Geht es auch ohne Soft Skills?

Introvertierte IT-Profis erfolgreich machen

21.11.2014 von Bettina Dobe
Selbst der schüchternste ITler muss heute kommunizieren können. Wir haben mit zwei CIOs gesprochen, wie sie Introvertierten helfen, erfolgreicher zu werden.

Fragen beantwortet er entweder im Techno-Slang oder stotternd, Tageslicht hat er lang nicht mehr gesehen und mit Frauen spricht er selten. Gibt es solche schüchternen ITler noch? Nein, meinen zwei CIOs - das können sich weder Unternehmen noch die IT-Experten selbst leisten. So ist sich CIO Michael Müller-Wünsch von Lekkerland sicher: "Es gibt in der IT genauso viele introvertierte Mitarbeiter wie in anderen Abteilungen auch. Nicht mehr, wie sonst behauptet wird." Zwar gebe es wahrscheinlich im Marketing und Sales eher extrovertierte Typen. Daraus ergibt sich seiner Meinung nach eine Verzerrung der Wahrnehmung: "Die Extrovertierten sind sichtbarer. Es wäre albern, das zu leugnen." Aber übermäßig erhöht sieht Müller-Wünsch den Anteil an Introvertierteren in der IT-Branche nicht.

Eher introvertiert? Kein echtes Problem, auch solche Mitarbeiter haben ihren Platz in einem guten Firmengefüge.
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Abgeschottete IT hinter Stahltoren

Der Lekkerland-CIO liefert stattdessen eine Erklärung für das schlechte Image der IT in Bezug auf Kommunikations- und Teamfähigkeit:"Früher waren wir als IT-Abteilung eher abgeschottet mit Stahltüren. Nur mit Sicherheitscodes kam man in die Abteilung überhaupt hinein. Da muss man sich nicht wundern, dass die IT, die man nie gesehen hat, als anders wahrgenommen wurde." Heute habe sich das mit offenen Gebäudestrukturen geändert. "Außerdem haben die Firmen so viel ausgelagert, dass diese riesigen Rechenzentren in Unternehmen der Vergangenheit angehören." Aus der physischen Zurückgezogenheit entstand das Zerrbild des ITlers, das sich bis heute gehalten hat.

Michael Müller-Wünsch, CIO von Lekkerland: "Die Extrovertierten sind sichtbarer. Es wäre albern, das zu leugnen."
Foto: Lekkerland

Dennoch kommt das Klischee nicht von ungefähr. Es gab sie durchaus, die Zurückgezogenen. "Aber ganz so schüchterne ITler sind mir länger nicht mehr untergekommen", sagt IT-Bereichsleiter Andreas Gillhuber von RWE. "Den ITler, der wochenlang im Kellerraum vor sich hinwurschtelt, gibt es nicht mehr." Obwohl auch er einräumt: "Was die Soft Skills angeht, kann man in der IT-Organisation unterscheiden, ob die Leute eher in einer Stabsstelle arbeiten oder in den operativen Einheiten. Aber auch für die Experten der Supply-Einheiten, die hauptsächlich IT-intern agieren, gibt es keine Aufgaben mehr, die nur als Einzelkämpfer zu bewältigen sind. Vielmehr müssen komplexe Projekte und Fragen immer im Team, oft auch interdisziplinär und abteilungsübergreifend bearbeitet werden." Ohne Kommunikation und Soft Skills gehe es heute einfach nicht mehr.

Selbst wenn der ein oder andere IT-Experte eher zurückgezogen agiert und sich mit Small Talk schwer tut, muss das nicht unbedingt ein Problem sein. Dann kommt es auf den Chef an, sagt Lekkerland-CIO Müller-Wünsch: "Ich bin überzeugt, dass man als Führungskraft aus den Stärken des Einzelnen schlagkräftige Teams bauen muss. Will man jeden im Team gleich haben oder will man Mitarbeiter, die sich gegenseitig ergänzen? Darauf kommt es doch an." Mitarbeiter könnten und dürften unterschiedlich sein - und das sei auch gut so, ist der Lekkerland-CIO überzeugt. "Es wäre nicht fair, wenn man erwarten würde, dass jeder Experte fachlich spitze sein soll und dazu noch ein Topredner, ein toller Umsetzer und ein großartiger Visionär", fügt Gillhuber hinzu.

Einsetzen kann man Introvertiertere selbstverständlich: "Es wird immer Menschen geben, in der IT genauso wie in der Buchhaltung, die als Fachspezialisten viel für das Unternehmen leisten", sagt Müller-Wünsch. Und das ist nichts Negatives, solange die Führungskraft mit ihnen umgehen kann. "Er muss ja keine schlechter Mitarbeiter sein - aber diese Eigenschaft verlangt entsprechende Objektivität von der Führungskraft", sagt Müller-Wünsch. Jeder habe seinen eigenen Weg, Informationen mitzuteilen - oder zu arbeiten.

IT-Profis brauchen Soft Skills -
Ohne Soft Skills geht gar nichts
Auch in der IT-Abteilung sind die so genannten "weichen" Eigenschaften heute wichtiger denn je. Welche Soft Skills IT-Profis neben ihrer fachlichen Qualifikation mitbringen sollten, haben wir neun CIOs gefragt.
Christian Ley, CIO von Brose:
"Für das erfolgreiche Umsetzen unserer immer komplexer werdenden IT-Projekte – gerade auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Internationalisierung – sind eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, die Verfolgung gemeinsamer Ziele und eine offene Kommunikation das Maß aller Dinge ...
Kommunikationsfähigkeit
... Deshalb spielen Team- und Kommunikationsfähigkeit, strukturiertes Denken, ein hohes Qualitätsbewusstsein, Konfliktfähigkeit, soziale und teilweise auch interkulturelle Kompetenz eine große Rolle. Natürlich erwarte ich nicht von jedem meiner Mitarbeiter eine gleich starke Ausprägung dieser Soft Skills, das ist letztlich auch abhängig von der Aufgabe des Einzelnen ...
Kundenorientierung
... Von einem Mitarbeiter im ServiceDesk erwarte ich eher eine hohe Kundenorientierung, von einem Softwareentwickler strukturiertes Denken. Alle Mitglieder unserer Mannschaft sollten allerdings mit einem gesunden Maß an Pragmatismus ausgestattet sein."
Klaus Neumann, Bereichsleiter der KfW Bankengruppe:
"Welche Soft Skills IT-Profis heute brauchen – das kommt natürlich immer auch auf die Funktion, in der sie eingesetzt werden, an. An der Schnittstelle zum Kunden, also zum Anwender in unserem Fall, brauchen wir Leute, die offen und kommunikativ sind ...
Konfliktfähigkeit
... Wichtig sind für uns zudem Konfliktfähigkeit und eine lösungsorientierte Sicht. Kann jemand nicht mit Konflikten umgehen - und die gibt es immer - oder denkt einer nur in Problemen, dann ist er nicht der Richtige für die IT-Abteilung."
Für Christoph Böhm, bis 2015 CIO von Vodafone Deutschland, heute Senior Vice President bei SAP...
... ist ebenfalls die Kommunikationsfähigkeit wichtig: "Dies hilft den Mitarbeitern der IT einerseits dabei, die Anforderungen der Business Units als auch die Sprache der IT-Mitarbeiter zu verstehen und diese für die entsprechend andere Gruppe zu übersetzen. Dies ist eine Schlüsselkompetenz, da die Aufgaben einer modernen IT nicht nur darin bestehen, die Business Anforderungen in der IT abzubilden, sondern ebenfalls darin, mögliche Potenziale aus der IT an die Business Units zu kommunizieren, sodass sie nachvollziehen können, welche Auswirkungen und Chancen ein derartiger Schritt auf sie haben würde ...
Die Analytische Kompetenz ...
... ergänzt die Kommunikation, indem die Auswirkungen des Handelns transparent und nachvollziehbar werden ...
Teamfähigkeit
... Mitarbeiter in der IT arbeiten grundsätzlich in Teams, heute meist in gemischten internationalen Teams mit Beteiligung internationaler Partner oder Kollegen."
Günter Weinrauch, ehem. CIO des ADAC:
Zentrale Soft Skills sind für ihn neben Analyse- und Abstraktionsfähigkeiten sowie Kommunikations- und Überzeugungsfähigkeiten (weil auch die beste technische Lösung dem Anforderer "verkauft" werden muss) ...
... Engagement und Ownership:
... um perfekte Lösungen zu schaffen, muss man von seiner Arbeit begeistert sein. Reiner 'Dienst nach Vorschrift' ohne emotionales Engagement kann nie zu herausragenden Lösungen führen ...
Flexibilität
... weil Überraschungen doch immer wieder lauern, und Hindernisse am besten als Herausforderung gesehen werden sollten, nicht als Bremse."
Gilbert Riegel, Senior Project Manager M & A bei Siemens:
Für ihn ist die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel (Einfühlungsvermögen) besonders wichtig: "Das heißt die Fähigkeit, den Ansprechpartner an dem Punkt abzuholen, wo er vom Wissen (Prozesse / Technik) her steht, und ein Verständnis für die Rahmenbedingungen aber auch für die Handlungsperspektiven der Ansprechpartner zu entwickeln. Die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel reduziert Missverständnisse und potenzielle Widerstände ...
Vertrauen aufbauen
... Die Komplexität von IT-Projekten erfordert es, dass die unterschiedlichen Fachbereiche im Unternehmen Vertrauen in die Fähigkeiten der IT-Organisation und ihrer Mitarbeiter haben. Vertrauen entsteht nicht von alleine, sondern über persönliche Interaktion, das Einhalten von Zusagen und Terminen sowie durch die gemeinsame Durchführung erfolgreicher Projekte - also insgesamt positive Erfahrungen mit Personen und Prozessen ...
Selbstbewusstsein
... Die IT-Abteilung fühlt sich oftmals in der klassischen 'Underdog'-Rolle im Unternehmen wohl bzw. lässt sich dort hineindrängen. Um aber den Auftrag an eine moderne IT-Organisation erfüllen zu können, muss die IT aktiv und selbstbewusst mit den Business-Funktionen interagieren und darf sich nicht hinter Governance-Themen und technischer Komplexität verstecken. Das Bild der IT Organisation kann also nicht nur durch den IT Leiter / CIO und einige zentrale Führungskräfte vermittelt werden, sondern muss insbesondere durch die IT Mitarbeiter in Ihrer täglichen Arbeit transportiert werden ...
Analytische Fähigkeiten gepaart mit Neugierde
... Themen schnell erfassen und zu strukturieren ist eine wesentliche Fähigkeit, allerdings mit dem Fokus auf Lösungsorientierung statt Problemorientierung. Neugierde hilft neue Aspekte zu betrachten und so bei einem lösungsorientierten Vorgehen und damit auch Etabliertes zu hinterfragen."
Fähigkeit zur Selbstreflexion
Auch diese findet Riegel wichtig, "um aus dem Feedback anderer und den eigenen Erfahrungen Optimierungsmöglichkeiten für sich selbst und für die verantworteten Themen abzuleiten." Dadurch sei ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess möglich.
Dirk Müller, CIO von Franz Haniel & Cie. ...
findet die Bereitschaft, gelerntes Expertenwissen in Frage zu stellen und sich im Sinne von Innovation auf neue Themen einzulassen, wichtig. Sowie "Empathie und ...
Verhandlungsgeschick ...
... um mit Kunden und in zunehmenden Maße auch mit Lieferanten zielgerichtet, aber doch authentisch umgehen zu können. Beide Themen halte ich bei IT-Profis, die eher aus der Technikecke kommen, für die größte Herausforderung."
Christian Niederhagemann, CIO von KHS:
"Mehr und mehr entwickeln sich IT-Experten zum Sparringspartner für Fachabteilungen, für das Prozessmanagement und inzwischen vielfach auch für die Strategieabteilungen. Aus meiner Sicht sind es drei wesentliche Eigenschaften, die ein erfolgreicher Mitarbeiter in der IT hierzu insbesondere mitbringen muss: Moderationstalent, Empathie und die Bereitschaft, neue Wege gehen zu wollen."
Moderationstalent
Wenn beispielsweise zwischen Fachbereich, Prozessmanagement und den SAP-Profis eine intensive Diskussion entfacht, wie eine Businss-Anforderung elegant, schnell und ohne großen IT-Aufwand abgebildet werden kann, sind Moderatoren gefragt: "Mit Moderationstalent und dem Gespür für die Situation gelingt es in der Regel rasch, die Beteiligten wieder an den Tisch zurück zu holen und das Gespräch auf die Sache, nämlich das gemeinsame Unternehmensinteresse, zu lenken ...
Hochmut fehl am Platz
... In solchen Situationen ist kein Platz für Eitelkeiten und Eigeninteresse, es ist vielmehr Kreativität gefragt, auch einmal neue – eventuell sogar unkonventionelle – Wege zu gehen. Ich unterstütze meine Leute gezielt darin, im Rahmen definierter Leitplanken bewusst gegen den Strom zu denken. Wie häufig wurden nicht schon einfache und intelligente (IT-)Lösungen gefunden, sobald der Mut aufbracht wurde, die eingetretenen Pfade zu verlassen und gleichzeitig den Blickwinkel der beteiligten Parteien einzunehmen."
Hartmut Willebrand, CIO bei H. & J. Brueggen KG:
Er sagt, in der IT-Branche haben wer es überwiegend mit Persönlichkeitstypen zu tun, die in einer Welt der absoluten Abstraktion leben. "Daher neigen wir dazu, Wunschvorstellungen oder geradezu einen technischen Machbarkeitswahn zu haben, dass das, was wir theoretisch überlegt haben, auch genauso funktioniert. Oft fehlen die Anpassungsfähigkeit und das ausreichende Einkalkulieren der Realitäten. Denn das echte Leben ist und bleibt chaotisch, unvorhersehbar. Und die Menschen sowieso."
An Schwächen arbeiten
Willebrand plädiert dafür, die Fachkompetenzen um die "notwendigen humanen, sozialen Skills" zu vervollständigen. "Mit dem Mut, konstruktiv an unseren Schwächen zu arbeiten und unsere Stärken zu stärken, werden wir nachhaltig Erfolg haben."
Soft Skills im Gespräch abklopfen
Ob ein Bewerber die notwendigen Soft Skills mitbringt, erfährt man am besten im persönlichen Gespräch. Da sind sich die CIOs einig. Bewerbungsunterlagen wie Lebenslauf und Arbeitszeugnisse können zwar Hinweise liefern, aber reichen nicht aus.

Was Chefs tun können

Als Führungskraft muss man das wohl ein Stück weit akzeptieren. "Manche arbeiten als Einzelkämpfer besser als andere", sagt Müller-Wünsch. Diese Mitarbeiter brächten gute Einzelergebnisse - zur Teamarbeit könne und wolle er niemanden zwingen. "Ich kann jemanden nicht den Lebensweg vortreten. Er muss selbst wissen, wie er erfolgreich wird und Spaß an der Arbeit hat." Der Lekkerland-CIO gibt ein Beispiel: "Kam ein Mitarbeiter die letzten zehn Jahre damit zurecht, nur Emails zu schreiben und Dokumente abzulegen, muss ich das akzeptieren, wenn er sich nicht ändern möchte." Zwar müsse man ihm klar machen, dass er in Sachen Beförderung eine Enttäuschung erleben könne, so Müller-Wünsch weiter: "Aber dann ist das eben so. Ich kann nach zwei Jahren nachfragen, ob er etwas ändern möchte, aber wenn nicht, muss ich das akzeptieren."

Wer mit seinen Fachkenntnissen glänzen will, sollte auch extrovertierter sein, weiß Gillhuber: "Die Gurus, die über Unternehmensgrenzen hinweg in der Fachwelt bekannt sind wie Software Evangelists, sind sehr selbstbewusst und mitteilsam. Sie halten Reden und veröffentlichen Artikel."

RWE-CIO Andreas Gillhuber: "Man kann gezielt Projekte suchen, in denen sich der Mitarbeiter weiterentwickelt und bei denen er gezwungen wird, aus seiner Komfortzone herauszugehen, ohne ihn zu überfordern."
Foto: Marco Hergenröder/Foto Vogt

Vorgesetzte können die Schüchternen durchaus unterstützen, sagt der Lekkerland-CIO: "Ich kann ihm Tipps und Tricks geben, aber er muss Gelegenheit haben, in einem vertrauten Umfeld zu üben." Einen Vortrag könne dieser etwa zur Übung zuerst im Kollegenkreis halten und dann in immer größerem Rahmen sprechen. So kommt das Vertrauen von ganz allein. Wichtig sei auch zu erkennen, dass Reden vor Publikum anspruchsvoll sei. Dem kann Gillhuber nur zustimmen: "Als ich nach dem Studium meinen ersten Vortrag auf Englisch halten musste, hatte ich auch Schweißausbrüche. Man kann auch gezielt Möglichkeiten und Projekte suchen, in denen sich der Mitarbeiter weiterentwickelt und bei denen er gezwungen wird, aus seiner Komfortzone herauszugehen, ohne ihn zu überfordern."

Selbstbewusstsein durch Erfolg

Auch Vorbilder und Beispiele anderer Mitarbeiter können einem Zurückgezogenen helfen: "Ich bin ein großer Fan davon, meine Mitarbeiter durch gezieltes Training on the Job, Coaching und Mentoring voranzubringen", sagt Gillhuber. In dem Fall biete es sich an, dass etwa ein Mentor gesucht wird, der selbst seine frühere Schüchternheit überwunden hat und seine Erfahrungen weitergeben möchte. Umgekehrt hilft es schüchternen Mitarbeiter ebenso, wenn auch sie als Mentor für jüngere Mitarbeiter fungieren.

Am Ende hilft einem Mitarbeiter aber vor allem eines, ist sich Müller-Wünsch sicher: "Egal, ob schüchtern oder selbstbewusst: Der Erfolg stärkt und bringt mehr Selbstbewusstsein. Bringe ich meine Mitarbeiter dazu, erfolgreich zu sein, dann stärkt sie das von allein."