute der Trend dahinlaufe, kostengünstige Systeme für bestimmte Funktionsbereiche dezentral einzusetzen. Ist dies Ihr Beweis dafür, daß das Großsche Gesetz nicht mehr gilt?

Aus der historischen Entwicklung ist festzustellen: Früher ging es um die Integration, wobei Integration größere Anlagen und mitunter Kostendegresions-Effekte bedeutete. Diese sehe ich heute nicht mehr weil die Hardware-Kosten gefallen sind. Und wenn ich die Kostenverteilung zwischen Hardware, Personal und organisatorischen Regelungen betrachte, dann fällt eben die Kostendegression, die durch eine bessere Nutzung der Hardware erreicht wird, nicht mehr ins Gewicht.

Mit Dr. Horst Wildemann, Universität Köln, sprach Elmar Elmauer