Kolumne Die SAP und das Outsourcing-Paradox

11.08.1995

Dieter Eckbauer

Sieh da, die SAP AG will das Wachstumstempo drosseln. Das signalisierte der Vorstandsvorsitzende der Walldorfer Softwarefirma, Dietmar Hopp, in einem Pressegespraech. Man beachte die Diktion des Hopp-Vorsatzes: alles im Griff - nicht der Markt zwinge SAP zum Kuerzertreten; man goenne sich vielmehr eine selbstverordnete Verschnaufpause. Die Botschaft ist als Mahnung an die Adresse der Aktionaere zu verstehen. Der neuen Dax-Stuetze SAP gilt mittlerweile das Interesse einer breiten Oeffentlichkeit. Daran muessen sich Hopp & Co. erst gewoehnen. Da macht sich Understatement, wenn es als solches erkennbar ist, immer gut. Spricht es nicht fuer unternehmerischen Weitblick, dass der SAP-Chef vor einer Wachstumseuphorie warnt?

Man kann sicher sein, dass Hopps Drosselungs-Devise bei Leuten, die das Softwaregeschaeft allein durch die Dax-Brille betrachten, genau die beabsichtigte Wirkung erzeugt. Das schien Hopp offensichtlich nicht ausreichend, um das Dilemma zu verdeutlichen, in dem sich SAP befindet: Es fehlt an qualifizierten R/3-Beratern. Dass die Einfuehrung der modularen Standardsoftware die Anwender vor keine geringen Probleme stellt, ist in Insiderkreisen seit langem bekannt, erst recht natuerlich, was die Schwierigkeiten ausmacht. Das weiss auch der SAP-Chef. Es ist deshalb ein bisschen verlogen, wenn Hopp jetzt einraeumt, dass es kritische Faelle bei der R/3- Betreuung gibt, von denen "SAP unmittelbar aber nichts bemerkt hat" (siehe auch Seite 15: "SAP AG will mit einer Task force unzufriedene Kunden aufspueren").

Der bisher ahnungslose Software-Aufsteiger aus Walldorf moechte dem Engpass, der in der Verfuegbarkeit qualifizierter Mitarbeiter liegt, mit einem Einstellungsstopp begegnen. Welch eine Argumentationslogik, nach dem Muster: "Weil wir ausverkauft sind, machen wir zu. Wenn wir nicht mehr ausverkauft sind, machen wir wieder auf." Im Falle SAP handelt es sich um doppelte Augenwischerei. Die von Hopp zitierten Problemfaelle koennten ja auf etwas anderes hindeuten als auf Beratungspannen: Qualifizierte Mitarbeiter bei den Anwenderfirmen stellen womoeglich fest, dass sie mit R/3 nicht wie erwartet zurechtkommen, wobei als Massstab nicht das Produktwissen der Implementierer angelegt wird, sondern die Produkttauglichkeit in bezug auf die spezielle Aufgabenstellung bei den Kunden. Dann waere mit intensiverer R/3-Ausbildung nichts gewonnen. Zum anderen erhellt die SAP-Situation doch nur das Outsourcing-Paradox: Der Anwendungsstau wird nach draussen verlagert; die Anwender machen sich von externen Spezialisten abhaengig - besonders pikant, dass die Pro-Kopf-Kompetenz abnimmt, je mehr Firmen sich fuer SAP entscheiden.

Was zu tun ist, haben SAP-Kritiker des oefteren skizziert: Standardsoftware kann nur in begrenztem Masse Ersatz fuer Individualloesungen sein. Dass die klassischen Entwicklungs-Tools versagt haben, wird nicht geleugnet. Die Aufmerksamkeit sollte auf effizienteres Software-Engineering gelegt werden. Man fange bei der Ausbildung an. Dann erledigt sich auch das SAP-Problem.