Digitalisierung der Automobilität

KI und Connected Car: Evolution Top-down oder Bottom-up?

20.10.2017 von Ralf Reich
Wenn sich praktisch alles digitalisieren und vernetzen lässt, wird KI in unsere Lebenswelten Einzug halten. Aber nach welchen Prinzipien erfolgt dies? Angebot und Nachfrage sind Steuerungsgrößen, aber kein Erklärungsmuster.

Mit der wachsenden Vernetzung sind die Grenzen fließend und erfordern den Blick auf das größere Ganze. Dies bedeutet zunehmende Komplexität, was jede Lösungsfindung erschwert. Der Ansatz, mit dem man sie reduziert, ist in der sich digital entwickelnden Welt der gleiche wie in der realen: Top-down - von einer Gesamtheit zu kleineren Teileinheiten, um bei zunehmender Konkretisierung zielorientiert entscheiden und operieren zu können. Beim Handel im Internet ist das typischerweise der Fall mit der Aufteilung in Bestellung, Bezahlung und Lieferinformation.

Um eine Vielzahl von digitalen Diensten im Connected Car nutzen zu können, braucht es eine lückenlos vernetzte Infrastruktur.
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Diese Lösungsstrategie ist auch bei der Digitalisierung von Automobilität festzustellen. Ein Beispiel dafür sind Automatisierungssysteme für den Teilkomplex Parkhäuser, an denen bereits gearbeitet wird. Einfach das Fahrzeug abgeben und in Empfang nehmen - so bequem ist es für den, der einen Stellplatz benötigt. Da keine Autotüren zu öffnen und zu schließen sind, profitiert auch das Parkhaus mit einer um zirka 20 Prozent höheren Parkdichte. Man hat es mit einem räumlich und funktional definierten Operationsfeld zu tun, mit einem leicht beherrschbaren Mischbetrieb von Mensch und Maschine sowie fahrzeugseitig mit einer bereits weitgehend vorhandenen Ausstattung, z. B. dem Automatikgetriebe.

Bottom-up als unverzichtbare Lösungsstrategie für die Vernetzung des Automobils

Der dargelegte Lösungsansatz Top-down lässt sich aber nicht durchgängig realisieren, wenn es um die Digitalisierung und die Vernetzung des Automobils geht. AUTOSAR (AUTomotive Open System ARchitecture) legt das anschaulich dar. Diese Entwicklungsgesellschaft wurde von bedeutenden internationalen Automobilherstellern gegründet, um eine standardisierte Softwareplattform für tief eingebettete Systeme und Rechner zu schaffen. Damit sollen domänenübergreifende Funktionen für unterschiedliche Fahrzeug- und Plattformvarianten realisierbar werden.

Das Ziel (Zitat): "Es wird daher möglich sein, Funktionen und funktionale Netzwerke unterschiedlicher steuerungstechnischer Kommunikationsknoten (Control nodes) im System verfügbar zu machen und zwar nahezu unabhängig von der damit verbundenen Hardware".

Erst auf einer derart spezifizierten Basis lassen sich Bottom-up universell einsetzbare vernetzte Einzellösungen für die interne und externe Fahrzeugkommunikation entwickeln. AUTOSAR sind daher längst Zulieferer der Automobilindustrie, Chip-Hersteller und Softwareanbieter beigetreten.

Die Vernetzung des Automobils: Umfängliche Infrastruktur für umfassende Funktionsvielfalt

Die im Automobil mögliche und gewünschte Nutzung digitaler Dienste setzt eine lückenlos vernetzte Infrastruktur voraus. Dabei lassen sich mehrere Bereiche unterscheiden. Einer ist HMI (Human Machine Interface) und betrifft die direkte Kommunikation der Insassen mit dem Automobil, sei es durch Blick, Berührung oder Sprache. Sie erfolgt vorwiegend über das CSD (Center Stack Display).

Was heute noch IVI (In-Vehicle Infotainment) mit Navigations- und Medienzuspielung ist, wird z. B. durch fahrbezogene lokale Verkehrs- und Wetternachrichten sowie ähnlich relevante Informationen eine erhebliche Aufwertung erfahren. Die indirekte Kommunikation, bei der das Fahrzeug die Verbindung mit importierten mobilen Geräten ermöglicht, erfolgt drahtlos über Bluetooth. Hier ist ebenfalls mit erweiterten Angeboten zu rechnen, etwa bezüglich der individuellen Infotainment-Konfiguration des Fahrzeugs, die von wechselnden Insassen an ihrem Handy aufrufbar sein könnte.

Andere vernetzte Infrastrukturkomponenten dienen der Unterstützung des Fahrers durch ADAS (Advanced Driver Assistent Systems). Dabei geht es vornehmlich um Sicherheit und Komfort. Dafür müssen die Fahrzeuge u. a. über hochauflösende 3D-Karten, Radar, Kameras, Ultraschall und Lidar (Light detection and ranging) verfügen. Nur so ist die schnelle Objekterkennung möglich und es können - dank Vernetzung - entsprechende Reaktionen ausgelöst werden.

Auf Basis dieser Technologien wurden bereits einige Innovationen umgesetzt. So wurde etwa ein Road-Surface-Monitor entwickelt, der die Straßenoberfläche analysiert und Schlaglöcher oder Rüttelschwellen erkennt. Ein Driver-Drowsiness-Monitor hingegen richtet den Blick nach innen: Er beobachtet den Fahrer und schlägt Alarm, wenn dieser müde wird und in den Sekundenschlaf zu fallen droht. Das sind nur zwei Beispiele für Einzellösungen auf Basis der komplexen Plattform-Technologie, die das Fahren komfortabler und sicherer machen.

Jenseits der Kommunikation im Fahrzeug und zwischen den Fahrzeugen kommt der Vernetzung eine im wahrsten Sinne des Wortes weitreichende Bedeutung zu. Die Fahrzeughersteller müssen mittels On-Board-Diagnose Informationen über Zustand und Fahrverhalten ihrer Produkte erhalten, um sowohl Kundenerwartungen gerecht zu werden als auch Produktions- und Wartungskosten senken zu können, beispielsweise über BOM (Bill of Materials).

Außerdem ist die Unterstützung international vereinbarter Kommunikationsprotokolle durch V2X Software Stacks unerlässlich, um weltweit die effektive Organisation und Lenkung intelligenter Transportsysteme (ITS) zu ermöglichen. Ein Automobil kann schließlich überall unterwegs sein. Allein schon die hier angesprochenen Kommunikationsmöglichkeiten werden einen stark zunehmenden Datenverkehr generieren, der die Migration von konventionellen Bussystemen wie CAN hin zu High-Speed Ethernet unumgänglich erscheinen lässt.

Mit Vernetzung und KI: Was ist das Automobil?

Was ist das Automobil? Die Frage ist durchaus angebracht, wenn man sich vergegenwärtigt, was sich heute bereits im und um das vernetzte Automobil herumbewegt. Es ist geschaffen worden für physische Mobilität und wird auch in Zukunft dafür da sein. Dabei wird es mehr und mehr der Raum für Information, Unterhaltung und Arbeit und - ja, auch das - Wellness und Entspannung. Dieses epochale Großprojekt, so die Erwartung der Nutzer, darf sich gern auch mit lernenden, sich selbst smart automatisierenden Systemen optimieren. Und das bitte mit einer Vernetzung ohne Stop-and-Go und ohne Geschwindigkeitsbegrenzung.