40 Jahre bei der gleichen Firma

Je älter, desto unkündbarer? Ein Trugschluss

18.07.2011 von Renate Oettinger
Arbeitnehmer wachsen mit zunehmender Betriebszugehörigkeit nicht automatisch in eine Unkündbarkeit hinein. Auch eine besondere soziale Schutzbedürftigkeit schließt eine Entlassung nicht zwingend aus.

Nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 09.09.2009, 3 Sa 153/09, schließen eine lange Betriebszugehörigkeit, hohes Lebensalter oder ein aus anderen Gründen bestehende besondere soziale Schutzbedürftigkeit eine Kündigung nicht zwingend aus.

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Arbeitnehmer wachsen mit zunehmender Betriebszugehörigkeit nicht automatisch in eine Unkündbarkeit hinein, denn eine solche Rechtsfolge ist weder gesetzlich geregelt noch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben beabsichtigt, so der Hamburger Rechtsanwalt und Lehrbeauftragte für Arbeitsrecht Stefan Engelhardt, Landesregionalleiter Hamburg der DASV Deutsche Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e. V. mit Sitz in Kiel, unter Bezugnahme auf diese Entscheidung.

Der Kläger dieses Verfahrens war seit ca. 40 Jahren bei der Beklagten beschäftigt, die Autos einer bestimmten Marke verkauft und einen Reparaturbetrieb betreibt. Der Kläger ist 55 Jahre alt und war in der Werkstatt eingesetzt worden. Er hat keine Ausbildung absolviert, hat eine Lese- und Rechtsschreibschwäche und kann daher beispielsweise keinen PC bedienen. Er besitzt zudem keinen Führerschein. In der Werkstatt sind neben dem Kläger zwei ausgebildete Kfz-Mechaniker beschäftigt, von denen einer Werkstattleiter ist und in Abwesenheit von dem anderen vertreten wird.

Am 18.11.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristgerecht zum 30.06.2009 und begründete diese mit einem Umsatzeinbruch von 70 Prozent, sodass sie Personalkosten reduzieren müsse. Sie habe sich für die Kündigung des Klägers entschieden, weil dieser wegen der zunehmenden Elektronisierung der Autos und der Tatsache, dass er weder einen PC noch elektronische Messgeräte bedienen könne, immer weniger einsetzbar sei. Ihm könne auch keine Probefahrten übertragen werden, da er keinen Führerschein habe.

Längste Betriebszugehörigkeit, höchstes Lebensalter

Bei seiner Kündigungsschutzklage macht der Kläger nunmehr einen Verstoß gegen § 242 BGB geltend, weil er der Auffassung war, dass sein Arbeitgeber unberücksichtigt gelassen habe, dass er im Betrieb die längste Betriebszugehörigkeit und das höchste Lebensalter habe und somit der sozial schwächste Arbeitnehmer sei. Im Übrigen hätte die Beklagte ihn im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht auf die zunehmende Technisierung vorbereiten und entsprechend fortbilden müssen. Die Klage hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg, betont Engelhardt.

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Irrtum 1: Ein krankgeschriebener Arbeitnehmer kann nicht gekündigt werden.
Eine Krankheit kann den Ausspruch einer Kündigung nicht verhindern. Ein Arbeitgeber kann grundsätzlich auch während einer Krankschreibung eine Kündigung aussprechen; dies macht die Kündigung nicht "per se" unwirksam.
Irrtum 2: Jede Kündigung muss eine Begründung enthalten.
Eine Kündigung muss nicht begründet werden. Aus Arbeitgebersicht ist es sogar eher unklug, eine Begründung in die Kündigung aufzunehmen, da dies in der Regel "Angriffsfläche" in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess ergibt. Gekündigte Arbeitnehmer hingegen sollen unverzüglich um Rechtsrat nachsuchen, ob die ausgesprochene Kündigung auch wirksam ist.
Irrtum 3: Eine Kündigung kann auch mündlich ausgesprochen werden.
Arbeitsverträge kann man zwar mündlich abschließen, aber nicht beenden. Es bedarf nach dem Gesetz immer einer schriftlichen Kündigung. Vorsicht ist auf Arbeitgeberseite im Übrigen auch geboten bei Kündigungen per Mail oder per SMS, während Arbeitnehmer, die eine Kündigung in dieser Form erhalten, ebenfalls sofort um Rechtsrat nachsuchen sollten. Dies sollte unverzüglich erfolgen.
Irrtum 4: Vor der Kündigung muss immer drei Mal abgemahnt werden.
Eine sog. verhaltensbedingte Kündigung setzt nur eine Abmahnung voraus. Dabei gilt des Weiteren, was häufig verkannt wird: Ist in dem Betrieb ein Betriebsrat installiert, muss dieser einer Kündigung nicht etwa zustimmen; er muss nur angehört werden. Dieser kann der Kündigung zwar widersprechen. Dies führt aber nicht zu einer Unwirksamkeit der Kündigung.
Irrtum 5: Gekündigte Mitarbeiter haben stets einen Anspruch auf eine Abfindung.
Das Kündigungsschutzgesetz ist in erster Linie ein "Bestandsgesetz". Damit richtet sich der Schutz zunächst auf den Erhalt des Arbeitsplatzes. Zwar enden in der Tat tatsächlich viele Kündigungsschutzverfahren letztendlich mit dem Abschluss eines Abfindungsvergleichs. Bestehen allerdings Gründe für die Kündigung. greift diese rechtlich auch durch, und der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine Abfindung zu zahlen.

Grundsatz von Treu und Glauben entscheidend

Das Landesarbeitsgericht hat dazu angemerkt, dass der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wirksam gekündigt hat, wobei der Maßstab dieser Kündigung lediglich der Grundsatz von Treu und Glauben ist, weil kein allgemeiner Kündigungsschutz besteht. Eine Kündigung verstößt nur dann gegen § 242 BGB wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 des Kündigungsschutzgesetzes nicht erfasst sind. Arbeitnehmer sind somit gemäß § 242 BGB in erster Linie nur vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen geschützt.

Die Beklagte hat hier nicht gegen Treu und Glauben verstoßen, denn selbst bei Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetztes wäre ihr kein Auswahlfehler vorzuwerfen, weil der Arbeitsplatz des Klägers ersatzlos entfällt und er mit den anderen beiden in der Werkstatt beschäftigten Arbeitnehmern nicht vergleichbar ist.

Eine Treuwidrigkeit der Kündigung folgt auch nicht aus der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers, seinem Lebensalter und seiner sozialen Schutzbedürftigkeit. Diese Umstände allein lassen die Kündigung nicht als willkürlich oder sachfremd erscheinen, denn es gibt keine gesetzliche Vorschrift, wonach beispielsweise nach einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit automatisch eine Unkündbarkeit eintritt. Es existiert auch kein allgemeiner entsprechender Rechtsgedanke, der über § 242 BGB zu schützen wäre.

Kündigung nicht treuwidrig

Eine Treuwidrigkeit der Kündigung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte den Kläger nicht fortgebildet hat. Der Arbeitgeber kann nicht für die fehlende Qualifikation des Arbeitnehmers verantwortlich gemacht werden, denn es ist Aufgabe es Arbeitnehmers, seine Qualifikationen im Blick zu behalten und diese aktiv zu betreiben.

Engelhardt empfiehlt, das Urteil zu beachten und bei ähnlichen Fällen auf jeden Fall Rechtsrat einzuholen, und verweist in diesem Zusammenhang u. a. auch auf die DASV Deutsche Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e. V. (www.mittelstands-anwaelte.de).

Weitere Informationen und Kontakt:

Stefan Engelhardt, Rechtsanwalt, Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht und Landesregionalleiter "Hamburg" der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V., c/o Roggelin & Partner, Alte Rabenstr. 32, 20148 Hamburg, Tel.: 040 769999-36, E-Mail: stefan.engelhardt@roggelin.de, Internet: www.roggelin.de

Wie Betroffenen auf Kündigungen reagieren
Wie Betroffenen auf Kündigungen reagieren
Wenn ein Personalabbau angekündigt wird, verfolgen die Mitarbeiter oft zunächst die "Vogel-Strauß-Taktik". Sie gehen in Deckung und hoffen, dass der Krug an Ihnen vorübergehen möge. Steht fest, wer das Unternehmen verlassen muss, spaltet sich die Belegschaft in Betroffene und Nicht-Betroffene.
Der Gefasste ...
... der wenig Emotion zeigt.
Der Geschockte ...
... der Mitleid erregt.
Der Hysterische ...
... den Hysterischen, der emotional diskutiert.
Der Verhandler ...
... der rational das Gespräch sucht.
Der Zyniker ...
... der schon immer alles kommen sehen hat und weiß, wer daran schuld ist.
Der Bettler ...
... der mit seinen Unterhaltsverpflichtungen und seiner Loyalität argumentiert.