Smart Metering, Mobile Payment, Quantified Self

IoT und Mobile Connectivity: Nonsense für Finanzdienstleister?

11.01.2018 von Roman Zollet
Amazons Alexa liest mir noch im Bett Aktienkurse vor, der Magic Mirror zeigt mir beim Zähneputzen die Finanz-News, auf der AppleWatch trade ich im Zug zur Arbeit. Über Sinn und Unsinn von Internet of Things (IoT)-Anwendungen für Finanzdienstleister.

Die Bluetooth-Zahnbürste, die mit dem WLAN verbundene Waage, smarte Kleidungsstücke, die Gardinen-Steuerung zuhause oder auch ein Rasenmäher-Roboter – etliche Branchen haben den Startpunkt für IoT-basierte Anwendungen und Geschäftsmodelle gefunden. Doch die Finanzdienstleister müssen höher springen. Denn im reinen Dienstleistungsgeschäft gibt es keine Shops und keine physischen Produkte, in welche sich Sensoren für Tracking oder Kommunikation einbauen lassen.

Es gibt immer mehr mobile Geräte und Objekte, die sich vernetzten lassen.
Foto: Peppinuzzo - shutterstock.com

Herausforderung mobiler Kontext

Vordergründig haben ein Bankkonto, eine Lebensversicherungs- oder Krankenversicherungs-Police überhaupt nichts mit Dingen zu tun. Aber das ändert sich, sobald diese Dienstleistungen im mobilen Kontext stehen. Kontaktloses Bezahlen mit dem Smartphone am Point of Sale (POS), Schritte- und Aktivitäten-Zählen für Präventions-Anreize oder prämienrelevante Blackboxes im Auto sind erste sinnvolle Anwendungen.

Lange Zeit lag der Fokus von IoT-Anwendungen vor allem darauf, durch Sensoren und direkte Anbindung ans Internet die Objekte selbst "intelligenter" zu machen. So sind entsprechende Anwendungen bei Unternehmen wie ABB im Bereich Performance Monitoring und Predictive Maintenance schon seit längerer Zeit im Einsatz.

Den eigentlichen Hype von IoT brachte aber vor allem die rasante Verbreitung von Smartphones in den vergangenen Jahren. Wearables, die ihre Daten via Smartphone ins Netz senden, Lokalisierung via Beacons oder der Remote-Zugriff auf das Smart Home aus einem beliebigen Mobile Kontext – die Konnektivität des Smartphones hat das Internet der Dinge zum Konsumenten gebracht und beflügelt zugleich durch das exorbitante Potential der Daten die Geschäftsmodelle und Fantasie der Anbieter.

Unendliche Möglichkeiten, doch nicht alles ist sinnvoll

Schätzungen von Gartner zufolge werden wir gegen Ende 2017 weltweit von ca. acht Milliarden vernetzbaren Objekten umgeben sein. Die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, haben bereits einige Branchen nachhaltig erschüttert. Kein Wunder also, dass sich auch etablierte Finanzdienstleistungs-Unternehmen mit dem Potenzial der IoT-Anwendungsfälle beschäftigen. Erste Ideen zeigen sich in der Installation von Beacons in Filialen und im Tracking von Gesundheitsdaten. Doch nicht alle Ideen, die auf den ersten Blick attraktiv erscheinen, sind geeignet, eine User Journey sinnvoll zu unterstützen. Dazu im Folgenden drei Beispiele.

Kontext ist alles?

Lokalisierung und Ortungsdienste sind ein entscheidender Faktor bei der Kontextualisierung und damit ein zentraler Aspekt für den Erfolg vieler mobiler und IoT- bezogener Anwendungsfälle. Meldungen zu freien Parkplätzen, ein automatischer Feueralarm, Messungen von Temperatur, Wasserqualität, Verbrauchs- oder Füllmengen, Funktionen wie Zutrittskontrolle, Track and Trace oder Fernsteuerungen – gerade durch Kontextualisierung erhalten Services und Funktionen oft überhaupt erst wirklich Sinn.

Auf dieser Überlegung baut auch eine Reihe von Use Cases bei Finanzdienstleistern auf. Doch nicht jeder kontextualisierte Service stiftet tatsächlich Nutzen. Zuweilen wirkt der Zusammenhang zwischen User Journey und angebotenem Service eher konstruiert.

a) Beacons

Eine schon früh diskutierte Idee war die Installation von Beacons und damit die automatische Erkennung eines Kunden, der eine Filiale betritt. Das setzt allerdings voraus, dass der Kunde sein Smartphone dabei und die entsprechende App geladen hat, Bluetooth oder WiFi aktiviert ist und obendrein die App auch im Hintergrund eine Verbindung annimmt. Ziemlich viele Voraussetzungen bei verhältnismäßig kleinem Nutzen! Denn was bringt es mir, erkannt zu werden, wenn ich in eine Filiale komme?

In den meisten Fällen dieser User Journey hat der Kunde vorgängig einen Beratungstermin ausgemacht und darf erwarten, dass sein Ansprechpartner sich schon vorher auf ihn und seine Historie vorbereitet hat. Die automatische Erkennung läuft ins Leere. Und bei einem anonymen Besuch, etwa für ein einfaches Schaltergeschäft, mag die automatische Erkennung hilfreich für die Bank sein. Doch dem Nutzer bringt das – außer vielleicht einer persönlichen Ansprache – keinen Mehrwert.

Beacons bieten viele Vorteile - für Finanzdienstleister ist die Technologie aber eher unbrauchbar.
Foto: Hersteller

b) Virtual Reality

Eine weitere Idee ist die Nutzung von Virtual-Reality- (VR) oder Augmented-Reality- (AR) Hardware. So kann beispielsweise eine AR-Brille den Weg zur nächsten Filiale oder zum nächsten Geldautomaten zeigen und dorthin navigieren oder Video-Anrufe für Supportfälle ermöglichen. Beides sind valide User Journeys. Allerdings funktionieren sie problemlos auch ohne VR/AR-Hardware.

Solange AR-Brillen nicht zur gängigen Ausstattung zählen, ist dieser Use Case aber kein relevanter Grund, für die Beziehung zum Finanzdienstleister zusätzliche Hardware anzuschaffen. Google Maps weist uns den Weg, Supportfälle lösen wir am Desktop-PC und haben dann entweder ein Telefon in der Hand oder erlauben Co-Browsing mit dem Support-Mitarbeiter.

Virtual Reality ist mehr als eine Spielerei mit konkretem Business Nutzen – für Finanzdienstleister allerdings gibt es momentan praktikablere Alternativen.
Foto: Yuganov Konstantin - shutterstock.com

c) Push-Nachrichten

Eine dritte Idee ist die bedürfnisorientierte Ausgabe von personalisierten Nachrichten am Point of Sale (POS) oder weltweit basierend auf der Geo-Lokalisierung des Users. Ersteres kennen wir aus dem Retail-Bereich, wobei auch dort der Nutzen für den User eher marginal ist. So ist zum Beispiel klar, dass wir etwas essen und trinken wollen, wenn wir mittags in ein Restaurant gehen. Brauchen wir dann spezielle Push-Nachrichten zu Aktionen oder persönlichen Angeboten? Ähnlich ist es bei der Bank: Bei einer ohnedies beschränkten und relativ starren Produktpalette kann man sich keine Push-Nachricht vorstellen, die eine User Journey am POS sinnvoll unterstützt.

Wann helfen Push-Nachrichten dem Kunden wirklich?
Foto: Georgejmclittle - shutterstock.com

Auf der globalen User Journey sieht es etwas anders aus: So wäre ich grundsätzlich froh über aktuelle Push-Nachrichten beispielsweise zu Wechselkurs oder Reiseversicherung. Allerdings ist auch hier das potentielle Kernproduktangebot so übersichtlich, dass die wenigen, aus Sicht eines Finanzdienstleisters relevanten Punkte der User Journey – Fremdwährung beschaffen, Sach- und Reiseversicherung abschliessen, Frühwarnsystem für Kreditkarte aktivieren, etc. – leicht vor der Reise abgehakt sind.

Also alles Nonsens?

Hat IoT für die Finanzdienstleistungs-Branche überhaupt eine Bedeutung? Natürlich ja! Aber einerseits muss die User Journey tatsächlich sinnvoll unterstützt werden, andererseits wird es erst wirklich interessant, wenn man den mobilen Nutzungskontext weit besser versteht und Anknüpfungspunkte zu schon erfolgreichen IoT-Anwendungen unter die Lupe nimmt. Nur so können Anwendungsszenarien identifiziert werden, welche einen echten Mehrwert für den Nutzer bringen und gleichzeitig aus Business-Sicht interessant sind.

a) Mobiler Kontext beim Geldausgeben

Momentan ist Mobile Payment (mittels Bluetooth, Near Field Communication / RFID oder QR-Codes) wohl die einzige digitale Tätigkeit mit Bezug zur Bank, welche den "Toothbrush Test" von Larry Page bestehen würde: Wir benutzen es täglich und es macht das Leben spürbar einfacher. Weil das Geldausgeben in sehr vielen Fällen in einem mobilen Kontext passiert, liegt die Frage nahe, welche vernetzten Dinge hier eine Rolle spielen könnten, um die User Journey zu unterstützen. In allererster Linie handelt es sich dabei um das eigene Device, also zumeist das Smartphone, das GPS, Wifi oder Bluetooth – via Beacons – zur Lokalisierung einsetzt.

Praktisch jede User Journey beim digitalen Geldausgeben hat das Potenzial für sinnvolle und hilfreiche "Antworten" auf Echtzeit-Ereignisse. Im Ausland wären aktueller Währungskurs und schnelle Umrechnung hilfreich. Eine automatische Kategorisierung meiner Zahlungsaktivitäten kann die Arbeit im Self-Service-Portal erleichtern.

Bei gewissen Verhaltensmustern und an bestimmten Orten sind passende Echtzeit-Nachrichten denkbar: Budget-Hinweise ("Sie sind schon zum vierten Mal in dieser Woche bei Starbucks"), Sparoptionen ("Drink & Save" am Samstag Abend in einem bestimmten Gebiet) und Belohnungen (Rundungssparen zugunsten des Vorsorgekontos beim Shopping). Diese Anreize oder Anstöße – sogenannte "Nudges" nach Richard Thaler und Cass Sunstein – haben das Potenzial, die Customer Journey "Geldausgeben" sinnvoll zu unterstützen. Vorbilder dabei sind Mobile Applikationen wie Tripadvisor, Vivino oder Uber, welche den mobilen Kontext stark beachten.

Budget-Hinweise, Sparoptionen und weitere Anreize unterstützen den User in seiner Customer Journey
Foto: Alfazet Chronicles - shutterstock.com

b) Verkäufer/Käufer-Zahlungen und Güterfluss

Einen spannenden Anknüpfungspunkt für IoT-basierte Services bietet auch die Rolle der Bank als Intermediär zwischen Käufer und Verkäufer, wie sie Banken etwa in der Immobilienfinanzierung schon seit langem ausüben. Ähnlich könnte die Bank als "Payment Manager" den privaten Warenkauf und -verkauf vermitteln. Dabei könnten die Artikel selbst z.B. via Do-it-yourself-QR-Codes, die beim Versand aufgeklebt und beim Empfang abfotografiert werden, die Transaktion auslösen

Dadurch werden sowohl die User Journey des Käufers, der nicht mehr selbst die Zahlung veranlassen muss, als auch die User Journey des Verkäufers, der das Geld genau dann erhält, wenn die Lieferung beim richtigen Empfänger angekommen ist, komfortabler und sicherer. Gut integrierbar wären natürlich weitere Dienstleistungen wie etwa die Beurteilung der Kreditwürdigkeit des Käufers oder das Lieferverhalten des Verkäufers.

Interessant ist, dass die Banken bisher das Feld weitgehend Internetplattformen und Zahlungsdienstleistern wie Ebay und Paypal überlassen, die dadurch mittlerweile auf einem höchst lukrativen Schatz von Transaktionsdaten sitzen.

Die Bank als Intermediär zwischen Käufer und Verkäufer: Do-it-yourself-QR-Codes, die beim Versand aufgeklebt und beim Empfang abfotografiert werden, können Transaktion auslösen.
Foto: Lesia_G - shutterstock.com

c) Quantified Self für "Fairness"

Heiß diskutiert wird die Idee, ob Versicherungen ihre Prämien verhaltensbasiert kalkulieren sollen. Immerhin könnten sie dadurch interessante Anreize für ein gesünderes und risikobewussteres Verhalten setzen.

Wenn etwa die KFZ-Versicherung das Fahrverhalten dank der vom Auto übermittelten Daten kennt und die Prämie daran anpasst, würde das einen risiko-ärmeren Fahrstil incentivieren und womöglich den Fahrzeugeinsatz insgesamt reduzieren. Krankenkasse oder Lebensversicherung wiederum könnten honorieren, wenn Kunden ihre Fitness-Daten offenlegen und sich dadurch etwa zu mehr Bewegung leiten lassen. Und Finanzierungsangebote für ein Eigenheim könnten Nutzungsparameter berücksichtigen und eine bewusst vorsichtige, zurückhaltende oder besonders ökologische Verwendung des Objekts begünstigen.

Ein intelligentes Messsystem wie Smart Meter könnte den gemessenen Verbrauch nicht nur an die Abrechnungsstelle weiterleiten, sondern auch der Bank die nötigen Nutzungs-Zahlen liefern. Diese würde sie wiederum zur Verfügung stellen für die Ableitung des Heizungs-Budgets im Personal Finance Management, aber auch für die Bewertung der Nutzungsintensität des Objekts. Letzteres könnte dann die Basis für die Finanzierung sein.

In jedem dieser Fälle bleibt die übergeordnete User Journey – Autofahren, Sport, Wohnen – gleich, aber das Verhalten ändert sich aufgrund der Tatsache, dass Dinge für mich im Hintergrund Daten aufzeichnen und weiterleiten. Vorbilder gibt es in diesem Bereich schon etliche: der "Drive Recorder" von der AXA Versicherung, "myStep" von der CSS Krankenversicherung, oder die Investitionsgüter-Finanzierung "Lifecycle Financing" von Siemens Finance & Leasing.

Finanzunternehmen können Anreize für gesünderes und risikobewussteres Verhalten setzen.
Foto: Satenik Guzhanina - shutterstock.com

Fazit: Zentrale User-Bedürfnisse adressieren

Es wird klar, dass IoT für Finanzdienstleister kein Selbstzweck sein kann. Technologie um der Technologie Willen wird nicht funktionieren. Mit Echtzeit-Ereignissen als Trigger einen relevanten Mehrwert für zentrale User-Bedürfnisse schaffen oder in einem sehr verbreiteten und häufigen Prozess moderierend, unterstützend oder belohnend einzugreifen ist der vielversprechendste Ansatz. Plus Kooperationen: In den meisten Fällen wird es Finanzdienstleistern nicht gelingen, auf eigene Faust die Lösung zu schaffen, welche beim Benutzer Begeisterung auslöst. Und eben dieser Benutzer respektive seine Anforderungen und Erwartungen sollten auf dem Weg zur Lösung eine wichtige Rolle spielen. (mb)