Kingston lässt die Börse kalt

17.07.2003 von Riem Sarsam
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Das Initial Public Offering (IPO) gilt vielen kapitalhungrigen Hightech-Firmen als geeigneter Weg, sich frisches Geld zu verschaffen. Der US-amerikanische Halbleiterspezialist Kingston Technology beweist, dass es auch ohne Börsengang geht.

Foto: Kingston Technology

Als David Sun und John Tu vor 26 Jahren ihr Unternehmen gründeten, verständigten sie sich darauf, nicht an die Börse zu gehen. An diesem Prinzip haben sie festgehalten, unberührt von dem Aktienboom vor wenigen Jahren. „Warum sollten wir an die Börse gehen?“, fragt Tu, heute President von Kingston. Sein Unternehmen gilt als weltweit größter unabhängiger Hersteller von Speicherprodukten. Im Auftrag für Anbieter wie Samsung oder Micron entwickelt Kingston Memory- und Storage-Module für PCs, Server, Workstations sowie elektronische Geräte wie PDAs.

Den vermeintlichen Vorteilen einer Börsennotierung stehen nach Meinung von Tu eine Reihe von Nachteilen gegenüber. Am schwersten wiegt für ihn der Verlust der Entscheidungsfreiheit. „Es ist allgemein bekannt, dass ein öffentlich notiertes Unternehmen immer auch ein Stück seiner Flexibilität aufgeben muss.“ Auf einmal mischen sich Investoren, Analysten, im schlimmsten Fall auch die Medien ein, und statt ein Unternehmen selbstbestimmt führen zu können, droht die Gefahr, zur Marionette fremder Meinungen zu werden.

Weitsichtige Überlegungen fallen den Kapitalmärkten zum Opfer

Der Markt, in dem sich Kingston als Anbieter hochwertiger Chips und Komponenten bewegt, ist starken Schwankungen unterworfen. Kurze und teils heftige Preiszyklen für Speicherbausteine zwingen zu einer Mischung aus schnellen Reaktionen und langfristigen Entscheidungen. Ist eine Firma an der Börse notiert, fallen nach Tus Ansicht weitsichtige Überlegungen dem Fokus der Kapitalmärkte zum Opfer. Der Blick der dortigen Anleger reicht gerade mal bis zum Ende des nächsten Quartals. In Deutschland hat dieses Argument einen prominenten Verfechter: Die Porsche AG hat sich mit der Weigerung, Quartalsberichte abzugeben, den Rausschmiss aus dem M-Dax eingehandelt.

Auch in puncto Wachstumsfinanzierung - dem treibenden Grund, an die Börse zu gehen - sieht Tu keinen Bedarf - weder für sein Unternehmen noch prinzipiell. Hightechfirmen müssen ihre Produkte ständig weiterentwickeln und wachsen, sonst werden sie von der Konkurrenz überrollt. „Im Idealfall ist man die Nummer eins, mit einem gesunden Abstand zum nächsten Wettbewerber.“ Doch das Geld, um neue Ideen zu finanzieren, müsse aus eigener Kraft beschafft werden. Sorgfältig mit vorhandenen Ressourcen umzugehen und gerade in starken Phasen die Expansion nicht zu übertreiben, lautet Tus Erfolgsrezept. Auch von einer langfristigen Verschuldung, die das Unternehmen knebelt, hält der chinesischstämmige Amerikaner wenig.

Zudem setzt er auf kapitalschonende Partnerschaften etwa in der Entwicklung von Produkten - auch mit den Wettbewerbern. „Es darf nicht darum gehen, Geschäfte zu machen, nur um zu wachsen“, warnt Tu. „Es gibt immer Perioden, in denen der Markt nicht größer wird, und dann ist Zusammenarbeit eine geeignete Lösung.“

Trotz der lang anhaltenden Krise in der Halbleiterindustrie konnte Kingston auch in den vergangenen Jahren weiter wachsen. Lediglich 2001 sanken die Einnahmen aufgrund stark gesunkener Chippreise und trotz einer deutlichen Erhöhung der abgesetzten Stückzahlen. Dafür kletterten die Erlöse im vergangenen Jahr über das Niveau der Vorjahre und sollen auch 2003 einen deutlichen Anstieg (auf 1,7 Milliarden Dollar) verzeichnen.

Berichtspflicht bedeutet nicht transparente Kommunikation

Die Berichtspflicht gilt gerade an der Börse als vertrauensbildend für Kunden und Partner der Unternehmen. Skandale à la Enron zeigten jedoch, dass die öffentliche Notierung allein kein Garant für Offenheit ist. Daher sieht auch Tu hier keinen Bedarf: „Unsere Klienten und Partner bekommen von uns die Zahlen, die sie benötigen“, wischt er die Frage vom Tisch. Genauso wenig lässt er die Möglichkeit, Mitarbeiter mit Aktienoptionen zu motivieren, als Argument gelten. „Wer nur darauf schaut, denkt zu kurz.“ Rückendeckung erhält er dabei von Microsoft, das auch dafür berühmt ist, viele Mitarbeiter zu Millionären gemacht zu haben. Der Softwareriese hat nun verkündet, mit der „schlechtesten Angewohnheit notierter Unternehmen“ (Zitat „Economist“) zu brechen, und keine Optionen mehr auszugeben. Für Tu wiegen altmodisch anmutende Anreize für seine Mitarbeiter schwerer. „Wichtig ist

doch auch die Frage, wie sicher man sich in einem Unternehmen fühlt, ob man respektiert wird und ob man dort glücklich sein kann.“