Digitale Bildung etablieren

IT-Branche wünscht sich Informatik als Pflichtfach

09.03.2015 von Ingrid  Weidner
Seit einigen Jahren entscheiden sich deutlich mehr Schüler für ein technisches Studium. Informatik soll künftig einen festen Platz im Stundenplan erhalten, so die Forderung der Wirtschaft.
Verbände fordern ein Pflichtfach Informatik in den Schulen. Noch ist man davon weit entfernt.
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Eigentlich lesen sich die Statistiken vielversprechend. Seit einigen Jahren wirken die technisch-naturwissenschaftlichen Studiengänge anziehender auf Abiturienten. Auch die oft als zurückhaltend beschriebenen Schülerinnen trauen sich häufiger ein solches Studium zu. Im Jahr 2013 verließen mehr als 21.000 Informatiker die Hochschulen mit einem akademischen Abschluss in der Tasche, im gleichen Jahr begannen etwa 13.000 Abiturienten ein Informatikstudium.

Selbst der Branchenverband Bitkom, der sonst im Namen seiner Mitglieder über Fachkräftemangel in der IT-Branche klagt, klingt zufrieden. "Wir sind zuversichtlich, dass die Unternehmen ihren Bedarf von 25.000 bis 28.000 Informatikabsolventen pro Jahr nahezu decken können", sagt Stephan Pfisterer, Bereichsleiter Bildung und Personal beim Bitkom, und ergänzt: "Wenn es noch gelingt, die Zahl der Studienabbrecher zu reduzieren und mehr Frauen für das Fach zu begeistern, wäre das prima." Pfisterer sieht Deutschland mit dem breit gefächerten Studienangeboten in Informatik, den Bachelor- und Master-Abschlüssen sowie dem dualen Studium und den IT-Ausbildungswegen gut aufgestellt: "Wir profitieren von einem differenzierten Ausbildungsangebot."

Um diese komfortable Position wurde lange gerungen, denn gegen die Bologna-Reform wehrten sich vor allem viele Technische Hochschulen, die am Diplom festhalten wollten. Doch in den sogenannten MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik sind die neuen Abschlüsse längst Alltag. Was die ungewohnte Begeisterung für technisch-naturwissenschaftliche Studiengänge auslöste, lässt sich empirisch nicht belegen. Aber in den vergangenen Jahren warben Unternehmen und Verbände lautstark für MINT-Studiengänge und IT-Ausbildungswege. Unternehmen, Verbände und Forschungsinstitute tragen gemeinsame Initiativen wie die 2008 gegründete "MINT - Zukunft schaffen". Die Initiative (www.mintzukunftschaffen.de) listet rund 14.000 Projekte aus ganz Deutschland. Außerdem engagieren sich mehr als 15.000 Ehrenamtliche als Botschafter. Manche unterstützen Studenten, die im Studium zu kämpfen haben und ans Aufhören denken, andere informieren in Schulen über die späteren Berufschancen.

Extra Frauenprojekte

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Netzwerk "Komm, mach MINT" wendet sich explizit an Frauen. Ziel ist es, mehr Abiturientinnen für ein technisches oder naturwissenschaftliches Studium zu begeistern. Auch diese Initiative hat eine Sammlung erfolgreicher Ideen zusammengestellt.

Avanade-Mitarbeiterinnen über Frauen in der IT
Frauen in der IT
Frauen in der IT sind selten und um so mehr gefragt. Die Mischung bringt den Erfolg. Wir haben sieben Managerinnen bei Avanade zu ihren Erfahrungen befragt.
Petra Kaltenbach-Martin
"Während meines Studiums zum Diplom Wirtschafts-Ingenieur war ich die einzige Frau, später beim Master of Science in Manufacturing Management waren wir zwei Frauen. Ich war meine Berufslaufzeit lang immer in der absoluten Minderheit. Dies ist für mich der 'Normalzustand'. Ich habe mein Dasein als Frau in der Männerwelt allerdings nie als etwas Besonderes gesehen. Jede Person ist ein Individuum und so begegne ich jeder Person auch individuell. Ich glaube, Frauen sind meist kommunikativer, wollen sich mehr austauschen, suchen eher Kompromisse, ziehen mehr Leute in die Entscheidung mit ein und ja, sie reden manchmal eher 'zwischen den Zeilen'. Letztendlich ist jede Person am erfolgreichsten und authentischsten, wenn sie einfach nur sie selbst ist."
Annette Rust
"In einer gelebten Unternehmenskultur wie der bei Avanade kann man problemlos seine Frau stehen. Hier zählt nicht nur 'get the best people for the job' – wir wissen, dass gemischte Teams erfolgreicher und innovativer sind und es wirtschaftlich dringend erforderlich ist, das Potenzial von Frauen für diese Branche zu erschließen. Wenn man dann noch mit Passion dabei ist, sich auf Inhalte konzentriert und gemeinsame Ziele hat, stehen einem alle Gestaltungs(frei)räume offen - die Philosophie der Diversity eines offenen und global agierenden Unternehmens ist dabei sehr hilfreich und sicherlich entscheidend."
Patricia Dold
"Es ist schön, nach über 20 Jahren in der IT-Branche an dem Punkt zu sein, dass die weiblichen Fähigkeiten im Bereich der Kommunikation, Integration, Kooperation nun im Zeitalter der Collaboration zu wichtigen Erfolgskriterien für die Unternehmen geworden sind."
Yasmine Limberger
"Frauen unterschätzen oft ihre eigentlichen Talente und treten manchmal zu bescheiden auf. Das gilt auch in der IT-Branche. Dennoch habe ich hier die Erfahrung gemacht, dass die männlichen IT-Experten die Leistung und Expertise von Frauen als gleichberechtigt anerkennen und Machtkämpfe nur selten auftreten. Frauen sollten selbstbewusst auftreten und ihre 'typisch weiblichen Talente' richtig einsetzen, dann haben sie gerade in der IT gute Chancen, sich in Teams erfolgreich zu platzieren."
Prachi Kumar
"Vielfalt ist enorm wichtig, um Geschäftserfolge zu erzielen. Als Frau im Avanade Management-Team sehe ich, dass dies fester Bestandteil der DNA unseres Unternehmens ist – und dies bestätigt meine Überzeugung, dass wir auf dem richtigen Weg zum Erfolg sind."
Rabea Reitmeier
"Avanade ist in einer Branche tätig, in der viele Aufgaben eher technischer Natur sind und die traditionell männerdominiert ist. Auf den ersten Blick schreckt dies vielleicht erst einmal eine Reihe von Frauen ab. Auf den zweiten Blick benötigt man auch bei IT-Projekten Skills wie Organisationstalent, Kommunikationsstärke und Change Management-Verständnis – alles weibliche Stärken. Bei Avanade zählt auf jeden Fall das persönliche Engagement, daher können Männer wie Frauen hier gleichermaßen Karriere machen."
Kerstin Leibling
"Ich habe bislang nur positive Erfahrungen gemacht: Männer finden es häufig sehr positiv, wenn es eine Frau im Team gibt. Ich selbst bin bislang immer sehr fair behandelt worden und die Erwartungen waren die gleichen wie bei meinen männlichen Team-Kollegen. Ich bin der Meinung, dass frau ihr Glück selbst in der Hand hat und sich nicht selbst im Wege stehen sollte – die Männer tun dies bestimmt nicht."

Erst rudimentäre Ansätze

Trotz aller Erfolge ähnelt das Informatikangebot an Schulen einer großen Leerstelle. "Digitale Bildung" und "Medienkompetenz" geistern zwar als Schlagworte durch politische Zirkel und Ministerien, in den Lehrplänen finden sich aber nur rudimentäre Ansätze. Der Branchenverband Bitkom fordert, das Fach Informatik im naturwissenschaftlichen Fächerkanon zu etablieren.

"Zwar können Schüler an wenigen Gymnasien bereits Informatik als Abiturfach wählen, allerdings müssen sie ein weiteres technisch-naturwissenschaftliches Pflichtfach belegen. Ähnlich wie schon heute Chemie und Biologie alternierend angeboten werden, ließe sich ein neues Gespann aus Physik und Informatik schmieden", schlägt Bildungsexperte Pfisterer vor.

Doch Bildung liegt in der föderal organisierten Bundesrepublik in den Händen der Länder, und Informatikunterricht ist nicht die einzige Forderung der Industrie.

Andere Verbände wünschen sich, das Fach Wirtschaft stärker im Lehrplan zu verankern, doch auch für Informatik spricht vieles. "Informatik ist mittlerweile ein Teil unserer Lebenswirklichkeit und zählt zur Allgemeinbildung. Nahezu niemand kommt im Alltag oder im Berufsleben ohne Medienkompetenz zurecht", argumentiert Pfisterer. Weist aber gleichzeitig darauf hin, dass Informatik zugunsten der gerade vieldiskutierten Medienkompetenz auf der Strecke bleiben könnte. Ein differenziertes Unterrichtsfach müsse beides leisten, so seine Argumentation, zumal viele Jugendliche das Thema Sicherheit vernachlässigten.

Vorbilder Schweiz und Sachsen

"In der Schweiz gibt es seit eineinhalb Jahren eine Curriculums-Empfehlung, Informatik, Medienkompetenz und IT als zusätzliches Fach zu konstituieren", weiß Pfisterer. Hierzulande wird das noch ein weiter Weg sein. Lediglich in Sachsen ist Informatik landesweit Pflichtfach, in Bayern nur an manchen Schulen. Auch Ellen Walther-Klaus, Geschäftsführerin von "MINT schafft Zukunft", plädiert für Informatikunterricht an den Schulen: "Wir sollten die Stundenpläne umkrempeln." Von Schnellschüssen rät sie aber ab: "Wir sollten uns zwei Jahre Zeit nehmen, um mit Eltern, Lehrern und Schülern zu sprechen." Walther-Klaus bringt gleich einen Vorschlag in die Diskussion ein: "Wieso nicht Medienkompetenz und Informatik in die etablierten Fächer integrieren und sie interdisziplinär organisieren?"

Die Industrie hilft: Zahlreiche Initiativen der Industrie füllen so manche Lücke. Einer der Akteure ist Samsung. Auch Microsoft und Intel engagieren sich seit vielen Jahren in Schulen.
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Zwar wissen Lehrer und Ministerien um die Bedeutung von Informatik, doch nur die wenigsten Schulen können das Fach anbieten, es fehlt an ausgebildeten Lehrkräften. Der andere Knackpunkt bleibt die oft karge Ausstattung. Manche Informatiklehrer müssen das Schulnetz in ihrer Freizeit warten und betreuen.

Dieser Artikel ist im COMPUTERWOCHE-Sonderheft "Zukunft der IT-Profis" erschienen, welches hier zum kostenlosen Download (PDF) zur Verfügung steht.

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