Kleinteiliges Planen schafft Entwicklern Freiraum

09.11.2006 von Alexandra Mesmer
Überstunden, in der IT-Branche schon beinahe selbstverständlich, sind für die Mitarbeiter von Lorenzsoft ein Fremdwort. Zeit-Management ist für das Softwarehaus eine Frage der Organisation.

Die Entwickler arbeiten höchstens acht Stunden am Tag oder nach Absprache auch mal weniger. Die Geschäftsführerin kann sich drei Wochen an der italienischen Adria ausspannen, ohne per Blackberry oder andere elektronische Hilfsmittel ständig mit ihrem Unternehmen verbunden sein zu müssen. Der Kunde kann sich jederzeit mit ein paar Klicks versichern, wie weit sein Auftrag bearbeitet ist. Jeder Mitarbeiter weiß, was er zu tun hat und ist jederzeit in der Lage, für einen Kollegen einspringen. Ein solches Softwarehaus existiert wohl nur auf dem Papier von Organisationstheoretikern oder ist der Feder cleverer PR-Strategen entsprungen.

Hier lesen Sie ...

  • ... warum ein Softwarehaus auf Meetings fast verzichten kann;

  • ... unter welchen Voraussetzungen sich Mitarbeiter ihre Arbeitszeit frei einteilen können;

  • ... wie sich ein Unternehmen organisiert, ohne dass viele Überstunden anfallen.

Antonella Lorenz, Lorenzsoft: 'Ich messe die Qualität meiner Mitarbeiter nicht an einer bestimmten Stundenzahl, sondern an den erledigten Aufträgen.'

Doch Antonella Lorenz hat ihren Traum von einem Unternehmen, das wirtschaftlich arbeitet und trotzdem Mitarbeitern wie Führungskräften eine hohe Lebensqualität einräumt, verwirklicht. Überstunden sind für die 17 Mitarbeiter von Lorenzsoft, ein auf Individualsoftware spezialisiertes Unternehmen, ein Fremdwort. Als die gebürtige Italienerin das Softwarehaus vor 15 Jahren in Freising zusammen mit ihrem Mann Günter gründete, gehörte dieser zu den größten Skeptikern, ob der Plan seiner Frau im Alltag auch umzusetzen ist.

Zeitfresser beseitigen

In der atomaren Planung lag für Antonella Lorenz das Geheimnis einer guten Organisation, die Freiräume schafft anstatt Zeit frisst: Jeder Projektverantwortliche teilt das Projekt in kleinstmögliche Aufgaben auf, bestimmt den Zeitaufwand und die Priorität der Abwicklung. Alle so definierten Aufgaben werden als Aufträge an die Entwickler zentral in einer übergreifenden IT-Plattform erfasst, die in das E-Mail-System Outlook integriert und jedem Mitarbeiter zugänglich ist. Ein Blick in das System genügt, und der Programmierer weiß, an welchen Aufträgen er wie lange zu arbeiten hat. Entwicklerin Claudia Lorenz (nicht mit ihrer Chefin verwandt) schätzt es, dass sie unabhängig von der Anwesenheit der Projektverantwortlichen mit ihrer Arbeit beginnen kann: "Ich bin auf keinen angewiesen und kann die Aufträge angefangen von der höchsten bis zur niedrigsten Priorität abarbeiten. Und wenn ich mal eine kreative Denkpause brauche, nehme ich mir sie."

Gewisser Erziehungsprozess

In der Regel sind die Aufträge so kleinteilig, dass sie in höchstens zwei bis maximal vier Stunden erledigt werden können. "Damit unser System funktioniert, muss natürlich ein gewisser Erziehungsprozess stattfinden", schränkt Antonella Lorenz ein. "Jeder Projektleiter wie auch Mitarbeiter muss den Zeitaufwand einer Aufgabe abschätzen lernen." Rückmeldung erhält sie von ihren Mitarbeitern nur, wenn etwas nicht klappt beziehungsweise die Bearbeitungszeit für den Auftrag als zu kurz oder zu lang eingeschätzt wurde.

Diese reduzierte Art des Informationsaustausches nach dem Prinzip "wenige, aber klare Absprachen" schafft Mitarbeitern wie Projektleitern großen Freiraum, sagt Lorenz: " Sie können sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und verlieren keine Zeit in endlos langen Meetings, in denen normalerweise Wissen weitergegeben wird. Unser Wissen steckt schon im System. Das garantiert eine gewisse Unabhängigkeit von Personen." Die Entwickler dokumentieren ihre Arbeit noch im laufenden Prozess: Sie beschreiben in der IT-Plattform, in welchem Abschnitt sie zum Beispiel den Code geändert und welche Objekte sie angefasst haben. Die akribische Dokumentation versetzt jeden Kollegen in die Lage, ohne große Vorbereitung den Auftrag bei Bedarf weiterzuführen. Auch die Projektleiter können sehen, welche Aufträge in ihrer Abwesenheit erledigt wurden oder neu hereingekommen sind.

"Fehler in den von uns entwickelten Softwaresystemen finden wir in der Regel binnen weniger Stunden", sagt Antonella Lorenz, die das wiederum mit ein paar Klicks durch die IT-Plattform belegen kann. Denn analog zu anderen Aufträgen wird auch die Behebung eines Fehlers definiert, dokumentiert und zeitlich erfasst. "Es erleichtert die Geschäftsbeziehungen, wenn ich den Kunden auf einer realen Grundlage versprechen kann, dass wir 70 Prozent der Fehler in weniger als zwei Stunden beheben."

Offenheit gegenüber den Kunden gehört für Antonella Lorenz zu den wichtigen Grundprinzipien, die sie mit der selbst entwickelten IT-Plattform umsetzen kann. Auch die Kunden können sich in die "Lorenzosuite" einloggen und nachverfolgen, ob ihre Aufträge bearbeitet werden. Sollte ein Termin nicht eingehalten werden können, erhalten sie eine Woche im Voraus Bescheid.

Transparentes System

Die Transparenz des Systems macht es auch möglich, dass die IT-Plattform den genauen Verlauf eines Arbeitstages eines jeden Mitarbeiters abbildet und für den Projektverantwortlichen einsehbar macht. Ein Toll zur totalen Kontrolle? Entwicklerin Claudia Lorenz fühlt sich nicht überwacht, sondern genießt im Gegenteil den Freiraum, den ihr die Arbeitsorganisation verschafft. So können die Mitarbeiter Woche für Woche ihre Arbeitszeit neu gestalten. Sie tragen in die IT-Plattform ein, wie lange sie an den einzelnen Tagen in der kommenden Woche arbeiten wollen. Die Projektleiter sehen dann zum Beispiel, dass zwei ihrer Projektmitglieder an drei Tagen nur vier Stunden arbeiten wollen, gleichen diesen Wunsch mit der Auftragslage ab und geben dann grünes Licht oder auch nicht.

"Ich messe die Qualität meiner Mitarbeiter nicht an einer bestimmten Stundenzahl, sondern an den erledigten Aufträgen", sagt Antonella Lorenz. Ihrer Ansicht nach können Menschen, die zwölf Stunden am Tag arbeiten, auf Dauer nicht produktiv sein. So gibt es bei Lorenzsoft einige junge Väter, die den einen oder anderen Nachmittag zuhause beim Nachwuchs anstatt vor dem PC verbringen. Entwicklerin Claudia Lorenz dagegen genießt es dagegen, nachmittags auch mal zum Friseur zu gehen oder einzukaufen und nicht alle privaten Termine am Samstagvormittag unterbringen zu müssen. (am)