Rechtsforum für Freiberufler

Insolvenzantrag reicht nicht für Kündigungsrecht aus

10.04.2013
Ob Kündigung, Kundenschutz oder Zahlungen: Nach der Insolvenz des Personaldienstleisters Reutax haben die betroffenen Freiberufler viele Fragen. Rechtsanwalt Oliver Stöckel, Partner der Wirtschaftsrechtskanzlei v. Boetticher Hasse Lohmann, hat in einem Rechtsforum geantwortet.

Vom 3. bis 5. April stand der Münchner Rechtsanwalt Dr. Oliver Stöckel im "Rechtsforum zur Reutax-Insolvenz" den betroffenen Freiberuflern Rede un Antwort. Wann dürfen Freiberufler ihre Verträge mit dem zahlungsunfähigen Personalvermittler kündigen? Wie verbindlich sind (Zahlungs-) Vereinbarungen mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter? Wie lange ist die Kundenschutzklausel wirksam? Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten nochmals zusammengesellt.

Kündigung des Vertrages

Frage: Darf man aufgrund des Insolvenzantrages auch rückwirkend zum 22. März den Vertrag kündigen?

Rechtsanwalt Oliver Stöckel moderierte das Rechtsforum.
Foto: Stöckel

Rechtsanwalt Oliver Stöckel: „Allein der Umstand, dass ein Insolvenzantrag gestellt wurde, führt im Regelfall noch nicht automatisch zu einem Kündigungsrecht. Ob die Stellung eines Insolvenzantrages als wichtiger Grund ausreicht, den Vertrag außerordentlich zu kündigen, ist nach der Rechtsprechung immer unter Abwägung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen und kann daher nicht pauschal bejaht oder verneint werden. Wichtig können in diesem Zusammenhang aber vertragliche Kündigungsregelungen sowie Kündigungsmöglichkeiten wegen Zahlungsverzug (z.B. wegen fortwährender Nichtzahlung trotz Mahnung) sein.“

Frage: Im Falle einer Kündigung des Beratervertrags mit Reutax, muss man diesen bei Reutax kündigen oder beim Insolvenzverwalter oder bei beiden, damit die Kündigung rechtswirksam ist?

Rechtsanwalt Oliver Stöckel: Ein "starker" vorläufiger Insolvenzverwalter ist Partei kraft Amtes. Da die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf ihn übergeht, ist er für Ausspruch und Empfang von Kündigungen grundsätzlich die zuständige Person. Ein "schwacher" vorläufiger Insolvenzverwalter ist nicht Partei kraft Amtes und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verbleibt bei der Schuldnerin. Für Ausspruch und Empfang von Kündigungen bleibt dann weiterhin die Schuldnerin zuständig. Auf "Nummer Sicher" geht man, wenn man eine Kündigung sowohl an die Schuldnerin selbst als auch an den Insolvenzverwalter richtet.

Vereinbarungen mit dem Insolvenzverwalter/ Zahlungen

Frage: Sind die Vereinbarungen, die vorläufige Insolvenzverwalter mit Kunden und Beratern trifft - wie die Einrichtung und Bezahlung der Beraterleistung auf ein Treuhandkonto zugunsten des Beraters oder eine Bestätigung des aktuellen Beratervertrages - nach Eröffnen des richtigen Insolvenzverfahrens anfechtbar? Kann es dem Berater passieren, dass er geleistete Zahlungen zurückzahlen muss, weil im eigentlichen Insolvenzverfahren Vereinbarungen aus dem vorläufigen Verfahren für nichtig erklärt werden? Oder sind die Zahlungen sicher ?

Rechtsanwalt Oliver Stöckel: „Wichtig für die Frage, welchen Rang der Vergütungsanspruch hat, wenn ein Freelancer im Insolvenzeröffnungsverfahren für eine Schuldnerin weiter arbeitet, ist u.a. die Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters:

Ist ein „starker vorläufiger Insolvenzverwalter“ bestellt (d.h. das Insolvenzgericht hat der Schuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin ist auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergegangen), kann dieser kraft Gesetzes auch im Insolvenzeröffnungsverfahren sogenannte Masseverbindlichkeiten begründen. Das heißt er kann rechtsverbindlich für die Schuldnerin Verpflichtungen eingehen, die dann auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor den „normalen“ Insolvenzforderungen aus der Insolvenzmasse zu bedienen sind.

Der „schwache vorläufige Insolvenzverwalter“ (das heißt das Insolvenzgericht hat die Verfügungsbefugnis bei der Schuldnerin belassen und diese nur unter Zustimmungsvorbehalt des Insolvenzverwalters gestellt – Regelfall) hat diese Möglichkeit nicht, kann also grundsätzlich keine Masseverbindlichkeiten schaffen, indem er Vereinbarungen mit Gläubigern trifft oder Leistungen aus Dauerschuldverhältnissen (wie der Leistung eines Freelancers aus einem Freien Mitarbeitervertrag) in Anspruch nimmt.

Bei Reutax wurde, soweit bisher bekannt, der Insolvenzverwalter als „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, so dass ein Freelancer, der nach dem Insolvenzantrag weiter arbeitet, im Gegenzug grundsätzlich nur eine (weitere) Insolvenzforderung erwirbt und keine Masseverbindlichkeit.
Außerdem besteht bei Zahlungen, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens an Gläubiger geleistet werden, das Risiko, dass diese unter gewissen Umständen vom Insolvenzverwalter angefochten werden und vom Zahlungsempfänger zurück verlangt werden können (insbesondere wenn sie vor Fälligkeit geleistet wurden oder wenn sie von Dritten „am Schuldner vorbei“ direkt an den Gläubiger geleistet werden). Vereinbarungen mit Zustimmung des Insolvenzverwalters auf Leistung nur gegen Vorkasse, Sicherungsmaßnahmen wie z.B. die Einzahlung auf ein Treuhandkonto etc. können das Risiko, auch bei Weiterarbeit nach dem Insolvenzantrag nicht nur mit einer weiteren Insolvenzforderung dazustehen bzw. geleistete Gelder zurück zahlen zu müssen, zwar unter Umständen reduzieren. Welche Risiken bei solchen Konstruktionen verbleiben, hängt aber vom Einzelfall ab. Eine hundertprozentige Sicherheit wird es aber wohl nicht geben.

Im Zuge der Reutax-Insolvenz hatten die betroffenen Freiberufler viele Fragen.
Foto: fotomek - Fotolia.com

Frage: Die Frage betrifft die anstehende Verlängerung eines vor 1,5 Jahren erstmalig (und dann immer wieder Verlängerten) Vertrages. Wie genau müsste eine Garantie des Insolvenzverwalters aussehen, damit diese "die Gläubiger nicht benachteiligt" und das Ganze hinterher nicht mehr anfechtbar ist, also Zahlungen, die dann die nächsten Monate von Reutax zu leisten wären, nicht mehr rückforderbar sind.

Rechtsanwalt Oliver Stöckel: „Nach dem Insolvenzantrag (also im jetzigen Stadium) kann man dann einigermaßen gesichert mit der insolventen Gesellschaft weiter zusammenarbeiten, wenn man ausschließlich auf der Grundlage sog. "Bargeschäfte" (nach § 142 InsO) arbeitet. Grob gesagt hat ein Bargeschäft folgende Voraussetzungen:

  1. Leistung (Arbeit) und Gegenleistung (Bezahlung) müssen gleichwertig sein, d.h. der insolventen Gesellschaft muss in Form der Arbeit des Freelancers etwas zufließen, was objektiv mindestens die Bezahlung wert ist. Wenn diese Arbeit an einen Kunden zum mindestens gleichen Wert weiter gereicht wird und hierdurch mindestens gleichwertige valide Forderungen gegen den Kunden entstehen - was beim Vermittlermodell grundsätzlich der Fall sein sollte - ist diese Voraussetzung m.E. erfüllt.

  2. Leistung (Arbeit) und Gegenleistung (Bezahlung) dürfen im Regelfall maximal 30 Tage auseinander liegen. Am besten ist maximal monatliche Vorkasse - dann muss der Freelancer nur noch seinerseits in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang die entsprechende Arbeit erbringen. Verlässt sich der Freelancer umgekehrt auf eine "zeitnahe" Zahlungszusage (z.B. 14 Tage nach der Arbeit), die dann aber von der insolventen Gesellschaft nicht erfüllt wird, liegt kein Bargeschäft mehr vor und der Freelancer hat wiederum nur eine Insolvenzforderung.

  3. Es darf keine vorsätzliche Benachteiligung anderer Gläubiger vorliegen. Diese Voraussetzung ist stark einzelfallbezogen und schwer verallgemeinert zu beantworten.

Wenn diese Voraussetzungen sichergestellt sind, kann der Insolvenzverwalter das im Rahmen des Bargeschäfts Gezahlte später nicht mehr zurückfordern. Bestreitet der Insolvenzverwalter allerdings später, dass es ein Bargeschäft war, dann muss im Streitfall (z.B. in einem Gerichtsverfahren) der Freelancer beweisen, dass die oben genannten Voraussetzungen erfüllt waren, damit er das erhaltene Geld behalten kann. Insoweit verbleiben auch beim Bargeschäft gewisse Risiken.“

Kundenschutzklausel

Frage: Ich habe das vermittlete Projekt selbst gefunden und nur auf der Anforderung vom Kunden zum Lenroxx gegangen, somit hat Lenroxx nicht wirklich Vermittlungsdienst geleistet. Ist die
Kundenschutzklausel in meinem Vertrag mit Lenroxx, die sagt, dass ich innerhalb sechs Monate nicht über Dritte oder direkt Verträge mit dem Endkunde schließen darf, trotzdem wirksam?

Rechtsanwalt Oliver Stöckel: „Für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kundenschutzklausel kommt es nicht in erster Linie darauf an, wie es zum Projektvertrag kam. Die Kundenschutzklausel ist m.E. nicht schon deshalb unwirksam, weil das Projekt nicht von Lenroxx für Sie aufgefunden wurde, sondern Sie umgekehrt das Projekt gefunden haben und der Kunde gefordert hat, dass das Projekt über Lenroxx abgewickelt wird.

Rechtsanwalt Oliver Stöckel hat selbst schon als IT-Freiberufler gearbeitet.
Foto: Stöckel

Bei Kundenschutzklauseln muss man zwischen vertraglichem und nachvertraglichem Kundenschutz unterscheiden. Eine Klausel, wonach der Freie Mitarbeiter während des noch bestehenden Vertrags mit dem Vermittler nicht direkt "am Vermittler vorbei" einen eigenen Vertrag mit dem Kunden abschließen und auf dieser Grundlage für den Kunden tätig werden darf, ist im Allgemeinen ohne Weiteres wirksam.

Strengere Voraussetzungen gelten aber für eine nachvertragliche Kundenschutzklausel. Jedenfalls auf wirtschaftlich abhängige freie Mitarbeiter, die in ihrer Stellung insoweit mit kaufmännischen Angestellten vergleichbar sind, wendet der BGH in ständiger Rechtsprechung die §§ 74 ff. HGB analog an. Das bedeutet dann u.a., dass eine nachvertragliche Kundenschutzklausel, die jedenfalls im Regelfall als nachvertragliches Wettbewerbsverbot im Sinn von § 74 HGB darstellt, das nach dieser Norm nur wirksam ist, wenn es schriftlich vereinbart ist und der Vertrag außerdem als Gegenleistung für den nachvertraglichen Kundenschutz eine Karenzentschädigung in Höhe mindestens der Hälfte des üblichen monatlichen Honorars des freien Mitarbeiters pro Monat des nachvertraglichen Kundenschutzes vorsieht (siehe z.B. BGH, Urt. v. 10.04.2003, Az. III ZR 196/02).

Entscheidend ist dabei allerdings die wirtschaftliche Abhängigkeit, die "durch Beurteilung aller erkennbaren objektiven Umstände des Einzelfalls gerichtlich festzustellen ist" (OLG Dresden, Urt. v. 13.09.2011, Az. 5 U 236/11). Fehlt diese, kommt aber im Einzelfall immer noch eine Unwirksamkeit der nachvertraglichen Kundenschutzklausel nach § 1 GWB, § 138 BGB oder nach AGB-Recht in Betracht, was dann näher zu prüfen wäre (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 12.05.1998, KZR 18/97 - Subunternehmervertrag I; BGH, Urt. v. 10.12.2008, Az. KZR 54/08 - Subunternehmervertrag II). Im Rahmen dieser Prüfungen kann es dann auch eine Rolle spielen, dass Sie und nicht Lenroxx das Projekt "an Land gezogen" haben.

Frage: Die "Kundenschutzklausel" verbietet mir auch nach Vertragsende noch x Monate (bzw. verpflichtet mich zur Zahlung einer Vertragsstrafe), wenn ich im gleichen Projekt bzw. beim
gleichen Kunde direkt oder über einen anderen Dienstleister / Personalvermittler weiterarbeite. Ist unter dem Gesichtspunkt der Unsicherheit der Bezahlung auch nach dem Stichtag 21./22.03.2013
überhaupt zumutbar, noch länger bei der Reutax zu bleiben? Hat der Insolvenzverwalter hier überhaupt Chancen, solche Forderungen vor Gericht durchzusetzen?

Rechtsanwalt Oliver Stöckel: „Man wird hier zunächst einmal prüfen müssen, ob im konkreten Einzelfall die nachvertragliche Kundenschutzklausel überhaupt wirksam ist. Ist das nicht der Fall, kann Reutax/Lenroxx sich auch nicht auf diese berufen und auch keine Vertragsstrafe wegen Verletzung der nachvertraglichen Kundenschutzklausel verlangen. Wenn allerdings die nachvertragliche Kundenschutzklausel grundsätzlich wirksam ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Insolvenzverwalter bei einem Direktvertrag mit dem Kunden unter Verstoß gegen den nachvertraglichen Kundenschutz ggf. versuchen wird, eine Vertragsstrafe geltend zu machen, weil der Insolvenzverwalter grundsätzlich verpflichtet ist, alle (aus seiner Sicht bestehenden) Forderungen der Schuldnerin einzutreiben, um möglichst viel Masse für die anschließende Gläubigerbefriedigung zu generieren. Hier besteht meines Erachtens also durchaus ein gewisses Risiko.“

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