ABB AG erkennt und bearbeitet Dokumente automatisch

Keine Rechnung bleibt liegen

14.09.2001
Mehr als 4000 Belege laufen bei ABB AG Deutschland täglich auf. Grund genug, um die Eingangsbearbeitung mit einer leistungsfähigen "Invoice Verification Software" zu unterstützen. von Rosmarie Rittmann*

"Viel interner Beratungsaufwand, wenig Hardware und viel Engagement des Partners", auf diese Formel bringt Christian Fangmann das ehrgeizige Projekt, mit dessen Hilfe die Eingangsrechnungen aller deutschen ABB-Niederlassungen in der Kommunikations- und Informations-Services GmbH (Teil des Group Services Center Germany) zentral und automatisiert bearbeitet werden. Der Product Manager of Invoice Verification Solution der ABB in Mannheim, zeichnet für das Projekt verantwortlich und sorgt nach dem erfolgreichen Rollout in Deutschland dafür, dass die Lösung weltweit zum Einsatz kommt. Die "Invoice Verification Solution" (IVS), wie das Produkt konzernintern heißt, soll künftig weltweit in SAP-Systemen des ABB-Konzerns implementiert werden.

Mit großem Einsatz hat die ABB Kommunikations- und Informations-Services GmbH Dekis im Startprojekt in Deutschland den innovativen Rechnungseingang komplett durchorganisiert und realisiert. Jetzt läuft das IVS auf Basis des Standardprodukts "Forms Rec Aida for Invoices" von der Kleindienst-Datentechnik-Tochter ICR Software & Systeme seit einem knappen halben Jahr im operativen Betrieb.

Das Projektziel formuliert Fangmann so: "Rechnungen sollen sich künftig zentral und automatisch bearbeiten lassen. Wichtig ist dabei, dass die Standorte und Gesellschaften über Workflow oder Lotus Notes

70 Prozent automatisch

in den Rechnungsführungsprozess eingebunden sind und in den Prüfungsprozess eingreifen können." Die Vorteile sind Kosten- und Zeitersparnisse, denn das System erkennt 70 Prozent aller Belegdaten automatisch und verkürzt somit die Bearbeitungszeit von früher vier bis fünf Minuten pro Rechnung auf jetzt durchschnittlich 90 Sekunden. Die setzen sich wie folgt zusammen: zehn Sekunden scannen, 50 Sekunden nachbearbeiten und korrigieren und 30 Sekunden buchen und weiterleiten in SAP.

Dabei ginge es sogar noch schneller, hätte sich ABB nicht vorgenommen, alle bearbeiteten Rechnungen hundertprozentig prüfen zu wollen: "Wir checken alle Belege, auch die Rechnungen, welche die Software als durchgehend richtig erkannt wertet. Das ist unser Qualitätsanspruch." Neben kürzeren Prozessen und finanziellen Einsparungen nennt Fangmann deutlich mehr Transparenz in den Abläufen als weiteren Vorteil: "Wir wissen nun jederzeit, in welchem Status welche Rechnung ist. Durch den Workflow sind wir in der Lage, jedes Skonto zu nutzen, weil beispielsweise durch die Vertreterregelung keine Rechnung wegen Urlaubs des Bearbeiters auf dessen Schreibtisch liegen bleibt", erklärt Fangmann.

Der Prozess der automatischen Rechnungserkennung selbst läuft in mehreren Teilschritten ab. Nach dem Scannen, Erkennen (Kopf- und Positionsdaten), Analysieren und Klassifizieren nach buchhalterisch gängigen Entscheidungs- und Ordnungskriterien werden die Daten an den SAP-Workflow übergeben. Daraus werden sie im Archiv (Ixos) abgelegt und im SAP-System gebucht.

Derzeit verarbeitet das Mannheimer System zirka 1000 Rechnungen pro Tag, in der endgültigen Ausbaustufe für Deutschland - laut Plan erstes Quartal 2002 - sollen es mindestens 4000 sein. Das ist dann der gesamte Rechnungseingang der deutschen k

ABB AG, nicht aber eine technische Grenze. Die liegt deutlich höher: "Durchsatzzahlen von 20 000 verarbeiteten Belegen und mehr pro Tag sind möglich.", so Fangmann.

Was früher aufwändig, personal- und kostenintensiv war, läuft jetzt zentral und weitgehend automatisiert ab. Entsprechend hoch ist deshalb das Einsparungspotenzial pro Rechnungsbuchung - bei etwa 1,2 Millionen Rechnungen pro Jahr ein durchschlagendes Argument und eine gute Empfehlung für alle ABB-Standorte und -Gesellschaften. Nicht nur der Durchsatz, sondern auch die Qualität der Bearbeitung hat sich entscheidend verbessert. Dank vollautomatischer Erfassung und automatisierter Prüfung der eingehenden Rechnungen gehören Probleme wie Sortierfehler in der Poststelle, Erfassen durch qualifizierte Rechnungsprüfer, fehlerhaftes Erfassen oder fehlende Rechnungspositionen ebenso der Vergangenheit an wie die visuelle Prüfung der Einzelpositionen und die Rechnungsfreigabe, etwa wenn erst mit Fachabteilungen Rücksprache gehalten werden muss.

Die Hardwareinvestitionen spielen im Projekt eine eher untergeordnete Rolle. Seitens der Sachbearbeiter läuft die Anwendung auf den Standard-Arbeitsplatz-PCs von ABB, (Mindestanforderungen Pentium-Prozessor mit 500 MHz, 128 MB Arbeitsspeicher). Zusätzliche, über die normale Ausstattung hinausreichende Hardwarekäufe seien nicht nötig, wie Projektleiter Fangmann betont. Die Lösung fügt sich nahtlos in die vorhandene Ixos- und SAP-Umgebung ein. Offene, standardisierte Schnittstellen leiten die Daten an beliebige Archiv- und Dokumenten-Management-Systeme weiter.

Drei zu eins

Aufgrund des erhöhten Datenvolumens erhöhte man die Server-Kapazität, aber auch hier blieben die nötigen Investitionen niedrig. Jetzt stehen drei Server - davon zwei Erkennungs- und ein Fuzzy-Logic-Server - für die Dokumentenanalyse- und -abgleicharbeiten in der Abteilung. Ein Scanner widmet sich aus Sicherheitsgründen nur dem Backup-Geschäft. Die derzeit nötigen Archivsysteme waren bereits angeschafft, müssen aber mit der Datenmenge mitwachsen. Als Faustregel gilt hier ein Archivsystem für drei SAP-Systeme.

Das Herzstück des IVS läuft in den Erkennungsservern, die so genannte "Invoice Verification Solution". Index- und buchungsrelevante Informationen, ganz gleich ob sie auf Papier, Fax oder künftig vielleicht als Mail eingehen, lassen sich durch die Software zur Zeichenerkennung und Dokumentenanalyse extrahieren und prüfen. Dabei erkennt Forms Rec Aida for Invoices selbständig den Lieferanten, prüft die Adressen des Rechnungsstellers, die Rechnungsanschrift und Lieferadresse, kontrolliert die Beträge sowie die Zahlungskonditionen, ergänzt fehlende Daten wie etwa Mehrwertsteuersummen, bildet Kontrollsummen und übernimmt sowohl komplexe Plausibilitätskontrollen als auch Datenbankabgleiche.

Das Programm erfasst die Kopfdaten, also die Rechnungs-, Lieferschein- und Bestellnummern und das Rechnungsdatum, erkennt Tabellen mit Einzelpositionen - unterstützt durch fehlertoleranten Datenabgleich mit Bestelldaten oder Artikellisten - und verarbeitet auch mehrseitige Rechnungen. Schließlich lassen sich die Daten in jedem beliebigen Datenformat weitergeben. Ein in der Software integrierter Selbstlernmechanismus hilft dabei, dass sich die automatische Identifizierung von Belegen ständig verbessert. Das Tool erkennt die unterschiedlichsten Rechnungsformulare, Schreibweisen für Datum und Adressen, unterschiedliche Währungen und Steuersätze sowie Zahlungsbedingungen. Derzeit liegt die Felderkennungsrate bei über 70 Prozent, die der Belege bei 50 Prozent. Das entlastet die Sachbearbeiter in der Rechnungsprüfung von eintönigen Eingabearbeiten. Für etwaige Nacharbeiten steht eine Korrekturoberfläche zur Verfügung.

Wer soll was bezahlen?

Konzernintern mussten für die neue Rechnungsbearbeitung einige Vorbereitungen getroffen werden. So galt es, den Rechnungseingang aller ABB-Gesellschaften und 35 Rechnungsstellen einheitlich und zentral nach Mannheim ins Group Services Center Germany zu verlegen. Die für den Datenabgleich beim Bearbeiten der Rechnungen nötigen Referenzdaten lassen sich von den SAP-Systemen der beteiligten Gesellschaften auf die Mannheimer Systeme herunterladen.

Problematisch an der Zentralisierung war, dass das System die jeweiligen Rechnungsempfänger automatisch identifizieren muss, um Belege korrekt bearbeiten und zuordnen zu können. Schließlich muss klar sein, welche Kostenstelle die Rechnung zu bezahlen hat. Möglich macht das eine vorgeschaltete Filterfunktion: "Erst wenn der Rechnungsempfänger feststeht, ist aus der Liste aller 35 000 Lieferanten der zuständige Kreditorenstamm zu ermitteln. Da wir empfängerabhängig arbeiten, können wir erst dann die offenen Bestellpositionen identifizieren", erläutert Fangmann .

Noch schwieriger ist es für das System, bei ABB-internen Rechnungen zu erkennen, wer ist Rechnungsempfänger, wer Lieferant? Der Trick: Bei ABB-Rechnungen läuft die Kreditoren-Ermittlung über den Rechnungsfuß. Mit Erfolg: "Wir haben heute eine Rechnungsempfänger-Identifizierung von fast 99 Prozent, bei den Kreditoren liegt die Rate bei zirka 85 Prozent", sagt Fangmann.

Seine Erwartungen an die Systemlösung haben sich erfüllt, die Durchlaufzeiten pro Rechnung sind reduziert, die Bearbeitungszeit für den einzelnen Sachbearbeiter liegt bei durchschnittlich 50 Sekunden pro Rechnung. Diese Geschwindigkeit ist dank einer ausgeklügelten Führung im System möglich. Jede Rechnung poppt automatisch zur Prüfung auf dem Bildschirm des zuständigen Sachbearbeiters auf, der Bearbeiter muss durchschnittlich dreimal die Return-Taste drücken. Eigens entwickelte Formulare mit vier Knöpfen ("ok, zahlen", "ok, nicht zahlen", "nicht ok" und "nicht ich") vereinfachen den Ablauf weiter. Die Bearbeitungskosten pro Rechnung liegen nun auch inklusive aller Investitionen unter dem vorher nötigen Aufwand.

* Rosmarie Rittmann ist freie Journalistin in Sindelfingen.

Erkennungsdienst

Das Beste aus zwei Welten - darauf basiert die hohe Erkennungsfähigkeit des ICR-Rechnungslesers: Der regelbasierte Ansatz sorgt dafür, dass auf den Rechnungen nach vorgegebenen Kriterien die gewünschten Informationen gesucht werden. Das erspart die konkrete Formulardefinition für jede Rechnung jedes Lieferanten einerseits und das System muss andererseits auch nicht mühsam vorab alle Rechnungen jedes Lieferanten "lernen" - wie bei neuronalen Systemen üblich. Verbleibende Schwachstellen wie fehlende Schlüsselwörter, die trotz der geschickten Kombination verschiedener Ansätze bleiben, eliminiert die ICR-Lösung durch gezieltes und automatisches Lernen via Knowledge Base. Zudem stellt die Klassifikation nach Lieferanten sicher, dass die gesamte Verarbeitung gezielt nachvollziehbar ist, was im Rechnungswesen eine äußerst willkommene Eigenschaft ist. Das regelbasierte System funktioniert unabhängig vom Layout der betreffenden Rechnungen, die verwendeten Regeln sind nachvollziehbar und lassen sich zudem erweitern.

Der Lösungsansatz verfährt in sieben Schritten: Nach dem Scannen (1) importiert (2) der Rechnungsleser die Belege und erkennt sie via OCR (3). Dann erfolgt die Klassifizierung (4) der Rechnungen, das heißt, der Lieferant wird erkannt, indem die Rechnungen analysiert und die Daten entnommen werden. Zudem findet ein unscharfer Datenbankabgleich der gefundenen Informationen (wie Namen, Adresse, oder auch Umsatzsteuer-ID, Post-, E-Mail, Internet-Adresse, Fax- oder Telefonnummer) mit den Lieferanten-Stammdaten statt. Dann geschieht die Extraktion der notwendigen Informationen zur Rechnungsbearbeitung - wenn bereits Wissen über das Rechnungslayout des Lieferanten vorhanden ist, anhand der Knowledge Base, ansonsten mit Hilfe der Regeln (5). Anschließend kommt es gegebenenfalls zur Ergänzung beziehungsweise Korrektur durch den Sachbearbeiter (6) und schließlich, wenn alles richtig erkannt und zugeordnet wurde, der Informationsexport (7).

Parallel dazu läuft die automatische Ergebnisanalyse. Hat eine manuelle Korrektur stattgefunden, werden die Eingaben oder Ergänzungen überprüft: Welches Feld wurde verändert, wo wurde ein anderer Wert eingetragen? Wo steht der richtige/korrigierte Wert auf der Rechnung? Ist diese Korrektur mehrfach ausgeführt worden? Diese Informationen speichert die Knowlegde Base und veranlasst, dass bei diesem Lieferanten künftig dort gelesen wird, wo der gesuchte Betrag steht.

Das System erkennt Abweichungen von der "Norm" , weil es die manuell durchgeführten Korrekturen analysiert und in neuer Form beim nächsten Mal nutzt. Und das ganz selbständig aufgrund des beobachteten Korrekturverhaltens der Anwender. Durch den Einsatz der Knowledge Base kann zudem auch gezielt "vergessen werden", zum Beispiel wenn Lieferanten ihre Rechnungen komplett neu gestalten.

Portrait

Im Zuge der weltweiten Neuorganisation der gesamten ABB-Gruppe strukturiert auch der deutsche ABB-Konzern um. Die drei neuen Kundenbereiche Prozessindustrien, Fertigungs- und Konsumgüterindustrien sowie Versorgungsunternehmen sorgen dafür, dass Kunden künftig mit Produkten, Systemen und Dienstleistungen von einem einzigen Bereich und quasi aus einer Hand bedient werden. Zudem decken die Bereiche Stromtechnologieprodukte und Automatisierungstechnik die ABB-internen Produktbedürfnisse ab.

Das Engagement in den Geschäftsfeldern Automatisierungs- und Fertigungstechnik, Sensoren und Kommunikationstechnik, Starkstromtechnik und Leistungselektronik, Hightech-Lösungen für die Tiefsee-Exploration von Öl und Gas sowie Petrochemie, Mechanik und Engineering-Systeme und Software-Engineering zeigt die Bandbreite des Elektro-Konzerns, die ihm auch in Zeiten der Energiemarkt-Liberalisierung und schwacher Baukonjunktur gut gefüllte Auftragsbücher beschert. Im vergangenen Jahr ist der Auftragseingang bei der ABB Mannheim um zwei Prozent auf 3,4 Milliarden Euro gewachsen, die Bestellungen aus dem Ausland erhöhten sich um 20 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro.

Die Tochter ABB Kommunikations- und Informations-Services GmbH Dekis ist der direkte Kunde von ICR Software & Systeme. Dekis standardisiert und betreibt die informationstechnische Infrastruktur der ABB Deutschland als Service-Dienstleisters für die ABB-Gesellschaften und unterstützt sie außerdem bei SAP-Anwendungen, EDV-Engineering, Data-Mining-Aktivitäten und E-Commerce-Dienstleistungen.