Keine Angst vor Krisen

15.01.2002 von Gabi Baltes
Wirtschaft impliziert einen permanenten Wandel. Von Unternehmen und Mitarbeitern wird daher ein hohes Maß an Flexibilität und Veränderungsbereitschaft eingefordert. Die daraus resultierenden Konflikte lassen sich für beide Seiten positiv nutzen.

Ob sich nun alles ändern muss, damit alles so bleiben kann wie es ist oder ob etwas so und nicht anders gemacht werden sollte, weil das immer schon so gemacht wurde – Wandel, Veränderung und Entwicklung stoßen selten vorbehaltlos auf offene Ohren. Gerade für das Management eines Unternehmens stellt sich jedoch die Frage, welches Mischungsverhältnis von Evolution und Revolution das Richtige ist, um eine Organisation zu bewegen. Denn auch wenn sich aus der Sicht der Mitarbeiter tausend Gründe gegen Veränderungen hervorbringen lassen – aus der Sicht des Unternehmens kann es keinen einzigen geben. Wer sich im Management täglich mit dem Thema Veränderung auseinandersetzt, weiß um dessen Notwendigkeit und Dringlichkeit.

Ob nun bei den Geschäftsprozessen, der Positionierung des Unternehmens oder dem Personal-Management – eines haben alle Veränderungsprozesse gemeinsam: Wandel ist mühsam und wird nur von einem Teil der Mitarbeiter verstanden und unterstützt. Die emotionale Ambivalenz von Chancen und Risiken lässt den Schluß zu, dass rein instrumentell oder betriebswirtschaftlich initiierte Veränderungen kaum zufrieden stellende Ergebnisse bringen.

Erkennen, wann Veränderungen notwendig sind

In ihrem „Unternehmerforum“ hat die Evolog Beratungsgesellschaft in diesem Jahr deshalb die Frage nach der „Psychologie der Veränderung“ gestellt. Der Kölner Spezialist für Change Management versammelt im „Unternehmerforum“ regelmäßig Manager und interdisziplinäre Fachleute zu Führungsthemen, zuletzt im September diesen Jahres. Nicht immer erkennen Betriebe, wann Veränderungen notwendig sind. Der direkte Weg das herauszufinden besteht darin, die Entwicklung von Markt und Unternehmen zu analysieren und zu vergleichen, an welchen Stellen die Firma von seiner „Ideallinie“ abweicht.

Evolog bezeichnet das als die „kritische Entfernung eines Unternehmens zum Markt“, messbar in den Segmenten Instrumente, Strukturen, Prozesse, Verhalten, Einstellung und Leistung. Vereinfacht gesagt geht es darum zu erkennen, wann ein Unternehmen wo Veränderungen initiieren muss, akut oder auch vorausschauend. Eine signifikante Entfernung zum Markt kann sich in den verschiedensten Problemen materialisieren: verzögerte Entwicklung von Produkten, hohe Fluktuation, niedrigerer Umsatz, sinkende Kundenzufriedenheit und anderes mehr.

Verhaltensweisen ändern sich nur langsam

Meist verfügen Unternehmen auch nicht über die Sensoren, um ein Problem als „hausgemacht“ zu identifizieren und glauben, nur einer allgemein schwierigen Marktsituation gegenüber zu stehen. Jeder Monat, jedes Quartal aber, das das Unternehmen mit diesem Irrtum lebt, fehlt später beim Gegensteuern. Ein Abteilungsformular ist schnell geändert. Die Prozesse oder die Verhaltensweisen zu verändern, die mit diesem Formular einhergehen, kann hingegen lange dauern.

Veränderung muss deshalb auch bei der „Geschwindigkeit“ der Menschen ansetzen – Menschen sind eben Menschen, keine Formulare. Veränderungen müssen dementsprechend nachvollziehbar sein. Zum anderen scheint es immer viel zu viel zu geben, was geändert werden soll. So kommentierte ein Vorstand auf dem Unternehmerforum leicht resigniert: „Bei der Schlagzahl der Veränderungen – wie sollen wir das denn alles machen?“

Richtig, wie soll man das alles schaffen? Ganz einfach: Indem man nicht alles macht. Statt permanent neue „Baustellen“ aufzumachen, deren Aufwand die Mitarbeiter auf Dauer nur ermüdet, ohne dass die Dinge vernünftig zu Ende gebracht werden, sollten Unternehmen sich auf die wesentlichen Veränderungsprozesse konzentrieren. Auch wenn es drängt, Veränderungen brauchen Zeit. Nicht unendlich viel, sondern einen definierten Zeitraum mit verbindlichen Zielen.

Werte und Interessen müssen neu ausgehandelt werden

So reicht es beispielsweise nicht aus, nur eine neue Vertriebsstrategie zu definieren – man muss auch vorbereiten, wie und in welchen Schritten Veränderungen für das Unternehmen insgesamt und den Außendienst im Besonderen verwirklicht werden sollen. Gerade bei Veränderungsprozessen können die Interessen des einzelnen Mitarbeiters und die des Unternehmens deutlich voneinander abweichen.

Deshalb müssen beide Seiten gemeinsam ein stabiles Bewusstsein dafür entwickeln, warum man etwas tut, was der Sinn der ganzen Sache ist. Sinnstiftung ist sowohl für das gesamte Unternehmen als auch für die einzelnen Veränderungsprozesse äußerst wichtig. Das Aushandeln von Interessen und Werten zwischen Mitarbeiter und Unternehmen zählt deshalb mit zu den wichtigsten Führungsaufgaben. Hier entscheidet sich, ob die Beschäftigten Veränderungen unterstützen oder blockieren. Hier werden die Weichen gestellt, ob Veränderung möglich ist: durch das Herstellen von Integration, Orientierung und Motivation bei allen Beteiligten. Integration, indem Management und Mitarbeiter die verschiedenen Interessen abgleichen und die größtmöglichen Schnittmengen suchen.

Es muss deutlich werden, welche Ziele gemeinsam zu realisieren sind. Orientierung verlangt vom Management das Informieren darüber, worin die Strategie des Unternehmens besteht und gezielt zu kommunizieren, welchen Beitrag jeder Einzelne zum Erfolg leisten kann. Auch hier muss erkennbar sein, welchen Sinn die Arbeit, die Veränderung hat. Motivation schließlich resultiert aus dem individuellen Spannungsverhältnis von Fordern und Fördern. Wer gefordert wird, muss auch realistische Mittel erhalten, um diese Forderungen erfüllen zu können. Zum anderen hilft gezieltes Fordern bei der Weiterentwicklung und Motivation der Mitarbeiter. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Veränderungsprozesse, dem Wesen nach Lösungen eines akuten Problems oder vorausschauende Entwicklungen, im Unternehmen selbst erarbeitet worden sind.

Veränderungen müssen "gelebt" nicht "verordnet" werden

Externe Spezialisten können das Ergebnis vorbereiten und unterstützen – die Lösung muss jedoch originär im Unternehmen selbst entstehen. Die Kreativität und Kompetenz des Unternehmens und seiner Mitarbeiter ist gefragt, andernfalls bleiben Veränderungen immer „verordnet“ und werden nicht „gelebt“. Die Projektgruppen verlangen also eine der Aufgabe entsprechende fachliche Tiefe, damit die Kompetenz eines Unternehmens mit seiner strategischen Kompetenz übereinstimmt.

Eine klare Kommunikation schließlich und Verbindlichkeit in der Sache – sagen was man tut und tun was man sagt – sichert zusätzlich die interne Akzeptanz von Veränderungsprozessen. Ein kleiner aber wirkungsvoller Hinweis dazu: Nichts kommunizieren solange es nicht fertig ist. Ein Vorstand auf dem „Unternehmerforum“ dazu: „Solange ich im Unternehmen bin, gibt es Gerüchte. Deshalb sollte man den Zug auch nicht aus der Halle fahren lassen, bevor er nicht fertig ist.“

Veränderungsprozesse lösen immer Verunsicherung und das Gefühl von Instabilität aus. Die Dinge nicht zu ändern, Probleme nicht zu lösen und scheinbar sicheren, letztlich jedoch instabilen Statik den Vorzug zu geben kann kein Handlungsimpuls sein. Da Veränderungen grundsätzlich das gesamte Unternehmen betreffen, wird klar, warum der Wandel so schwierig ist: Immer gibt es eine gewisse Schwerkraft, die sich der Bewegung entgegenstellt. Aber: Unternehmen, die eine wirklich belastbare Statik anstreben, kommen um Erschütterungen und statische Verwerfungen nicht herum. Das lässt sich als Stabilitätsparadox bezeichnen. Um Stabilität zu gewinnen, muss ich sie erst einmal in Maßen aufgeben.

Aber Nichtstun wäre fataler als ein kalkulierbares Risiko einzugehen. Veränderungsprojekte brauchen daher Stabilität, also klare Ziele, verbindliche Strukturen und eine gemeinsame Sprache. Nur dann kann die vorübergehende Instabilität der neuen Sicherheit dienen.