Nutzerfreundlichkeit

IT als Pappmaché

11.08.2009 von Ima Buxton
Während der vergangenen 15 Jahre hat sich ein regelrechter Dienstleistungsboom entwickelt, der nicht zuletzt auf die treibende Kraft technologischer Innovationen zurückzuführen ist. Doch viele dieser technologischen Neuerungen werden schlicht am Kunden vorbei entwickelt, meint Christoph Meinel vom Hasso Plattner Institut.
Fordert mehr Nutzerorientierung bei der Entwicklung von neuen Technologien: Christoph Meinel vom Hasso Plattner Institut in Potsdam.

Herr Professor Meinel, Sie haben das Design-Thinking Konzept von Stanford nach Potsdam gebracht. Was ist das Besondere daran?

Meinel: Design Thinking hat seinen Ursprung an der Stanford University als führende Universität im Bereich Design - und zwar Design nicht nach dem deutschen, sondern dem angelsächsischen Verständnis des Wortes, wo es die Konzeption und Umsetzung einer Idee bedeutet und nicht nur die Gestaltung der Oberfläche wie im Deutschen. Es wurde dort eine Methodologie entwickelt, die Kreativverhalten in einem sehr technischen Umfeld vermittelt. Hasso Plattner hat geholfen, die Idee in Amerika zu einem eigenen Institut an der Stanford University auszubauen, wir konnten den Ansatz übernehmen und versuchen, hier am Hasso Plattner Institut (HPI) in Potsdam das Gleiche in Deutschland zu etablieren. Design Thinking, um auf den Begriff zurückzukommen, sieht sein Arbeitsfeld im Schnittbereich zwischen technischer Machbarkeit, Wünschbarkeit und Bündelbarkeit in einer Geschäftsidee, also von vorn herein auch wirtschaftliche Gesichtspunkte im Innovationsprozess zu berücksichtigen. Unsere Studenten, konfrontiert mit Problemstellungen aus der Wirtschaft, sind gehalten, bei der Lösung die späteren Nutzer möglichst früh einzubeziehen und das Ergebnis möglichst rasch anfassbar machen - etwa in einem Pappmaché-Modell.

Sichtweise des gesunden Menschenverstandes

Wie entwickelt man benutzerfreundliche, technologische Innovationen?

Meinel: Ein wesentlicher Grundsatz ist das Arbeiten in multidisziplinären Teams. Im letzten Studiengang unserer HPI D-School-Ausbildung hatten wir zum Beispiel 40 Studenten aus 33 verschiedenen Studienrichtungen.

Die Design Thinking Methode: In kleinen Teams entwickeln Studenten Lösungen. Räumliche und zeitliche Begrenzungen sollen dabei überwunden werden.

Die Problemstellungen werden von Teams aus sechs bis acht Studenten bearbeitet. Eines unserer Projekte haben wir etwa mit dem Handelskonzern Metro durchgeführt, der große Verluste im Molkereibereich wegen abgelaufener Joghurt zu verzeichnen hatte. Die Becher müssen immer nach dem Ablaufdatum aus den Regalen genommen werden. Die Frage war, ob sich nicht durch eine andere Organisation die Zahl solcher Becher reduzieren lässt. Die Studenten befragten dazu den Betriebsleiter, betrachteten die Kühltheken und beobachteten das Verhalten der Kunden. Wir nennen das die Sichtweise des gesunden Menschenverstandes. Von diesen Beobachtungen ausgehend wird ein idealtypischer Nutzer konzipiert mit Name, Alter, Familienhintergrund, Beruf und so weiter.

Mit bestimmten Brainstorming-Techniken werden dann Ideen generiert, die sehr schnell mit dem Nutzer an Hand von rasch entwickelten Prototypen diskutiert werden. Wichtig ist dabei, dass der Nutzer die Ideen gewissermaßen anfassen kann und so eine sehr realistische Vorstellungen entwickeln kann. Im Metro-Beispiel haben die Studenten eine Art Spendersystem entwickelt, aus dem die Joghurt nur in vorgegebener Reihenfolge entnommen werden können, und die von hinten leicht zu befüllen sind. - das klingt im Ergebnis vielleicht banal, aber das war die Episode vom Ei des Kolumbus ja auch.

Blicken wir einmal 15 Jahre zurück: In welche Richtung hat sich nach Ihrem Verständnis der Privatkundenmarkt aus Dienstleistungssicht entwickelt?

Meinel: Die Kunden haben heute grundsätzlich neue Kommunikationsmöglichkeiten und einen deutlich besseren Zugang zu Informationen. Damit haben sie eine wesentlich größere Marktmacht als damals, verursacht unter anderem durch eine Reihe grundsätzlicher technischer Neuerungen. Handy und Computer mit ihren Nutzungsmöglichkeiten im Internet und Web - wie Google, Ebay und so weiter - gehören inzwischen zum üblichen Bestandteil des häuslichen Lebens. Auch die Möglichkeit, Videos zu konsumieren ist eine weitere Neuerung mit enormen Auswirkungen.

"Google, Ebay und Amazon sind Treiber im Dienstleistungssektor"

Welches waren denn die wichtigsten technologischen Impulsgeber für den Dienstleistungssektor?

Meinel: Im Hardware-Bereich ist an allererster Stelle der Heim-PC zu nennen, das Handy und auch Navigationssysteme haben einen wichtigen Schub geleistet. Offenbar sind lokale Dienste für Menschen von besonderem Interesse, weil sie einen mit der physikalischen Welt, in der man lebt, verbindet.

Ein weiterer grundlegender technologischer Entwicklungsschub ist dem Internet und dort insbesondere dem WWW zu verdanken. Google und der ganze Bereich des Online-Shopping, Ebay und Amazon haben den Dienstleistungssektor in ganz neue Bereiche vorangetrieben. Eine weitere Entwicklungslinie ist die Miniaturisierung, die zum Beispiel im Handy-Bereich sehr deutlich sichtbar wird. Das I-Phone beispielsweise bietet heute in einem kleinen Gerät eine enorme Funktionsfülle, sogar Vorlesungsvideos kann man damit verfolgen.

Befördern innovative Technologien generell die Dienstleistungsqualität?

Meinel: Der Fortschritt im Bereich der IT-Dienstleistungen ist zum einen mit Sicherheit der technischen Entwicklung geschuldet. Zum anderen aber war und ist die Weiterentwicklung der Nutzeroberflächen von entscheidender Bedeutung. Zunächst konnten Computer nur über komplizierte Befehle bedient werden, dann haben grafische Oberflächen mit den uns heute selbstverständlich über Mausklicks zu bedienenden Links die Nutzbarkeit auch für den Nicht-Fachmann erheblich vereinfacht.

Heißt das, dass der Erfolg von Technologien gerade im Dienstleistungsbereich von der Nutzerfreundlichkeit abhängt?

Meinel: Genauso ist es. Für IT-Firmen gilt es doch Produkte zu entwickeln, die auf der einen Seite eine breite Masse ansprechen, dabei aber sehr leicht personalisiert, also an die Wünsche des Einzelnen angepasst werden können.

"Die Industrie muss das Verhalten des Nutzers reflektieren"

Wie lässt sich das in der Praxis umsetzen?

Meinel: Produkte lassen sich mittels Nutzer-Interfaces und Personalisierung auf den Einzelnen abstimmen. In diesem Bereich herrschen in der IT-Branche große Defizite. Es gibt großartige IT-Systeme mit sehr vielen Funktionalitäten, von denen am Ende nur fünf Prozent genutzt werden, weil die Anwendung viel zu schwierig ist. Dicke Anleitungsbücher müssen durchgearbeitet werden, die die Funktionen aber oft immer noch unzureichend erklären. Der Industrie stellt sich die Aufgabe, das Verhalten des Nutzers zu reflektieren, um Funktionalität und Bedienerfreundlichkeit abzustimmen. Apple hat mit dem I-Phone gezeigt, wie das geht.

In der Forschung beschäftigt sich übrigens eine eigene Disziplin innerhalb der Informatik, die Human Computer Interaction, mit dem Thema Benutzerfreundlichkeit. Sie hat die gänzlich intuitive Bedienung eines Systems als Ideal vor Augen. Um dies zu erreichen, ist ein interdisziplinärer Ansatz notwendig, der neben der Informatik auch Psychologie, Kommunikationswissenschaften und andere Disziplinen mit einbezieht.