IT-Geschäft von Siemens stagniert

04.08.2004 von Gerhard Holzwart
Die IT-Sparten der Siemens AG haben nach wie vor Probleme - ein Umstand, der durch die insgesamt gute Konzernbilanz im dritten Quartal nur vordergründig verdeckt wurde. Anhaltende Umsatzrückgänge im Netzausrüstergeschäft, der Preisdruck im Handy-Markt sowie die schwache Performance der Dienstleistungstochter Siemens Business Services (SBS) machen einen tief greifenden Strategiewandel unumgänglich.
Kein Ruhmesblatt: Die künftig aus den Bereichen ICN und ICM bestehende Sparte Siemens Communications tritt aufgrund des schwachen Netzwerkgeschäfts bei der Umsatzentwicklung auf der Stelle. SBS ist und bleibt ein Sanierungsfall.

Angesichts von Schlagzeilen wie "Siemens erfreut die Börse mit guten Zahlen" konnte sich das Management des Elektronikriesen nach der Veröffentlichung der Zahlen für das dritte Fiskalquartal 2004 (Ende: 30. Juni) über eine gute Presse freuen. Kein Wunder, denn die Performance des gesamten Konzerns überzeugt; Umsatz, operatives Ergebnis und Gewinnmarge liegen nach Abschluss von neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres weit über den Erwartungen der Analysten. Außer den Qualitätsproblemen beim neuen Straßenbahntyp "Combino", die dem Geschäftsgebiet Verkehrstechnik in der jüngsten Berichtsperiode tiefrote Zahlen bescherten, scheint bei den Münchnern alles nach Plan zu verlaufen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber vor allem in den IT-Sparten des Konzerns unverändert großer Handlungsbedarf.

ICN seit vier Quartalen profitabel

So meldete der Bereich Information and Communication Networks (ICN) im dritten Quartal einen Umsatz von 1,67 Milliarden Euro, was einem Minus von einem Prozent gegenüber dem Vergleichsquartal des Vorjahres entspricht. Rund 816 Millionen Euro trug das Geschäft mit Carrier Networks samt entsprechenden Services zu den Einnahmen bei, knapp 860 Millionen Euro wurden mit der Auslieferung von Equipment für Firmennetze erwirtschaftet. Unter dem Strich kam dabei insgesamt ein operatives Ergebnis von 51 Millionen Euro heraus, nachdem im dritten Quartal 2003 noch ein Verlust in Höhe von 125 Millionen Euro angefallen war.

Entscheidend dürfte aber ein anderer Trend sein, der sich aus den Zahlen dieser Sparte ablesen lässt: Dank einer umfassenden Restrukturierung und der Streichung Tausender von Arbeitsplätzen ist ICN bereits das vierte Quartal in Folge wieder profitabel, doch die Umsatzentwicklung bleibt konstant rückläufig. Letzteres ist um so bemerkenswerter, als es im TK-Sektor Wettbewerbern wie Lucent Technologies, Ericsson und Alcatel zuletzt gelungen war, besser aus der Konsolidierungsphase herauszukommen und zum Teil wieder deutliche Umsatzzuwächse zu verbuchen. Im Bereich Enterprise Networks zeigen die jüngsten Bilanzen von dortigen Siemens-Konkurrenten wie Cisco Systems und Juniper Networks ohnehin, dass die Firmenkunden - wenn auch in bescheidenem Ausmaß - wieder investieren.

Wenig zufrieden stellend sind auch die jüngsten Ergebnisse des Bereichs Information and Communication Mobile (ICM). Zwar konnte Siemens den Umsatz mit Mobilfunknetzen und Mobiltelefonen gegenüber dem vergleichbarenVorjahreszeitraum um 13 Prozent auf 2,44 Milliarden Euro erhöhen, wobei ein operativer Gewinn von 64 Millionen Euro übrig blieb. Doch die Handy-Sparte sorgte für eine böse Überraschung: Trotz der von 8,1 auf 10,4 Millionen gestiegenen Verkaufszahl entstand hier ein operativer Verlust von 88 Millionen Euro. Vorstandsvorsitzender Heinrich von Pierer führte dies in einer Analystenkonferenz auf den "intensiven Wettbewerb" und den damit verbundenen kontinuierlich sinkenden durchschnittlichen Verkaufspreis pro Handy zurück. Gleichzeitig habe der Modellwechsel von der Generation "55" zum Typ "65" einen noch höheren Absatz von Geräten verhindert. Mit der neuen Handy-Familie könne man nun aber auch wieder bessere Margen erzielen, bekräftigte der Konzernchef.

Grundsätzlich zeigte sich von Pierer überzeugt, dass sich durch die Anfang Juli angekündigte Zusammenlegung der beiden Sparten ICN und ICM zum neuen Konzernbereich Siemens Communications mit Beginn des Geschäftsjahres 2005 "erhebliche Synergiepotenziale" ergeben. Vor allem könne man der Nachfrage nach konvergenten Lösungen besser Rechnung tragen. Nähere Details nannte der Siemens-Chef nicht. Das entsprechende Budget werde vermutlich erst im November dem Aufsichtsrat zur Genehmigung vorgelegt, hieß es. Das dürfte ein Beleg dafür sein, dass diese strategische Maßnahme erst in den letzten Wochen unter der Ägide des designierten neuen Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld beschlossen wurde und nun organisatorisch noch umgesetzt werden muss.

An der Handy-Sparte wird festgehalten

Insider gehen davon aus, dass der Siemens-Vorstand von Lothar Pauly, der ab Oktober als neuer Spartenchef von Siemens Communications fungiert, Einsparungen in dreistelliger Millionehöhe erwartet. Zudem muss der frühere ICM-Manager, dessen Berufung wie alle übrigen Personalwechsel im Vorstand inzwischen vom Aufsichtsrat abgesegnet wurde, endlich die vorgegebene Gewinnmarge von minimum acht Prozent errreichen, ein Rezept gegen die Wachstumsschwäche im Netzausrüstergeschäft finden und für eine schlüssige sowie kosteneffiziente Produktstrategie im Handy-Markt sorgen. Glaubt man weitergehenden Spekulationen, denkt man in München bei der Handy-Produktion und -Vermarktung unter anderem über ein Joint Venture mit dem chinesischen Kooperationspartner Ningbo Bird nach. Bereits beschlossene Sache ist laut Siemens die Übernahme der Mehrheit am chinesischen Festnetzausrüster Bisc, einem Gemeinschaftsunternehmen, das die Münchner schon 1990 im Reich der Mitte zusammen mit dortigen TK-Produzenten gegründet hatten und das in Zukunft unter Siemens Communication Networks Beijing (SCNB) firmieren soll. Branchenkenner schätzen den momentanen Jahresumsatz der Company auf umgerechnet rund 200 Millionen Euro.

Ungewisser denn je scheint indes die Zukunft des IT-Dienstleisters SBS. Die Siemens-Tochter lieferte in der jüngsten Berichtsperiode mit einem operativen Verlust von zwei Millionen Euro einmal mehr ein enttäuschendes Ergebnis ab, der Umsatz ging gegenüber dem dritten Quartal 2003 um elf Prozent auf 1,14 Milliarden Euro zurück. In der Siemens-Erklärung zur Quartalsbilanz ist kühl von "Verzögerungen bei der Umsetzung von Kapazitätsanpassungen" die Rede. Diese seien neben dem anhaltenden Preisdruck im IT-Servicemarkt für das schwache Abschneiden ausschlaggebend gewesen. Auch Konzernchef von Pierer gab sich einsilbig. Der neu berufene SBS-Vorstand Adrian von Hammerstein sei mit der Ausarbeitung einer Strategie beauftragt worden, diese werde im November dem Aufsichtsrat präsentiert. Grundsätzlich sei es, so von Pierer, nicht ausgeschlossen, dass es "für SBS weiterhin eine profitable Nische innerhalb des Konzerns gibt".

Firmennahen Quellen zufolge ist über die sich am ehesten anbietenden Alternativen für SBS - Auflösung beziehungsweise Wiedereingliederung in den Konzern oder Einbringung in ein Joint Venture mit einem größeren Partner - noch nicht entschieden. Entsprechend verunsichert und zum Teil demotiviert sei die Mannschaft, der schwierige Markt trage den Rest zu den schlechten Geschäftsergebnissen von SBS bei, heißt es. Christophe Chalons, Geschäftsführer der deutschen Tochter des französischen Marktforschungsgesellschaft Pierre Audoin Consultants (PAC), hält es dennoch nicht für völlig abwegig, dass die Münchner ihre IT-Dienstleistungstochter wieder stärken und weiterhin autark betreiben. Immerhin konnten zuletzt im Ausland einige große Outsourcing-Projekte gewonnen werden, und auch in Deutschland liege SBS bei einigen Ausschreibungen in den Bereichen Finanzdienstleister und öffentliche Hand gut im Rennen.