IT-Standort München weiter im Aufwind

04.11.2004 von in Ingrid
Die IT-Branche in der bayerischen Landeshauptstadt und der Region sieht wieder zuversichtlich in die Zukunft.

München und sein Umland scheinen aus der konjunkturellen Berg- und Talfahrt der vergangenen Jahre gestärkt hervorzugehen. Zu diesem Ergebnis kommt die am Montag vorgestellte Studie zum Informations- und Kommunikationssektor in München. In Auftrag gegeben wurde die Untersuchung vom Referat für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München sowie der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern.

Laut der Studie konnte die Stadt ihre Position als wichtigster IT- und Medienstandort in Deutschland behaupten. Gleichzeitig zählt die Region zu den wichtigen Standorten in Europa. 2003 waren 22 682 ITK- und Medienunternehmen mit insgesamt 395 000 Beschäftigten hier angesiedelt, davon arbeiten rund 252 000 Vollzeit in einer Festanstellung, 60 000 als Teilzeitkräfte und 83 000 freiberuflich. Kurt Kapp, Referatsleiter Wirtschaftsförderung der Stadt München, freut sich auch über die bessere Stimmung in der Wirtschaft. Über 60 Prozent der befragten Firmen beurteilen ihre Perspektiven für die kommenden drei bis fünf Jahre positiv.

Allerdings wirkt sich diese Zuversicht noch nicht auf den Arbeitsmarkt aus. Laut Studie sind in der Region in der IT-Branche rund 164 143 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte tätig. Nachdem im Jahr 2003 mit rund 3200 arbeitslosen IT-Kräften ein Höchststand erreicht war, reduzierte sich die Zahl in diesem Jahr um ein Viertel. "Einige sind wieder in Firmen untergekommen, andere haben den Weg in die Selbständigkeit gewählt", erläutert Werner Brendli von der Arbeitsagentur in München die Zahlen.

Sissi Closs, Comet Computer: "Ältere Menschen haben Schwierigkeiten, einen neuen Job zu finden." Foto: Joachim Wendler

Auch in der Eröffnungsdiskussion des Karrierezentrums der COMPUTERWOCHE auf der Systems ging es um den IT-Arbeitsmarkt in der Region München. Die Arbeitslosenquote im IT-Sektor liegt bei vier bis fünf Prozent. Probleme, einen neuen Job zu finden, hätten weniger frisch gebackene Hochschulabsolventen, sondern vielmehr Menschen ab Mitte 40. Für sie sei es auch mit langjähriger Berufserfahrung nicht einfach. „Ältere Menschen haben Schwierigkeiten, wieder einen Job zu finden; ihnen wird weniger Flexibilität zugetraut“, weiß Sissi Closs, Gründerin und Chefin von Comet Computer aus München. Allerdings sei das in vielen Fällen ein Trugschluss, denn jung zu sein garantiere keineswegs für gute Arbeit. „Ich brauche gute Techniker mit soliden Kommunikationsfähigkeiten“, erklärt Rudolf Haggenmüller, Geschäftsführer der Fast

Gesellschaft für angewandte Softwaretechnologie. Einen IT-Ausbildungsberuf und einige Jahre Berufserfahrung sieht der Firmenchef als gute Startposition ins Arbeitsleben.

Der Münchner Personalberater und Headhunter Jürgen Herget von JBH Personal- und Management-Beratung nennt ein anderes Problem der Jobsuchenden: „Viele ehemalige New-Economy-Leute haben Defizite; sie konnten sich viele Fertigkeiten in der kurzen Zeit, die sie in einem Unternehmen verbrachten, nicht aneignen.“ Hinzu komme eine gewisse Arroganz, so Herget: „Sie sind auf einer Ebene eingestiegen, der sie mental nicht gerecht wurden, und fordern jetzt Karriereperspektiven und Gehälter, die keineswegs ihren Fähigkeiten entsprechen.“ Gerade mittelständische Unternehmen könnten und wollten solche Karrierepläne nicht erfüllen; hier liege der Fokus wieder stärker auf konservativen Werten wie Loyalität oder Zuverlässigkeit.

Deshalb empfiehlt Herget Bewerbern, ihre Erwartungen zu überprüfen und sich genau zu überlegen, welche Berufs- und Karriereziele realistisch und erreichbar seien. Letztlich lohne es sich, die eigenen Leistungen kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig erwartet er von Jobsuchenden neben soliden Fachkenntnissen auch Selbstbewusstsein und sicheres Auftreten: "Mir kommt es auf angewandte Intelligenz an und weniger auf den Titel", denn ein MBA-Abschluss sei kein Garant für hervorragende Arbeitsleistungen; Persönlichkeit zähle mehr.

Die goldenen Zeiten für IT-Fachleute sind trotz leichter Erholungssignale am Arbeitsmarkt jedoch weitgehend passé. Mehr Bewerber konkurrieren um weniger freie Positionen, Firmen stellen höhere Anforderungen und zahlen weniger. Mit dem Trend zum Outsourcing und der Verlagerung von Softwareentwicklung ins Ausland stehen Jobsuchende vor einer neuen Herausforderung. Die "Globalisierung in den Dienstleistungen", wie es Peter Broß, Geschäftsführer des Branchenverbandes Bitkom umschreibt, stellt einen weiteren Einflussfaktor für den IT-Arbeitsmarkt dar. Broß hält die kursierenden Zahlen über einen weiteren Stellenabbau für "Kaffeesatzleserei" und empfiehlt: "Von der Sogwirkung kann man sich nicht abkoppeln, sondern muss sie nutzen. Manche Branchen haben das gut hingekriegt und Arbeitsplätze geschaffen; es ist wichtig, den Standort hierzulande zu stärken."

Jürgen Herget: "Mir kommt  es auf angewandte Intelligenz an und weniger auf Titel."

Foto: Joachim Wendler

Auch für Wirtschaftsförderungs-Referatsleiter Kapp sind solche Nachrichten nicht neu: "Standardprogrammierung wird immer mehr abwandern. Innovationen und Bildung sind deshalb für uns entscheidend." Hier sieht Kapp einen klaren Standortvorteil gegenüber Regionen wie Bangalore oder Shanghai. In der Studie gaben drei Viertel aller Unternehmen an, mit dem Angebot an qualifizierten Mitarbeitern zufrieden oder sehr zufrieden zu sein. Auch die Kontaktmöglichkeiten zu den Hochschulen und Forschungseinrichtungen sprechen mit 83 Prozent zufriedenen oder sehr zufriedenen Firmen eine deutliche Sprache für den Standort. Kapp sieht "München als Stadt des Wissens".

Doch Manfred Cerwenka vom Münchner Softwarehaus Fast gibt zu bedenken, dass in vielen osteuropäischen Ländern gut ausgebildete und technikbegeisterte Experten gerade in der Entwicklung neuer Produkte vorne mitmischen. Um hier selbst Kontakte knüpfen zu können, kooperiert das Softwarehaus mit der bayerischen Staatsregierung. "Unser Projekt hat zum Ziel, den Standort Bayern zu stärken und Kooperationen zwischen bayerischen und osteuropäischen Firmen zu vertiefen", erläutert Cerwenka. Dazu gehören ein intensiver Austausch und Delegationsreisen mittelständischer Unternehmen nach Osteuropa, um Geschäftsbeziehungen zu ermöglichen. Allerdings räumt Cerwenka ein: "Es wäre vermessen zu sagen, wir verlieren keine Arbeitsplätze."

Accenture betreibt seit rund zehn Jahren Offshore-Zentren. "Wir können unseren Kunden attraktive Modelle durch die günstigen Entwicklungspreise in Indien bieten", erläutert Kai Rehnelt die Vorteile der Strategie. Auch für das Softwarehaus sd&m waren wettbewerbsfähige Preise eine wichtige Motivation, in Wroclaw im benachbarten Polen eine Niederlassung zu gründen. Kulturelle und räumliche Nähe seien Argumente für den neuen Standort gewesen. Der momentane Kostenvorteil werde allerdings in den kommenden zehn Jahren verschwinden, glaubt sd&m-Vorstandsmitglied Dirk Taubner. Doch an der Qualität wolle man keine Abstriche machen: "Die 30 Kollegen aus Polen kamen für sechs bis zwölf Monate zur Ausbildung nach Deutschland." Momentan denke man zwar über eine Niederlassung in Indien nach, konkrete Pläne gebe es jedoch noch nicht.