Reaktionen auf das EuGH-Urteil

"Kauf und Verkauf gebrauchter Software sind legal. Punkt!"

13.07.2012 von Christoph Witte
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), das die Legalität des Verkaufs gebrauchter Softwarelizenzen grundsätzlich bestätigt hat, fühlt sich Peter Schneider, Gründer und Geschäftsführer des Lizenzhändlers Usedsoft, in seinem Geschäftsmodell bestätigt. Mit der COMPUTERWOCHE sprach er über den steinigen Weg durch die juristischen Instanzen.

CW: Es scheint, Sie hätten den Kampf Ihres Lebens gewonnen. Jetzt, da Ihr Geschäftsmodell höchstrichterlich legalisiert ist, müsste der Wert Ihres Unternehmens doch sprunghaft in die Höhe schießen. Da kann man doch verkaufen und sich zur Ruhe setzen. Tuns Sie´s?

Peter Schneider, Gründer und Geschäftsführer des Lizenzhändlers UsedSoft.
Foto: Usedsoft

Schneider: Jetzt bin ich erst mal froh, dass der EuGH so eindeutig entschieden hat. Damit ist auf europäischer Ebene klar, dass der Erschöpfungsgrundsatz auch bei Online-Softwareverkäufen gilt. Das heißt, der Käufer einer Software kann sie frei weiter verkaufen. Damit besteht für unsere Kunden keine Rechtsunsicherheit mehr. Kauf und Verkauf gebrauchter Software sind legal. Punkt! Diese neue Klarheit, merken wir schon jetzt, wenige Tage nach dem Entscheid des EuGH, am deutlich gestiegenen Interesse von Kunden, auch wieder von großen Unternehmen. Was das Verkaufen angeht: Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Doch sollte mir jemand ein gut unterlegtes Angebot machen, dann schau ich mir das auf jeden Fall genau an.

CW: Hat Sie das Urteil überrascht?

Schneider: Nein. Die schwachen Argumente der Gegenseite und die Auffassung des Generalanwaltes, der bereits im April geäußert hatte, dass der Handel mit gebrauchter Software auch dann legal sei, wenn es sich um Downloads handelt, haben mich sehr optimistisch gestimmt. Außerdem waren die Richter extrem kompetent.

CW: Bei dem Urteil müssen Sie die Richter ja kompetent finden.

Schneider: Ernsthaft. Ich war bei der Anhörung dabei und war wirklich sehr beeindruckt. Oracle hat viele Gegner des Handels mit gebrauchter Software aus verschiedenen europäischen Ländern als Zeugen auftreten lassen. Die haben praktisch alle das Hohe Lied des Urheberrechts gesungen und den Untergang des Abendlandes beschworen, wenn der Handel mit gebrauchter Software legalisiert würde. Dabei sehe ich das Urheberrecht durch den Erschöpfungsgrundsatz absolut nicht in Mitleidenschaft gezogen. Ich selbst bin ein Verfechter des Urheberrechts.

Ohne dieses Recht wäre auch unser Geschäft nicht möglich. Auf jeden Fall haben sich die Richter überhaupt nicht von diesem Aufgebot beeindrucken lassen, sondern sie haben Oracle kritische Fragen gestellt: zum Beispiel, ob sie unternehmensintern zwischen Kunden unterscheiden, die Software herunterladen und solchen, die die Software auf DVDs kaufen. Als Oracle das nach mehrmaligen Nachfragen verneinen musste und der Vorsitzende Richter von einer "irreführenden Argumentation" seitens Oracle sprach, wurde mir sehr deutlich, dass sich die Richter nicht von der Größe und dem Auftreten des Multis beeinflussen lassen würden.

CW: Sie haben ja gerade vor deutschen Gerichten sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. An welche Urteile erinnern sie sich besonders gerne und welche haben Usedsoft besonders geschadet?

Schneider: Eigentlich erinnere ich mich an alle, weil wir aus jedem viel gelernt haben. Es waren, glaube ich, zwölf. Aber besonders deutlich sind mir zwei Urteile im Gedächtnis geblieben. Das eine vom Landesgericht Hamburg aus dem Jahr 2006 und das andere vom Landesgericht Frankfurt vom November 2009. Die Hamburger entschieden damals, dass wir Volumenlizenzen splitten und als einzelne Lizenzen weiterverkaufen dürfen. Höchstrichterlich war damit immer noch nichts entschieden, aber es stärkte unsere Position. Das Urteil des Frankfurter Landgerichts war dagegen ein Schlag ins Kontor. Dabei ging es um den Weiterverkauf von Adobe-Lizenzen.

Da wurden wir praktisch überhaupt nicht gehört und das Gericht verneinte, dass der Erschöpfungsgrundsatz für Software gilt. Das Urteil war das eine, aber dass der zuständige Richter uns damals mit "Na, da sind ja die Herren Raubkopierer" zur Verhandlung begrüßte, ließ mich doch an der Unabhängigkeit des Gerichts zweifeln. Jetzt kann ich mir aber durchaus vorstellen, dass Adobe die Klage zurückzieht. Wenn das OLG Frankfurt bei der einseitigen Auslegung des Landesgerichts bleibt, werde ich den Fall auch vor den Bundesgerichtshof bringen.

CW: Sind Sie eigentlich ein Streithansel?

Schneider: Nein, überhaupt nicht, ich will nur in Ruhe und in Legalität meinem Geschäft nachgehen. Aber es kann der Friedlichste nicht in Frieden leben, wenn der böse Nachbar es nicht will.

CW: Es hat ja nicht nur Urteile gegen Usedsoft gegeben, sondern auch einstweilige Verfügungen, Abmahnungen und sogar eine Razzia in Ihren Münchener Räumlichkeiten im Jahr 2006.

Schneider: In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt. Die großen Softwarehäuser haben nicht nur die gerichtliche Auseinandersetzung mit uns gesucht, sondern auch versucht, uns zu kriminalisieren. Die Durchsuchung kam auf Betreiben von Microsoft zustande. Damals vermutete die Staatsanwaltschaft München, bei uns offenbar illegal kopierte Software zu finden. Das war natürlich Quatsch, und das Verfahren wurde durch den Generalstaatsanwalt wegen erwiesener Unschuld eingestellt. Mir drängte sich schon damals der Eindruck auf, dass Microsoft und Oracle sich verabredet hatten, gemeinsam gegen uns vorzugehen, aber auf getrennten Wegen. Oracle sollte offenbar zivilrechtlich und Microsoft strafrechtlich gegen uns vorgehen. Zumindest sprechen die juristischen Schritte, die die beiden Unternehmen unternommen haben, für diese Interpretation. Aber das ist ja nun Geschichte.

CW: Haben sich für Usedsoft günstige und ungünstige Gerichtsurteile direkt auf die Geschäfte des Unternehmens ausgewirkt?

Schneider: Ja. Diejenigen, die mit dem Kauf gebrauchter Software liebäugelten, sich aber zunächst nicht trauten, haben nach einem günstigen Urteil schnell gekauft. Umgekehrt spürten wir nach den Entscheidungen, die gegen uns ausfielen, immer etwas Zurückhaltung, wenn auch nur eine Zeitlang. Aber viele haben sich auch gar nicht beeindrucken lassen.

CW: Sind die Auseinandersetzungen mit den Investoren, die ja 2011 zur Insolvenz der Usedsoft AG in der Schweiz und der HHS Usedsoft GmbH geführt haben, auch auf diese gerichtlichen Auseinandersetzungen zurückzuführen?

Foto: Gerichtshof der Europäischen Union

Schneider: Zum Teil hat das sicher auch damit zu tun. Einer der Investoren wollte damals das Unternehmen mehrheitlich übernehmen. Weil unsere Gegner immer stärkere juristische Geschütze auffuhren, hatte er wohl den Eindruck bekommen, dass wir die Auseinandersetzung nicht gewinnen können. Zu dem Zeitpunkt schienen ihm die Goliaths zu stark zu sein. Nachdem ich das abgelehnt hatte, forderte er seine Kredite zurück und beantragte 2011 Insolvenz. In der Folge gingen zunächst die AG in der Schweiz und kurz darauf die deutsche GmbH insolvent. Allerdings sind die Geschäfte währenddessen immer weiter gelaufen. Operativ hatten wir ja kein Liquiditätsproblem, obwohl die Umsätze seit 2009 wegen der Finanzkrise rückläufig waren. Wir haben dann eng mit dem Insolvenzverwalter zusammengearbeitet und schnell mit der neuen, von der Insolvenz unbelasteten Usedsoft International AG neu gestartet. Jetzt sind wir wieder auf einem guten Weg.

CW: Wird die neue Gesellschaft jetzt Ruhe haben vor den Klagen der großen Softwarehäuser oder geht die juristische Auseinandersetzung weiter?

Schneider: Das weiß ich natürlich nicht. Aber angesichts der EuGH-Entscheidung halte ich weitere Klagen eigentlich nicht für aussichtsreich. Zumal man uns jetzt in der Schweiz verklagen müsste und dort ist die Rechtslage noch günstiger für uns als in Deutschland. Als kürzlich Adobe versuchte, die Frankfurter Klage in der Schweiz zu wiederholen, hat das Kantonsgericht die Klage in vollem Umfang zurückgewiesen - lange vor dem EuGH-Urteil.

CW: Und das Aufspaltungsverbot, das das EuGH verfügt hat - wirft Ihnen das nicht neue Knüppel zwischen die Beine?

Schneider: Überhaupt nicht. Bei Oracle - und das war schließlich der Anlass des Verfahrens - geht es um EINE einzelne Lizenz, die auf EINER Festplatte gespeichert ist. Diese kann ich nicht teilen. Wenn ich also beispielsweise eine Oracle Client Server Lizenz mit 20 Zugriffsrechten (Nutzern) hätte und würde nun sagen, ich möchte den Zugriff für zwei mal zehn Nutzer auf verschiedenen Servern ermöglichen, müsste ich ja aus der Einzellizenz zwei Lizenzen machen, was bedeutete, diese unerlaubt zu kopieren. Dies hat das EuGH nun aus gutem Grund untersagt.

Bei Microsoft-Volumenlizenzen handelt es sich hingegen um eine bestimmte Menge an Einzellizenzen, die aus Marketing- und Vertriebsgründen als Pakete verkauft werden. Eine Volumenlizenz mit 100 Lizenzen besteht also aus 100 einzelnen Computerprogrammen, die auf 100 einzelnen Einzelplatzrechnern installiert werden. Wenn ich 50 dieser Lizenzen unbrauchbar mache, wie das EuGH es verlangt, kann ich diese 50 natürlich weiterverkaufen. Die Aufspaltung ist bei Volumenlizenzen also legal, wie ja bereits die Landgerichte Hamburg und München geurteilt haben.

CW: Sind Sie heute mehr Jurist als Kaufmann?

Schneider: Nein, keinesfalls. Die Juristerei ist mir viel zu theoretisch. Ich bleibe bei dem, was ich kann - gebrauchte Softwarelizenzen verkaufen und das macht jetzt wieder sehr viel mehr Spaß.

CW: Wie wird sich der Markt für gebrauchte Software nach der EuGH-Entscheidung entwickeln? Erwarten Sie nun ein explosionsartiges Wachstum.

Schneider: Das wäre zu wünschen. Aber in jedem Fall wird sich der Markt sehr, sehr positiv entwickeln. Ich gehe auch davon aus, dass neue Spieler im Markt auftreten. Aber da der Markt insgesamt sehr viel größer werden wird, sehe ich dem ruhig entgegen. (ba)

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Foto: Gerichtshof der Europäischen Union

Zur Entscheidung vor dem EuGH ist es auf Bitte des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) gekommen. Dieser hatte letztinstanzlich über eine Klage des US-Softwareherstellers Oracle gegen Usedsoft zu entscheiden. Dabei ging es um die Frage, ob Usedsoft Oracle-Programme auch dann verkaufen darf, wenn sie nicht auf einer CD oder DVD gespeichert sind, sondern per Lizenzschlüssel direkt von den Oracle-Servern heruntergeladen werden. Juristisch war zu klären, ob der sogenannte Erschöpfungsgrundsatz auch gilt, wenn eine online bezogene Software weiterverkauft wird.

Der Erschöpfungsgrundsatz besagt, dass sich die Rechte eines Verkäufers an dem verkauften Gut mit dem Verkauf erschöpfen, also erlöschen beziehungsweise auf den Käufer übertragen werden.
Die Softwarehersteller hatten das in der Vergangenheit vor allem für den Online-Lizenz-Verkauf immer bestritten. Sie vertraten die Auffassung, dass sie dem Käufer nur bestimmte Nutzungsrechte einräumen, aber der Weiterverkauf ohne die Zustimmung des Urhebers nicht legal ist. Der BGH hatte das Europagericht ersucht, „die Richtlinie über den Rechtsschutz von Computerprogrammen in diesem Kontext auszulegen“ (Zitat aus der Pressemeldung des EuGH). Entschieden werden musste also, ob die Richtlinie auch für den Download-Verkauf gilt.

Ja, der Erschöpfungsgrundsatz gilt auch für über das Internet verbreitete Software, entschied die große Kammer des EUGH am 3. Juli. Der Verkäufer der Lizenz muss allerdings seine Kopie des Programms nach der Weitergabe an einen Dritten vernichten. In der Pressemitteilung des Gerichts liest sich das so: „Der Gerichtshof führt in seinem Urteil aus, dass der Grundsatz der Erschöpfung des Verbreitungsrechts nicht nur dann gilt, wenn der Urheberrechtsinhaber die Kopien seiner Software auf einem Datenträger (CD-ROM oder DVD) vermarktet, sondern auch dann, wenn er sie durch Herunterladen von seiner Internetseite verbreitet.

Stellt der Urheberrechtsinhaber seinem Kunden nämlich eine – körperliche oder nichtkörperliche – Kopie zur Verfügung, und schließt er gleichzeitig gegen Zahlung eines Entgelts einen Lizenzvertrag, durch den der Kunde das unbefristete Nutzungsrecht an dieser Kopie erhält, so verkauft er diese Kopie an den Kunden und erschöpft damit sein ausschließliches Verbreitungsrecht. Durch ein solches Geschäft wird nämlich das Eigentum an dieser Kopie übertragen. Somit kann sich der Rechtsinhaber, selbst wenn der Lizenzvertrag eine spätere Veräußerung untersagt, dem Weiterverkauf dieser Kopie nicht mehr widersetzen.“

Diese Auslegung des EuGH wird der Bundesgerichtshof nun nutzten, um im Fall Oracle vs Usedsoft ein letztinstanzliches Urteil zu fällen. Es ist gängige Praxis, dass sich der BGH der EuGH-Auslegung anschließt, zumal er ja darum ersucht hat.

Eine Unsicherheit besteht noch bezüglich des Aufspaltungsgebots von Lizenzen. Der Europäische Gerichtshof weist ausdrücklich darauf hin, dass „die Erschöpfung des Verbreitungsrechts den Ersterwerber nicht dazu berechtigt, die Lizenz aufzuspalten und teilweise weiterzuverkaufen, falls die von ihm erworbene Lizenz für eine seinen Bedarf übersteigende Zahl von Nutzern gilt“.

Das eine Lager, um die Hersteller herum, interpretiert diese Aussage nun als Verbot, Volumenlizenzen aufzusplitten und einzeln weiter zu verkaufen. Für die andere Partei, Usedsoft und Befürworter des Handels mit gebrauchter Software, bezieht sich diese EuGH-Aussage nur auf Client-Server-Lizenzen, auf die jeweils eine bestimmte Anzahl Nutzer zugreifen dürfen. Klarheit darüber könnte das demnächst zu erwartende BGH-Urteil bringen.

Die großen Softwarehersteller allen voran Microsoft und Oracle sind natürlich enttäuscht über die Entscheidung des europäischen Gerichts. Usedsoft spürt dagegen Oberwasser und fühlt sich als Sieger in diesem langjährigen Streit.