Wipro-CEO TK Kurien im Interview

"Innovationen entstehen heute am Frontend"

19.12.2012 von Joachim Hackmann
Wipro-CEO TK Kurien richtet den Service-Provider nach und nach auf das Geschäft mit der Frontend-IT aus, weil dort, an der Schnittstelle zum Kunden, heute Innovationen entstehen. Die Backend-IT werde zunehmend automatisiert betrieben, betont er im CW-Interview.

CW: Nahezu alle indischen Provider haben sich in den vergangenen Jahren sehr stürmisch entwickelt. Warum interessieren Sie sich für den doch recht beschaulich wachsenden deutschen IT-Markt, in dem die bestehenden Kunden-Lieferanten-Beziehungen zumeist sehr stabil sind?

Wipro-CEO TK Kurien: "Das Outsourcing-Geschäft wird sich ändern, es muss fließender und flexibler werden."

Kurien: Deutschland ist ein großer Markt, den man nicht unterschätzen sollte. Natürlich sind die Partnerstrukturen gefestigt, meine Erwartung ist aber ganz simpel: Alle großen Konzerne haben in den vergangenen Jahren umfangreiche Aufträge vergeben. Doch das strukturierte Auslagerungsgeschäft der Zukunft wird sehr schwer zu verwalten sein, weil sich die Anforderungen verändern und nicht mehr wie in der Vergangenheit auf das Kostensenken konzentrieren. Das Geschäft muss fließend und flexibel betrieben werden. Wir sind eine globale Company und haben schon früh gelernt, uns schnell auf Kundenwünschen einzustellen, auch was die Vertragsgestaltung betrifft.

Unser zweites wichtiges Argument sind unsere Lieferprozesse. Als indischer Provider hat man große Erfahrung mit dem effizienten und zuverlässigen Betrieb von Lieferprozessen gesammelt.

In dem Maße, wie sich der Bedarf der CIOs verändert, wie mehr und mehr Geschäftsanforderungen in den IT-Betrieb einfließen, wie fachlich orientierte Mitarbeiter beim IT-Bezug mitentscheiden, wird Bewegung in die existierenden Partnerbeziehungen kommen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich Räume für neue Anbieter auftun.

Deutsches Center of Excellence für die Fertigungsbranche

CW: Über welchen Zeitraum reden wir?

Kurien: Wir wollen den Markt langfristig besetzen. Dabei geht es nicht um zwei Quartale oder ein Jahr, sondern über Zyklen von zehn oder 15 Jahren. Langfristigkeit ist ein wichtiger Erfolgsfaktor.

Eine weitere Voraussetzung ist der kulturelle Zugang. Ich bin der Überzeugung, dass wir es nur mit lokalen Führungskräften schaffen können. Unsere Geschäftsführung kooperiert dazu eng mit den deutschen Universitäten. Das Programm bietet Absolventen etwa die Möglichkeit, in Indien zu arbeiten und später zurückzukehren, um dann in Deutschland Führungsaufgaben zu übernehmen. Natürlich gibt es keine Erfolgsgarantie, aber ich bin überzeugt, dass es nur so funktionieren kann.

CW: Auf welche Kundensegmente konzentrieren Sie sich?

Kurien: Deutschland hat eine starke Fertigungsindustrie, das ist der Kern der hiesigen Wirtschaft. Deshalb investieren wir demnächst in ein "Center of Excellence", dass sich mit der Frage beschäftigen wird, mit welchen Tools und Techniken sich die Fertigungsprozesse verändern und verbessern lassen. Wir kooperieren schon lange mit der Industrie und beschäftigen uns damit, wie die Fertigungsprozesse der Zukunft aussehen könnten. Das wird das Thema des zu gründenden, deutschen Kompetenz-Centers sein.

CW: Wo und wann soll das Zentrum entstehen?

Kurien: Die Pläne sind noch nicht konkret. Wie haben große Niederlassungen in München, Nürnberg, Köln und Meerbusch bei Düsseldorf. Grundsätzlich ist Kundennähe wichtig. Deutschland hat die Besonderheit, dass es kein einzelnes Wirtschaftszentrum gibt, wie etwa Paris in Frankreich und London in Großbritannien. Möglicherweise wird es in Meerbusch entstehen, weil wir dort schon die Infrastruktur und Mitarbeiter haben.

CW: Soll dort Forschung und Entwicklung betrieben werden?

Kurien: Vor allem Forschung. Wir suchen Mitarbeiter, die einen guten Zugang zur Branche und ein Auge für die Bedürfnisse der Anwender haben. Das Kompetenz-Center soll eine Strategie verfolgen, die uns einen langfristigen und nachhaltigen Zugang zu der Fertigungsbranche bereitet.

Akquisition in Deutschland ist eine Option

CW: Ist die Übernahme einer deutschen Firma eine weitere Option für den schnellen Kundenzugang?

Kurien: Auf jeden Fall. Wir werden genau darauf schauen, ob das Unternehmen zu uns passt. Als Service-Provider übernimmt man vor allem die Mitarbeiter, und die muss man überzeugen. Erfolgsentscheidend ist daher, dass die Partner kulturell zueinander passen.

CW: Ihr Wettbewerber Infosys hat kürzlich mit der Akquisitions von Lodestone das Beratungssegment in Deutschland und der Schweiz verstärkt. Wird sich Wipro bei Investitionsentscheidungen ebenfalls auf das Projektgeschäft konzentrieren?

Kurien: "Bahnbrechende Neuerungen in der IT sind nicht mehr das Privileg der zentralen IT."

Kurien: Wir sehen einen Megatrend, der die Rolle des CIO verändern wird. Bislang wird IT immer maßgeschneidert betrieben. Hat ein Unternehmen ein Problem, delegiert er es an einen Service-Provider, der es behebt und sich der nächsten Aufgabe widmet.

Dieses Modell wird von der Industrialisierung in der IT in Frage gestellt. Der Trend ist nicht aufzuhalten, daher erscheint es uns sinnvoller, dem Thema aktiv entgegen zu treten und Techniken und Tools für die Industrialisierung bereit zu stellen.

Wir nennen das die "Standardisierung und Industrialisierung im Kern der IT-Umgebung". Damit sind die monolithischen Unternehmensapplikationen im Backend gemeint, die es gilt, möglichst zuverlässig und effizient zu betreiben.

Anders verhält es sich im Frontend. Die Technik hat sich zu einem täglichen Gebrauchsgegenstand entwickelt. Sie hat sich in unser persönliches Umfeld eingenistet. Für den CIO ist damit nicht länger allein die Frage relevant, ob die zentralen Unternehmens-Anwendungen reibungslos laufen. Eine Herausforderung wird für ihn das Management der heterogenen Applikationen sein, die sich die Geschäftsbereiche besorgen und die mittlerweile ebenso entscheidend für den Geschäftserfolg sind.

Einstieg in App- und Produktgeschäft

CW: Bislang hatte Wipro ebenso wie andere Sourcing-Provider stets den Backend-Part der IT im Auge. Wie bereiten Sie sich auf den Wandel vor?

Kurien: Wir haben beispielsweise für einen großen Kunden eine App für Geschäftsreisen entwickelt. Mit dem Buchen, Abrechnen und Managen von Reisen waren 700 Mitarbeiter beschäftigt. Unsere iOS- und Android-basierende App hat die Abläufe weitgehend automatisiert. Die Mitarbeiter können ihre Reise komplett am Smartphone planen, Flüge und Hotels buchen und zum Abschluss einfach per Mausklick abrechnen. Heute beschäftigt der Kunde noch neun Leute mit der Reiseplanung und -verwaltung.

CW: Ist das eine Anwendung, die sie auch anderen Kunden zu Verfügung stellen?

Kurien: Bislang noch nicht. Wir planen aber, sie zum Download anzubieten.

Die gesamte IT-Industrie muss sich den drei wesentlichen aktuellen Trends stellen: Cloud Computing, Mobility und Analytics. Überlagert wird das Ganze von der sozialen Ebene. Das Computing war bislang ein System, in dem Datensätze gespeichert wurden. Sicher, die Technik hat sich im Lauf der Jahr verändert, aber das Prinzip ist gleich geblieben. Mit der "Consumerization" der IT etabliert sich die Interaktion. Das Erlebnis am Frontend entscheidet über die Akzeptanz. Eine wesentliche Möglichkeit, Kunden zu gewinnen, besteht darin, in das Frontend zu investieren.

Vergleichbar wichtig ist es, die eigenen Mitarbeiter zu begeistern. Etablierte, große Unternehmen wie Wipro, sind heute nicht mehr cool. Der einzige Weg, Mitarbeiter zu gewinnen und zu begeistern, ist, ihnen ein innovatives Frontend zu bieten. Am Randbereich der IT entstehen heute die Innovationen. Bahnbrechende Neuerungen in der IT sind nicht mehr das Privileg der zentralen IT.

Den Privatkundenmarkt im Blick

CW: Sie müssen sich also auch in Sachen Kundenansprache neu orientieren.

Kurien: Ja, wir bewegen uns damit nicht mehr wie bislang ausschließlich im B2B-Umfeld. Unsere Entwicklung verläuft zwangsläufig in Richtung Privatkundenmarkt, da auch unsere Geschäftskunden den B2C-Markt adressieren.

CW: Am Ende der Lieferkette stand schon immer der Privatkunde. Was hat sich geändert?

Kurien: "Die Entwicklung verläuft zwangsläufig in Richtung Privatkundenmarkt."

Kurien: Wir sehen in allen Branchen den Trend zur kundenindividuellen Ansprache. Vorreiter war vor Jahren die Autoindustrie, die ihren Käufern die Möglichkeit eingeräumt hat, ihr Auto nach eigenen Vorstellungen zu konfigurieren. Dieser Ansatz wurde auch in andere Branchen übertragen und Grundlage dafür ist immer die IT. Die Differenzierung am Frontend beim Kunden ist wettbewerbsentscheidend.

CW: Basis ist aber weiterhin auch die Backend-IT, denn darauf basieren viele Prozesse.

Kurien: Weite Teile der Backoffice-Applikationen und der IT-Infrastruktur lassen sich mittels eines automatischen Managements betreiben, indem man dafür die richtigen Tools verwendet. Wir haben beispielswiese das Produkt "Fixomatic", das hilft, die im Helpdesk anfallenden Transaktionen um 50 Prozent zu reduzieren. Es sammelt Daten auf Applikations-, Datenbank- und Hardwareebene, korreliert die Informationen und analysiert die Ergebnisse. Damit lassen sich Probleme und Engpässe identifizieren, bevor ein Anwender überhaupt ein Ticket erstellt hat. (jha)

Hintergrundinformationen

T K Kurien ist der Chief Executive Officer (CEO) of IT Business und Executive Director von Wipro Limited. Zudem ist er Mitglied des Wipro Corporate Executive Council. T K Kurien kann auf 27 Jahre Berufserfahrung zurückblicken, seit rund zehn Jahren ist er bei Wipro beschäftigt. Bevor er im Feburar 2011 zum CEO des IT-Business berufen wurde, trug er als President die Verantwortung für die Geschäfte der Wipro-Neugründung Eco Energy. In seiner Laufbahn bei dem IT-Dienstleister war zudem unter anderem in verschiedenen leitenden Positionen in der Beratungssparte und der BPO-Einheit (Business Process Outsourcing) tätig.
T K Kurien kam von der indischen GE-Niederlassung zu Wipro. Bei dem Elektrokonzern war er vornehmlich im Gesundheitssektor tätig.
Wipro zählt neben Tata Consultancy Services (TCS) und Infosys zu den drei großen, international aufgestellten indischen Service Providern. Das Unternehmen beliefert mit etwa 130.000 Mitarbeitern rund 900 Kunden in 54 Ländern, zumeist sind es große Anwenderunternehmen aus dem Kreis der Fortune 500.
Wipro wurde 1945 in Amalner, einer kleinen Stadt im Westen Indiens, als Hersteller von Speiseölen gegründet und expandierte schnell in andere Märkte, unter anderem wurde im Lauf der Zeit etwa Seifen und Pflegeprodukte vertrieben. Seit 1980 ist Wipro im IT-Geschäft tätig, anfangs als Anbieter von Mini-Computern, rund fünf Jahre später stieg Wipro in das PC-Geschäft ein. In den 90iger Jahren nutzte der Konzern sein im Hardware-Design und in der Softwareentwicklung erworbenes Knowhow als Basis für den Aufbau einer neuen Geschäftseinheit, die Offshore-Services für Großkunden betreibt. Dieser Geschäftszweig ist heute das wichtigste Standbein von Wipro. Die Geschichte des Unternehmens als Mischkonzern spiegelt sich noch in den Unternehmenseinheiten „Consumer Products & Lighting“ sowie „Infrastructure Engineering“ wider, die weiter Bestandteil des Konzerns sind. Besonders letzteres Segment könnte in der Zukunft noch eine tragende Rolle spielen, wenn Produkte und Prozesse mehr und mehr IT integrieren.
Der mächtige Mann im Wipro-Konzern ist Azim Premji. Er zählt zu den reichsten Privatpersonen in Indien und reiht sich laut Forbes auch in die Liste der 50 weltweit vermögendsten Menschen ein. Er ist Chairman und größter Anteilseigner des indischen Mischkonzerns.
Premji hat Wipro zu dem Technologie-Konzern geformt, wie man ihn heute kennt. 1966 musste er sein Studium der Ingenieurswissenschaften an der Stanford University in den USA abbrechen und die Leitung von Wipro übernehmen, nachdem sein Vater überraschend gestorben war. Das Unternehmen stellte vornehmlich Speiseöle her. Der damals 21 Jahre alte Premji erweiterte die Produktpalette schnell um Baby- und Kinderprodukte sowie um Seife. In einer weiteren Diversifizierung nahm der Jung-Manager 1975 unter anderem hydraulische Pumpen in seine Produktpalette auf und verlegte den Firmensitz nach Bangalore. Das ursprüngliche Geschäft mit Seifen und Fetten wurde aber zunächst weiter betrieben.
In den 80iger Jahren stieg Premji in den IT-Markt ein. Damals wurde IBM aus politischen Gründen des Landes verwiesen wurde, in die entstehende Marktlücke stieß Wipro mit eigenen Computern vor.
Vom amerikanischen Time-Magazin wurde Premji zweimal in die Liste der 100 einflussreichsten Personen gewählt.
Siehe auch CW-Interview mit Azim Premji aus dem Jahr 2001
Wo Programme entstehen, ist egal