Fachkräftemangel bezwingt Unternehmen

IT-Manager im Familienglück

13.09.2011 von Anja Dilk
Vierzig-Stunden-Wochen, Dienstreisen, Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit - der Arbeitsalltag in vielen IT-Unternehmen ist alles andere als familienfreundlich. Doch langsam dreht sich der Wind; die Wirtschaft kann es sich nicht mehr leisten, die Wünsche ihrer Mitarbeiter zu ignorieren.

Nach Einschätzung der Deutschen Industrie- und Handelskammer werden der deutschen Wirtschaft bald jedes Jahr rund 400.000 Fachkräfte fehlen. Im Wettbewerb um Topleute brauchen Firmen Strategien, mit denen sie die besten Mitarbeiter und Führungskräfte finden, motivieren und langfristig binden können. Familienfreundlichkeit steht dabei ganz oben. "Die Unternehmen sind offener geworden", sagt Marcus Schmitz von der auf Familienfreundlichkeit spezialisierten Beratung IGS aus Köln, "weil sie die Einschläge durch den Fachkräftemangel immer stärker spüren."

Für das Kind nur Abendpapa sein, der vor dem Einschlafen noch einen schnellen Kuss auf die Backe drückt? Das ist vielen Vätern heute zuwenig.
Foto: Shutterstock, MilanMarkovic

Das Interesse der männlichen Arbeitnehmer an den Vätermonaten zeigt, dass Unternehmen damit richtig liegen. Seit Einführung der Vätermonate gingen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Schnitt fast 24 Prozent der Väter in Elternzeit. Wie vielfältig die Modelle sein können, die eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen, zeigt die Initiative von Familienministerin Kristina Schröder "Familienbewusste Arbeitszeiten". Hundert best practice Lösungen hat das Familienministerium auf der Seite www.erfolgsfaktor-familie.de gesammelt. Die COMPUTERWOCHE hat bei dreien von ihnen nachgefragt: Mit welchen Modellen schaffen sie es, Job und Familie zu verbinden? Und wie geht es ihnen damit?

Work
Robert Laube, Director und Service Line Lead Business Intelligence für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, drei Kinder:
"Ich habe E-Mails von meinem Mobiltelefon verbannt. Auch nehme ich mir, wann immer möglich, die Zeit, morgens mit meinen Kindern zu frühstücken und sie in die Schule und den Kindergarten zu bringen."
Yasmine Limberger, Group Manager Personalmarketing für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, ein Kind:
"Ich will vor allem das Gefühl haben, dass es meiner Tochter gut geht, ich aber auch als Teilzeitführungskraft einen guten Job mache. Außerdem benötige ich auch ein wenig Luft für persönliche Dinge. Das bedarf einer exakten Terminplanung. Man darf Dinge nicht liegenlassen, sondern muss seine Prioritäten zeitnah abarbeiten und immer alles im Blick behalten."
Petra Kaltenbach-Martin, Service Line Lead Dynamics CRM für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, ein Kind:
"Es ist schwierig, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Bisher klappt es aber mit viel Organisation. Beispielweise nutze ich die Schlafzeiten meines Kindes, um Dinge abzuarbeiten. Zudem muss man viel Energie und Motivation für Kind und Beruf mitbringen. Dennoch ist es schön, beide Welten zu verbinden."
Hans-Peter Lichtin, Country Director Avanade Schweiz, zwei Kinder:
"Die gemeinsame Zeit mit meiner Familie versuche ich so bewusst wie möglich zu nutzen. Es gibt Tage, da kann ich durchaus mit meiner Familie frühstücken und auch zu Abend essen. Das Wochenende verbringe ich mit meiner Familie."
Dominik Steiner, Business Development Executive Avanade Schweiz, Zwillinge:
"Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig, dass man lernt, sich persönlich abzugrenzen und sich Freiräume schafft oder auch spontane Freiräume mal für sich nutzt. Ich versuche von Zeit zu Zeit früh nach Hause zu gehen und so den Abend mit der Familie zu genießen und arbeite dann liegen gebliebene Arbeit am Abend nach - etwa wenn meine Kinder im Bett sind. Oder ich frühstücke mit den Kindern und bringe sie dann in die Tagesstätte. An einem solchen Tag beginne ich dann eben eine Stunde später zu arbeiten."
Eva Steiger-Duerig, HR & Recruiting Consultant bei Avanade, zwei Kinder:
"Wir haben die Kinderbetreuung sehr gut organisiert. Zudem habe ich das Glück, dass die Stadt Zürich ein gutes Kinderbetreuungsangebot hat und mein Mann sich auch an der Kinderbetreuung mitbeteiligt. Dennoch ist das Betreuungsangebot in Zürich auch mit sehr hohen Kosten verbunden."
Carmen Egelhaaf, Senior Marketing Specialist Avanade, ein Kind:
"Abends schreibe ich mir eine Checkliste, was privat am nächsten Tag alles organisiert und erledigt werden will: Lebensmittel einkaufen, aufräumen, Hemden und Blusen zur Reinigung bringen, Geburtstagskarte an Tante Irmgard schreiben, Geschenk für das Patenkind besorgen etc., damit ich nach der Arbeit gleich durchstarten kann. Unsere Putzfrau trägt viel dazu bei, dass ich von einigen Haushaltsaufgaben entlastet bin und möglichst viel Zeit mit meinem Sohn verbringen kann. Und ein Netzwerk von Freunden (da keine Oma in der Nähe) hilft aus, wenn mein Sohn krank ist oder Kindergartenferien zu überbrücken sind."
Andrea Cebulsky, Director Legal Europe Avanade, zwei Kinder:
"Sicherlich ist auch das Reisen manchmal eine Herausforderung - ich bin fast immer mindestens ein- bis zweimal die Woche unterwegs. Ein-Tages-Reisen sind noch zu managen. Problematischer wird es, wenn man für ein paar Tage weg muss, dann muss auch mal die Oma mithelfen. Da ist es dann wichtig, dass man frühzeitig planen kann, insbesondere weil mein Mann die Woche auch unterwegs ist. Der Terminkalenderabgleich mit vier Familienmitgliedern ist manchmal eine Herausforderung für sich."

Kita-Termine im Firmenkalender: Markus Klarmann, 45, Key Account Manager bei Projectplace, Frankfurt a.M.

Heute ist Markus Klarmann seit sechs Uhr auf den Beinen. Um 6.40 Uhr hat er sich den Zug Richtung Frankfurt am Main gesetzt, um acht den ersten kräftigen Kaffee im Büro genommen. Danach ging es von Meeting zu Meeting, bis abends um fünf. Trotz des vollgepackten Tages isst Klarmann später mit seinen Kindern zu Abend. Wenn sein Zug gegen halb sieben wieder in Karlsruhe ankommt, sind die Zwillinge noch lange nicht im Bett. Den Rest der Woche kann der Kundenberater beim Online-Dienstleister Projectplace seine Termine frei einteilen. Muss er mit den Kleinen zum Arzt oder sie von der Kita abholen trägt er das wie einen Business-Termin auch in den digitalen Firmenkalender ein. Die Koordination mit den Vertriebskollegen ist so ein Kinderspiel.

Markus Klarmann, Projectplace: "Kinderangelegenheiten ernst nehmen und offen über Kindertermine zu sprechen gehört zur Firmenkultur."
Foto: Privat

Klarmann arbeitet Vollzeit. Doch für seine Kinder nur Abendpapa sein, der vor dem Einschlafen noch einen schnellen Kuss auf die Backe drückt? Das kam für den Kundenberater nie in Frage. Gleich nach der Geburt von Liv und Elodie 2005 drückte er deshalb auf die Bremse. Klarmann lacht: "Der zu erwartende Workload war mit Zwillingen ja ziemlich groß. Deshalb habe ich drei Monate auf 70 Prozent reduziert." Hurra gerufen hat sein damaliger Arbeitgeber zwar nicht. Aber Gesetz ist Gesetz: "Die Teilzeit stand mir zu."

Wie viel einfacher war es da bei Projectplace, zu dem Klarmann 2008 wechselte. Egal ob Führungskraft oder einfacher Mitarbeiter, die Geschäftsführung des schwedischen Unternehmens sieht es gern, wenn sich ihre Leute auch um die Familie kümmern. Klarmann: "Es gibt ein klares Ja von ganz oben." Sorge um die Kinder ist in Schweden selbstverständlich, für Männer und Frauen. Ehrensache, dass die deutsche Tochterfirma nach denselben Grundsätzen geführt wird. Zurzeit ist der Marketing-Boss einige Monate in Elternzeit, demnächst geht der Security-Verantwortliche des Unternehmens. Klarmanns direkte Chefin hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren nach der Geburt ihrer beiden Kinder immer mal wieder reduziert. Und als heute Morgen eine Kollegin anrief, dass ihre Kinder mit Läusen aus dem Schullandheim gekommen seien, war es für das Team keine Frage: Bleib bloß zu Haus. "Kinderangelegenheiten ernst zu nehmen und offen über Kindertermine zu sprechen gehört zur Firmenkultur", sagt Klarmann. "Um so mehr sind alle bemüht, Jobanforderungen und Kinderaufgaben für beide Seiten optimal zu verbinden."

Klarmann hat eine gute Lösung für sich gefunden. Durch die flexible Zeiteinteilung kann er Fulltimejob und Familienleben verbinden, ohne finanzielle Abstriche machen zu müssen. Seine Frau arbeitet als Ergotherapeutin 25 Stunden in der Woche. Wenn sie früh anfangen muss, bringt er die Kids zur Kita. Kundentermine gibt es dann eben erst um elf Uhr. Wenn er nachmittags zum Kunden ins ferne Stuttgart muss, arbeitet er vorher im Homeoffice. Die Kinder wissen genau: Papa spielt nicht am Computer oder plaudert mit Kumpels am Telefon - er arbeitet. Stören verboten. "Trotzdem bin ich zwischendurch ansprechbar." Die Schuhe zubinden, die Kids trösten, wenn sie hingefallen sind, kleine wichtige Fragen beantworten: "Papa, dürfen wir heute Abend...". Und außer am montäglichen Frankfurt-Tag ist das gemeinsame Frühstück festes Ritual. "Obwohl ich jetzt eine Stunde länger zur Arbeit brauche als in meinem alten Job, habe ich viel mehr von den Kindern", sagt Klarmann.

Flexibel sein und delegieren: Denis Dobrig, 34, Produktionsleiter bei Komsa, Hartmannsdorf b. Chemnitz

Nach der Geburt seines ersten Sohnes änderte sich im Arbeitsleben von Denis Dobrig erstmal nichts. Er arbeitete vierzig Stunden beim ITK-Dienstleister Komsa, seine Frau blieb zu Hause. Nach einem Jahr aber wurde alles anders: Seine Frau ging in ihren Fulltime-Job als Prozessbegleiterin bei der Deutschen Telekom zurück, Sohn William kam in den Betriebskinderarten. "Für uns beide war klar, dass der Kleine nicht neun Stunden in der Kita bleiben sollte", sagt Dobrig. "Also habe ich auf dreißig Stunden reduziert." Morgens um acht brachte er seinen Sohn in die Komsa-Kita, nach sechs Stunden Arbeit holte er ihn wieder ab. Theoretisch. "Wir haben schnell gemerkt, dass es so einfach in einer Führungsposition nicht geht."

Denis Dobrig hat die perfekte Lösung für sich gefunden: volle Flexibilität. Dobrig kann selbst entscheiden, wann er in die Firma kommt und wann er seine Mitarbeiter von zu Hause aus lenkt.
Foto: Privat

Dobrig ist für 18 Mitarbeiter verantwortlich. Wenn sich die Aufträge ballen, können es bis zu 60 sein. Der 34-jährige steuert und koordiniert die Fertigung, verteilt Aufträge, checkt, wer welche Ressourcen braucht, damit der Auftrag pünktlich und in guter Qualität das Unternehmen verlässt. "Oft war ich nach sechs Stunden einfach noch nicht fertig", erinnert sich der engagierte Jungvater - eine Kundenanfrage muss noch dringend raus, ein Schwung von Bestellungen termingerecht abgearbeitet sein: "Dann konnte und wollte ich nicht einfach gehen." Dobrig blieb - oft sieben oder auch 7,5 Stunden lang. Vom dreißig Stundenkonzept blieb zunächst nicht viel mehr als weniger Geld und eine Menge Frust. Irgendwann ging Dobrig zu seinem Chef: "Wir müssen ein anderes Modell finden."

Heute arbeitet Dobrig vierzig Stunden und ist hochzufrieden. Er verbringt viel Zeit mit seinen Kindern, mittlerweile sind es drei, und bekommt seinen Führungsjob trotzdem auf die Reihe. Gemeinsam mit der Personalabteilung hat er die perfekte Lösung für sich gefunden: volle Flexibilität. Dobrig kann selbst entscheiden, wann er in die Firma kommt und wann er seine Mitarbeiter von zu Hause aus lenkt. Einen großen Teil seiner Steuerungsaufgaben hat er auf viele Köpfe im Team verteilt. Wenn seine Frau auf Dienstreisen geht, was oft genug vorkommt, wenn er mit den Kids zu einem Schultermin oder auf ein Sportfest muss, kann er jetzt leicht delegieren. Die Verantwortung ist gestreut, das macht ihn flexibler und die Mitarbeiter motivierter. Der Chef unterstützt Dobrig zu hundert Prozent. Familienfreundlichkeit ist für Komsa ein Grundpfeiler der Unternehmenskultur. 90 Prozent der Männer nehmen die Vätermonate. "Als Führungskraft ist familienfreundliches Arbeiten letztlich eine Frage der Koordination", hat Dobrig mittlerweile gelernt.

Erst vor einigen Tagen flog Dobrigs Frau um fünf Uhr morgens nach Bonn. Er hat zu Hause alles gemanagt, Zähne putzen, anziehen, frühstücken, aber fix. Das kann auch der Dreijährige längst allein. "Mit einer gewissen Struktur klappt das - es ist ein wenig wie bei der Arbeit." Je nach Bedarf bleibt Dobrig manchmal ganz zu Haus. Über ein Homeoffice hat er Zugriff auf das Firmensystem. So arbeitet er in manchen Monaten ein oder zwei Tage von daheim, an anderen zehn.

Missen möchte der Fertigungsleiter die flexible Arbeitsweise nicht mehr: "Ich habe dadurch ein sehr enges Verhältnis zu meinen Kindern. Als die Kita-Erzieher ihn kürzlich lobten, wie kreativ, gut erzogen und fröhlich seine Kinder seien, war er richtig stolz. "Da sagt man sich als Vater: Mensch, da haste was richtig gemacht."

Baby füttern in der Mittagspause: Martin Zipperling, 38, Entwickler bei Consol in München

Für Martin Zipperling war die Sache von Anfang an klar: "Wenn ich mal Kinder habe, möchte ich Zeit für sie haben." Nur zu gut konnte sich der Lehrersohn an seine eigene Kindheit erinnern. Die Eltern waren nachmittags zu Hause, er hatte jederzeit einen Ansprechpartner, manchmal spielten sie zusammen oder gingen raus. "Das habe ich sehr genossen", erinnert sich Zipperling. Als seine Frau schwanger wurde, war sich das IT-Paar sofort einig: Wir bleiben erst zwei Monate zu Hause, dann gehen wir auf zwanzig Stunden. Dass beide beim IT-Dienstleister Consol in München arbeiten, noch dazu in derselben Abteilung, hat die Sache umso leichter gemacht.

Martin Zipperling, Consol: "Wenn der Kleine um fünf Uhr putzmunter war, saß ich um 6.30 Uhr im Büro und bin nachmittags zum Babyschwimmen."
Foto: Privat

Ein "bisschen erstaunt" waren die Kollegen schon, dass Zipperling nach der Geburt mit seiner Frau zu Hause blieb und sie danach so schnell wiederkam. "Aber alle haben es begrüßt." Zwei Monate konnten Zipperling und seine Frau sich nun in Ruhe auf Nico einstellen, den Alltag mit Baby Stück für Stück entdecken. Dass sie in der Zeit mit weniger Geld auskommen mussten, war es ihnen wert. Zipperling hatte unbezahlten Urlaub, in der Elternzeit bekam seine Frau damals nur wenig Geld.

Genauso bewährt hat sich das pari-pari-Modell des Duos im Anschluss. Er ging Montagmorgen, Mittwoch und Freitag in die Firma. Sie war Montagnachmittag, Dienstag und Donnerstag dran, in der Mittagspause schaute Zipperling mit Nico zum Stillen vorbei. Manchmal, wenn der Kleine um fünf Uhr morgens schon putzmunter war, stand der Softwareentwickler schon um 6.30 im Büro auf der Matte. Dafür konnte er am frühen Nachmittag nach Haus gehen und hatte so Zeit für Babyschwimmen oder für Spaziergänge in den Isarauen. "Ich habe viel fokussierter gearbeitet und viel mehr geschafft als früher", sagt Zipperling. "Gleichzeitig hat sich das Leben entschleunigt." Natürlich gab es da auch diese andere Art von Stress, Kinderstress. "Aber durch die fifty-fifty-Auftteilung war es recht entspannt." An den Jobtagen freute sich Zipperling auf die Arbeit, an den Kindertagen auf den Nachwuchs.

Einziger Stresspunkt: der geteilte Montag, Meeting-Tag in der Firma. "Wir mussten uns zu Hause über die Besprechungen austauschen, eine Art kleine Übergabe." Als das Paar nach einem halben Jahr eine Tagesmutter für den Montag einstellte, damit beide montags von 9 bis 16 Uhr im Job sein konnten, entspannte sich die Arbeitsorganisation gewaltig.

Nach dem ersten Geburtstag von Nico stockten Zipperling und seine Frau auf 30 Stunden auf. Solange der Nachwuchs in der Kita war, engagierten sich die Eltern im Job, am frühen Nachmittag ging es gemeinsam nach Haus. Der Karriere geschadet hat das Drei-Phasen-Modell dem Softwareexperten nicht. "Ich mache interessante Projekte und mag meine Arbeit." Kein Wunder, dass das Duo nach der Geburt ihres zweiten Sohnes beschloss: Wir machen das alles noch mal ganz genauso.