IT-Freelancer haben eine Berg- und Talfahrt hinter sich. Waren sie im Jahr 2008 begehrter denn je, ist 2009 die Wirtschaftskrise bei ihnen angekommen. Honorare sinken, und Projektaufträge lassen auf sich warten. Vielleicht ist das auch der Grund, warum sich freiberufliche IT-Profis mit Aussagen zu ihrer Auftragslage eher zurückhalten. Doch es gibt auch positive Signale. Projektbörsen und Vermittler beobachten, dass der Projektmarkt stabiler wird, wenn nicht gar anzieht.
Unisono vertreten Personaldienstleister die Meinung, dass die SAP-Welt, wenn auch nicht mehr in dem Ausmaß wie früher, nach wie vor interessante Jobs zu bieten hat. Dafür sprechen auch die jüngsten Untersuchungen von Projektwerk.de. Die Hamburger Projektbörse gab bekannt, dass seit Juli dieses Jahres wieder mehr selbständige Java- und SAP-Profis gesucht würden. Glaubt man den Ergebnissen, scheint sich der Projektmarkt nach einem Abschwung, der im Mai seinen Höhepunkt hatte, zu stabilisieren. Die Initiatoren der Studie sehen die Talsohle hinter den Freelancern liegen. Dass Externe mit Java-Know-how wieder mehr Projekte und höhere Stundensätze bekommen, bestätigt auch die jüngste Umfrage des Freiberuflerportals Gulp.
Cobol-Experten sind immer noch gefragt
Zu den Branchen, die Freelancer suchen, zählt Mirko Rippolz, Senior Sales Consultant bei GFT Resource Management, den seit Jahren totgesagten Großrechnermarkt. Der Grund für die für Externe günstige Marktsituation sei der mangelnde Nachwuchs. "Junge Cobol-Spezialisten kommen kaum noch nach." Allerdings sind die Unternehmen selbst vorrangig an Externen mit Erfahrung interessiert.
Zurückgegangen sind die Aufträge laut Rippolz aus Banken- und Versicherungen. Während die Banken Freelancer hauptsächlich im Bereich Security-Audits in IT-Projekten einsetzten, benötigten die Versicherungsunternehmen Externe mit versicherungsfachlichem Know-how. Der GFT-Consultant: "Die Anforderungen, die an die Freiberufler gestellt werden, sind auch in der Krise die gleichen: hervorragendes Fachwissen, Sozialkompetenz und Erfahrung." Bei Banken und Versicherungen sei ein gewisser Stallgeruch von Vorteil.
Projekte für Externe bietet seit längerem auch der öffentliche Sektor an. "Sicher ist dieser Bereich für Freelancer gerade in der Krise interessant geworden", meint Christoph Niewerth, Director Contracting Deutschland beim Personaldienstleister Hays. Er rät den Freelancern, bei entsprechenden Projekten mitzumachen: "In einem kommunalen Datenverarbeitungszentrum können Externe jede Menge Erfahrung sammeln." Nach seiner Ansicht haben Freiberufler, die sich in den Strukturen des öffentlichen Sektors auskennen, auch bei privatwirtschaftlichen Firmen gute Chancen.
In der Bankenwelt beobachtet er seit einiger Zeit eine Stabilisierung. Niewerth: "Hier scheint die Krise überstanden zu sein. Die Aufträge ziehen richtig an." Ein Grund seien die zahlreichen rechtlichen Vorgaben, die dringend erfüllt werden müssten.
Outsourcing bringt Aufträge für Freiberufler
Eine verstärkte Nachfrage sei zudem bei Outsourcing-Projekten zu beobachten. Hier würden freie Mitarbeiter für die koordinierende Funktionen gebraucht. Der Hays-Manager: "Gesucht werden Externe, die über hohe soziale Kompetenz verfügen. Denn der Freiberufler muss mit den Betroffenen kommunizieren und auf die jeweiligen Ansprechpartner zugehen können." Erfahrung stehe auf der Wunschliste der Unternehmen ganz oben. Niewerth weiter: "Das gilt für Berater, die als Embedded-Profis auf den Gebieten Automotive, Luft- und Raumfahrttechnik, aber auch bei mobilen Endgeräten wie Handys und medizinischen Geräten eingesetzt werden. Je erfahrener, desto größer die Chancen." Freiberuflern, die frisch von der Universität kommen, rät der Hays-Manager, sich vor der Selbständigkeit einen Job bei einem Consulting-Unternehmen zu suchen. Auch wenn das in diesen Zeiten nicht mehr so einfach sei wie früher.
Achtung vor Kettengeschäften!
Ingo Glaser, Mitglied der Geschäftsführung bei der Geco Deutschland GmbH, sieht gute Chancen für Spezialisten, die sich mit Microsoft Dynamics oder Siebel, heute Oracle, auskennen. Glaser: "Je höher der Spezialisierungsgrad, desto mehr sind die Externen ausgelastet." Der Freelancer-Experte fürchtet indes, dass die Wirtschaftskrise eine ganz andere Gefahr für Freiberufler mit sich bringt: "Kettengeschäfte können dazu führen, dass Externe wirtschaftlich ausgebeutet werden." Obwohl es in der Branche eine Art Ehrenkodex gebe, dass zwischen Auftraggeber und Freiberufler maximal ein Vermittler stehen dürfe, würden sich nicht alle Vermittler daran halten. Aufgrund dieser schwarzen Schafe kann es laut Glaser passieren, dass der Freelancer als letztes Glied in der Kette ein deutlich reduziertes Honorar erhalte.
Der Geco-Vermittler rät Externen, darauf zu achten, den Vertrag immer direkt mit der Projektagentur abzuschließen, die sie an den Endkunden oder das Systemhaus vermittelt hat. Glaser: "Es darf nur zwei Verträge geben. Das kann sich der Consultant auch offenlegen lassen." Professionell geführte Unternehmen würden häufig Open Book Policies betreiben. Dazu gehöre die faire Bezahlung des Freelancers genauso wie die Transparenz der Honorare. Der Geco-Manager: "Gerade in Krisenzeiten muss der Consultant sehr aufmerksam sein. Den Letzten in der Kette beißen nämlich die Hunde."
Ein paar Schrammen hat die Wirtschaftslage auch bei der Sulzer GmbH, einer IT-Unternehmensberatung, bei der überproportional viele Freelancer tätig sind, hinterlassen. Da Sulzer viel für Automotive-Zulieferer arbeitet, ist der Druck groß. Geschäftsführer Albert Euba: "Es ist zu befürchten, dass die mittlerweile bereits gesunkenen Honorarsätze auch künftig niedrig bleiben werden." Allerdings sieht er die Existenz der Freiberufler nicht gefährdet. Euba: "Gerade für einen kurzfristigen Auftrag, der noch dazu ohne Folgeauftrag bleibt, sind Externe nun einmal die beste Lösung." Der Geschäftsführer rät Freelancern, die in einer wirtschaftlich angeschlagenen Branche tätig sind, einen Blick über den Tellerrand zu wagen. "Heutzutage ist Flexibilität gefragter denn je."
Die Stundensätze fallen
Wie aber erleben Betroffene die Krise? Während die einen überhaupt keine Rückschläge hinnehmen mussten, haben andere das ganze Jahr über noch kein einziges Projekt erhalten. Oliver Knittel, IT-Freelancer in der Versicherungsbranche, räumt ein: "Bei mir ist die Krise angekommen." Zwei Jahre lang hatte er zu den gleichen Konditionen gearbeitet. Jetzt verhandelte der Auftraggeber neu. Die Folge: verschlechterte Rahmenbedingungen sowie Kürzung des Stundensatzes. Knittel: "Früher erhielt ich die Mehrarbeit vergütet, in Zukunft werden nur acht Stunden pro Tag bezahlt. Wenn ich länger arbeite, ist das sozusagen mein Privatvergnügen."
Letztlich hatte der Versicherungsexperte noch Glück. Sein Projekt wurde im Gegensatz zu anderen im Unternehmen nicht gestoppt. Auch wenn Knittel noch keine schriftliche Zusage erhalten hat, signalisierte ihm das Versicherungsunternehmen, dass es auch im kommenden Jahr an einer Zusammenarbeit interessiert sei. Knittel blickt einigermaßen positiv in die Zukunft. Er glaubt, dass das Schlimmste schon vorbei ist. Der Freelancer: "Ich möchte in der jetzigen Situation nicht nach neuen Aufträgen suchen müssen. Das stelle ich mir schwierig vor."
Kettenverträge
Bei der Vermittlung eines freiberuflichen IT-Experten in ein Kundenprojekt entsteht immer dann ein Kettengeschäft, wenn zwischen dem Freiberufler und dem Kunden mehr als eine vermittelnde Person oder Gesellschaft, typischerweise eine Projektagentur, stehen. Je mehr "Vermittler" in diese Kette eingebunden sind, desto niedriger fällt der Stundensatz für den Freiberufler aus, da alle an der Kette beteiligten Personen oder Unternehmen ein Stück der Marge für sich beanspruchen, der Kunde aber nur bereit ist, einen marktkonformen Preis zu zahlen. Der Freiberufler sollte deshalb darauf achten, dass er nur einen einzigen Vertrag hat, und zwar mit der Projektagentur, die ihrerseits den Vertrag mit dem Endkunden abschließt beziehungsweise die Kundenbeziehung unterhält.