Change-Management bei der Munich Re

Key-User als Botschafter des Wandels

26.10.2010 von Christoph Witte
Große IT-Projekte gelingen nur, wenn die Mitarbeiter auf die Veränderungen vorbereitet werden. Das nahm sich die Munich Re bei der Einführung einer zentralen IT-Geschäftsanwendung zu Herzen.

Wenn sich im Unternehmen etwas ändert, sind Mitarbeiter erst einmal skeptisch. Sie können Veränderungen kaum oder gar nicht beeinflussen, sie wissen nicht, was sie am Ende erwartet. Große Projekte kann die mangelnde Akzeptanz zum Scheitern bringen. Das wollte der Rückversicherer Munich Re vermeiden. Mit einem professionellen Change-Management begleitete er die Erneuerung seiner geschäftskritischen und weltweit genutzten Underwriting-Plattform sowie die Anpassung der Buchhaltung und Schadensverwaltung.

Change-Management-Team mit 25 Mitgliedern

Florian Föhr leitete das 25köpfige Change-Management-Team bei der Munich Re.
Foto: Münchener Rück/MunichRe

Das 25-köpfige Change-Management-Team unter Leitung von Florian Föhr sollte alle 1400 betroffenen Mitarbeiter einbinden, ihr Feedback in die IT-Projekte einbringen, sie von den Vorteilen der Plattform überzeugen und sie schulen. Zur Unterstützung holte sich das Unternehmen die Change-Spezialisten der Esprit Consulting AG in Haus. Das Change-Management-Team nahm acht Monate vor dem ursprünglich geplanten Rollout seine Arbeit auf. "Der Start lag für ein Projekt dieser Größenordnung relativ spät", sagt Föhr. "Deshalb waren wir nicht unglücklich, als die Plattform um einige Funktionen erweitert werden musste, und sich der Go-Live-Termin um sechs Monate auf Oktober 2009 verschob." So hatte das Team mehr Zeit, den Systemwechsel vorzubereiten.

Ein 25-köpfiges Change-Management-Team wird selbst in der Munich Re, dem weltweit größten Rückversicherer, nicht für jedes IT-Projekt gebildet. Aber die Erweiterung und Vereinheitlichung der Underwriting-Plattform ist für die Unternehmensgruppe mit ihren weltweit 47.000 Mitarbeitern, Beitragseinnahmen von 41 Milliarden Euro und einem Gewinn von zuletzt 2,56 Milliarden Euro von großer Bedeutung. In der Rückversicherungs-Sparte der Gruppe, in der 2009 mit 13.300 Mitarbeitern ein Prämienvolumen von 25 Milliarden Euro erzielt wurde, läuft ein Großteil des Geschäfts über die Underwriting-Plattform.

Underwriting ist das Kerngeschäft der Rückversicherer

Im Underwriting-Prozess bewertet der Rückversicherer, dessen Kunden keine Privatpersonen, sondern Versicherungsunternehmen sind, das von ihm abzusichernde Risiko systematisch, um eine sichere und profitable Risikobewertung vornehmen zu können. Bei dem vom Rückversicherer abzusichernden Risiko handelt es sich entweder um eine Vielzahl von kleinen - in einem so genannten Portfolio zusammengefassten - Risiken oder um einzelne Großrisiken wie eine industrielle Produktionsstätte. Am Beispiel KFZ-Versicherung wird deutlich, was gemeint ist: In die Risikobewertung fließen der Fahrzeugtyp, die Region, in der das Fahrzeug angemeldet ist, die bisherige Fahrpraxis und Schadenhistorie des Versicherten ein. Der Underwriting-Prozess hat zwei Ergebnisse: Auf der einen Seite resultieren aus der Bewertung des Risikos und seiner Häufigkeit im Portfolio die Kosten für den Rückversicherungsvertrag . Auf der anderen Seite stellt die Underwriting-Plattform sicher, dass die Regeln, nach denen Risiken bewertet und abgesichert werden, einheitlich sind und von jedem Underwriter eingehalten werden. Außerdem wird auf dieser Plattform das Geschäft erfasst und dokumentiert. Beides zusammen- Risikobewertung und Regeln - führt zur profitablen Risikobewertung und -verteilung. Nach Abschluss des Geschäfts müssen die Rückversicherungsverträge natürlich verwaltet werden. Das geschieht in den Accounting und Claims-Prozessen. Vereinfacht gesagt, ist das Underwriting der Kernprozess des Rückversicherungsgeschäfts.

Eine neue Plattform ersetzt 30 IT-Systeme

Die neue Underwriting-Plattform ist für das Unternehmen eine zentrale Anwendung: Sie sollte über 30 IT-Systeme an weltweiten Standorten und in verschiedenen Geschäftsbereichen ersetzen sowie über eine Schnittstelle mit dem neuen Accounting- und Claims-System verbunden werden. Mit dem neuen Gesamtsystem strebte man mehrere Verbesserungen an:

Die Aufgabe wurde in drei große IT-Projekte unterteilt: die Eigenentwicklung einer Underwriting-Plattform auf Basis von Microsofts .Net-Framework, die Adaption und Einführung des Moduls Riskmanager Non life aus der SAP-Lösung für Rückversicherer (Financial Services Reinsurance, FS-RI) sowie die Entwicklung eines Interfaces, das den Datenaustausch zwischen den beiden Systemen sicherstellt.

Die Komplexität des Unterfangens wird auch an den zwei Anläufen deutlich, die nötig waren, um das Projekt erfolgreich abzuschließen. Ursprünglich hatten die Planer vorgesehen, alle Funktionen - die Erfassung der Vertrags- und Risikodaten, Accounting und Claims - in SAP abzubilden. Dieses Vorhaben scheiterte, und man setzte das Underwriting-Projekt im April 2007 in der beschriebenen neuen Konstellation neu auf.

Vier Phasen der Veränderung

Das war ein mutiger Schritt, von dem die Verantwortlichen aber wussten, dass er unbedingt zum Ziel führen musste. Deshalb wollten sie dafür sorgen, dass nicht nur die Technik erfolgreich entwickelt und implementiert werden konnte, sondern dass auch die betroffenen Mitarbeiter das neue System akzeptierten und schnell damit umgehen lernten. Ergo war ein Change-Management die beste Versicherung gegen ein Scheitern an dieser Front.

Das Change-Projekt war in vier Phasen unterteilt:

  1. Veränderungsanalyse: Identifikation der Zielgruppe und ihrer Erwartungen. Die Veränderung der Prozesse und die Auswirkungen wurden untersucht, die Ziele des Change-Projektes definiert.

  2. Maßnahmenplanung: Kommunikationsstrategie, Definition und Planung des Supports sowie die Organisation des Change-Projektes.

  3. Umsetzung und Kontrolle: Umsetzung der Maßnahmen, Steuerung des Change-Projektes, Unterstützung durch Sponsoren, Botschafter und Key-User.

  4. Abschluss: Lessons-Learned-Workshops nach dem Go-Live, Summary für das Management, Übergabe der neuen Prozesse und Verantwortungen an die Linienorganisation.

Dorothea Wack, Esprit Consulting: "Wir haben die Betroffenen zu Beteiligten gemacht."
Foto: Münchener Rück/MunichRe

"Um die Mitarbeitenden dabei zu unterstützen, die neuen Systeme anzunehmen und anzuwenden, haben wir sie von Betroffenen zu Beteiligten gemacht", sagt Dorothea Wack, die das Change-Projekt auf Esprit-Seite federführend begleitete. Dazu war es notwendig, Macht- und Fachpromotoren zu identifizieren und zu gewinnen, die das IT-Projekt unterstützen. Eine davon war Heike Trilovszky, die den Zentralbereich des Corporate Underwriting der Munich Re leitet. In den Augen von Föhr, Leiter des Change-Management-Teams, ist es entscheidend, dass der Hauptsponsor auf der Geschäftsseite inhaltlich kompetent ist. Er muss nicht aus dem Top-Management kommen.

Losgetreten wurde die Kommunikationskaskade mit Informationsveranstaltungen für die oberste Führungsebene des Rückversicherers. Darauf wurden die Bereichsleitungen unterrichtet, die sich auch in erster Linie für das "big Picture" interessierten. Nach einer Veranstaltung für alle Betroffenen erklärte das Change-Management-Team den direkten Vorgesetzten der beteiligten Abteilungen, wie es vorgehen wollte und welche Rolle die Key-User spielen sollten.

Key-User als Rückgrat der Veränderung

Die Key-User in den Fachabteilungen stellten sich schnell als Rückgrat der Veränderung heraus: Das Change-Team informierte sie als Erste über Erfolge und Schwierigkeiten im Projekt. Sie sammelten das Feedback ihrer Kollegen ein und formulierten, wenn nötig, formelle Change-Requests. Sie fungierten als Barometer für die Stimmung in den betroffenen Abteilungen. Sie wurden als Erste geschult, um Feedback für die Gestaltung der Trainings der restlichen User geben zu können. "Unser Ziel war es, pro zehn Betroffene einen Key-User zu bekommen", berichtet Wack, die die Methode für den Change-Prozess bei der Munich Re entwickelt hat und mit einem Team von vier Esprit-Beratern das Change-Projekt über die gesamte Laufzeit von 21 Monaten begleitet hat. Dieses Verhältnis konnte nicht überall eingehalten werden, "Aber wir haben die richtigen Leute bekommen", freut sich Projektleiter Föhr. "Persönlichkeiten, die auch in schwierigen Situationen Rückgrat zeigen, sich mit den bestehenden Systemen sehr gut auskennen, von ihren Kollegen akzeptiert und offen für Neues sind."

Die Key-User, über die die ganze Kommunikation lief, bündelten die Feedbacks der Endbenutzer, was Föhrs Team die Arbeit erheblich erleichterte. Dadurch wurden auch die IT-Teams nicht mit redundanten Change-Requests überhäuft. Als Nebeneffekt dieser indirekten Kommunikation "konnten wir mit schwierigen Situationen auch rationaler umgehen, als wenn wir uns direkt mit den Betroffenen hätten auseinander setzen müssen", sagt Föhr. Die Key-User waren teilweise von ihren normalen Aufgaben freigestellt. Das wäre wahrscheinlich auch gar nicht anders möglich gewesen. "Die Aufgaben, die ein Key User vor einem Go Live zu bearbeiten hat, dürfen nicht unterschätzt oder heruntergespielt werden. Denn diese tragen maßgeblich zum Erfolg eines Projektes bei.", berichtet Wack.

Noch heute, vier Monate nach dem Rollout finden alle vier Wochen Key-User-Meetings statt, damit die Helfer in den Fachabteilungen auch weiter ihre Kollegen unterstützen können. Das entlastet den User-Support und hilft, die Plattform zu verbessern. "Die Key-User haben uns extrem geholfen, die Anlaufschwierigkeiten der Endanwender deutlich zu verringern. Die Anwender orientierten sich schneller und waren vom Start weg besser für den Umgang mit dem System und den Prozessen qualifiziert. Kurz, die Key-User haben die Performance-Kurve der Anwender nach Einführung des Systems viel steiler ansteigen lassen, als das ohne sie der Fall gewesen wäre", fasst Föhr zusammen.

Mix aus persönlicher Information und Online-Hilfe

Neben den vielen Informationsveranstaltungen - allein Föhr leitete über 70 Meetings - basierte die Kommunikation sehr stark auf Online-Komponenten wie einer eigenen Projekt-Page, E-Mails und virtuellen Web-Meetings - vor allem mit den Auslandsniederlassungen. In einer Online-Dokumentation und -Hilfe finden Mitarbeiter im Zweifelsfall Anwendungsbeispiele und genaue Anleitungen. Für die richtige Mischung aus persönlicher Information und Online-Hilfe gibt es laut Wack kein Patentrezept: "Das hängt sehr stark von den Zielen des Change-Management-Projekts, der Unternehmenskultur und den Bedürfnissen der Mitarbeiter ab. Um für die Munich Re die richtigen Elemente zu finden, hat uns am Anfang des Projekts die Veränderungsanalyse sehr geholfen."

Erfolgsfaktor Anwenderschulungen

Ein wichtiger Erfolgsfaktor waren schließlich die Trainings der Endanwender, in die etwa 50 Prozent des Projektbudgets flossen. "Trainings zu organisieren für 1400 Mitarbeiter an 20 internationalen Standorten ist alles andere als trivial", berichtet Föhr. "Mitunter hatten wir Schwierigkeiten, ausreichend viele Trainer zu den vorgesehenen Zeiten zu bekommen. An der Infrastruktur haperte es gerade bei einigen ausländischen Standorten auch schon mal. Die größte Herausforderung war dabei, dass wir die meisten Mitarbeitenden binnen acht Wochen vor dem Go live schulen mussten." Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Zu lange vor dem Go live sind die Systeme noch nicht in allen Facetten startklar, und die Anwender vergessen relativ viele Informationen, wenn sie sie längere Zeit nicht anwenden können. "Aber auch das konnten wir vor allem wegen unserer hervorragenden Trainer und der Flexibilität der Mitarbeiter letztlich bewältigen", sagt Föhr mit verhaltenem Stolz.

"Für mich persönlich waren Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber allen Beteiligten das Wichtigste. Das schafft Glaubwürdigkeit, ohne die kein Change-Projekt gelingen kann". Diesen Satz würde Föhr wahrscheinlich gern anderen Change-Managern ins Stammbuch schreiben - wohl, weil es seine persönlichste Erfahrung war.

Der gelungene Change

Tipps von Projektleiter Florian Föhr

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