IT-Branche profitiert von der Reform des Rechnungswesens in Städten und Gemeinden

Kommunen lernen kaufmännisches Buchen

17.09.2004
In den Kommunen soll die kaufmännische Buchführung - kurz Doppik genannt - das kameralistische Rechungswesen ablösen. Die Politik verspricht sich davon mehr Effizenz und Transparenz, die Software- und Beratungsanbieter hoffen auf gute Geschäfte.

Peter Bühler ist unter den deutschen Kämmerern ein Pionier. Auf den Finanzverwalter der Stadt Wiesloch richten sich die Blicke der Kollegen aus über 14000 Kommunen, weil er aufgrund einer gesetzlichen Ausnahmegenehmigung den Haushalt des Weinstädtchens bereits seit 1999 nach dem Prinzip der kaufmännischen beziehungsweise doppischen Buchhaltung führt. (siehe Kasten "Terminologie").

Der Kämmerer hat mit dieser Umstellung gewissermaßen vorauseilenden Gehorsam geleistet, denn die Politik sieht bis 2010 das Ende der Kameralistik im öffentlichen Dienst vor (siehe Kasten "Deutsche Finanzreform"). Bühler begrüßt den Schritt und möchte die doppische Buchführung nicht mehr missen. "Wir können heute genau belegen, was mit dem Geld geschehen ist und durch Monatsberichte Ausgaben gezielt hinterfragen", erklärt er. Außerdem existiere für die Stadt jetzt eine Kostenstellenrechnung, die auch das gesamte Vermögen samt Abschreibungen und Verzinsung bewerte.

Linderung des "Novemberfiebers"

Infolge der Doppik grassiert laut Bühler in den Ämtern der Stadt auch nicht mehr das so genannte Novemberfieber. Weil die Ämter Überschüsse in den nächsten Haushalt übertragen können, werden offene Budgets gegen Jahresende nicht mehr verpulvert. Außerdem ist durch die monatliche Periodisierung ein sprunghaftes Ausgabeverhalten nachweisbar. Die Stadt machte durch das neue Finanzwesen laut Bühler noch weitere Sparpotenziale aus. So wurde zum Beispiel die städtische Gärtnerei aufgegeben, weil der Einkauf billiger kommt. Und durch die Auslagerung von Aufgaben konnten im Bauhof 15 Stellen gestrichen werden.

Rückblickend ist der Kämmerer froh, dass Wiesloch zufällig zum Pilotprojekt der kommunalen Finanzreform wurde. Den Umstand verdankte die Stadt ihrer Nähe zur Hochschule für Verwaltungswissenschaft in Speyer und dem Softwareanbieter SAP in Walldorf. Beide waren 1994 im Zuge der Initiative "Baden-Württemberg 2000" auf der Suche nach einer Modellgemeinde und wurden in Wiesloch fündig.

Einschränkung für R/3-Anwender

1996 wagte sich die Stadt erstmals an die Doppik und stellt drei Jahre später komplett auf das Verfahren um. "Wir haben uns das am Anfang einfacher vorgestellt", erinnert sich Bühler. Weil es kein Programm gab, das kameralistische Eingaben doppisch ausführte, entwickelte man gemeinsam mit dem Gebietsrechenzentrum und der SAP eine Überleitungstabelle. Kameralistische Buchungen wurden dann vom Rechenzentrum in das SAP-System eingepflegt.Heute sind die Softwarelösungen wesentlich ausgereifter. Dabei profitiert vor allem die SAP von ihrem zeitigen Engagement in Sachen Doppik. Das Unternehmen dominiert im Behördengeschäft den Markt in Städten mit über 100 000 Einwohnern. Die Walldorfer bieten auf Grundlage von "Mysap ERP" eine Musterlösung für das neue kommunale Finanzwesen an. Laut Torsten Koß, Leiter des Geschäftsbereichs Öffentliche Auftraggeber bei der SAP Deutschland, können aber auch R/3-Bestandskunden ihre Umgebung auf die Doppik umstellen, allerdings mit Einschränkungen.

Einer dieser R/3-Kunden ist die Stadt München. Nach Aussage von Martin Moser, Projektleiter "Neues kommunales Rechnungswesen", steckt die Landeshauptstadt mitten im Umstellungsprozess der gesamten Stadtverwaltung auf das kaufmännische Rechnungswesen. Das 1999 gestartete Projekt, in dem die Doppik-Einführung nur ein Teilaspekt ist, soll Anfang 2006 abgeschlossen sein. Doch seit letztem Jahr arbeiten Moser zufolge bereits drei Dienststellen im doppischen Regelbetrieb, weil Altsysteme abgeschaltet wurden.

"Mit einer Buchung beschicken wir im Vordergrund das kaufmännische Rechnungswesen und leiten im Hintergrund die Kameralistik ab", beschreibt Moser den Trick, wie die Stadt von der Doppik profitiert, ohne gegen die gesetzlich vorgeschriebene Kameralistik zu verstoßen. München, schwärmt der Projektleiter, verfüge nun über ein vollständiges Verbrauchskonzept für seine Ressourcen inklusive einer Vermögensbewertung. Darüber hinaus sprächen die Periodenabgrenzung, die Kosten- und Leistungsrechnung sowie die Kostenträgerrechnung für das neue Verfahren. "Wir können jetzt genau ausweisen, was die Stadt der Besuch eines Jugendlichen im Freizeitheim kostet", nennt Moser ein Beispiel.

Starke Konkurrenz für SAP

Nach anfänglichen Schwierigkeiten, die vor allem in der Komplexität des Projekts resultierten, hält Moser die SAP-Software für den Einsatz im öffentlichen Dienst für "uneingeschränkt geeignet". Doch nicht nur die SAP tummelt sich im Markt für Behördensoftware. Anbieter wie zum Beispiel die Infoma machen den Walldorfern das Geschäft streitig und versuchen, durch Pilotprojekte in Modellkommunen, die Weichen für das lukrative Geschäft mit der Doppik zu stellen. Die Ulmer schnappten dem Softwareriesen mit ihrer Lösung "Newsystem kommunal" in Salzgitter den Auftrag weg.

Flagge zeigen aber auch regionale Dienstleister, wie die Anstalt für kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB). Die bundesweit über Partnerschaften agierende AKDB hat für ihr Finanz-Informations-System "OK.FIS" auch eine doppische Version entwickelt und bietet ihren Bestandskunden ein Upgrade an. Werner Popp zufolge, bei der AKDB für die Entwicklung Finanzwesen verantwortlich, wird die Gemeinde Königsbrunn bei Augsburg mit der OK.FIS-Software am 1. Januar 2005 "den Schalter voll auf die Doppik umlegen".

Laut Marianne Wulff, Programmbereichsleiterin Informations-Management im Fachverband für kommunales Management KGSt, sind die wichtigsten Anbieter mit ihrer Software relativ weit. Aber auch die Kommunen befassen sich stark mit dem Thema. "Teilweise haben sie schon vor Jahren im Zuge des Jahr-2000-Problems und der Euro-Umstellung Produkte beschafft, mit der Option auf ein Upgrade zur Doppik", berichtet die Expertin. Die Anpassung der Software für den doppischen Einsatz in Behörden sei jedoch nicht trivial, weil es in den Kommunen bis zu 300 Fachanwendungen gebe.

Ohne Beratung geht es nicht

Wegen des hohen Aufwands investieren nicht alle Anbieter in die Entwicklung doppischer Lösungen. So musste Ekkehard Grunwald, Kämmerer in Salzgitter, letztes Jahr eine neue Software ausschreiben, weil der alte Lieferant keine Variante anbietet. Grunwald wird nun mit Hilfe der Infoma-Software am 1. Januar 2005 seine Eröffnungsbilanz vorlegen und damit das Doppik-Zeitalter einläuten.

"Viele Kommunen, die mit ihrem Anbieter nicht zufrieden sind, nutzen jetzt die Gelegenheit, sich eine neue Software zu suchen", beobachtet Popp den aktuellen Markttrend. Seiner Meinung nach birgt dabei nicht nur das Lizenzgeschäft, sondern auch die Beratung großes Umatzpotenzial. Die eigentliche Herausforderung sei es, dem Kameralisten die Betriebswirtschaft zu vermitteln. "Da tun sich ganz neue Geschäftsfelder bis hin zur Serviceleistung auf", ist Popp überzeugt. Die AKDB plant neben dem Softwaregeschäft beispielsweise, Kommunen auch zu beraten und die Erfassung sowie Bewertung ihres Vermögens als Service anzubieten.

In einem Punkt sind sich die Protagonisten alle einig: Die Migration des kommunalen Finanzwesens ist kein Pappenstiel. Sie erfordert Zeit, weil es mit einer Softwareumstellung allein nicht getan ist. Der Wechsel zur Doppik stellt vor allem eine inhaltliche Reform dar, weil Kompetenzen in der Verwaltung neu geordnet werden müssen. "Wer von der Kameralistik auf Doppik umsteigen will, muss für das Projekt einen Zeitraum von rund zwei Jahren ansetzen", betont Rainer Rühle vom Münchner IT-Dienstleister Siemens Business Services (SBS) und Partner der SAP. Die Kommunen, so Rühle, würden lange bevor das SAP-Customizing beginne, eine Prozessberatung benötigen, um die genauen Strukturen und Prozessabläufe sowie den Bedarf für das Feinkonzept festzuzurren.

Wie groß für die Software- und Servicebranche das Marktvolumen durch die Umstellung auf das neue kommunale Rechnungswesen ist, kann nicht exakt beziffert werden. Schätzungen bewegen sich derzeit zwischen 300 und 500 Millionen Euro. SAP-Mann Koß siedelt die Ausgaben für die Serviceleistung höher an als die für neue Software, wobei nicht so sehr die Implementierung ins Gewicht falle, sondern vielmehr Change Management, Konzeptarbeit und Personalausbildung. Die Kosten für die Neubeschaffung von Software und deren Nutzungsrechte liegen Koß zufolge bei großen SAP-Projekten im zweistelligen Millionenbereich. Kleine Kommunen bis zu 10000 Bürgern zahlen weniger. Sie müssen laut Popp für die AKDB-Software rund 50000 Euro berappen.

Peter Gruber, pgruber@computerwoche.de

Hier lesen Sie ...

- warum der öffentliche Dienst künftig weniger Geld verpulvert,

- wie Städte und Gemeinden ihre IT-Projekte zur Umstellung vom kameralistischen auf das doppische Rechnungswesen planen müssen,

- was Software und Beratung kosten,

- wie der Entwicklungsstand der Produkte ist und

- welches Marktvolumen das Behördengeschäft hat.

Deutsche Finanzreform

Schon seit Beginn der 70er-Jahre wird in Deutschland über die Abschaffung der Kameralistik zugunsten der in der Privatwirtschaft üblichen kaufmännischen Doppik diskutiert. Im November vergangenen Jahres fasste die Innenministerkonferenz nach langem Hickhack den Beschluss, das kommunale Haushaltswesen zu reformieren. Der Plan sieht vor, bis 2010 das traditionelle Verfahren der Kameralistik in den deutschen Amtstuben außer Kraft zu setzen. Wegen unterschiedlicher Länderinteressen schreiben die Politiker die Doppik aber nicht zwingend vor, sondern lassen alternativ auch die so genannte "erweiterte Kameralistik" zu. Da das kommunale Verwaltungsrecht Ländersache ist, liegt es nun jeweils in deren Ermessen, welche gesetzlichen Vorschriften sie den Städten und Gemeinden machen. Vieles deutet jedoch auf die Doppik hin. Weil sich in den Ausschüssen abzeichnet, dass die erweiterte Kameralistik bis auf die Rechnungsabgrenzung alle Merkmale der Doppik beinhalten soll, erscheint deren Wahl logisch.

Der momentane Stand der Dinge:

- Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Bremen, Hamburg und Brandenburg haben bereits ein klares Bekenntnis zur Doppik abgelegt.

- Sachsen, Thüringen und das Saarland tendieren dazu.

- Bayern, Hessen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg planen hingegen ein Wahlrecht für die Kommunen.

Der Elan, mit dem die Bundesländer die Umstellung angehen, ist jedoch unterschiedlich. Neben den Stadtstaaten Hamburg und Bremen haben sich vor allem Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen an die Spitze der Doppik-Bewegung gesetzt. In Düsseldorf soll noch in diesem Jahr das kommunale Haushaltsrecht geändert werden, damit alle Kommunen bis Ende 2007 umstellen können. Modellgemeinden in Deutschland, die bereits das doppische Finanzwesen erproben, können dies nur aufgrund so genannter Experimentierklauseln.

Finanzterminologie

- Die Kameralistik ist das derzeit gültige Buchhaltungsverfahren der Kommunen. Sie erfasst nur Einnahmen und Ausgaben, jedoch keine Erträge und Aufwendungen. Rückstellungen für Reparaturen und Pensionen oder Vermögenswerte wie zum Beispiel der eines Schwimmbades oder einer U-Bahn bleiben in den Bilanzen unberücksichtigt.

- Doppik ist ein Kunstwort und steht für kaufmännische doppelte Buchführung in Konten und Haben. Im Gegensatz zur Kameralistik fließen bei dieser Buchführungsmethode auch die Kosten für Dienstleistungen sowie Vermögenswerte ein. Kämmerer können damit ausweisen, welche Kosten zum Beispiel der Besuch eines Jugendlichen in einer Freizeitstätte oder die Ausstellung eines Personalausweises verursacht.

- Die erweiterte Kameralistik ist eine Mischform aus Kameralistik und Doppik und versucht, durch eine Vielzahl zusätzlicher Nebenrechnungen Erträge und Ressourcen einzubeziehen.