Arbeitswelt

In der Multitasking-Falle

10.11.2012 von Judith-Maria Gillies
Nur Computer können mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen. Menschen scheitern daran oft kläglich. IT-Profis gehören zur besonders gefährdeten Spezies.
Multitasking ist ein Kampf gegen Windmühlen, warnen Psychologen.
Foto: rubysoho/Fotolia.com

Googeln im Teammeeting, Simsen während des Geschäftsessens, Twittern im Fußballstadion. Alles kein Problem. Und Kinder sitten im Home-Office geht auch mit links. So zumindest der Plan... Viele IT-Fachkräfte spüren heute ihre Doppelverantwortung in Firma und Familie und wollen zwischen Cloud-Computing, Kundenmeeting und Kindergartenfahrten gern alles auf einmal erledigen.

Eine ganz schlechte Idee, wie Experten finden. "Männer sollten nicht in dieselbe Falle tappen wie Frauen", warnt Corinne Baumgartner, Geschäftsführende Partnerin der Beratungsgesellschaft Conaptis in Zürich. Frauen stressten sich bereits seit Jahrzehnten mit dem Anspruch, multitaskingfähig zu sein. Und genauso lange scheiterten sie daran. "Multitasking ist ein Kampf gegen Windmühlen", so die Psychologin. Und den könne niemand gewinnen.

Multitasker fühlen sich erschöpft und überfordert

Besonders gefährdet sind IT-Profis. Da wird geklickt und geliked, gechattet und gebloggt, gesimst und gemailt, was das Zeug hält. Je mehr Geräte in Griffweite sind, desto mehr verführen sie die Besitzer, ihre Arbeit zu unterbrechen. Jede SMS, jeder Tweet, jede Mail stört die Tätigkeit, mit der man gerade beschäftigt ist. Nur ein Computer kann mehrere Tasks gleichzeitig erledigen. Menschen macht Multitasking krank. Das Gehirn muss ständig zwischen den Aufgaben hin und herschalten, was anstrengend ist und auch gefährlich sein kann. "Multitasker trainieren sich eine Aufmerksamkeitsstörung an", warnt Hirnforscher Professor Manfred Spitzer. Ein Psychologenteam der Universität Leipzig hat herausgefunden, dass sich Multitasker erschöpft, frustriert und überfordert fühlen. Sie brauchen länger, um ihre Aufgaben zu erfüllen und machen dabei auch mehr Fehler. Mit dem Versuch, alles gleichzeitig zu erledigen, " trauen wir uns mehr zu, als wir können", ist Beraterin Baumgartner überzeugt. Schuld daran seien die eigenen hohen Ansprüche - und die menschliche Neugier. "Sie treibt uns dazu, auf jede neue Mail oder SMS zu schielen." Außerdem seien wir bei schwierigen Aufgaben für jede Form der Ablenkung dankbar.

Annette Cezanne, Bechtle: "Es ist ein Trugschluss, schneller zu sein, wenn man alles parallel bearbeitet."
Foto: Bechtle

In der IT-Branche kommen zusätzlich die hohen Anforderungen von Arbeitgebern und Kunden dazu. So wie beim IT-Dienstleister Bechtle in Neckarsulm. Viele der Mitarbeiter sind vertraglich verpflichtet, in bestimmten Zeitgrenzen erreichbar zu sein. Die Firmenregel schreibt vor, auf alle Mails innerhalb von 24 Stunden zu reagieren. "Da steigt sicher die Versuchung, alles gleichzeitig erledigen zu wollen", sagt Anette Cezanne, Leiterin der Personalentwicklung bei Bechtle. "Doch es ist ein Trugschluss, schneller zu sein, wenn man alles parallel bearbeitet."

Gefühlt jedoch scheinen Beschäftigte oft keine andere Wahl zu haben. "Wenn sich um einen herum alle Räder drehen, kann man sich im eigenen Hamsterrad schlecht abkoppeln", sagt Professor Christian Scholz, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Besserung scheint derzeit nicht in Sicht zu sein - im Gegenteil. Laut DGB-Studie "Gute Arbeit 2012" haben 63 Prozent aller Vollzeit arbeitenden Männer den Eindruck, in den letzten Jahren immer mehr Aufgaben in derselben Zeitspanne abarbeiten zu müssen. Damit liegen sie nur knapp hinter ihren Kolleginnen (69 Prozent). In einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen und einen berufliche Belange über das Smartphone rund um die Uhr verfolgen, verwundert das nicht.

Monotasking für Anfänger
Eins nach dem anderen
Tauschen Sie Ihren Ehrgeiz, alles auf einmal zu erledigen, gegen den realistischen Anspruch, alles nacheinander zu schaffen. So behalten Sie einen klaren Kopf und werden schneller fertig. Weil die Ablenkungen ausbleiben. Und weil Sie sich nicht jedes Mal wieder neu in eine Aufgabe einfinden müssen.
Geizen Sie nicht mit Puffern
Wer sich einen Tagesplan schreibt, sollte alle To dos mit Prioritäten versehen. Obendrauf viel Zeit für Unvorhergesehenes freihalten! Je größer der Puffer, desto seltener gerät man bei Zusatzaufgaben gleich in Panik.
Erobern Sie sich Rückzugsgebiete
Im Auge des Orkans kann niemand klar denken. Suchen Sie sich persönliche Oasen, an denen Sie ungestört werkeln können. Ein zeitweiser Wechsel aus dem Großraumbüro ins Einzelzimmer oder aus der Wohnküche ins Arbeitszimmer kann wahre Produktivitätswunder vollbringen.
Schalten Sie ab
Ständige Erreichbarkeit erwartet niemand von Ihnen, höchstens Sie selbst. Nehmen Sie sich immer wieder mal Auszeiten zum Aufladen Ihres körperlichen und seelischen Akkus. Und wenn Sie auch Smartphones & Co zwischendurch mal ausschalten, werden Sie verwundert feststellen, dass in dieser Zeit die Welt nicht untergegangen ist.
Genießen Sie Ihre Aufgaben
Klar gibt es lästige Arbeiten, die einfach abgehakt werden müssen. Viele unserer To dos aber bringen richtig Spaß. Stöhnen Sie also nicht über jede zusätzliche Aufgabe, sondern nehmen Sie sich Zeit, das Schöne auch wirklich auszukosten. Dazu gehört übrigens auch eine abgehakte To-do-Liste am Ende des Tages. Die Psychologen haben ein schönes Wort dafür: Erledigungsfreude.

HP: Stumme Handys im Meeting

Höchste Zeit also für neue Spielregeln im Umgang mit der Technik. Volkswagen versuchte das Problem einzudämmen, indem kurzerhand alle Firmenserver nach Feierabend abgestellt wurden. "Nichts weiter als Marketing-Kosmetik" nennt das Bechtle-Personalerin Cezanne. "Mit reiner Technik lässt sich das Problem der gefühlten Überlastung nicht lösen."

Auch Hewlett-Packard (HP) in Böblingen hat sich Gedanken zum Multitasking gemacht. Die Richtlinie für Besprechungen heißt: Laptops zu und Handys auf lautlos schalten. "So wird die Versuchung des Multitasking vermindert, und jeder konzentriert sich auf den Inhalt des Meetings", sagt Personalleiterin Kirsten Bildhauer. Die Arbeitgeber fühlen sich allerdings nicht allein verantwortlich dafür, dass aus langen To-do-Listen keine langen Krankenlisten werden. Sie appellieren auch an ihre Angestellten. "Mitarbeiter sollten sich nicht von einprasselnden Aufgaben überfahren lassen, sondern im Fahrersitz das Steuer selbst in der Hand behalten", rät Bildhauer.

Jörg Staff, SAP: "Von allen Mitarbeitern erwarten wir einen intelligenten Umgang im E-Mail-Verkehr."
Foto: SAP

Auch andere Branchenkollegen verweisen auf die Eigenverantwortung ihrer Beschäftigten in Sachen Arbeitsstil. So hält sich die SAP AG mit Vorgaben für Instant Messaging oder E-Mails zurück. "Von allen Mitarbeitern erwarten wir einen intelligenten Umgang im E-Mail-Verkehr, in dem sie selber entscheiden und kennzeichnen, wie dringlich eine Aufgabe ist", sagt Jörg Staff, Senior Vice President Human Resources des Walldorfer Softwarekonzerns. Letztlich bleibe es jedem Beschäftigten überlassen, ob er auf Multi- oder Monotasking setze - "Hauptsache, die Arbeitsergebnisse stimmen", so Staff.

Jörg von Limont, Dell: "Es ist nicht unsere Aufgabe, unseren Mitarbeitern einen starren Arbeitsstil vorzuschreiben."
Foto: Dell

Ähnliche Töne kommen von Dell Deutschland in Frankfurt am Main. "Als Arbeitgeber ist es nicht unsere Aufgabe, unseren Mitarbeitern einen starren Arbeitsstil vorzuschreiben", sagt HR Director Jörg von Limont. "Wir sehen uns aber in der Verantwortung, Hilfestellung zu geben, um die Auswüchse des Multitaskings einzugrenzen." So sollen die Führungskräfte einem Mitarbeiter helfen, im Wirrwarr der auf ihn einprasselnden Aufgaben die Übersicht zu behalten.

Arbeitsflut selbst eindämmen

Auch SAP-Personaler Staff hält die Manager für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter "mitverantwortlich". Sind die Beschäftigten durch Multitasking gefährdet, müssten sie gemeinsam mit ihren Chefs nach Lösungen suchen. Im Rahmen des Gesundheits-Managements bietet der Softwarehersteller Führungsseminare zum Work-Life-Management an. Bei Dell können sich Mitarbeiter zum Social Media Professional zertifizieren lassen. Und Bechtle führte im vergangenen Jahr ein zweitägiges Selbst-Management-Training ein, in dem die Teilnehmer lernen, ihre individuellen Zeittreiber zu beherrschen.

Solche Arbeitgeberangebote sind schön und gut, aber Arbeitsflut kann auch jeder selbst eindämmen. Davon ist BWL-Professor Scholz überzeugt: "Man sollte nicht fragen, was andere tun können, um mich vor der Aufgabenflut zu schützen, sondern selber die anderen weniger mit Informationen und Aufgaben zuschütten", so seine Forderung. Der beste Schutz gegen gefühlte Überlastung ist noch einfacher. Es ist die Freude an der jeweiligen Tätigkeit. Fühlen wir uns dagegen fremdbestimmt, wächst uns schnell alles über den Kopf. "Die Aufgabenfülle führt oft dazu, dass wir uns gefangen fühlen und selber nur noch reagieren", sagt Psychologin Baumgartner. Wichtig sei, Grenzen zu setzen und Aufgaben zu priorisieren. "So verschaffen wir uns wieder Handlungsfreiheit." Und wer weiß, wofür man die noch so braucht. An neuen Aufgaben wird es sicher nicht mangeln...

ungestört arbeiten
1. Blocken Sie einen Termin für sich
Zwischen Tür und Angel ist konzentriertes Arbeiten unmöglich. Daher sollten Sie sich dafür unbedingt Zeitkontingente im Kalender blocken - und diese dann auch genauso ernst nehmen wie ein Mitarbeitergespräch oder einen Kundentermin. Falls Sie Ihre Termine elektronisch per Netzwerkkalender mit Ihrem Team synchronisieren, sollte der Eintrag auch dort erscheinen. Das ist automatisch ein Signal an die Kollegen: Jetzt bitte nicht stören.
2. Morgenstund hat Gold im Mund
Der Zeitpunkt des Termins entscheidet nicht selten über das Gelingen. Wählen Sie also bewusst Tageszeiten aus, zu denen Sie nach Ihrem Biorhythmus geistig auf der Höhe sind. Bei vielen Menschen dürfte sich der Morgen oder Vormittag anbieten. Wer etwa morgens - noch vor dem Checken der Mails und dem Abhören der Mailbox - zwei Stunden lang konzentriert arbeitet, hat schon einen guten Teil seines Tagespensums geschafft. So startet er anschließend befreit und beflügelt in den weiteren Arbeitstag.
3. Bitte nicht stören
Vom Denken sollte Sie nichts ablenken. Wer in einem Großraumbüro sitzt oder sich das Zimmer mit einem Kollegen teilt, sucht sich am besten für die Dauer der Denkarbeit ein leeres Büro oder einen freien Konferenzraum. Für alle Denkarbeiter gilt: Die nötigen Unterlagen sollten bereits vorher gesammelt worden sein. So entfallen lästige Unterbrechungen im Denkprozess. Dann heißt es: Tür zu, Telefon umstellen, Handy ausschalten, und ganz wichtig: Hände weg vom E-Mail-Programm!
4. Eingrooven
So ganz allein am Schreibtisch zu sitzen mag vielen Mitarbeitern zunächst einmal merkwürdig vorkommen. Meist ist die Arbeit im Büro ja von einem hohen Aktivitätsniveau zwischen Meetings, Teamarbeit und Kollegengesprächen geprägt. Jetzt heißt es: runterkommen. Zum Eingrooven muss jeder seine eigene Form finden. Manch einer beginnt die Session vielleicht mit einem Sonnengruß, ein anderer mit ein paar Jojowürfen, wieder ein anderer stimmt sich mit seinem MP3-Player auf die bevorstehende Arbeit ein. Egal, ob Yoga, Jojo oder iPod: Hauptsache, es hilft einem dabei, die Hektik draußen zu vergessen und sich aufs Thema zu konzentrieren. Erwarten Sie nicht bei jeder Konzept-Session gleich den ganz großen Wurf. Am besten erst mal mit kleinen Schritten anfangen. Das nimmt den Druck raus.
5. Plan B
Trotz der besten Vorbereitungen: Leider wird nicht immer alles nach Plan laufen. Wer zum Beispiel als Vorgesetzter in dringenden Fällen erreichbar sein muss, sollte Störungen von vornherein einplanen. Gut, wenn man sich da im Kalender doppelt so viel Zeit eingetragen hat, wie man eigentlich benötigt. So steigt die Wahrscheinlichkeit, trotz Ablenkungen die Aufgabe abzuschließen. Zudem hilft es, sich auch mental auf Unterbrechungen einzustellen. Wer innerlich gewappnet ist, lässt sich nicht durch jedes Klopfen an der Tür aus der Bahn werfen. In solchen Fällen dann lieber die Störung kurz und bündig abhandeln und anschließend weiterarbeiten.
6. Nichts wie raus
Manchmal hilft alles nichts: In der Hektik des Tagesgeschäfts findet sich einfach keine ruhige Minute. Dann hilft nur: Nichts wie raus! Wozu gibt es Notizblocks, Laptops und Hotspots? Denkarbeit lässt sich gut auslagern: nach Hause, in den Biergarten, in den Coffeeshop. Und die Flucht aus dem Büro hat außerdem noch eine wichtige positive Nebenwirkung: Fremde Arbeitsumgebungen fördern kreative Denkprozesse.
7. Gewissensbisse ade
Viele Mitarbeiter haben das Gefühl, für konzentrierte Konzeptarbeit viel zu wenig Zeit zu haben. Doch diese Sorge ist unbegründet. Laut Arbeitswissenschaftlern besteht die Hauptaufgabe von Managern heute nicht mehr darin, Konzepte im stillen Kämmerlein auszuarbeiten. Strategische Arbeit, so ihre Erkenntnis, findet vielmehr am häufigsten im Team statt. Also dann: Auf zum nächsten Meeting.

Monotasking für Anfänger

Hier fünf goldene Tipps, wie sich Aufgaben schön der Reihe nach erledigen lassen

1. Schön der Reihe nach

Tauschen Sie Ihren Ehrgeiz, alles auf einmal zu erledigen, gegen den realistischen Anspruch, alles nacheinander zu schaffen. So behalten Sie einen klaren Kopf und werden schneller fertig. Weil die Ablenkungen ausbleiben. Und weil Sie sich nicht jedes Mal wieder neu in eine Aufgabe einfinden müssen.

2. Geizen Sie nicht mit Puffern

Wer sich einen Tagesplan schreibt, sollte alle To dos mit Prioritäten versehen. Obendrauf viel Zeit für Unvorhergesehenes freihalten! Je größer der Puffer, desto seltener gerät man bei Zusatzaufgaben gleich in Panik.

3. Erobern Sie sich Rückzugsgebiete

Im Auge des Orkans kann niemand klar denken. Suchen Sie sich persönliche Oasen, an denen Sie ungestört werkeln können. Ein zeitweiser Wechsel aus dem Großraumbüro ins Einzelzimmer oder aus der Wohnküche ins Arbeitszimmer kann wahre Produktivitätswunder vollbringen.

4. Schalten Sie ab

Ständige Erreichbarkeit erwartet niemand von Ihnen, höchstens Sie selbst. Nehmen Sie sich immer wieder mal Auszeiten zum Aufladen Ihres körperlichen und seelischen Akkus. Und wenn Sie auch ihr Smartphone zwischendurch mal ausschalten, werden Sie verwundert feststellen, dass in dieser Zeit die Welt nicht untergegangen ist.

5. Genießen Sie Ihre Aufgaben

Klar gibt es lästige Arbeiten, die einfach abgehakt werden müssen. Viele unserer To-dos aber bringen richtig Spaß. Stöhnen Sie also nicht über jede zusätzliche Aufgabe, sondern nehmen Sie sich Zeit, das Schöne auch wirklich auszukosten. Dazu gehört übrigens auch eine abgehakte To-do-Liste am Ende des Tages. Die Psychologen haben ein schönes Wort dafür: Erledigungsfreude.