Jobwechsel nach 45: Chance oder Risiko?

30.09.2004 von Christiane Siemann
Mit Mitte 40 haben viele IT-Profis beruflich das erreicht, was sie sich vorgenommen hatten. Auch die Familiengründung ist oftmals abgeschlossen, die Kinder werden langsam eigenständiger, und manch einer fragt sich: Wie soll es weitergehen in den nächsten 20 Jahren? Welche Entwicklungsmöglichkeiten kann mir meine aktuelle Position noch eröffnen? Bin ich zufrieden mit meinem Arbeitsleben? Antworten auf diese Fragen fallen nicht leicht, zumal ein Jobwechsel in dem Alter auch Risiken birgt.

Die Klagen der Headhunter mehren sich. Immer mehr Führungskräfte lassen sich derzeit auf keinen Jobwechsel ein, die Risiken erscheinen ihnen größer als die Chancen, die eine berufliche Veränderung eröffnet. Da sich zahlreiche Branchen wirtschaftlich noch nicht so weit erholt haben, als dass man jederzeit eine neue Stelle finden könnte, falls es mit dem neuen Job nicht klappt, bleibt für viele der Jobwechsel erst einmal ein Risiko. Deshalb verharren Beschäftigte oft mehr oder weniger zufrieden in ihrem beruflichen Umfeld und scheuen die Veränderung.

"Gerade Mittvierziger sollten überlegen, ob es wahrscheinlich ist, bis zur Rente beim aktuellen Arbeitgeber bleiben zu können." Herbert Mühlenhoff, Karrierecoach

Klaus Timmermann** drängte es trotz der Risiken zu neuen Ufern. Der 43-jährige IT-Profi hatte sechs Jahre lang in einer mittelständischen Firma gearbeitet, in den letzten vier Jahren als Abteilungsleiter. In dieser Zeit führte er unter anderem ein neues Finanzsoftwaresystem ein. Nachdem er dieses Projekt erfolgreich abgeschlossen hatte, empfand er die täglichen Aufgaben zunehmend als quälende Routine. Seine Unzufriedenheit nahm zu, da seine guten Leistungen als selbstverständlich hingenommen wurden und er kein regelmäßiges Feedback mehr erhielt.

"Ich befand mich in einem beruflichen Vakuum. Außerdem wusste ich auch gar nicht, wo es für mich noch hingehen kann", erinnert sich Timmermann. Diese Frage nach der persönlichen Zukunft schien aber für seinen Arbeitgeber nicht wichtig zu sein, denn Timmermann galt als erfahrener und in den meisten beruflichen Abläufen selbständig handelnder Unternehmens-Manager, um den man sich nicht weiter kümmern musste. Man erwartete von ihm, dass er wusste, wo es lang ging, und setzte sein Engagement stillschweigend voraus.

"Das ist eine typische Situation", erläutert Herbert Mühlenhoff, Outplacement-Berater und Karrierecoach. "In der Regel ab Mitte 40, im Übergang von der zweiten zur dritten Berufsphase, rücken die Mitarbeiter aus dem Fokus des Interesses der Personalabteilungen und Vorgesetzten." Sie haben ihre Karriereziele weitgehend erreicht, häufig besetzen sie eine Führungsposition in der dritten oder zweiten Ebene. Wenn sie an diesem Punkt angekommen sind, stagniert ihre berufliche Entwicklung erstmals nach Jahren des Aufstiegs. Mühlenhoff weiter: "Während sich in den ersten Jahren nach dem Berufseinstieg die Karriere zügig und stetig weiterentwickelte, verlangsamt sich nun das Tempo. Zudem fehlen berufliche Ziele oder die Unterstützung bei ihrer Definition. Zum Teil haben die Betroffenen es versäumt, hier erst einmal für sich selbst Klarheit zu schaffen."

Am Anfang steht die Standortbestimmung

Auslöser für diese Krise können auch von außen kommen: Ob betriebliche Veränderungen wie Übernahmen oder Fusionen, interner Personalabbau oder auch nicht eingehaltene Beförderungszusagen - plötzlich steht man am Scheideweg der eigenen Karriere. Außerdem stellt sich mit Mitte 40 noch einmal grundsätzlich die Frage nach der eigenen Identität, dem Lebenssinn und der beruflichen Erfüllung. Bevor man über Alternativen nachdenkt, sollte eine Standortbestimmung erfolgen, die auch private Lebensprioritäten einbezieht. "Dabei müssen Karriere- und Lebensziele für die zweite Lebenshälfte definiert werden. Und Antworten auf folgende Fragen gefunden werden: Was ist mir wichtig? Wie viel und welche Herausforderung will ich? Wie kann ich mein Potenzial einbringen? Kann und will ich noch einmal durchstarten?", so Berater Mühlenhoff.

Auf der Suche nach Zufriedenheit

Das Motiv, dass IT-Profi Timmermann zur Veränderung antrieb, hieß: neue Herausforderungen suchen und berufliche Zufrieden-heit finden. Er kannte seine Stärken und Schwächen und schätzte sich realistisch ein. Doch welche Alternativen bot der Markt? Die Lage für IT-Manager ist ebenso wie für IT-Fachkräfte in den vergangenen Jahren schwieriger geworden, da die Zahl der Stellenangebote rapide gesunken ist. Nur langsam erholt sich die Branche, seit einigen Monaten stellen Software- und Beratungshäuser wieder vermehrt ein.

Laut Mühlenhoff können sich berufserfahrene Fach- und Führungskräfte in drei Richtungen entwickeln. Zum ersten eröffnen sich Perspektiven im operativen Bereich als Projekt-Manager für sehr anspruchsvolle Aufgaben - beispielsweise die gleichzeitige Leitung mehrerer Projekte. Ein entsprechender Markt sei vorhanden. Zum zweiten bietet das strategische Management Karrierechancen. Ein Wechsel in die Geschäftsleitung eines Unternehmens ist möglich, wenn man über Erfahrungen in Marketing und Vertrieb verfügt. Als dritte Option bleibt die Selbständigkeit. Aber auch hierfür brauchen IT-Profis neben ihrem Technikwissen Vertriebs- und Marketing-Kenntnisse, um Aufträge akquirieren zu können.

Timmermann bewarb sich bei zwei Firmen für das gehobene Projekt-Management und arbeitet nun für ein Großunternehmen. "Mir war bewusst, dass ich mit diesem Schritt ein Risiko eingehe. Meinen vermeintlich sicheren Arbeitsplatz habe ich verlassen, um an anderer Stelle Zufriedenheit zu finden, ohne zu wissen, ob mir das gelingt." Aber seine Aufgaben entsprechen seinen Fähigkeiten, er fühlt sich gefordert und ist neugierig, auf das, was noch kommt.

Ulrich Kettling** dagegen hat mit 46 Jahren den Sprung in die Selbständigkeit gewagt. Zuvor hatte er Erfahrungen als angestellter Geschäftsführer einer IT-Beratungsgesellschaft gesammelt. Zu seinen Aufgaben gehörte die Akquise und Bindung von Kunden. Er sah aber keine Perspektiven für sich und das Unternehmen, viele Reibungsverluste machten ihn unzufrieden. Nach reiflicher Überlegung und Beratung stieg er als Mitgeschäftsführer in einem kleinen mittelständischen Unternehmen ein, das nicht im Umfeld von IT angesiedelt ist. Das Neue reizt ihn, so Kettling: "Troubleshooting gehört zum Tagesgeschäft. Ich leiste Aufbauarbeit, indem ich versuche, mehr Transparenz und Vorausschaubarkeit durch Planung und Steuerung herzustellen." Er kann nicht sicher sagen, ob er mit dieser Aufgabe "alt" wird. Aber er betont: "Dass ich den Mut hatte, noch einmal neu anzufangen und mich zu engagieren, hat mir Auftrieb gegeben."

Wenn Neustart, dann richtig

Ob sich ein Wechsel der Arbeitsstelle mit Mitte 40 oder grundlegende Veränderungen wie der Sprung in die Selbständigkeit empfehlen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Sowohl die finanzielle Situation und die sozialen Beziehungen gilt es zu berücksichtigen als auch die Arbeitsmarktlage.

Demnach sollten Mitarbeiter zunächst eruieren, wie ihr derzeitiges Gehalt zur Marktsituation passt und ob sie anderswo vermutlich Abstriche hinnehmen müssten. Auch sollten sie sich fragen, wie sicher ihr Arbeitsplatz ist, ob der Arbeitgeber solvent ist oder ob vielleicht das Risiko eines Mergers oder gar Rückzugs vom Markt besteht. Gerade Mittvierziger sollten überlegen, ob es wahrscheinlich ist, bis zur Rente beim aktuellen Arbeitgeber bleiben zu können. Zu den wichtigen Fragen gehört auch die Zukunftsfähigkeit der eigenen Aufgabe: Wird sie künftig noch existieren? Was würde passieren, wenn man selbst nicht mehr im Unternehmen wäre beziehungsweise wenn es die Funktion oder Abteilung nicht mehr gäbe?

CHECKLISTE: GEHEN ODER BLEIBEN? Finanzielle Absicherung: Wie gut ist mein Gehalt im Vergleich zum Marktüblichen? Wie sicher ist mein Arbeitsplatz unter den Aspekten Solvenz und Strategie des Unternehmens? Wie wahrscheinlich ist ein Merger oder ein Rückzug vom Markt? Ist es denkbar, im jetzigen Unternehmen bis zur Rente bleiben zu können? Auf welche Betriebszugehörigkeit blicke ich zurück, und was bedeutet das für meine künftige Marktfähigkeit? Arbeit und Leistung: Wie zufrieden bin ich mit meinen Tätigkeiten? Wird meine Aufgabe auch noch in Zukunft existieren? Was würde passieren, wenn ich nicht mehr im Unternehmen wäre beziehungsweise wenn es meine Funktion oder Abteilung nicht mehr gäbe? Soziale Beziehungen: Wie leicht fällt es mir, soziale Beziehungen zu knüpfen? Wie ist mein Standing im Unternehmen? Wie groß ist meine lokale Verankerung beziehungsweise meine Mobilität? Normen und Werte: Wie sehr bin ich mit den Normen des Unternehmens identifiziert? Wie schätze ich das Betriebsklima ein? Wie beurteile ich die mittelfristige Entwicklung des Unternehmens? Gesundheit: Wie steht es mit meiner Belastbarkeit? Wie verkrafte ich Termindruck und neue Situationen?

Darüber hinaus gilt es, die eigene Mobilität und Flexibilität einzuschätzen: "Wie leicht fällt es mir, soziale Beziehungen zu knüpfen? Wie groß ist meine lokale Verankerung?" Berücksichtigen sollten Wechselwillige im fortgeschrittenen Alter auch gesundheitliche Fragen, etwa wie man Termindruck und neue Situationen verkraftet oder wie belastbar man ist. Berater Mühlenhoff fasst zusammen: "Vor jeder Veränderung sollte man sich intensiv befragen, woher die Motivation für den Veränderungswunsch kommt. Insbesondere, wenn aktueller Verdruss die Triebfeder ist, sollte man einen bekannten Merkspruch beherzigen: Love it, change it or leave it."

Veränderungen seien notwendig und wichtig, allerdings hätten die letzten Jahre auch gezeigt, dass ein Wechsel mit Risiken verbunden sein kann. Wer sich jedoch nach gründlicher Prüfung zum Neustart entschlossen habe, der solle ihn zuversichtlich und entschieden angehen, denn der Markt biete mehr gute Möglichkeiten, als es auf den ersten Blick scheine, ermuntert Mühlenhoff. (hk)

Siehe auch folgenden Buchtipp zum Thema: /index.cfm?webcode=549942

*Christiane Siemann ist freie Journalistin in Düsseldorf.

** Namen von der Redaktion geändert.