Überleben in einem Markt, in dem nur noch Größe zählt

IT-Distributoren: Warten auf den weiteren Shake-out

06.03.1998

Walter von Szcytnicki, Vorstandsvorsitzender der Computer 2000 AG, muß es wissen. Ist es doch gerade mal zwei Wochen her, daß der Chef des Münchner IT-Großhändlers bei der Vorlage der erneut verlustreichen Konzernbilanz 1996/97 bekräftigte: "Unser Fokus liegt nach wie vor in Europa." Europas Branchenführer reklamiert also seinen Heimatmarkt als neuen (alten) Wachstumsträger - und kommt damit unter Umständen vom Regen in die Traufe. Szcytnicki weiß auch, warum: "Die PC-Distribution ist, gemessen an anderen Branchen, noch kein reifer Markt. Deshalb geht die Konsolidierung weiter. In fünf Jahren wird es vielleicht noch fünf paneuropäische Distributoren geben." Mit anderen Worten: Das, was Computer 2000 mit der Sanierung seiner maroden US-Tochter Ameriquest widerfuhr, könnte den Münchnern quasi vor ihrer Haustüre erst noch bevorstehen - der tägliche Kampf ums Überleben.

"Der Wettbewerb in der IT-Distribution ist beinhart geworden", meint ein Marktbeobachter - eine Expertenstimme unter vielen, die von "weiteren Fusionen und Allianzen" ausgehen. Auch Michael Kaack, Vorstandsvorsitzender der Macrotron AG, gibt sich diesbezüglich keinen Illusionen hin: "Globalisierung heißt der Trend. Die Großen werden weiter zukaufen." Gemeint sind vor allem die US-Grossisten CHS Electronics, Ingram Micro und Tech Data, die sich nach weiteren Übernahmekandidaten umschauen dürften. Denn der Markt, um den es hier geht, ist mehr als ansehnlich. Auf 19,7 Milliarden Dollar taxiert PC Europe für das vergangene Jahr die Einnahmen der 1000 größten IT-Händler in Europa, wobei allerdings nur die Top ten der Branche nennenswert große Umsätze ausweisen (siehe Abbildung Seite 48). Und für Max Hotopf, Analyst bei dem britischen Marktforschungsunternehmen, ist es erwiesen, daß der Appetit der Big Player noch nicht gestillt ist.

Die "Merger-Mania", die Einkaufstour der Großen, dürfte Hotopf zufolge daher auch 1998 ihre Fortsetzung finden und über kurz oder lang zu einer Zweiklassengesellschaft führen.

Während nämlich die US-Giganten und Computer 2000 alles daran setzen werden, ihre Marktanteile im europäischen Geschäft weiter auszubauen, bleibt daneben allenfalls Raum für Spezial-Distributoren, analysiert der britische Experte. Drei gegen einen heißt es damit beim Kampf um die Vorherrschaft auf dem Alten Kontinent, und spätestens jetzt weiß man, wo den Computer-2000-Boß der Schuh drückt. "Nur die Großen überleben", riskiert er einen Blick in die Kristallkugel. Und es dürfte seiner Meinung nach kaum einer der Mittelständler der Branche, also Distributoren mit einer Umsatzgröße zwischen 100 Millionen und fünf Milliarden Mark, eine Zukunft haben. Szcytnicki: "Die sind einerseits als Nischenanbieter zu groß, haben aber andererseits nicht die Mittel, um die nötigen Investitionen in Logistik und einheitliche IT-Systeme zu tätigen."

Distributoren haben Trend zum Internet verschlafen

Gerade dies ist derzeit aber eine große Herausforderung in der Distributoren-Szene. Die Rede ist von zeitgemäßen Warenwirtschaftssystemen und IT-Lösungen als Schnittstelle zum Kunden - Parameter, bei denen viele der renommierten Händler von High-Tech-Equipment nicht unbedingt als Avantgardisten glänzen. Vor allem das Internet gilt unter Szenekennern längst als verkaufsfördendes Instrument - die hinlänglich bekannten WWW-Features wie schnelle und umfassende Informationsmöglichkeit über Verfügbarkeit, technische Spezifikationen von Produkten sowie Preise lassen grüßen!

Konkret geht es derzeit vor allem für die internationalen Grossisten darum, ihre Inhouse-Kommunikation, vor allem besagte Warenwirtschaftssysteme, zu vereinheitlichen und mit Schnittstellen zu Lieferanten und Wiederverkäufern auszustatten. Denn wer im harten Distributionsgeschäft überhaupt noch etwas verdienen will, muß die Lagerhaltung auf ein Minimum reduzieren. Computer 2000 hat diesen, wie Szcytnicki es ausdrückt, "organisatorischen und vor allem finanziellen Kraftakt" bereits hinter sich - unter anderem mit der Einführung der Standardsoftware R/3 von SAP. Was den Computer-2000-Chef offensichtlich auch im Hinblick auf die sehr kauffreudige US-Konkurrenz ruhig schlafen läßt: "Diejenigen Wettbewerber, die aus einem Sammelsurium von Unternehmen mit heterogener DV-Landschaft bestehen, werden sich schwertun. Entweder sie standardisieren und müssen dafür groß investieren, oder sie machen weiter wie bisher und verpassen den Anschluß."

Erster Adressat seiner Stichelei dürfte Erzrivale CHS Electronics sein. Seit 1991 treibt der amerikanische Vollsortimenter sein internationales Wachstum durch Akquisitionen voran. Vor allem durch die Aufkäufe des Europa-Geschäfts vom Konkurrenten Merisel im September 1996 und dem Erwerb der Braunschweiger Unternehmensgruppe Frank & Walter im März 1997 sowie der Schweizer Karma International SA wenige Monate später hat CHS unter der Leitung von President Claudio Osorio einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht. In Europa liefert sich CHS mit Computer 2000 mittlerweile ein Kopf-an-Kopf-Rennen, in Deutschland nimmt man für sich seit neuestem gar den höchsten Umsatz in Anspruch.

Daran haben die Münchner, die hierzulande über ihre Tochter Computer 2000 GmbH operieren und jahrelang - wie in Europa - unangefochten an der Spitze standen, natürlich schwer zu kauen. Doch Konzernchef Szcytnicki hat auch diesbezüglich eine ganz spezielle Sicht der Dinge: "Es kommt für uns nicht so sehr darauf an, die Nummer eins oder zwei in einem Land zu sein, sondern in dem von uns adressierten Marktsegment. Die Einkaufsvorteile eines Distributors ergeben sich nicht allein aus seiner globalen oder europäischen Größe, sondern aus der Position den jeweiligen Schlüsselherstellern gegenüber." Viel mit dieser neuen Lesart dürfte natürlich das gescheiterte US-Abenteuer der Münchner zu tun haben, aber das ist ein anderes Thema. War es jedenfalls noch vor wenigen Jahren Szcytnicki höchstpersönlich gewesen, der mit seiner Vision von der Globalisierung die Branche aufgerüttelt hatte, so sagt er heute: "Die Globalisierungsthese, die derzeit von unseren Wettbewerbern strapaziert wird, ist nicht bewiesen."

CHS aber ist nicht der einzige US-Konkurrent, der den Münchner Kopfzerbrechen bereitet. Im vergangenen Jahr haben sich auch Ingram Micro mit J&W und Tech Data mit Macrotron kräftig in der deutschen Distributoren-Landschaft bedient. Noch sind die drei jedoch hauptsächlich damit beschäftigt, ihre "Neuerwerbungen" zu integrieren - was nicht ohne Probleme abgeht. So kam es bei Ingram Micro in der zweiten Jahrehälfte 1997 zu großer Unruhe, weil nach dem Merger mit J&W zahlreiche unzufriedene Mitarbeiter das Weite suchten. Und Macrotron, wo sich der Firmengründer und Drahtzieher des Deals mit Tech Data, Richard Bladowski, mittlerweile aufs Altenteil zurückgezogen hat, kündigte unlängst an, für das abgelaufene Geschäftsjahr trotz guter Ergebnisse die Dividende drastisch zu kürzen und sich nach zehnjähriger Präsenz als AG demnächst von der Börse zu verabschieden. Man wolle dem neuen Mehrheitsaktionär volle Handlungsfreiheit ermöglichen, hieß es offiziell. Hinter den Kulissen wird indes über das "an die kurze Leine Nehmen der deutschen Vertriebsgesellschaft" gemunkelt.

Ärger mit den verbliebenen Kleinaktionären dürfte jedenfalls programmiert sein, wenngleich laut Vorstandschef Kaack eine "mehr als faire Barabfindung" geplant ist. Dennoch scheint man beim Vollsortimenter Macrotron den Schritt unter das Tech-Data-Dach bislang nicht bereut zu haben. "Für das Unternehmen war dies die beste Lösung", erklärt Kaack. Seine Begründung liest sich im weiteren wie eine Kurzanalyse der derzeitigen Marktbedingungen: "Zum einen wurde es für uns immer schwerer, das für unser Wachstum nötige Kapital zu bekommen. Zum anderen war es für uns als Broadline-Distributor nicht mehr möglich, uns wieder in eine Nische zurückzuziehen. Das wäre teuer geworden."

Zu klein zum Überleben, zu groß zum Sterben also - mit zuletzt immerhin knapp zwei Milliarden Mark Umsatz war Macrotron jedenfalls alles andere als ein Nobody in der Branche. Was ist nun aber mit der weltweiten Nummer zwei im Rücken anders? Man könne "global agieren, die Finanzsitutiation hat sich erheblich verbessert, und es ergeben sich neue und erweiterte Lieferantenverträge", redet der Macrotron-Chef den Verlust seiner Selbständigkeit schön.

Speziell in der deutschen Distributoren-Szene werden indes die Karten nicht nur durch die aggressive Akquisitionspolitik der US-Branchenriesen neu gemischt. Auch Groß- und Versandhändler haben in der jüngsten Vergangenheit verstärkt ihre Fühler nach den hiesigen IT-Grossisten ausgestreckt. Bestehende Anteile wurden aufgestockt oder ganze Unternehmen zugekauft. So erhöhte der Hamburger Otto-Versand seine Anteile an Actebis zu Jahresbeginn von 47,5 auf 97,5 Prozent. Und die Kölner Metro AG hat sich hierzulande in den vergangenen Jahren fast still und heimlich ein PC- und PC-Produkte-Vertriebsimperium aufgebaut. Unter dem Dach des Handelsgiganten tummeln sich mittlerweile nicht nur das Warenhaus Kaufhof und die Elektronikhändler Saturn und Media Markt, sondern auch die IT-Discounter Vobis, Maxdata und Peacock.

Für Insider steht darüber hinaus jetzt schon fest, daß sich der Metro-Konzern noch stärker in diesem Markt engagieren wird. "Der Handel ist die Domäne der Metro, und mit den übernommenen Unternehmen haben die Kölner die deutsche IT-Handelsszene schon gut im Griff. Doch um international ein Wort mitreden zu können, müssen sie noch weiter investieren", sagt ein Marktkenner. Übernahmekandidat könnte dabei, so gewagt sich diese Prognose zunächst anhört, Computer 2000 sein. Noch befinden sich die Münchner zwar im Besitz des Mischkonzerns Viag, doch es ist ein offenes Geheimnis, daß dieser mit seinem IT-Standbein nicht mehr glücklich ist.

Spekulationen über die Zukunft von Computer 2000 sind somit an der Tagesordnung. Mehrheits- gesellschafter Viag könnte aus- oder aber erst richtig einsteigen. Zum Beispiel, wie derzeit auch in der Branche geflüstert wird, durch die Übernahme von Tech Data. Ein Jahrhundert-Deal im Distributoren-Markt sozusagen, der zumindest der Philosophie der Viag-Holding entsprechen würde, in all ihren Geschäftsfeldern zu den international führenden Anbietern zu gehören. Mit Tech Data wäre diese Bedingung durch ein (endlich) starkes US-Standbein sowie die in Deutschland und Europa nur schwer zu schlagende Kombination Macrotron/Computer 2000 erfüllt. Dumm ist nur, daß die Viag AG derzeit im Bereich Telekommunikation mindestens ebenso ehrgeizige Ziele hat, was Spekulationen dieser Art dann doch wieder relativiert.

Metrologie nächstes Objekt der Begierde?

Ein großes Fragezeichen steht auch hinter dem französischen Distributor Metrologie. Das Unternehmen rangiert der jüngsten Analyse von PC Europe zufolge mit einem Umsatz von rund 848 Millionen Dollar 1997 auf Rang acht unter den europäischen IT-Distributoren, hat aber große Probleme in wichtigen deutschen Markt. Die Einnahmen sind mager. 1996 wurde gerade mal ein Umsatz von rund 120 Millionen Mark Umsatz verzeichnet und 1997 lag selbiger, wenn überhaupt, nur geringfügig höher. Schwerer wiegt aber noch, daß die deutsche Metrologie GmbH seit Jahren unprofitabel arbeitet. Hinzu kommt: Der von der Muttergesellschaft verordnete Umbau vom Spezialanbieter zum Vollsortimenter ist bislang nicht gelungen. Es fehlt am richtigen Konzept und am Geld, denn die Franzosen wollen zwar Erfolge sehen, knausern aber mit den nötigen finanziellen Mitteln.

Unlängst soll die deutsche Metrologie-Tochter bereits Computer 2000 zum Kauf angeboten worden sein - auch wenn Konzernchef Szcytnicki dem Vernehmen nach dankend abgewunken hat. Finden die Franzosen aber einen Käufer für ihre marode Tochter, können sie sich gleich selbst auf die Liste der Übernahmekandidaten stellen. Denn ohne Deutschland-Engagement wird es Metrologie schwer fallen, die Position in der europäischen Broadliner-Szene auszubauen. Dies wiederum könnte Mehrheitsaktionär Apax, der 1995 rund 35 Millionen Mark in das Unternehmen pumpte und dafür einen Anteil von 60 Prozent an Metrologie übernahm, langsam die Lust am IT-Handelsgeschäft im allgemeinen und Metrologie im speziellen vergehen lassen. Erscheinen die Franzosen auf der Transferliste, dürfte indes eine Reaktion des US-Trios CHS, Ingram Micro und Tech Data - und möglicherweise auch der Metro AG - nicht lange auf sich warten lassen.

*Beate Kneuse ist freie Fachjournalistin in Nünchen.