Millionen-Klage um ERP-Software

Infor und 3M streiten sich

29.11.2011 von Joachim Hackmann
Der Konzern 3M und der ERP-Hersteller Infor ziehen vor Gericht: Der Streitwert beläuft sich auf mehrere Millionen Dollar.
Foto: Alterfalter/Fotolia.de

Seinen Anfang nahm der Disput, als sich 3M dafür entschied, mit dem IT-Dienstleister Cognizant eine dritte Partei mit dem Betrieb des ERP-Systems zu beauftragen. Im Lauf der Zeit verschärfte sich der Ton zwischen den Kontrahenten derart, dass vorübergehend sogar eine Schadenssumme von über 20 Millionen Dollar im Raum stand. Der Disput zeigt beispielhaft, wie unterschiedlich Kontrahenten die Softwareverträge sowie die Rechte und Pflichten von Anwendern und Anbietern auslegen.

Im Kern geht es in der Auseinandersetzung darum, ob Cognizant von 3M mit dem Management oder dem Betrieb der Software beauftragt wurde. Der Unterschied ist offenbar derart relevant, dass Infor derzeit immer noch auf Nachzahlungen von mehr als fünf Millionen Dollar beharrt und 3M nun eine Gerichtsentscheidung darüber anstrebt, ob der Auftrag an Drittanbieter zur Betreuung modifizierter ERP-Installationen die Abkommen zur Lizenzierung von Standardssoftware verletzt. Der US-Technologiekonzern, in Deutschland vor allem durch seine Marke "Post-it" bekannt, hat Klage am District Court von Minnesota eingereicht.

3M ist bereits seit mehr als zehn Jahren Infor-Kunde und nutzt sowohl die "BCPS"-Suite als auch die "Infinium"-Lösung, die laut 3M "unverzichtbar" für den Geschäftsbetrieb in den USA und im Ausland ist. Die Geschäftsbeziehung geht auf einen Vertrag zwischen 3M und dem ERP-Anbieter SSA Global aus dem Jahr 1997 zurück. SSA Global wurde 2006 von Infor übernommen. Das ursprüngliche Abkommen zwischen den Partnern räumte 3M eine "fortwährende, persönliche, nicht übertragbare und nicht exklusive Lizenz zur Softwarenutzung ein", formulierte 3M in dem Schreiben an das Gericht.

skurrile IT-Klagen
Die zehn skurrilsten IT-Klagen
Pentium-Allergie oder schlechte Navis. Unsere Schwesterpublikation CIO.Com hat die zehn verrücktesten Klagen aus der IT Welt zusammengefasst,
Fall 3:
Rechtsstreitigkeiten in Sachen automatischer Ausfüllvorschläge bei Suchanfragen bescheren Google immer wieder Probleme. Im Gegensatz zu Google sehen Gerichte diese aber nicht immer als harmlos an, weshalb der Suchmaschinenanbieter jüngst zwei Fälle in Frankreich verlor. In einem Rechtstreit wurde das französische Wort für „Betrug“ der französischen Organisation „Centre National Privé de Formation a Distance“ zugeordnet, wogegen diese klagte. Im zweiten Fall schlug Google die Begriffe „Vergewaltiger“ und „Satanist“ bei Suchanfragen nach dem Namen des Klägers vor.Google verlor ähnliche Fälle auch in Argentinien, Italien und Irland. Ein irischer Hotelbesitzer behauptet, die Auto-Ausfüll-Funktion stelle sein Hotel dar, als ob dieses zwangsverwaltet wird.
Fall 4:
Eine Niederländerin versucht immer wieder vor Gericht zu ziehen, nachdem sie bei Intel (INTC) und ihrer Regierung mit ihrer Beschwerde keinen Erfolg hatte. Sie behauptet, dass sie durch die hochfrequente Strahlung eines Pentium Prozessors Hautausschlag bekam. Allerdings wiesen bis zum jetzigen Zeitpunkt alle Gerichte die Klage der „Pentium-Allergikerin“ ab.
Fall 5:
In einem Werbespot anlässlich der Super Bowl, dem Endspiel im American Football, warben Babys für den Online-Broker-Dienst ETrade. Diesen Spot verfolgte auch der Kinderstar Lindsay Lohan und reichte Klage wegen Verleumdung in Höhe von 100 Millionen US-Dollar ein. Die Begründung: Lohan glaubte, dass eines der Babys auf ihre Anzeige „that milkaholic, Lindsay“ anspielt. Die beiden Parteien einigten sich außergerichtlich. Es ist davon auszugehen, dass Lohan eine Entschädigung von ETrade erhielt.
Fall 6:
Einige Fans des Online-Spiels „Star Wars Galaxies“ wären am liebsten mit einem Todesstern gegen Sony vorgegangen, als der japanische Konzern 2010 verkündete, die Sever für das Spiel abzuschalten. Es gab zwar keine tragfähigen Gründe für einen Rechtsstreit, dennoch entschieden sich die Fans aus Frustration für eine Sammelklage. Bisher ist nichts über einen Prozess bekannt und es wird wahrscheinlich auch nie einen geben.
Fall 7:
Ein Farmer aus Florida hat ein kleines Startup-Unternehmen verklagt, das Foren und Chat-Rooms betreibt. Der Grund: Er fand in einem Forum einen negativen Eintrag. In diesem 800 Millionen US-Dollar Rechtsstreit geht es darum, dass der Kläger dem Unternehmen unterstellt, durch negative Beiträge den Ausgang eines anderen juristischen Verfahren beeinflussen zu wollen, an dem Kläger ebenfalls beteiligt ist. Stellen Sie sich vor, jede Online-Beleidigung zöge eine Klage nach sich.
Fall 8:
Amanda Bonnen twitterte 2009 an ihre 20 Anhänger, dass ihre Wohnung verschimmelt. Ihr Vermieter reichte daraufhin Klage ein. Er sah seinen guten Ruf geschädigt und wollte 50.000 US-Dollar Schadensersatz Der Richter wies die Klage ab. Er war der Ansicht, dass die Tweets für den Verleumdungsvorwurf nicht ausreichten.
Fall 9:
Ein Schulbezirk in Chicago gilt als WiFi-Pionier, weil er schon 1995 öffentliche Funknetze an seinen Schulen installierte. Jahre später, 2003, verklagten Eltern des Bezirks die Schulen, weil die Router angeblich der Gesundheit der Kinder schaden. Jedoch ohne Erfolg, weil die Kläger keinen Nachweise einer eventuellen Gesundheitsgefährdung erbringen konnten..
Fall 10:
Im Jahr 2008 schlug der Bürgermeister der türkischen Stadt Batman vor, den Filmregisseur Christoper Nolan und das Filmstudio Warner Brothers zu verklagen – um Lizenzgebühren aus dem Blockbuster „The Dark Knight“ zu fordern. Soweit bekannt wurde aber nie eine Klage eingereicht. Unbestätigten Gerüchten zufolge, soll der dunkle Ritter nun die Stadt beschützen.

Im Lauf der Zeit erwarb 3M Softwarerechte für 8000 Arbeitsplätze, erst im Dezember 2009 stockte der Konzern die Zahl der Lizenzen für 1,5 Millionen Dollar um 1000 Seats auf. Derzeit gibt es 7000 aktuelle Nutzer. Das Abkommen umfasst jährliche Wartungskosten an Infor, die sich zuletzt auf eine Millionen Dollar pro Jahr beliefen. Die Leistungen umfassen Updates, Upgrades und den technische Support. Der Vertrag räumt 3M die Möglichkeit ein, darüber hinaus gehende Services von anderen Anbietern zu beziehen. Allerdings enthält das Abkommen auch eine Bestimmung, die es 3M untersagt, jeglichen Drittanbietern den Zugang zur Software einzuräumen, wenn es deren vornehmliche Aufgabe ist, für die Infor-Software tägliche Management- und Support-Aufgaben zu betreiben, es sei den, es liegt eine Einwilligung von SSA Global vor.

Schritt für Schritt in die Auseinandersetzung

3M, ein milliardenschwerer Technologiekonzern aus den USA, ist in Deutschland durch seine Marke "Post-it" bekannt.
Foto: iQoncept - Fotolia.com

Seit der Vertragsunterzeichnung wurde die Software erheblich modifiziert und den 3M-Anforderungen angepasst, nur noch die Hälfte des Programm-Codes stamme von Infor, heißt es in der Klageschrift. Daher seien die Infor-Mitarbeiter kaum in der Lage, den Support für einen Großteil der Software zu leisten. 3M vereinbarte daher im November 2009 ein Serviceabkommen mit Cognizant. Laut 3M hatte Infor lange Zeit Kenntnis von der Geschäftsbeziehung zwischen 3M und Cognizant, außerdem soll der Softwareanbieter den externen Dienstleister ausdrücklich als Third-Party-Anbieter zugelassen haben. In der Schrift an das Gericht beklagt 3M, man habe sich von Infor bezüglich der Partnerschaft mit Cognizant einlullen und in Sicherheit wiegen lassen.

Später verschickte Infor an 3M ein Vorschlag für ein abgeändertes Nutzungsabkommen, das Cognizant unterzeichnen sollte. Dort verschwand das Dokument allerdings für einige Monate in einer Schublade, unterzeichnet wurde es nie, weil "Infor die Pflichten von Cognizant nie eindeutig definiert habe", begründet 3M die ausbleibenden Reaktion. Später äußerte sich ein Infor-Mitarbeiter laut 3M dahingehend, das Abkommen mit Cognizant sei hinfällig. Er habe auch sonst keine Bedenken oder Beanstandungen vorgetragen.

Im Jahr 2011 kam es schließlich zu einem Audit der 3M-Installation, in deren Verlauf Infor die Frage stellte, ob 3M "den täglichen Betrieb und/oder die Wartung für die Infor-Software outgesourct habe." 3M bejahte und nannte Cognizant als Third-Party-Provider. "Im Audit wurde jedoch nicht die Frage gestellt, ob das Management der Software ausgelagert wurde", schränkte 3M ein. "Tatsächlich hat 3M das Management der Software nicht ausgelagert."

Im Juli erreichte 3M schließlich ein Brief, in dem Infor dem Konzern vorwarf, eine Vertraulichkeitsklausel verletzt zu haben, als er Cognizant als Drittanbieter verpflichtete. Der ERP-Anbieter verlangte eine Zahlung in Höhe von 20,9 Millionen Dollar Entschädigung dafür, dass Cognizant Zugriffsrechte verletzt habe. Infor reduzierte die Summe später auf einen Wert zwischen 17 Millionen und 18 Millionen Dollar.

Anfang November löste 3M den Vertrag mit Cognizant auf, um Infor entgegen zu kommen und die Geschäftsbeziehung zu kitten. 3M tat dies eigenen Angaben zufolge, weil Infor zuvor zugesichert habe, ein solcher Schritt könne die Differenzen ausräumen. Am 10. November legte Infor jedoch eine neue, reduzierte Forderung auf den Tisch. Auf Basis einer nicht näher ausgeführten Analyse verlangte der Software-Anbieter eine Gebühr in Höhe von 7,3 Millionen Dollar für die frühere Nutzung der Software durch Cognizant. Man sei jedoch bereit, die Forderung auf 5,9 Millionen Dollar zu reduzieren.

Infor strebt nun doch eine gütliche Einigung an

Infor ist um Beilegung des Konflikts bemüht.
Foto: Infor

Nun sucht 3M einen Ausweg aus der verfahrenen Situation über den Gerichtssaal. Strittig ist der Unterschied zwischen dem Outsourcing des tägliche Managements und des täglichen Betriebs ("day-to-day management" oder "day-to-day operation"). 3M betont, Cognizant habe keine Aufgaben übernommen, die vornehmlich das "Day-To-Day Management und die Support-Verantwortung für die Software betreffen". Daher könne man auch keinen Vertragsbruch feststellen. Der Konzern strebt eine Entscheidung vor Gericht an, die das Unternehmen vor weiteren Forderungen schützt, wenn Cognizant die Betreuung wieder aufnimmt. Zudem will man, dass die Gegenpartei die Kosten des Rechtstreits erstattet.

Möglicherweise einigen sich die Streithähne auch, bevor es zum Showdown vor Gericht kommt. "Infor hat eine hohe Reputation im Service und im Support. Außerdem ist 3M ein sehr wertvoller Kunde für uns", versuchte ein Infor-Sprecher die Wogen zu glätten. "Wir bemühen uns gerade zusammen mit 3M um eine schnelle und für alle Seiten befriedigende Lösung. Grundsätzlich umfassen alle Softwareabkommen notwendigerweise auch restriktive Bestimmungen darüber, wie Drittanbieter auf den Source-Code zugreifen und ihn verändern können. Wir tun dies, um unsere Investitionen zu schützen und dauerhafte Innovationen zu gewährleisten." Ob diese Einlassung dazu geeignet ist, den Streit zu schlichten, bleibt offen, denn 3Ms Klageschrift bezieht sich nicht auf Source-Code-Modifikationen. "Ich glaube nicht, dass Infors Stellungnahme den von 3Ms angestrebten Gerichtsprozess irgendwie beeinflusst. 3M hat Infors Source Code nicht verändert", betonte Wendy Wildung, Anwältin des amerikanischen Konzerns. Der Ausgang des Verfahrens bleibt also offen. (jha)