Erschreckend viel Hass

Internet und US-Wahl: Faszinierend neue Welt

26.03.2008
Der US-Abgeordnete Mark Foley schreibt schlüpfrige E-Mails an junge Praktikanten. Senator John Allen macht sich über einen indischstämmigen Zwischenrufer mit dem abfälligen Ausdruck "Makaka" lustig. US-Senatorin Hillary Clinton will Eindruck schinden, in dem sie wahrheitswidrig erzählt, sie sei 1996 in Bosnien von Heckenschützen beschossen worden.

All diese peinlichen Vorfälle haben eines gemein: Sie waren zumindest in den USA blitzschnell übers Internet verbreitet - wie so oft zunächst von politischen Bloggern. Die Mächtigen mag noch immer eine Aura von Unnahbarkeit umgeben; besonders geheimnisumwittert sind sie aber kaum noch - zumindest nicht in Demokratien. Dank der vernetzten und digitalisierten Welt werden heute politische Entgleisungen oder sexuelle Fehltritte rasch bekannt, Lügen umgehend entlarvt.

Blogger und soziale Plattformen haben den öffentlichen Raum radikal ausgeweitet - mit dramatischen Folgen für die Politik. Der US-Wahlkampf 2008 ist dafür ein Beleg. Eine "neue Ära amerikanischer Politik", schwärmte der Medienexperte Professor Garrett Graff. "Der erste Wahlkampf, der von moderner Technik definiert wird. (...) Die Spielregeln haben sich verändert - und nicht zugunsten der Kandidaten", schrieb er im "Washingtonian".

Viele Medienwissenschaftler sehen in der schönen neuen Kommunikationswelt die Demokratisierung der traditionellen repräsentativen Demokratie. Statt der Parteikader, Funktionäre und Organisationen können Bürger und Blogger, die viel beschworene Basis, direkt in das politische Geschehen eingreifen. Zumindest heute noch scheinen diese Sichtweisen allerdings stark übertrieben.

Laut einer jüngsten Studie des Pew Research Centers in Washington informiert sich die Mehrheit der Amerikaner in erster Linie in den traditionellen Medien über Politik. Zwar haben zahllose neue Blogs Politik und Medien mächtig aufgeschreckt und durcheinandergewirbelt. Das Web hat dem US-Wahlkampf eine neue Dimension gegeben, wobei auch in erschreckendem Ausmaß Hassbotschaften Tür und Tor geöffnet wurde. Aber längst sind Medien und Politik Mitgestalter der neuen Welt der Blogger und Plattformen.

Im Ringen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur hat Senator Barack Obama zumindest im Internet einen überwältigenden Vorsprung vor Clinton. Der schwarze Senator hat im Web mehr Geld gesammelt, mehr Blogs, mehr Fan-Clubs und mehr Resonanz als seine Konkurrentin. Doch alle Kandidaten nutzen inzwischen exzessiv die neuen Kommunikations-Möglichkeiten: mit Newslettern, E-Mails oder SMS werden Anhänger und Wähler schon seit Monaten geradezu bombardiert. Jeder Kandidat hat seine interaktive Web-Seite, um so intensiv und zeitnah wie möglich mit der Basis zu kommunizieren.

Vor allem hat sich das Internet als faszinierendes Instrument zum Sammeln von Wahlkampf-Spenden entpuppt. Dem charismatischen Obama gelang es so, Hunderttausende von Kleinspendern zu finden. Denn Geldsammeln im Internet ist denkbar simpel, mit einem Mausklick wird der Polit-Obolus transferiert. Das ist eine der Ursachen, warum die Wahl 2008 mit weit über eine Milliarde Dollar Kosten der teuerste Wahlkampf in der Geschichte der Demokratien werden konnte.

Technisch besonders gewieft ist Obamas junges Wahlkampfteam. Zahlreiche Blogs verbreiten seine Botschaft von "Hoffnung" und "Wandel". Obama bietet auf seiner Web-Site Poster, Buddy-Icons, Fotos und Videos an, die jeder auf die eigene Homepage stellen kann. Obamas Wahlhelfer nutzen besonders gerne Handys, um ihre Botschaft zu verbreiten: Sie offerieren neben aktuellen SMS sogar Klingeltöne - etwa mit Obama-Redefetzen wie "Yes, we can!". Anhänger aus der heftig umworbenen Minderheit der Hispanics, Wählern mit lateinamerikanischer Herkunft, erhielten Daten anderer "Latinos". Damit wurden zigtausende Obama-Anhänger ohne großen Aufwand aktiviert, persönlich Wahlkampf zu führen.

Die Webseite "MoveOn.org" sammelte nicht nur Millionen für Obama, sondern schuf auch ein Programm, mit dem Hunderttausende E-Mails für Facebook verschickt wurden. Immerhin sollen schon zwei Drittel aller US-Bürger zwischen 18 und 29 Jahre bei der Internet-Plattform registriert sein. Hier hat Obama fast eine halbe Million Anhänger - Clinton lediglich ein Viertel davon. Die Video-Plattform YouTube ist ebenfalls zentraler Schauplatz des Wahlkampfs, "CNN" gestaltete sogar eine Debatte der Kandidaten mit Fragen von YouTube-Mitgliedern. Auch auf YouTube rangieren Obamas Videos mit mehreren Millionen Abrufen vor denen der Ex-First-Lady.

Im Web wird aber auch gnadenlos alles ans Licht gezerrt, was es an Missglücktem gibt. Relativ harmlos sind noch Videos, auf denen zum Beispiel der republikanische Senator John McCain öffentlich Terror-Gruppen verwechselt oder Clinton mit schräger Stimme die Nationalhymne singt. Die inzwischen millionenfach abgerufene Hasspredigt des Geistlichen Jeremiah Wright von der Heimatgemeinde Obamas droht schon sehr viel mehr den Ruf des Senators als Mann der "Versöhnung" und des "Ausgleichs" zu gefährden. Misslich ist auch, wenn Obama meint, ein Tornado in Kansas habe 10.000 Menschen getötet, dabei waren es nur zwölf - oder wenn er auf einer Veranstaltung penetrant um Spenden bettelt, "egal wie arm ihr seid".

Das Netz ist längst auch Schauplatz übler Beschimpfungen und Verleumdungen geworden. Da wird Obama in Blogs als heimlicher Moslem hingestellt, der als Kind eine islamische Schule besucht habe. Das entspricht zwar nicht der Wahrheit, findet aber im Internet weite Verbreitung. Mehrere Webseiten widmen sich auch der Demontage und Diffamierung von Hillary Clinton.

Blogger und Internet-Plattformen haben enorm an Bedeutung gewonnen - der Schlüssel zum politischen Erfolg sind sie offenbar noch nicht. Schließlich war im Vorwahlkampf der unbestrittene Star des Internets neben Obama der radikalliberale Republikaner Ron Paul. Der aber hatte keine Chance gegen den 71-jährigen McCain, der vor allem mit der Teilnahme an Hunderten von Bürgerversammlungen ("Townhall Meetings") die Wähler Live beeindruckte. Zudem fährt Mc Cain mit seinem "Straight Talk Express" (übersetzt etwa: offener, direkter Rede-Express), einem altmodisch bemalten Wahlkampf-Bus, durch die Provinz, um Klinken zu putzen, Hände zu schütteln und Babys zu streicheln.

Von Exoten zu Meinungsmachern? - Polit-Blogger auf dem Vormarsch

Einst als eigenwillige Exoten belächelt, könnten Blogger im Internet in einigen Jahren auch in Europa beim Kampf um politische Mehrheiten mitmischen. Die debattierfreudige Szene zum Beispiel könnte ausgehend von den USA bei wichtigen Wahlen auf beiden Seiten des Atlantiks künftig zum Zünglein an der Waage werden, wie Experten vermuten. Während manche Politiker die digitale Meinungsmacht noch nicht sehr hoch einschätzen, zeichnen Werbeprofis ein anderes Bild.

"Es ist möglich, dass wir in den USA schon 2012 solch einen Effekt feststellen", meint Igor Schwarzmann. Der Internet-Stratege bei der Düsseldorfer Kommunikationsagentur Pleon erwartet, dass am Internet interessierte Menschen bald auch hierzulande den politischen Schlagabtausch maßgeblich beeinflussen. "Mundpropaganda und Spendenakquise über das Web werden immer wichtiger. Das ist Marketing wie aus dem Bilderbuch." Mit geringen Kosten und vergleichsweise wenig organisatorischem Aufwand ließen sich potenzielle Wähler besser erreichen - eine zusätzliche "Ressource", die manch ein Kandidat bisher sträflich ignoriert habe.

Auch die Wähler-Mobilisierung über interaktive soziale Netzwerke ("Social Networks") wie die vor allem bei Jüngeren beliebten Internet-Portale Facebook" oder studiVZ könne demnächst zu einer Überlebensfrage für die Kandidaten werden. "In Amerika dürfte es den Demokraten damit (im aktuellen Wahlkampf) gelingen, hunderttausende Jungwähler zu gewinnen. Bei uns ist diese Tendenz noch nicht so weit fortgeschritten", meint Schwarzmann. Unumstritten ist, dass Blogs nur einen Bruchteil der Wahlberechtigten erreichen.

Diese Diagnose gilt auf jeden Fall für die Internet-Auftritte zwischen Nordsee und Alpen. "Deutsche Politiker lieben noch eher Plakatwände", schrieb die "Zeit" nach der jüngsten Hamburger Bürgerschaftswahl. Wegen der garantierten Wahlkampf-Finanzierung über die Parteiapparate seien deutsche Parteien nicht so sehr darauf angewiesen, im Internet um Spender zu buhlen.

Anders in den USA: Dort gehört das gezielte Einwerben von Spenden über das World Wide Web seit langem zu den etablierten Strategien der politischen Öffentlichkeitsarbeit. So gab die digitale Unterstützer-Fraktion des ehemaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Ron Paul an, allein im vergangenen Oktober rund 4,2 Millionen US-Dollar an einem einzigen Tag im Internet eingetrieben zu haben. Nach Angaben der Paul-Anhänger war dies sogar "die höchste jemals erzielte Summe innerhalb von 24 Stunden" - eine kühne Behauptung, für die es allerdings keine unabhängige Bestätigung gibt.

Ob subversive Humorattacke oder Aufmischen der politischen Kultur: Auch wenn die Blogs bislang nur einen Bruchteil der Wahlberechtigten erreichen und der Umfang ihrer Meinungsmacht umstritten ist, sei die Kreativität der Polit-Blogger nicht zu unterschätzen. "Wer diese Leute nicht auf seinem Radar hat, der hat schon verloren", meint der Berliner Blogger und Journalist Ranty Islam. Ebenso falsch sei aber, die Szene zu überschätzen.

Kommunikationsforscher: Deutsche Parteien experimentieren im Netz

Das Internet wird nach dem Vorbild der USA auch in Deutschland zunehmend gezielt als Wahlkampf-Plattform eingesetzt. Das sagt Kommunikationsforscher Jan-Hinrik Schmidt in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. "Die Versuche sind da. Insgesamt muss man aber sagen, dass die meisten Parteien noch in der Experimentierphase sind", sagte der 35-Jährige, der am Hamburger Hans-Bredow-Institut für Medienforschung als wissenschaftlicher Referent arbeitet.

"Neue Initiativen wie die Video-Botschaft der Kanzlerin oder die Weblogs der SPD in mehreren Bundesländern deuten darauf hin, dass die Nachfrage nach 'Netzpolitik' auch bei uns steigt", erklärte Schmidt. Auf absehbare Zeit dürften Online-Wahlkämpfe jedoch keinen so großen Stellenwert haben wie etwa in den USA. "In der Bundesrepublik ist die Personalisierung noch nicht so stark. Hier stehen die Parteien und ihre Programme weiterhin im Zentrum", meinte der Soziologe und ergänzt: "Die überregionale Print-Presse bleibt trotz aller Probleme stark. Vielleicht ist das Bedürfnis nach Alternativ-Öffentlichkeiten deshalb niedriger als anderswo."

Nur ansatzweise stelle die Blogger-Szene einen "Gegenpol" zu den Angeboten der Massenmedien dar. "Die Debattenkultur bleibt aber in hohem Maß von den etablierten Formaten abhängig." Schmidt zufolge greifen professionelle Journalisten und Wahlkampf-Manager gleichermaßen auf Weblog-Inhalte zurück. "Zumindest ein Teil der Macht, Themen zu setzen, verschiebt sich so ins Netz."

Eine zunehmend wichtigere Rolle in der politischen Mobilisierung spielten überdies interaktive soziale Netzwerke im Internet ("Social Networks"). Wenn bekannt sei, dass ein Politiker eine eigene Gruppe zum Beispiel beim Internetportal Facebook habe, könnten diese Mitglieder zu geringen Kosten angesprochen werden, sagte Schmidt.

Doch werden über das Internet nicht alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen erreicht. "Hier wie dort gilt, dass vor allem junge, höher gebildete und internetaffine Menschen für Online-Wahlkämpfe zugänglicher sind", sagte der Wissenschaftler. "Wer andere Wählerschichten anspricht, muss sich weiter überlegen, wie er am besten auf die traditionellen Methoden setzen kann."

Unter Umständen könnten sich die neuen Strategien jedoch mehr als Fluch denn als Segen erweisen. "Es passiert schon häufiger, dass das Internet als politische Waffe eingesetzt wird", berichtete Schmidt. "Selbstproduzierte Videos, die auch beleidigend sein können, bündeln die Aufmerksamkeit stärker als alles andere." Daher wachse auch die Unsicherheit für die Kandidaten. "Jetzt muss ich noch stärker als früher damit rechnen, dass sich mein Gegner offen gegen mich wendet." (dpa/tc)