Die Bundespost soll mit attraktiver Bezahlung konkurrenzfähig werden:

Ingenieurmangel schadet neuer Technik

27.06.1986

KÖLN (CW) - Rund 2000 Ingenieure der Nachrichtentechnik fehlen bei der Deutschen Bundespost (DBP). Besonders gravierende Probleme treten dadurch für Führung und Motivation der Mitarbeiter sowie vor allem bei der Einführung neuer Technologien und Arbeitsverfahren auf. Um weitere Schäden aus diesem Personalmangel zu vermeiden, ist der Verband Deutscher Post-Ingenieure (VDPI) auf Suche nach Unterstützung. Hier sein Statement.

Zunächst: Der durch die Besoldungspolitik entstandene und verstärkte Ingenieurmangel bei der Deutschen Bundespost richtet erheblichen Schaden an, der sowohl Industrie wie auch den Arbeitsmarkt belastet. Deshalb ist sofortiges Handeln notwendig. Angemessene Bezahlungsangebote sollen auf einem Arbeitsmarkt mit starker Nachfrage nach Ingenieuren der Nachrichtentechnik und verwandter Studiengänge für ein Gegengewicht sorgen.

- Kundendienst und -beratung

Die Betreuung der Altkunden und die Beratung zu neuen Techniken und Diensten kann nicht in wünschenswertem Umfang und zu den von den Kunden gewünschten Terminen wahrgenommen werden. Mehrwöchige Wartezeiten sind aber gerade dann imageschädigend für die DBP, wenn zuvor in großangelegten Werbekampagnen neue Apparate und Dienste vorgestellt werden und umgehende Beratung durch die Technischen Vertriebspartner angeboten wird.

Durch Mängel in der Kundenberatung wird die Einführung neuer Dienste erschwert. Die Folge: Akzeptanzprobleme und verzögerte Erteilung von Aufträgen für neue Techniken, Vertrauensverlust bei den Kunden.

- Qualität der Dienstleistungen

Ingenieure haben wichtige Aufgaben im technischen Betrieb der DBP und in der Qualitätssicherung zu erfüllen. In der Folge des Ingenieurmangels sinkt die Dienstgüte, steigt die Störungshäufigkeit, steigt die Störungsdauer, können Engpässe in Systemen und Netzen nicht frühzeitig erkannt und behoben werden; weiterhin gehen der DBP Gebühreneinnahmen durch verspätete Inbetriebnahme und Störungsausfälle verloren.

- Führung und Motivation der Mitarbeiter

Ingenieure tragen in erheblichem Umfang Führungsverantwortung. Der Mangel an Ingenieuren führt dazu, daß die vorhandenen Kräfte flexibel eingesetzt und häufig umgesetzt werden müssen. Die erhöhte Fluktuation läßt eine qualifizierte Einarbeitung nur begrenzt zu.

Dies führt zu Qualitätseinbußen in der Aufgabenerledigung und zu Mehrbelastungen der betroffenen Kräftegruppen und der Dienststellenleiter, die Aufgaben für nicht eingearbeitete Kräfte übernehmen müssen. Führungsaufgaben und die Unterweisung des Personals über technische und organisatorische Neuerungen werden erheblich behindert.

Erschwerend kommt hinzu, daß die vorhandenen Ingenieure nicht nur stärker belastet werden, sondern auch das persönliche Risiko für eventuelle Arbeitsmängel tragen, wie sie zum Beispiel in Ausstellungen des Bundesgerichtshofes zum Ausdruck kommen.

Die Folgen: Verminderte Arbeitsqualität, Beeinträchtigung des Betriebsklimas und Motivationsverlust.

- Einführung neuer Technologien und Arbeitsverfahren

Die zentrale Aufgabe der Ingenieure, Innovation der Produkte und der Verfahren, ist durch den Mangel beeinträchtigt.

Dies betrifft bei der DBP insbesondere die Weiterentwicklung der Kommunikationssysteme und vor allem die Digitalisierung der gesamten Netze und Systeme (ISDN = Dienste integrierendes Digitalnetz).

Für den inneren Dienst bei der DBP liegt der Schwerpunkt bei der Entwicklung und Einführung computerunterstützter Arbeitsverfahren, mit denen Arbeitsabläufe effizienter gestaltet und der Kundendienst verbessert werden kann.

Auch hierfür ist ein enges Zusammenwirken zwischen der technischen Zentrale, dem Fernmeldetechnischen Zentralamt und den Oberpostdirektionen notwendig. Die damit befaßten Kräfte benötigen umfangreiches technisches Wissen und ein hohes Maß an Betriebserfahrung, um optimale, praxisgerechte Konzepte und Regelungen zu entwickeln.

Um entsprechende Spezialisten zu finden, sind oft fünf Ausschreibungen notwendig. Bemühungen des Fernmeldetechnischen Zentralamtes, Ingenieure unter Verzicht auf an sich benötigte Betriebserfahrung direkt von den Hochschulen zu gewinnen, führen nur zu 50 Prozent zum Erfolg. Schlüsselpositionen mit bedeutendem Wirkungsbereich können oft über längere Zeit nicht fachgerecht besetzt werden. Allein beim Fernmeldetechnischen Zentralamt können 100 Ingenieurpositionen zur Zeit nicht wahrgenommen werden.

Die Folge:

- Die Einführung neuer Techniken wird erschwert.

- Notwendige innerbetriebliche Regelungen und Arbeitsverfahren können nicht zum benötigten Zeitpunkt und zum Teil nicht in der gewünschten Qualität bereitgestellt werden.

- Der Betrieb wird von Entwicklungen überrollt und muß sich mit improvisierten Lösungen helfen.

- Der Bereitschaft von Ingenieuren der DBP, als Experten im Ausland bei der Entwicklung moderner Telekommunikationssysteme zu beraten, steht in konkreten Fällen die eigene Mangelsituation entgegen (damit Minderung der Exportchancen der deutschen Fernmeldeindustrie).

- Planung und Einsatz der Investitionsmittel

Die DBP ist mit einem jährlich steigenden Investitionsvolumen (1986: 18,2 Milliarden Mark) der größte Investor und damit auch ein wichtiger wirtschaftspolitischer Faktor. Darüber hinaus ist die DBP Wegbereiter und Schrittmacher für die Entwicklung der technischen Kommunikationssysteme in Europa und weltweit.

Neben der Aufgabe der internationalen Koordination und Standardisierung obliegt es der DBP, neueste Systeme im Betrieb zu erproben. Referenzen der Anwendung bei der DBP sind ausschlaggebend für die Exportchancen der auf den Weltmarkt angewiesenen deutschen Fernmeldeindustrie.

Dies unterstreicht die Verantwortung der Ingenieure der DBP für einen wirtschaftlichen Einsatz der enormen Investitionsmittel und der modernsten Technik.

Der Ingenieurmangel der DBP gefährdet diese Ziele: So können viele Planungen nicht nach Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit optimiert werden, weil die zuvor notwendigen Entwicklungs- und Alternativplanungen nicht in erforderlichem Umfang möglich waren beziehungsweise sind. Auf unerwartete Bedarfsänderungen oder kurzfristige unternehmenspolitische Entscheidungen kann oft nur mit Improvisation reagiert werden.

Die Qualität der Investitionsplanung wird weiter beeinträchtigt durch kurzfristigen Einsatz noch nicht ausreichend eingearbeiteter Kräfte und nur begrenzt wahrnehmbare Fachaufsicht und Prüffunktion.

Mangelnde Koordination mit anderen Versorgungsträgern führt zu erhöhten Aufwendungen.

Verschiedene Prüfbemerkungen des Bundesrechnungshofes der letzten Jahre haben derartige Mängel ausgestellt, ohne zugunsten der Betroffenen die Folgen des Ingenieurmangels zu würdigen.

Zusammenfassend kann folgendes festgestellt werden:

Die DBP investiert 1986 rund 18 Milliarden Mark. Wenn in der Folge des Ingenieurmangels von rund zehn Prozent das wirtschaftliche Optimum der Investitionen um nur fünf Prozent verfehlt wird, beträgt der wirtschaftliche Schaden 900 Millionen Mark für dieses Jahr.

Durch die Absenkung der Anfangsbesoldung der Ingenieure der DBP werden dagegen 1986 nur etwa drei Millionen Mark gespart. Diese "Ersparnis" wird aber bereits aufgezehrt durch rund 3,5 Millionen Mark Mehrkosten für eine "Ersatzlösung" in Form des Einsatzes lebenslänglicher und in der erreichten Endstufe höher bezahlter Aufstiegskräfte auf Ingenieurarbeitsplätzen.