IT im Gesundheitswesen/Wiens Donauspital als Vorreiter Die digitale Radiologie setzte weitere IT-Integration in Gang

24.11.1995

Von Franz Koettl*

Als weltweit erstes Krankenhaus hatte 1991 das Sozialmedizinische Zentrum (SMZ) Ost in Wien in der Radiologie voll auf Elektronik gesetzt. Seit Mai 1992 werden Roentgenbilder ohne Filme und daher auch ohne Chemie gemacht, bearbeitet und archiviert. Doch war dies nur der Auftakt zu weiteren medizinischen und verwaltungstechnischen Anwendungen, die das SMZ Ost heute als wegweisend erscheinen lassen.

Rund 1,5 Millionen Roentgenbilder sind inzwischen mit der neuen Methode aufgenommen und gespeichert worden. Da taeglich etwa 200 bis 250 Untersuchungen stattfinden, fallen auch die entsprechend grossen Datenmengen an. Mindestens 2 bis 3, manchmal bis zu 5 GB Daten landen taeglich auf den optischen WORMs.

Ein entscheidender Grund der Entwicklung ist darin zu finden, dass Roentgenstrahlen auf Dauer gesundheitsschaedigend wirken - eine Tatsache, die auch der Entdecker der nach ihm benannten Strahlung leidvoll zur Kenntnis nehmen musste. Daher war es naheliegend, sowohl dem Arzt als auch dem Patienten unnoetige Strahlenbelastungen zu ersparen. Erleichtert wurde das Vorhaben durch das Vorhandensein digitaler Bildaufnahme- und Bildbearbeitungstechniken, die auch garantieren, dass es keine fehlbelichteten Aufnahmen mehr gibt, weil man die Bilder ja digital nachbearbeiten kann. Im SMZ Ost ist das System darauf ausgelegt, dass man auch nach zehn Jahren noch auf die Bilder zurueckgreifen kann. Schliesslich bedeutet die digitale Speicherung auch, dass - anders als bei herkoemmlichen chemischen Filmen - mehrere Aerzte an verschiedenen Stellen gleichzeitig auf dieselben Bilder zugreifen koennen.

Nicht nur die Menge der Daten, sondern auch das Umfeld galt es bei der Planung des Gesamtsystems zu beruecksichtigen. Schliesslich wird das System nicht durch Techniker, sondern durch medizinisches Personal bedient, das noch dazu in einem rotierenden Dienstplan dauernd wechselt. Auch die speziellen Umgebungsbedingungen (Operationssaal, Behandlungsraeume etc.) mussten einkalkuliert werden. Fehlbedienungen muss das System ebenso auffangen koennen wie Fehlfunktionen, die durch die speziellen Umweltbedingungen auftreten koennen.

Drei Anwendungen sind miteinander vernetzt: das Krankenhaus- Informations-System KIS, das Roentgen- beziehungsweise Radiologie- Informations-System RIS und das Picture Archiving and Communication System PACS. Waehrend das KIS fuer die Erfassung und Verwaltung der Patienten- und Abteilungsdaten im Krankenhaus zustaendig ist, erfasst das RIS die Patienten und Leistungsdaten in der Radiologie. PACS ist die Systemkomponente fuer die diagnostische Auswertung und Archivierung der medizinischen Bilder in der Radiologie.

Damit sind auch die Voraussetzungen fuer eine digitale Loesung in der Radiologie umschrieben, naemlich dass die gesamte lokale Organisation DV-unterstuetzt ist und Verbindungen zwischen den einzelnen Teilbereichen bestehen beziehungsweise leicht hergestellt werden koennen. Eine Kombination aus technischen und personellen Voraussetzungen fuehrte jedenfalls dazu, dass das auch Donauspital genannte SMZ Ost noch vor dem Madigan Army Medical Center in den USA weltweit das erste Krankenhaus mit volldigitaler Radiologie war.

Schon bei der Planung des SMZ Ost spielte die Datenverarbeitung eine wesentliche Rolle. Ein eigens entwickeltes Planungs- und Simulationssystem wurde zur Optimierung und Kontrolle der Bau-, Haus- und Energietechnik entwickelt, mit dem das ganze Projekt dreidimensional dargestellt und simuliert werden konnte, was eine wesentliche Unterstuetzung bei den Planungsentscheidungen bedeutete. Das SMZ Ost erhielt daher auch eine eigene DV- Abteilung, die zwangslaeufig schon bald mit dem Zentralen Roentgeninstitut (ZRI) des Krankenhauses eng zusammenarbeitete. Die Tatsache, dass mit Walter Hruby ein Primarius fuer das ZRI designiert worden war, der aus eigenem Antrieb die Verantwortlichen von den Vorteilen und Moeglichkeiten des neuen Systems ueberzeugte, beweist auch, dass die digitale Radiologie vor allem auf Wunsch der Aerzte und nicht auf Draengen von Technikern eingefuehrt wurde. Dass Hruby ein Freund der minimal-invasiven Medizin ist, sollte auch Patienten davon ueberzeugen, dass die digitale Radiologie in ihrem Interesse liegt.

Ein nichtuniversitaeres Krankenhaus wie das Donauspital verfuegt natuerlich ueber keine eigenen Forschungsabteilungen und war und ist daher darauf angewiesen, mit einem groesseren Anbieter zusammenzuarbeiten, der in der Lage ist, ein umfassendes PACS zu planen, zu simulieren und zu installieren. Bei der oeffentlichen Ausschreibung erhielt Siemens mit seinem PACS Sienet den Zuschlag.

Ausgangsbasis sind die sogenannten bildgebenden Systeme. Dabei gibt es solche, die direkt digitale Bilder liefern, und solche, die auf konventionellen Film belichten. Computertomografen, Magnetresonatoren und die digitale Durchleuchtung erzeugen direkt digitale Bilder. Konventionell aufgenommene Bilder muessen dagegen erst digitalisiert werden. Eine Zwischenstufe stellen Systeme dar, die wie etwa Ultraschallgeraete ein analoges Videobild erzeugen, das ebenfalls erst digitalisiert werden muss.

Nach der Aufnahme eines Bildes wird dafuer gesorgt, dass es unabhaengig an zwei verschiedenen Stellen gespeichert bleibt, bis es endgueltig auf einer WORM abgelegt ist.

Die WORMs sind fuer das Online-Archiv in Jukeboxen zusammengefasst, die jeweils eine Gesamtkapazitaet von 1 Terabyte besitzen. Der Kern des Archivs ist das Image-Management-System, das alle im RIS oder PACS jemals erfassten Bilder liefern kann. Ein Magnetspeicher haelt ausserdem die Bilder der aktuellen Patienten fuer einen raschen Zugriff bereit. Das bereits erwaehnte Online-Archiv speichert die Bilder der letzten drei Monate. Dazu kommt noch ein Offline- Archiv, in dem die aelteren Bildplatten gesammelt werden. Die Bilder werden in sogenannten Foldern organisiert. Dabei wird zwischen patientenorientierten und speziellen Foldern unterschieden. Sie werden sowohl nach datentechnischen als auch nach medizinischen Kriterien gekennzeichnet. Die datentechnischen Angaben informieren vor allem ueber den Speicherplatz, waehrend aus den medizinischen Notizen hervorgeht, ob aufgrund der Bilder des betreffenden Folders bereits ein Befund erfolgte und ob sie zur Ansicht freigegeben sind.

Im Donauspital ging man von vornherein davon aus, dass das Gesamtsystem moeglichst "allkompatibel" sein sollte. Als Betriebssystem steht daher Unix im Einsatz. Seit kurzem wird Motif als Benutzeroberflaeche verwendet. Die Bildschirmarbeitsplaetze werden in Bildbetrachtungsstationen und Befundarbeitsplaetze eingeteilt. Bei ersteren kommen sowohl ein- bis zweimonitorige PC- basierte Stationen als auch Workstations mit bis zu acht Grossbildmonitoren zum Einsatz. Die Befundarbeitsplaetze haben nicht nur Bildbearbeitungs-, sondern auch Auswertungsfunktionen. Die Sun-Workstations besitzen zum Beispiel eine integrierte Hardwarelupe. Die Befundarbeitsplaetze verfuegen ausserdem ueber eine Reihe spezifischer Softwarewerkzeuge, deren Funktionen je nach Aufgabe bis zur dreidimensionalen Darstellung reichen.

Ein interessantes Randproblem stellt die Datenkompression auf den WORMs dar. Fuer medizinische Daten sind derzeit nur verlustfreie Kompressionsverfahren erlaubt. Daher scheiden Standards wie JPEG oder MPEG wenigstens vorlaeufig aus.

Das im Donauspital verwendete Netz ist eine Kombination aus Stern- und Ringtopologie, wobei je nach Anforderung verschiedene Technologien zum Einsatz kommen: Ethernet IEEE 802.3 mit einer Uebertragungsgeschwindigkeit von 10 Mbit/s, FDDI ANSI X3T9.5 mit 100 Mbit/s sowie Ultranet mit 1 Gbit/s.

Transportmedien sind Twisted Pair, Koaxialkabel und Glasfaser. Als Topologie kommt beim Ethernet die Bus-, fuer FDDI sowohl doppelte als auch einfache Ringtopologie und fuer das Ultranet eine "Meshed- star"-Sterntopologie zum Einsatz.

Die Digitalisierung wird den Alltag im Krankenhaus noch weit staerker veraendern, als wir uns das heute vorstellen. Aufbauend auf Forschungsergebnisse der Universitaet Nimwegen hat die PSE ein Paket zur Brustkrebsfrueherkennung entwickelt, dessen Algorithmus inzwischen durch eine Double-bind-Studie erfolgreich verifiziert werden konnte. Damit kann der Computer dem Arzt auf den digital erstellten Bildern bereits die verdaechtigen Stellen markieren, die einer eingehenderen Untersuchung beduerfen. Der Erkennungsalgorithmus "Microcalc" ersetzt nicht die Diagnose des Arztes, sondern hilft ihm einerseits bei der Absicherung seiner Diagnose, andererseits weist er fruehzeitig auf eventuelle Microkalzifikationen hin.

Eine weitere Entwicklung, die die Arbeit in Spitaelern veraendern wird, ist der Einsatz neuronaler Netze im Operationssaal, die es dem Arzt erlauben, viele Ablaeufe durch einfaches Sprechen zu steuern. Auch hier ist die Software bereits fertig und soll im naechsten Jahr zum Einsatz kommen.

Noch muessen die Aerzte am hochaufloesenden Bildschirm ihre Befunde erstellen, die moeglichen Papierausdrucke haben bisher zuwenig genuegend Graustufen. Aber immerhin: Zur Planung von Operationen koennen sie bereits herangezogen werden.

Ferndiagnose mit Teleradiologie

Eine interessante Weiterentwicklung der digitalen Radiologie stellt die sogenannte Teleradiologie dar, mit deren Hilfe ein Arzt eine Ferndiagnose zu stellen vermag. Damit kann in einem Notfall auch dann auf einen Spezialisten zurueckgegriffen werden, wenn in dem Krankenhaus, in das der Patient eingeliefert worden ist, kein entsprechender Facharzt vorhanden ist.

Der derzeitige europaeische De-facto-Standard ISDN ist fuer die Uebertragung von Datenmengen, wie sie im SMZ Ost anfallen, allerdings noch zu langsam, vor allem, wenn man bedenkt, dass gaengige Kompressionsverfahren nicht eingesetzt werden duerfen. Dennoch ist es den Technikern gelungen, als ersten Schritt ein Demonstrationssystem zwischen zwei Spitaelern einzurichten.

Mit Breitbandtechnologien wie etwa Breitband-ISDN lassen sich Geschwindigkeiten von 10 Mbit/s und damit deutlich hoehere Uebertragungsraten erreichen. Eine Ferndiagnose nicht nur in Einzelfaellen rueckt damit in den Bereich des Moeglichen.

Damit wird es aber den Krankenanstalten moeglich, bei einer Verbesserung der medizinischen Betreuung (nur Spezialisten erstellen Befunde) eine deutliche Kostenreduktion (nicht jedes Krankenhaus benoetigt fuer jede Disziplin einen Spezialisten) zu erreichen. In Zeiten einer Seehofer-Gesundheitsreform in Deutschland oder der Finanzprobleme des oesterreichischen Krankenanstaltenzusammenarbeitsfonds (Krazaf) ist dies auch fuer uns potentielle Kranke beruhigend.

*Franz Koettl ist freier Journalist in Wien.

IT im Gesundheitswesen/Die Antithese zum AKH

Das Sozialmedizinische Zentrum Ost in Wien, kurz SMZ Ost genannt, ist mehr, als sein Name sagt: Tatsaechlich ist es ein komplettes Krankenhaus fuer den Norden und Osten der Grossstadt Wien. In wenigen Jahren auf der gruenen Wiese hochgezogen, stellt es sozusagen die Antithese zum skandalumwitterten Allgemeinen Krankenhaus (AKH) mit seinen Universitaetskliniken dar. Waehrend das AKH nach Milliardenaufwaenden auch rund vierzig Jahre nach Baubeginn noch immer nicht so funktioniert, wie es als Heimstatt der Wiener Universitaetskliniken eigentlich sollte, zieht das auch Donauspital genannte Krankenhaus immer wieder Interessenten aus aller Welt an.