Enterprise Architecture

Königsdisziplin und Schweißtreiber

12.10.2011 von Stefan Ueberhorst
Enterprise-Architecture-Management bedeutet sehr viel Arbeit und ebenso viel Disziplin. Doch wer es geschafft hat, dürfte die meisten Gräben zwischen IT und Business beseitigt haben.

Falsches Thema", könnten Sie sagen, wenn Ihnen in Zeiten wie diesen mit all den Sparzwängen ein Projekt nahegelegt wird, das zu den komplexesten Aufgaben zählt, die sich Unternehmen, insbesondere IT-Leiter, vornehmen können. Die Königsdisziplin der IT nennen Experten das Enterprise-Architecture-Management, denn es geht im Wesentlichen darum, Systeme und Prozesse sowohl der IT als auch des Business als Ganzes zu sehen und zu steuern. Damit werde das Alignment-Problem gelöst, also die Abstimmung von IT- und Geschäftszielen verbessert.

Das predigen Fachleute ohnehin schon seit geraumer Zeit, doch eine vage Vorstellung des enormen Aufwands hinter solchen Formeln erhält man erst angesichts der grundlegenden Elemente einer Enterprise Architecture (EA): Dazu zählen ein standardisiertes Vorgehen, eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Modelle sowie eine definierte Organisationsstruktur mit Prozessen und dem passenden Governance-Modell, fasst Uwe Weber von der Management-Beratung Detecon International die wichtigsten EA-Aspekte zusammen. Doch so manches Unternehmen beißt sich schon an den einzelnen Disziplinen die Zähne aus, etwa bei den Modellen, die bereits während der Entwicklung variieren und zwischen Fachabteilung und IT selten harmonieren. Nun soll der Organisation der gesamte EA-Komplex in einem gewaltigen Kraftakt übergestülpt werden. Doch vielleicht liegt in diesem ganzheitlichen Ansatz die Chance, das Alignment-Problem in all seinen Facetten unternehmensübergreifend zu lösen. Laut Detecon-Mann Weber

Basis ist der IT-Bebauungsplan Unter diesen Vorgaben soll es dann möglich sein, den viel zitierten IT-Bebauungsplan passend zu den fachlichen Anforderungen zu entwerfen, umzusetzen, zu steuern und je nach Bedarf flexibel zu modifizieren. Dabei zeigt ein Blick auf typische EAM-Aufgaben, dass hier nichts ausgelassen wird: Sei es die IT-Landkarte für das Anwendungsportfolio, das Anforderungs- und Projektportfolio-Management, die Projektsynchronisation, das Strategien- und Ziele-Management bis hin zum Architektur- und Infrastruktur-Management - überall dürfen sich die EA-Verantwortlichen austoben.

Service-orientierte Architekturen
Stellenwert IT im Unternehmen
IT wird in der Branche Banken und Versicherungen sehr viel stärker als strategische Aufgabe verstanden (64 Prozent versus 36 Prozent). In der Logistik-Branche hat IT einen unterdurchschnittlich ausgeprägten strategischen Charakter. IT wird aber dafür überdurchschnittlich häufig ein „Wertbeitrag“ zugestanden. In der TK-Branche hingegen wird IT stärker als Kostenstelle oder als zeitlich begrenzte Projekte angesehen.
Priorisierung von IT-Themen
Hier unterscheiden sich die drei Branchen sehr grundsätzlich voneinander und auch im Vergleich zu den Gesamtergebnissen gibt es klare Unterschiede. IT-Sicherheit hat für Bankenbranche höchste Priorität. Qualitäts-Management wird überdurchschnittlich häufig in Banken- und TK-Branche genannt. SOA und BPM werden von Banken und Versicherungen überdurchschnittlich priorisiert. Die Branchen Telekommunikation und Logistik liegen hierbei ziemlich genau im Gesamtdurchschnitt.
Stand der SOA-Umsetzung
Banken und Versicherungen sind bei der SOA-Umsetzung viel weiter als andere Branchen, auch viel weiter als beispielsweise die Branchen TK und Logistik & Transport. Besonders augenfällig wird das beim Betrachten der Merkmale "Kein SOA" und "SOA bereits produktiv im Einsatz“.
Bedeutung der IT-Flexibilisierung
Hier biete sich ein entsprechend stringentes Bild. Die Flexibilisierung hat in der Finanzbranche eine deutliche höhere Bedeutung, was sich vor allem in der Anzahl der Nennungen von „sehr große Bedeutung“ widerspiegelt. Auch die Logistik-Branche misst der IT-Flexibilisierung überdurchschnittlich hohe Bedeutung bei. Die TK-Branche hingegen gibt sich sehr verhalten: etwa die Hälfte der Befragten geben geringe oder sogar nur sehr geringe Bedeutung an.
Gibt es eine Roadmap?
Dort, wo die Flexibilisierung der IT-Landschaft große Bedeutung hat, gibt es auch eine Roadmap, und das nicht nur für einzelne Bereichen, sondern unternehmensweit. Banken & Versicherungen und Logistik & Transport sind hier Branchenvorreiter.
Projektverantwortung
Bei IT-Modernisierungsprojekten ist die Projektverantwortung sehr unterschiedlich verteilt. Auffällig hier vor allem, dass die Projektverantwortung in der Telekommunikationsbranche außerordentlich häufig auf Geschäftsführungsebene liegt. Banken und Versicherungen suchen sich hier gerne einen Verantwortlichen auf Vorstandsebene.
Umsetzung der Roadmap
Je größer ein Unternehmen, desto häufiger werden Berater herangezogen. Banken und Versicherungen setzen ebenfalls überdurchschnittlich häufig externe Berater ein (was mit der Größe der Unternehmen zusammen hängen könnte). Banken und TK-Unternehmen liebäugeln überdurchschnittlich häufig mit SaaS-Modellen.
Die wichtigsten Ziele
Letztendlich geht es in allen Branchen darum, für mehr Transparenz und Felxibilität zu sorgen und dabei am besten gleichzeitig noch die IT-Betriebskosten zu senken. Bei der Zielfokussierung kann man aber abhängig von der Branche unterschiedliche Schwerpunkte feststellen.
Bedeutung von IT-Governance
IT-Governance hat für die Finanzbranche eine größere Bedeutung als in anderen Branchen. Dies gilt in ähnlicher Form auch für die Logistik-Branche: zwei Drittel der Befragten messen dem Thema zumindest große Bedeutung zu. Die TK-Unternehmen hingegen schätzen die Sachlage rund um IT-Governance deutlich anders ein.
BPM-Umsetzung
Banken und Versicherungen sind bei der Umsetzung von BPM im Unternehmen schon sehr weit. 32 Prozent sprechen schon von einem vollständigen Prozess-Management. Die TK-Branche ist nicht sonderlich BPM-affin: umgesetzt ist BPM allenfalls für reine IT-Prozesse. Die Branche Logistik & Transport liegt dagegen eher im Branchen-Gesamtdurchschnitt: allerdings scheint die Branche offensichtlich beim BPM für Geschäftsprozesse weiter zu sein als andere Branchen.
SLAs zwischen IT und Fachbereichen
Auch bei SLAs üben Banken und Versicherungen eine Vorreiterrolle aus. In der Logistik-Branche hat man aber ganz offensichtlich die Zeichen der Zeit erkannt: Hier gibt es überdurchschnittlich viele Unternehmen, die bereits SLAs umgesetzt haben, und noch mehr Unternehmen, die sich zumindest in einer konkreten Planungsphase befinden. Zwei Drittel der befragten TK- Unternehmen verneinen die Frage nach vereinbarten SLAs.

Wann lohnt sich EAM

Wer jedoch angesichts dieser umfassenden Strukturierung glaubt, EAM sei nur etwas für Konzerne, der irrt. Bereits für mittelgroße Unternehmen sei EAM unbedingt notwendig, wenn die IT-Landschaft heterogen und komplex ist, meint Stefan Ried, Senior Analyst bei Forrester Research. Viele Risk- und Compliance-Aspekte würden über EAM systematisch berücksichtigt. Ähnlich argumentiert Luis Praxmarer von der Experton Group. Schon Unternehmen mittlerer Größe würden stark von einer klar artikulierten und abgestimmten Enterprise Architecture profitieren, sollten derartige Projekte aber zumindest temporär mit Hilfe externer Unterstützung aufsetzen. Grundsätzlich gilt: Je komplexer die Anforderungen und je größer die ICT-Investitionen, desto mehr lohnt sich ein EAM.

Allerdings ist eine Return-on-Investment-Diskussion für ein EAM-Projekt immer problematisch. Praxmarer verwendet das im EAM-Umfeld gerne genommene Bild der Städtebauarchitektur und fragt: "Wie rentabel ist für einen Architekten der Bau eines Hauses, eines Wolkenkratzers oder eines neuen Stadtteils?" Man komme erst gar nicht auf die Idee, diese Arbeit als nicht notwendig einzustufen oder einzeln zu rechtfertigen. Im Gegenteil: Je komplexer die Aufgabe, desto mehr Aufmerksamkeit erhalte die Ausarbeitung der richtigen Architektur.

Jeder erlebe selbst die täglichen Planungsfehler und verstehe deshalb die Notwendigkeit einer Struktur. EAM gehört unmittelbar zur IT und muss als integraler Bestandteil gesehen werden, so Praxmarer. Deshalb müssten die Kosten auf alle Services umgelegt und nicht einzeln verrechnet beziehungsweise über eine RoI-Kalkulation gerechtfertigt werden. Wenn dennoch eine Diskussion entbrennt, geschehe dies meist im Zusammenhang mit den im Projekt gebundenen Mitarbeitern oder den externen Kosten. Hier empfiehlt Experton, wichtige Projekte zur Kosteneinsparung wie Konsolidierung, Virtualisierung oder eine neue Applikationslandschaft zu benutzen, um mit dem frei werdenden Budget die Finanzierung von EAM zu ermöglichen.

Auch Stefan Ried glaubt an den Sinn von EAM-Investitionen. CIOs sollten das Thema nicht als ein Projekt darstellen, sondern als Teil ihrer IT-Governance, die einen Wertbeitrag in allen Projekten bringt. Anstelle einer RoI-Studie ließen sich Quellen verwenden, in denen die nachweisbare Kostenersparnis, die indirekten Vorteile und die erhöhte Flexibilität aufgeführt würden. EAM helfe beispielsweise, die Abhängigkeiten zwischen den Systemen zu verstehen, um dann unbenutzte Ressourcen abzubauen - eine nachweisbare Kostenersparnis. Indirekte Vorteile sind etwa kürzere Implementierungszeiten in Softwareprojekten aufgrund der mit EAM eindeutig beschriebenen Daten- und Prozess-Interfaces.

Die Flexibilität lässt sich an der Wiederverwendung von Diensten innerhalb des Unternehmens festmachen. Letztlich stelle EAM von allen Landschafts-, Daten- und Prozessbeschreibungen auditierbare Versionsstände zur Verfügung. Dies sei in Zeiten von gesteigertem Risikobewusstsein ein unschätzbarer Wert für den Finanzchef im Unternehmen.

Experten definieren EAM

"Inzwischen versteht der Markt unter Enterprise-Architecture-Management recht breit ein methodisches Vorgehen bei der konsistenten Erstellung und Pflege verschiedenster Softwareteile im Unternehmen. Dabei können EAM-Tools, die mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten angeboten werden, hilfreich sein: Enterprise-Landschafts- und Konfigurations-Management, Prozessmodellierung, SOA-Lifecycle, Policy- und Governance-Repositories und andere."

Stefan Ried, Senior Analyst, Forrester Research

"Eine Enterprise Architecture verknüpft die ICT-Infrastruktur mit der Geschäftsstrategie. Sie besteht aus einer Enterprise-Architektur jeweils für Business, Information, Solution und Technology. EAM erstellt ein klares Regelwerk für die ICT-Planung, die Vorgehensweise und liefert Entscheidungsrichtlinien. Eine EA verspricht die Integration von IT in den Geschäftsbereich (Alignment), deren Anpassungsfähigkeit und ist die Basis für die richtige Balance zwischen Effizienz, Flexibilität und Innovation."

Luis Praxmarer, Global Research Director, Experton Group

"Das Modell der Enterprise Architecture beschreibt die Zusammenhänge zwischen den Elementen der Geschäftsarchitektur, den Informationssystemen und den darunter liegenden Techniken. Damit können die Auswirkungen strategischer Planungen, ob IT oder geschäftlich, direkt in ihrer vollen Tragweite erkannt werden, um zum Beispiel redundante Entwicklungen vermeiden, Risiken besser einschätzen und Abhängigkeiten berücksichtigen zu können. EAM bezeichnet dann Methoden, Prozesse und Governance, mit denen die strategiekonforme Weiterentwicklung der Unternehmensarchitektur anhand des EA-Modells geplant und gesteuert wird."

Uwe Weber, Managing Partner, Detecon International