Messen, steuern, simulieren

IT als Beifahrer im BMW Sauber F1.08

11.07.2008 von Jürgen Liebherr
Ohne IT wäre die Formel 1 heutzutage undenkbar. Egal ob es um Aerodynamik oder Fahrzeugmessdaten während des Rennens geht - die entscheidenden Millisekunden hängen von Computern ab.

Am 20. Juli werden in Hockenheim wieder die Motoren dröhnen. Der Formel-1-Zirkus ist in Deutschland zu Gast. Während Nick Heidfeld schwitzend im Cockpit sitzt und hochkonzentriert seine Runden dreht, senden rund 100 Sensoren an seinem BMW-Sauber-Rennwagen ihre Daten in die Boxengasse. Doch um welche Messwerte geht es da eigentlich und wozu sind sie nötig?

Die Messwerte eines Formel-1-Fahrzeugs

Ein modernes Formel-1-Fahrzeug ist Hightech pur. Jede Schaltung, jede Pedalbewegung, jeder Bremsvorgang wird digital erfasst. Veränderungen können entscheidend sein im Kampf um die eine oder andere Millisekunde Vorsprung vor der Konkurrenz. Deshalb werden schon während der Fahrt circa 800 Megabyte an Daten vom Auto zur Teambox in die Boxengasse gesendet. Die Bandbreite der Funkübertragung beträgt dabei maximal 2 Mbit/s. Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang von Telemetrie – also der Übertragung von Messwerten von einem Sensor zu einer räumlich getrennten Datensammelstelle.

Die etwa 100 Fahrzeugsensoren registrieren Daten, die über etliche Meter Kabel im Rennauto weitergeleitet werden. Konkret geht es beispielsweise um Informationen über den Treibstoffverbrauch. Selbstredend, wie wichtig der Tankzustand für das Rennen mit seinen kalkulierten Boxen-/Tankstopps ist. Aber natürlich interessieren die Techniker und Ingenieure auch die Geschwindigkeit des Fahrzeugs, die Drehzahlen des Triebwerks oder die Temperatur des Motors, der Bremsen und der Reifen. Ein Ansteigen der Motor- oder Öltemperatur in kritische Bereiche kann auf einen Ausfall eines wichtigen Teils hindeuten. Gegenmaßnahmen könnten eingeleitet werden (mehr Luftzufuhr für den Kühler). Andere Sensoren wiederum liefern Daten über Quer- und Längsbeschleunigung oder Reifendruck und -temperatur.

Ingenieure müssen in kurzer Zeit dieses Sammelsurium an Daten in der Box analysieren. Schnelligkeit ist auch hier gefragt, denn die Verantwortlichen müssen unter Umständen ihre Renntaktik ändern.

Mehr als die Hälfte der Messwerte übermitteln Funktechniken direkt an die Teambox. Die restlichen Daten werten Techniker später aus, beispielsweise nach dem Rennen oder während einer Testfahrt. Als Zwischenspeicher fungiert beim BMW Sauber F1.08 ein Flash-Speicher. In der Box angekommen binden Fahrzeugspezialisten das Auto in ein Netzwerk ein. Jeder Flitzer verfügt über eine IP-Adresse. Sobald die Verbindung steht, lesen Rechner den Speicherinhalt im Wagen automatisch aus.

Zeitmessung per Transponder

Der wichtigste Bereich, der hier mit Computertechnik zu tun hat, ist die Zeitmessung. Jedes Formel-1-Auto hat einen integrierten, von den FIA-Regularien bis ins kleinste Detail vorgeschriebenen Transponder. Er sendet ein Signal (so etwas wie die Startnummer) zum Beispiel dann, wenn der Rennwagen eine Induktionsschleife überfährt. Solche befinden sich auf der Rennstrecke sowie in der Boxengasse. Das Signal gelangt via Decoder an die Datenzentrale der Zeitnahmestelle, die sich meist in der Nähe des Race-Towers befindet. Dort verarbeiten mehrere Rechner die Informationen, ordnen sie den einzelnen Fahrzeugen zu und ermitteln dann die Runden- und Zwischenzeiten. Die ausgewerteten Zeiten erhalten schließlich auch die einzelnen Teams sowie die Fernsehanstalten. Die FIA schreibt nicht nur den Transponder vor, sondern bestimmt auch, an welchen Positionen am Fahrzeug Videokameras angebracht werden dürfen.

Mit reichlich Technik ist auch der Pilot ausgestattet. Ein Display versorgt ihn mit Angaben zu Temperatur, Spritverbrauch und Drehzahl.

Extremsport Formel 1

  • Ein Formel-1-Fahrer verliert pro Grand Prix durchschnittlich zwei Kilogramm Gewicht.

  • Die Cockpittemperatur beträgt durchschnittlich 50 °C.

  • Ein Formel-1-Fahrzeug beschleunigte in unter 3 Sekunden von 0 auf 100 km/h und in etwa 5 Sekunden von 0 auf 200 km/h.

  • Bei extremen Bremsmanövern wirken kurzfristig über 5 g auf die Piloten.

  • Karbon-Bremsscheiben und -Beläge erhitzen sich beim Bremsen auf über 1.000 °C.

  • Formel-1-Reifen dürfen bis zu 130 °C heiß werden. Jenseits dieses Wertes steigt das Risiko der Blasenbildung.

  • Mindestens acht Arbeitsstunden benötigt ein Rennteam nach einem Rennen zum Zerlegen eines Fahrzeugs, für die Überprüfung beziehungsweise den Austausch einzelner Komponenten und den erneuten Zusammenbau.

  • Rund 500 Meter Datenleitung und 300 Meter Stromkabel werden pro Team im Boxenbereich bei jedem Rennen verlegt.

  • 15 Funktionen können die Piloten auf dem Display ihres Lenkrads überwachen. Darunter Basisinformationen wie eingelegter Gang, Drehzahl, Spritvorrat und Temperaturen. Auf dem Lenkrad befinden sich auch die Knöpfe für den Boxenfunk, die Trinkflasche sowie die Programmauswahl für Motor-Management und Differenzialeinstellungen.

Eigene Infrastrukturen für die Datenübertragung

Spannung pur auf der Start-Zielgeraden beim Großen Preis von Ungarn

Doch nicht nur die Teambox versorgt sich via Netzwerk mit Fahrzeugmesswerten. Besonders bei den entscheidenden Testläufen im Vorfeld der Rennen werden die Daten vom Fahrzeug und der Strecke auch an die meist fern gelegenen Entwicklungsabteilungen der Rennteams gesendet. Bei BMW Sauber F1 Team befinden sich die Standorte beispielsweise in Hinwil, Schweiz und in München.

F1-Teams schützen sich vor Spionage

Formel 1 ist nicht nur Unterhaltung sondern auch ein Riesengeschäft, in dem es um Millionenbeträge geht. Jede Neuerung in einem Fahrzeug stößt auf immenses Interesse, jede Information über die Konkurrenz kann sprichwörtlich Gold wert sein. Daher gehören Telemetriedaten zu den hochsensiblen Informationen. Spionage anderer Rennställe wollen die Teilnehmer unter allen Umständen verhindern - Formel-1-Teams plagen sich mit ähnlichen Problemen wie so manches Wirtschaftsunternehmen. Aus diesem Grund sind die Aktivisten gezwungen, alle Datenverbindungen mehrfach zu sichern.

Das Team von Renault beispielsweise hat einem Bericht im „Stern" zufolge die Computerzugänge in seiner Hightech-Schmiede in Südengland allein durch vier verschiedene Zugangscodes und viele in sich verschachtelte Firewall gesichert. Dazu haben die Franzosen auch allen Grund. Die IT-Systeme des Rennstalls wurden Jahre zuvor Opfer von Profi-Hackern. Damals gelang es Kriminellen, eine Motoren-Software zu klauen. Laut „Stern" sollen ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR dabei geholfen haben.

Schlagzeilen machte auch eine Formel-1-Spionage-Affäre im vergangenen Jahr, die in einem Gerichtsurteil endete. Durch Informationstechnik hätte der Vorfall aber kaum verhindert werden können: Die geheimen Informationen befanden sich auf 780 Seiten Papier.

Wie und mit welchen technischen Raffinessen die Rennställe ihre Daten schützen, halten sie tunlichst unter Verschluss, um möglichst wenige Rückschlüsse auf mögliche Schwachstellen zu liefern.

FIA regelt Technik bei Veranstanstaltungen

Doch zurück zum ersten und einzigen Formel-1-Rennen dieses Jahres in Deutschland, am 20. Juli in Hockenheim. Welche Rolle spielt die IT bei der Veranstaltung, am Ring? Der örtliche Veranstalter, die Hockenheim-Ring GmbH, muss sich keine großen Gedanken um Computer und Co. machen. Denn wie bei vielen Dingen rund um den Formel-1-Zirkus hat die allmächtige „Fédération Internationale de l´Automobile" (FIA) die Zügel fest in der Hand. Die FIA stellt das technische und sportliche Reglement der Formel 1 auf. Konkret wird während der Saison 2008 die komplette Formel-1-Veranstaltungstechnik von der Organisation an 18 Rennorte in sieben Ländern auf vier Kontinenten gekarrt.

RFID für die Fahrzeug- und Ersatzteilelogistik

Auf dem Teststand müssen die Motoren ihre Tauglichkeit für die Formel 1 unter Beweis stellen.

Auch die Rennteams müssen von Wettbewerb zu Wettbewerb ihr Equipment transportieren. Um die Ortung und Identifikation der großen Anzahl an Fahrzeug- und Ersatzteilen zu erleichtern, arbeitet das BMW Sauber F1 Team gemeinsam mit dem Kooperationspartner T-Systems an einer Teilelogistiklösung auf Grundlage von RFID (Radio Frequency Identification). Ferner arbeiten der Rennstall und der IT-Dienstleister in gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsprojekten zusammen, um unter anderem die Datensicherheit zu gewährleisten.