Lange Jahre galt die Devise, dass sich SAP-Offshoring vor allem bei größeren Vorhaben lohnt. Denn die Offhore-Stundensätze betragen häufig nur einen Bruchteil der deutschen Honorare für SAP-Consultant. Durch diesen Kostenvorteil werden, so besagt die Ratio, Set-up-Kosten, Reibungsverluste durch unterschiedliche Zeitzone und kulturelle Unterschiede sowie die damit einhergehende Ineffizienzen überkompensiert. Das Management, die Entwicklung und das Customising von SAP-Anwendungen, kurz: das SAP Application Management, ist deshalb einer der "Klassiker" des Offshoring.
Aber die Zeiten haben sich geändert. Europäische Anbieter holen auf, indem sie ihre Application-Management-Prozesse zunehmend industrialisieren, beispielsweise durch die Automatisierung des Change-, Release- und Transport-Managements. Schritt für Schritt verringern sie durch die gesteigerte Produktivität den Kostenrückstand gegenüber der Konkurrenz aus fernen Ländern. Das setzt wiederum die Offshoring-Spezialisten unter Druck. Einmal mehr sind sie gehalten, ihre Produktivität zu erhöhen - bei garantierter Lieferqualität.
Zwei Fünftel Entwicklungs-Overhead
In einer zunehmend arbeitsteiligen Welt verlagert sich die Aufmerksamkeit in puncto Produktivitätspotentiale: Im Hinblick auf SAP-Projekte bedeutet das: Entscheidend sind nicht mehr allein die Effizienz und Effektivität der reinen Entwicklung, sondern in zunehmendem Maße auch die der administrativen Prozesse. Sie können bis zu 40 Prozent Tätigkeit eines Softwareentwicklers ausmachen.
Eine Studie der Bell Labs geht von 32-prozentigen Anteil an "arbeitsbezogener Kommunikation" aus. Nach Untersuchungen von Tom De Marco und Timothy Lister beträgt der Anteil ungestörter Arbeit, also reiner Programmiertätigkeit, im Verhältnis zur Anwesenheit des Entwicklers am Arbeitsplatz, lediglich 40 Prozent. Und Herwig Mayr, Professor an der Fakultät für Informatik der FH Hagenberg, beziffert auf Basis empirischer Studien den Management-Overhead bei Projekten zwischen 20 und 40 Prozent.
Im Rahmen von SAP-Entwicklung und -Customising ist es deshalb wichtig, das Change-, Release- und Transport-Management, kurz: CR&T, so effizient und effektiv wie möglich zu gestalten. Denn hier liegen die administrativen Tätigkeiten verborgen, die einen Großteil der Entwicklerarbeitszeit auffressen. Worum geht es dabei? In aller Kürze: Es gilt, Benutzeranforderungen an das SAP zu bewerten, zu priorisieren, den Aufwand abzuschätzen, ihn in eine IT-Anforderung umzuwandeln und diese an die richtigen SAP-Berater zu verteilen.
Unterschiedliche Änderungen ("Changes") sollten dabei in "Releases" gebündelt werden. Darüber hinaus sind in Änderungen in verschiedenen Testphasen zu validieren, um sie dann richtig, vollständig und termingerecht vom SAP-Entwicklungssystem erst in das Test- und dann in das Produktivsystem zu überzuführen. Je nach Fehleranfälligkeit kann der gesamte Prozess mehrere Iterationen zwischen Entwicklungsteam und Fachabteilung beziehungsweise Kunde durchlaufen.
Die Anforderungs-Checklliste
Funktionale CR&T-Ziele
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Anpassung der CR&T-Lösung durch einfaches Customising, also ohne Programmierung, an die abgenommenen und zertifizierten Standard-Prozesse des Unternehmens (nicht umgekehrt);
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Implementierung von transparenten, automatisierten Prozessen für das Change-, Release- und Transport-Management;
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automatisierte Einbindung von SAP-Testwerkzeugen in den IT-Workflow;
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revisionssichere Archivierung von Change-Requests und Releases;
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durchgängige Automatisierung von Transportverwaltung und -abläufen über den gesamten Softwareänderungs-Prozess inclusive "Überholerkorrektur";
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Integration mit unternehmensweiten Change-Management- und Helpdesk-Systemen;
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Umfangreiches Reporting per Knopfdruck auf verschiedenen Management-Ebenen;
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bidirektionale Prozessintegration mit unternehmensweiten Change-Management- und Ticket-/Helpdesk-Systemen mittels einer leistungsfähigen Programmierschnittstelle (API).
Die Industrialisierung des CR&T-Managements ist also eine Chance, den etwa 30-prozentigen administrativen Overhead zu verringern und die Produktivität zu erhöhen. Das Ziel orientiert sich an der Automobilproduktion: weg von der "Manufaktur", hin zur Entwicklung auf Basis eines flexiblen, getakteten "Fließbands".
Niedriger Ausbildungsstand und hohe Fluktuation
In Europa ist diese SAP-Industrialisierung aufgrund der hohen Lohnkosten zunehmend ein wichtiges Thema. Doch auch für die Offshore-Aktivitäten steht die Automatisierung an oberster Stelle, wenngleich aus anderen Gründen: Der vergleichsweise niedrige Ausbildungsstand der SAP-Consultants und die relativ hohe Fluktuation verringern die Lohnkostenvorteile deutlich. In den Leading Cost Countries, kurz LCCs, ist es deshalb essenziell, die SAP-Entwickler in einem speziellen Arbeitsgebiet schnell auf Geschwindigkeit zu bringen - im Idealfall, ohne dass ein großer administrativer Entwicklungs-Overhead und eine prozessbegleitende Einarbeitung notwendig wären.
Tibor Piroth, CEO von Siemens IT Solutions and Services (SIS) Thailand, hat das vor vier Jahren erfahren: Mit 400 SAP-Professionals und jährlich etwa 15.000 Change-Requests an mehr als 30 SAP-Systemen gehörte SIS Thailand zu den großen SAP-Application-Management-Centern von Siemens; im vergangenen August wurde es von Atos Origin übernommen. Durch den Einsatz moderner CR&T-Management-Tools ließen sich dort die administrativen Kosten für jeden Change-Request im zweistelligen Prozentbereich verringern.
Nach dem Vorbild der Automobilindustrie
Die osteuropäische Automobilindustrie hat in den vergangenen zehn Jahren Kosten und Qualität ihrer Werke auf den Operational-Excellence-Methoden und Lean-Management-Prinzipien des "Toyota Production Systems" aufgesetzt. Analog dazu hat SIS Thailand nach einer Wertstromanalyse ein Operational-Excellence-Programm für das SAP-CR&T-Management ins Leben gerufen.
Lessons learned
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CR&T-Management muss als "Operational-Excellence"-Projekt begriffen werden. Aus anderen Funktionsbereichen wie der Automobilproduktion lassen sich Best-Practices übernehmen. Erprobte Methoden aus Lean Management und der Six Sigma, beispielsweise Null-Fehler-Ziel oder die sieben Arten der Verschwendung sind gut auf CR&T-Projekte übertragbar.
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Starker Management-Support ist wichtig. Wie bei jedem Automatisierungsvorhaben müssen alle IT-Manager geschlossen hinter dem Projekt stehen
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Ebenso wichtig ist das "Buy-in" der Mitarbeiter. Den bei Automatisierungs- und Rationalisierungsvorhaben üblichen Zweifeln und Ängsten lässt sich a priori durch Überzeugungsarbeit begegnen
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Es geht um die Prozesse: Value Stream Analysis und Value Stream Design sind die Schlüssel zum Erfolg. Eine detaillierte Prozessanalyse mittels Standard-Methoden wie Refa und ein klar umrissenes Prozess-Design-Zielbild sind die Voraussetzungen, um die Ratio-Potenziale heben zu können.
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KPI’s sind a priori zu definieren - und a posteriori zu managen. Eine stringente Zielvorgabe wie "Null-Fehler" oder "Six Sigma" hilft dabei, sich auf die wesentlichen Wertetreiber zu konzentrieren.
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Form follows function. Das Tool-Reengineering sollte auch Anlass für ein Prozess-Engineering sein.
Um die in Frage kommenden Anbieter zu evaluieren, erstellte SIS Thailand eine Checkliste für die Anforderungen an ein effizientes und effektives CR&T-Management. Auf Basis der Standardlösung Conigma der Galileo Group AG entstand schließlich ein "Software-Fließband" für SAP-Änderung und -Pflege.
Think global, start local
Wie SIS Thailand aus früheren Projekten gelernt hatte, orientierte man sich bei der Evaluierung des Business-Case am besten an erprobten Operational-Excellence-Methoden wie der Value Stream Analysis (VSA) und dem Value Stream Design (VSD). Im Rahmen der SAP-CR&T-Analyse wurde der gesamte Wertstrom aus Entwicklung und Customising in vier Hauptblöcke unterteilt: Change-Management, Implementierung, Testing und Transport-Handling. Diese Blöcke untergliederten sich dann wieder in einzelne Aufgabenschritte.
Auf Basis von Zeitanalysen und mit MTM-/Refa-analogen Methoden skizzierte SIS Thailand einen Ist-Wertstrom, der die Grundlage für die Wertstromanalyse bildete. Mit Hilfe von von Best-Practices aus Europa, Asien und Amerika skizzierte der Diensteister dann gemeinsam mit der Galileo Group einen Soll-Wertstrom für die Industrialisierung der SAP-Pflegeprozesse. Eine optimale Taktung der Abläufe sollte Geschwindigkeit mit gleich bleibend hoher Output-Qualität verbinden. Die Definition eines Business-Case mit Einsparpotenzialen und RoI-Vorgaben flankierten dieses Vorgehen.
Die aus Wertstromanalyse- und design gewonnenen Erkenntnisse wurden mit dem existierenden Servicedesk umgesetzt. Dabei handelte es sich um eine Lösung für Change-Request- und Incident-Verwaltung sowie Kundenkommunikation, die SIS Thailand auf Basis des SAP-Support-Line-Feedbacks und des SAP-Customer-Service- erstellt hatte. Das CR&T-Tool Conigma wurde dahingehend angepasst, dass es den Zielwertstrom abbildete.
Aus früheren Change-, Release- und Transport-Management-Vorhaben hatte SIS Thailand noch eins gelernt: "Think global, start local". Nach einer Pilotierungsphase wurden die Struktur und die Funktionen des Systems im Rahmen des PDCA-Zyklus (Plan - Do - Check - Act) nachgeschärft. Beispielsweise änderte das Team die Hierarchiestrukturen für Change-Requests, damit sich die großen Datenmengen besser handhaben ließen. Zudem wurden rollenspezifische Status-Views für die Change-Requests eingeführt, um den Arbeitsvorratszugriff effizienter zu gesaltetn. Eine automatisierte Repacketierung sollte das Laufzeitverhaltens beim Produktivimport verbessern. Schließlich wurde de rneue Zielwertstrom als "Standard" für alle 400 SAP-Professionals verbindlich.
Auch in Asien steigen die Löhne
Rückblickend ist SIS-Thailand Geschäftsführer Piroth froh, frühzeitig auf Produktivitätspotentiale gesetzt zu haben. Als er vor fünf Jahren begonnen habe, den Kreislauf der immer noch günstigeren Stundensätzen zu durchbrechen, sei er noch belächelt worden. Heute bilde der "kontinuierliche Verbesserungs-Prozess in Sachen Automatisierung" einen echten Vorteil angesichts der auch in Asien steigenden Löhne.
Die Erfolge können sich sehen lassen: Die Prozesszeiten ließen sich im zweistelligen Prozentbereich reduzieren. Im Projekt-Investitionszyklus waren Einsparungen im sieben-stelligen Euro-Bereich möglich. Und das Wichtigste: Trotz gesunkener Kosten ließ sich die Qualität zum Kunden hin deutlich steigern - bis hin zu einer hundertprozentigen Erfüllung der SLAs sowie der Compliance- und -Qualitätsanforderungen von Kundenseite.
Drei Fragen an Tibor Piroth, CEO von SIS Thailand
? Was hat Sie bewogen, einen Servicedesk mit einem Tool für das Change- Relase- und Transport-Mangement einzurichten?
! Das Mengengerüst der von uns durchgeschleusten SAP-Änderungen mit entsprechenden Transportvolumen war manuell nur noch mit überproportionalem Aufwand zu handhaben. Ergänzt um die Dokumentationsanforderungen unserer Kunden haben wir einfach zu viel Zeit in nicht produktive Tätigkeiten gesteckt. Zudem hatten wir das Ziel, die hundertprozentige SLA-Erfüllung auch bei steigendem Komplexitätsgrad zu behalten.
? Welche Herausforderungen musstgen Sie bei der Einführung der Werkzeugkombination lösen?
! Wir hatten schon vorher einen ausgefeilten und dokumentierten IT-Prozess, der auch von unseren Teamleitern unterschrieben war. Im Rahmen der Werkzeugeinführung haben wir allerdings festgestellt, dass dieser Prozess aus verschiedenen Gründen nicht immer so gelebt wurde, wie er vereinbart war. Ein Werkzeug stellt aber nun mal die Prozesseinhaltung sicher, deshalb haben wir hier wechselseitig nachsteuern müssen.
? Inwieweit haben sich Ihre Zielvorstellungen mit dem Einsatz der Werkzeugkombination erfüllt?
! Wir haben unseren Produktivitätsvorsprung weiter ausgebaut und dabei nichts von unserer Servicequalität eingebüßt. Neue Mitarbeiter finden sich wesentlich schneller in unsere IT-Prozessstandards ein als vor der Werkzeugeinführung. Die Anzahl der Change Request pro Mitarbeiter stieg gegenüber dem Vergleichszeitraum um einen zweistelligen Prozentsatz.