Formel 1

IT rangiert in der Pole Position

15.04.2009
Ohne IT geht in der Formel 1 heute gar nichts mehr. Von der Konstruktion der Boliden über die Organisation der Saison bis zur Auswertung der Renndaten unterstützen Hochleistungsrechner und Spezialanwendungen die Teams.

Selten hatten die Formel-1-Teams so viel Arbeit wie vor dieser Saison. Eine wahre Flut an Regeländerungen hielt die Verantwortlichen in den vergangenen Monaten auf Trab: Es galt, komplett neue Renn-Boliden zu konstruieren und zu bauen. Das überarbeitete Reglement des Automobil-Sportverbands FIA für die Saison 2009 diktierte den Rennställen neue Richtlinien für die Aerodynamik der Formel-1-Flitzer. Beispielweise mussten die Konstrukteure die Flügel an Front und Heck deutlich stutzen. Außerdem gelten laut den neuen Statuten andere Maße für den Diffusor, der den Wagen am Boden ansaugt und damit für eine bessere Bodenhaftung sorgt. Während sich die Ingenieure den Kopf über das Design der Rennwägen zerbrachen, mussten die Organisatoren der einzelnen Teams akribisch die Vorbereitungen und den Saisonauftakt planen. Dabei geht es in erster Linie um Effizienz und Haltbarkeit. Der Verband begrenzte die Tests vor dem Saisonauftakt Ende März im australischen Melbourne auf 20 Tage und maximal 15.000 Kilometer. Darüber hinaus müssen die Rennställe mit ihrem Material haushalten: Ein Getriebe hat vier Grand-Prix-Wochenenden durchzuhalten. Jeder Fahrer bekommt acht Motoren für die gesamte Saison. Die Maschinen müssen damit doppelt so lange laufen wie in der vorangegangenen Saison. Wer mehr Material benötigt wird in der Startreihe nach hinten strafversetzt. Eine lange Liste von Hausaufgaben also für die Teams – Aufgaben, bei deren Lösung IT oft die entscheidende Rolle spielt.

Teamwork
Boxenstopp
In 57 Runden werden insgesamt 310 km zurück gelegt.
Straßenkurs in Valencia
Die Rennstrecke in Valencia besitzt 13 Rechts- und 12 Linkskurven sowie eine Mindestbreite von 14 Meter. Ihre Spezifikationen und Sicherheitsvorkehrungen sind allen anderen Strecken im Formel-1-Kalender ebenbürtig.
Valencia - La Ciudad de las Artes y de las Ciencias (CAC)
Der Große Preis von Europa wird in diesem Jahr in Valencia auf dem erst vor einem Jahr angelegten Stadtkurs ausgetragen.
Valencia Marina
Der Stadtkurs verläuft größtenteils entlang des Hafens und kann somit auch bestens von Booten aus verfolgt werden.
Veles e Vents
Der für den 32. America's Cup geschaffene Hafen ist Mittelpunkt des Rennens.
GP Valencia
Nicht nur ausgedehnte Freizeitanlagen und die "Wissenschaftsstadt" wurden in das trockengelegte Flussbett des Turia integriert, sondern auch der westliche Abschnitt des F1-Parcours.
Valencia Street Circuit
Ein Formel-1-Rennen muss mindestens über eine Anzahl von Runden gehen, deren Summe insgesamt mindestens 305 Kilometern ergibt, darf jedoch längstens zwei Stunden dauern.

Formel-1-Baukasten aus über 10.000 Teilen

In den wenigen Monaten nach dem spannenden Saisonfinale und vor dem Startschuss zur neuen Rennserie bricht in den Teams hektische Betriebsamkeit aus. Dutzende von Entwicklern, Ingenieuren und Technikern machen sich daran, die Boliden für die neue Saison zu planen und zu konstruieren. Keine leichte Aufgabe, gerade unter Zeitdruck: Jeder Wagen ist ein Unicat aus über 10.000 Einzelteilen, das individuell an den jeweiligen Fahrer angepasst wird. Der Entwicklungsprozess muss schnell und effizient funktionieren. Gerade einmal fünf bis zehn Prozent der Teile aus dem Vorgängermodell werden widerverwendet. Alles andere entwickeln die Ingenieure neu. Dabei braucht es Platz und Zeit, um neue Ideen auszuprobieren. Ideen, die den Wagen möglicherweise das Quentchen schneller machen für die Pole Position.

Dazu benötigen die Rennställe allerdings die richtigen IT-Werkzeuge, um die anfallenden Datenberge zu bewältigen und immer die richtigen Informationen am richtigen Ort verfügbar zu haben. Fehler dürfen sich die Entwickler nicht erlauben. Schließlich geht es nicht nur um das Siegerpodest, sondern auch um das Leben der Piloten. McLaren Mercedes optimiert beispielsweise mit SAP die Entwicklungs- und Produktionsprozesse seiner Formel-1-Motoren. Mit einer All-in-One Lösung integriert der Rennstall sämtliche Daten aus Design, Entwicklung und Produktion in einem einzigen, unternehmensweiten System. Das soll die Zusammenarbeit innerhalb der Projektteams verbessern: Die Techniker erhalten so in Echtzeit Informationen über Lebenszyklus und Leistung von jedem der mehr als 5.000 Motorenteile.
Um die Ingenieure besser zu unterstützen, setzt McLaren Mercedes außerdem Product-Lifecycle-Management-Module (PLM) von SAP ein. Via Netweaver ist die Software für das Produktstruktur- und Änderungs-Management mit dem CAD-System verbunden. Damit lassen sich neue Teilenummern und Revisionen direkt in die CAD-Modellierung übernehmen. Die SAP-Lösung hilft darüber hinaus bei der exakten Stücklistenkonfiguration, der systematischen Planung für jeden einzelnen Motor sowie der Seriennummer- und Chargenverwaltung. In der integrierten Datenbank sind Informationen zu Entwicklungsstand, Qualitätsdaten, Fertigungsvorgaben sowie Lager- und Lieferstatus abrufbar. „Im schnelllebigen Formel-1-Geschäft standen wir vor der Notwendigkeit, effiziente Prozesse und Systeme zu definieren und anzuwenden“, sagt Andrea Byrd, SAP-Projekt-Managerin bei Mercedes-Benz. So könnten sich die Ingenieure auf ihre Stärken in der technischen Entwicklung konzentrieren.

Superrechner machen Wind

Ist das Design in der virtuellen CAD-Welt abgeschlossen, geht es an das Fein-Tuning der Prototypen. Dabei sind Hochleistungsrechner unverzichtbar, wenn die Teams beispielsweise computergestützte Prüfstände und Simulationssoftware einsetzen. „Wir leben heute in einer digitalen Welt, und in der Formel 1 gehen wir bis an die Grenzen der Simulationstechnik und Rechnerkapazitäten“, erläuterte John Howett, Präsident des Toyota-Teams. Es gehe darum, zu verstehen, wo noch Leistungsreserven für die Zukunft liegen. Zwar liefen nach wie vor Tests auf der Rennstrecke. Was dort konkret auf dem Asphalt getestet wird, sei jedoch im Vorfeld durch Computersimulationen vordefiniert worden.

Auch BMW Sauber setzt auf IT, um seine Renn-Boliden die entscheidenden Sekunden schneller zu machen. Supercomputer sollen beispielsweise Windkanaltests unterstützen oder diese sogar ganz ersetzen. Teilweise lassen sich mit Hilfe der numerischen Strömungsmechanik, der so genannten Computanional-Fluid-Dynamics-Technik (CFD), sogar mehr Ergebnisse erzielen als im Windkanal oder auf der Strecke. Mit Hilfe der Rechner lässt sich unter anderem die Aerodynamik von Fahrzeugen in Extremsituationen berechnen, zum Beispiel eines schleudernden Wagens. Im Windkanal sei dies unmöglich, konstatieren die Techniker des Rennstalls.

Dabei zerlegt ein Superrechner die Oberfläche des Boliden sowie die vorbeiströmende Luft in mehr als 100 Millionen einzelne Zellen, deren Verhalten und Einfluss sich so in ganz verschiedenen Rennsituationen und Fahrmanövern berechnen lässt. Auf Basis dieser Ergebnisse können die Techniker schnell entscheiden, welche Teile des Wagens zu modifizieren sind, um die Fahreigenschaften zu optimieren. Beispielsweise werden zunächst unterschiedliche Heckflügel im Computer getestet, bevor die Varianten, die in der Simulation am besten abgeschnitten haben, ihre Fähigkeiten im realen Windkanal unter Beweis stellen müssen. Das macht die Arbeit der Ingenieure effizienter und billiger. Windkanaltests sind aufwändig und kosten viel Geld, heißt es von Seiten des Rennstalls. Investitionen in Hard- und Software machten sich deshalb schnell bezahlt.

Der Super-Rechner im schweizerischen Hinwil kann sich sehen lassen. Ein Cluster aus 512 Dual-Core-Xeon-Prozessoren von Intel simuliert die Luftströmung rund um den Boliden. Das System mit dem Namen „Albert 2“ erreicht eine Rechenleistung von über 12.000 Gflops, das sind mehr als zwölf Billionen Fließkomma-Rechenoperationen in der Sekunde. Weitere Eckdaten des Hochleistungssystems: 2048 GB Arbeitsspeicher, knapp 20.500 GB lokale Festplattenkapazität und weitere 15 TB Plattenspeicher, die über einen separaten File-Cluster bereit gestellt werden.

Telematik durchleuchtet Piloten und Auto

„Seit ich in der Formel 1 bin, hat sich hier enorm viel getan“, kommentiert Nick Heidfeld, Pilot von BMW Sauber, den wachsenden Einfluss der Computer in der Formel 1. Für die Fahrer geht es dabei in erster Linie um die Telematik. Dabei werden während der Testfahrten beziehungsweise der Rennen laufend Daten zu Motor, Chassis, Fahrverhalten sowie den Aktionen und der körperlichen Verfassung des Piloten gesammelt. „Heute bist du ein gläserner Pilot, stellt Ex-Formel-1-Profi Andreas Berger dazu fest.
Die Liste der gesammelten Informationen ist in der Tat lang. Neben Motorinfos wie Temperatur und Drehzahl werden Daten zu Pedalstellungen, Lenkung, Bremskraft und Gang sowie über Geschwindigkeit und Kraftstoffverbrauch aufgezeichnet. Über 100 Sensoren arbeiten dafür in jedem Formel-1-Wagen. Die so ermittelten Daten werden per Funkverbindung an die Rechner in den Boxen übermittelt. Manche Teams postieren dazu eigens Antennen rund um die Rennstrecke, um ständig auf dem laufenden zu sein, was im Wagen passiert, andere Rennställe rufen die zwischengespeicherten Daten einmal pro Runde ab, wenn die Fahrer mit fast 300 Kilometer pro Stunde an der Box vorbei rasen. Neben den Einzelinformationen der Sensoren, können die Techniker auch verschiedene Messdaten kombinieren. Über 1000 Einzelfaktoren, von denen jeder einzelne über den Ausgang des Rennens entscheiden kann, lassen sich so berechnen.
In jedem Grand Prix fallen mehrere Gigabyte an Daten an, die schnell verarbeitet sein wollen. Dazu haben die Teams Breitbandverbindungen in ihre Rechenzentren geschaltet, wo die Informationen blitzschnell verwertet und die Ergebnisse zurück an die Rennstrecke geschickt werden. Sicherheit ist dabei Trumpf: Die Daten müssen sicher abgelegt werden und jederzeit verfügbar sein. Außerdem müssen die Teams ihre Verbindungen zum Fahrer, Datenverkehr wie Sprechfunk, durch Verschlüsselung abschirmen. Zu gern wüssten schließlich die konkurrierenden Teams, was im gegnerischen Rennstall gerade los ist. „Datensicherheit ist essenziell“, sagt Jonathan McNeale, Managing Director von McLaren Mercedes. Das Team registriere täglich mehrere hundert Angriffe auf seine Systeme. Neben der Sicherung der Datenbanken in der Zentrale gehe es vor allem darum, die eigene IT-Umgebung an den Grand-Prix-Wochenenden abzuschirmen, wenn die Systeme im Außeneinsatz offener sind und viele Mitarbeiter mit mobilen Rechnern unterwegs sind.

„Das Thema ist hoch komplex“, berichtet Heidfeld. „In der Box sind ganze Batterien von Computern und Bildschirmen aufgestellt. Vor jedem sitzt ein Ingenieur, der die auf den Rechner gelieferten Daten analysiert.“ Davon profitieren die Fahrer unmittelbar. Beispielsweise können die Ingenieure die Fahrer sofort informieren, sollte sich möglicherweise ein Problem anbahnen. So lässt sich beispielsweise ein Ausfall vermeiden, indem die Techniker dem Fahrer raten, etwas mehr Abstand zu halten, wenn die Motor- und Öltemperatur in die Nähe kritischer Werte ansteigt. Mit etwas mehr Distanz strömt mehr Luft in den Motor und sorgt damit für eine bessere Kühlung Außerdem können die Piloten auf Basis ihrer persönlichen Renn-Ergebnisse und Geschwindigkeitskurven beispielsweise im Qualifying genau abschätzen, an welcher Stelle vielleicht noch etwas herauszuholen ist. Darüber hinaus bleiben die Daten auch im Nachhinein sehr wertvoll, wenn es beispielsweise darum geht, das Auto individuell auf den Fahrer abzustimmen und weiterzuentwickeln.

Das ist umso wichtiger, weil letztendlich immer noch der Fahrer entscheidet und reagiert. Die Statuten der FIA erlauben Telemetrie nur in eine Richtung, vom Fahrzeug zur Box und nicht umgekehrt. Die Techniker können also nicht direkt Motor- und Fahrwerkseinstellungen der Boliden beeinflussen. Das kann nur der Pilot, der aber die entsprechenden Tipps über Sprechfunk aus seiner Box erhält. Auch die FIA-Verantwortlichen machen sich die Telematik zu Nutze. So müssen vom Verband vorgeschriebene Daten mit aufgezeichnet werden und nach dem Rennen den Kontrolleuren leicht zugänglich gemacht werden. Das hilft der FIA darüber zu wachen, ob die Teams das Reglement einhalten. Darüber hinaus schützt das System die Fahrer. Von jedem Wagen aus lassen sich über das „Medical Warning System“ medizinische Notfälle signalisieren und erleichtern damit den Rettungsteams ihre Arbeit.

Gleichgewicht von IT und Gefühl

Befürchtungen, dass die Formel 1 zu sehr von der Technik bestimmt wird und der Sport darunter leidet, teilt Heidfeld nicht. „Es ist beides: Genauso wie das, was die Sensoren liefern und man an den Bildschirmen sieht, richtig ist, ist auch das, was ich als Fahrer spüre richtig.“ Da könne es schon einmal sein, dass die Techniker sagen: Die Aussage passt aber nicht so ganz zu den Daten, die wir hier an den Bildschirmen sehen. Oft sei es dann aber so, dass man die Daten nur etwas tiefer analysieren muss, um zu erkennen, wie Gefühl und Technik zusammenhängen. Das ist dem Formel-1-Piloten zufolge ein wichtiger Prozess, gerade wenn man mit einem neuen Auto oder einem neuen Ingenieur zusammenarbeitet. „Das muss Hand in Hand gehen“, sagt Heidfeld. „Entscheidend ist, beides richtig zu mischen.“ Auf die IT-Unterstützung will er deshalb nicht verzichten: „Das ist ein Teil, der mit dazu gehört.“