Googeln im Teammeeting, Simsen während des Geschäftsessens, Twittern im Fußballstadion. Alles kein Problem. Und Kinder sitten im Home-Office geht auch mit links. So zumindest der Plan... Viele IT-Fachkräfte spüren heute ihre Doppelverantwortung in Firma und Familie und wollen zwischen Cloud-Computing, Kundenmeeting und Kindergartenfahrten gern alles auf einmal erledigen.
Eine ganz schlechte Idee, wie Experten finden. "Männer sollten nicht in dieselbe Falle tappen wie Frauen", warnt Corinne Baumgartner, Geschäftsführende Partnerin der Beratungsgesellschaft Conaptis in Zürich. Frauen stressten sich bereits seit Jahrzehnten mit dem Anspruch, multitaskingfähig zu sein. Und genauso lange scheiterten sie daran. "Multitasking ist ein Kampf gegen Windmühlen", so die Psychologin. Und den könne niemand gewinnen.
Multitasker fühlen sich erschöpft und überfordert
Besonders gefährdet sind IT-Profis. Da wird geklickt und geliked, gechattet und gebloggt, gesimst und gemailt, was das Zeug hält. Je mehr Geräte in Griffweite sind, desto mehr verführen sie die Besitzer, ihre Arbeit zu unterbrechen. Jede SMS, jeder Tweet, jede Mail stört die Tätigkeit, mit der man gerade beschäftigt ist. Nur ein Computer kann mehrere Tasks gleichzeitig erledigen. Menschen macht Multitasking krank. Das Gehirn muss ständig zwischen den Aufgaben hin und herschalten, was anstrengend ist und auch gefährlich sein kann. "Multitasker trainieren sich eine Aufmerksamkeitsstörung an", warnt Hirnforscher Professor Manfred Spitzer. Ein Psychologenteam der Universität Leipzig hat herausgefunden, dass sich Multitasker erschöpft, frustriert und überfordert fühlen. Sie brauchen länger, um ihre Aufgaben zu erfüllen und machen dabei auch mehr Fehler. Mit dem Versuch, alles gleichzeitig zu erledigen, " trauen wir uns mehr zu, als wir können", ist Beraterin Baumgartner überzeugt. Schuld daran seien die eigenen hohen Ansprüche - und die menschliche Neugier. "Sie treibt uns dazu, auf jede neue Mail oder SMS zu schielen." Außerdem seien wir bei schwierigen Aufgaben für jede Form der Ablenkung dankbar.
In der IT-Branche kommen zusätzlich die hohen Anforderungen von Arbeitgebern und Kunden dazu. So wie beim IT-Dienstleister Bechtle in Neckarsulm. Viele der Mitarbeiter sind vertraglich verpflichtet, in bestimmten Zeitgrenzen erreichbar zu sein. Die Firmenregel schreibt vor, auf alle Mails innerhalb von 24 Stunden zu reagieren. "Da steigt sicher die Versuchung, alles gleichzeitig erledigen zu wollen", sagt Anette Cezanne, Leiterin der Personalentwicklung bei Bechtle. "Doch es ist ein Trugschluss, schneller zu sein, wenn man alles parallel bearbeitet."
Gefühlt jedoch scheinen Beschäftigte oft keine andere Wahl zu haben. "Wenn sich um einen herum alle Räder drehen, kann man sich im eigenen Hamsterrad schlecht abkoppeln", sagt Professor Christian Scholz, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Besserung scheint derzeit nicht in Sicht zu sein - im Gegenteil. Laut DGB-Studie "Gute Arbeit 2012" haben 63 Prozent aller Vollzeit arbeitenden Männer den Eindruck, in den letzten Jahren immer mehr Aufgaben in derselben Zeitspanne abarbeiten zu müssen. Damit liegen sie nur knapp hinter ihren Kolleginnen (69 Prozent). In einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen und einen berufliche Belange über das Smartphone rund um die Uhr verfolgen, verwundert das nicht.
HP: Stumme Handys im Meeting
Höchste Zeit also für neue Spielregeln im Umgang mit der Technik. Volkswagen versuchte das Problem einzudämmen, indem kurzerhand alle Firmenserver nach Feierabend abgestellt wurden. "Nichts weiter als Marketing-Kosmetik" nennt das Bechtle-Personalerin Cezanne. "Mit reiner Technik lässt sich das Problem der gefühlten Überlastung nicht lösen."
Auch Hewlett-Packard (HP) in Böblingen hat sich Gedanken zum Multitasking gemacht. Die Richtlinie für Besprechungen heißt: Laptops zu und Handys auf lautlos schalten. "So wird die Versuchung des Multitasking vermindert, und jeder konzentriert sich auf den Inhalt des Meetings", sagt Personalleiterin Kirsten Bildhauer. Die Arbeitgeber fühlen sich allerdings nicht allein verantwortlich dafür, dass aus langen To-do-Listen keine langen Krankenlisten werden. Sie appellieren auch an ihre Angestellten. "Mitarbeiter sollten sich nicht von einprasselnden Aufgaben überfahren lassen, sondern im Fahrersitz das Steuer selbst in der Hand behalten", rät Bildhauer.
Auch andere Branchenkollegen verweisen auf die Eigenverantwortung ihrer Beschäftigten in Sachen Arbeitsstil. So hält sich die SAP AG mit Vorgaben für Instant Messaging oder E-Mails zurück. "Von allen Mitarbeitern erwarten wir einen intelligenten Umgang im E-Mail-Verkehr, in dem sie selber entscheiden und kennzeichnen, wie dringlich eine Aufgabe ist", sagt Jörg Staff, Senior Vice President Human Resources des Walldorfer Softwarekonzerns. Letztlich bleibe es jedem Beschäftigten überlassen, ob er auf Multi- oder Monotasking setze - "Hauptsache, die Arbeitsergebnisse stimmen", so Staff.
Ähnliche Töne kommen von Dell Deutschland in Frankfurt am Main. "Als Arbeitgeber ist es nicht unsere Aufgabe, unseren Mitarbeitern einen starren Arbeitsstil vorzuschreiben", sagt HR Director Jörg von Limont. "Wir sehen uns aber in der Verantwortung, Hilfestellung zu geben, um die Auswüchse des Multitaskings einzugrenzen." So sollen die Führungskräfte einem Mitarbeiter helfen, im Wirrwarr der auf ihn einprasselnden Aufgaben die Übersicht zu behalten.
Arbeitsflut selbst eindämmen
Auch SAP-Personaler Staff hält die Manager für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter "mitverantwortlich". Sind die Beschäftigten durch Multitasking gefährdet, müssten sie gemeinsam mit ihren Chefs nach Lösungen suchen. Im Rahmen des Gesundheits-Managements bietet der Softwarehersteller Führungsseminare zum Work-Life-Management an. Bei Dell können sich Mitarbeiter zum Social Media Professional zertifizieren lassen. Und Bechtle führte im vergangenen Jahr ein zweitägiges Selbst-Management-Training ein, in dem die Teilnehmer lernen, ihre individuellen Zeittreiber zu beherrschen.
Solche Arbeitgeberangebote sind schön und gut, aber Arbeitsflut kann auch jeder selbst eindämmen. Davon ist BWL-Professor Scholz überzeugt: "Man sollte nicht fragen, was andere tun können, um mich vor der Aufgabenflut zu schützen, sondern selber die anderen weniger mit Informationen und Aufgaben zuschütten", so seine Forderung. Der beste Schutz gegen gefühlte Überlastung ist noch einfacher. Es ist die Freude an der jeweiligen Tätigkeit. Fühlen wir uns dagegen fremdbestimmt, wächst uns schnell alles über den Kopf. "Die Aufgabenfülle führt oft dazu, dass wir uns gefangen fühlen und selber nur noch reagieren", sagt Psychologin Baumgartner. Wichtig sei, Grenzen zu setzen und Aufgaben zu priorisieren. "So verschaffen wir uns wieder Handlungsfreiheit." Und wer weiß, wofür man die noch so braucht. An neuen Aufgaben wird es sicher nicht mangeln...
Monotasking für Anfänger
Hier fünf goldene Tipps, wie sich Aufgaben schön der Reihe nach erledigen lassen
1. Schön der Reihe nach
Tauschen Sie Ihren Ehrgeiz, alles auf einmal zu erledigen, gegen den realistischen Anspruch, alles nacheinander zu schaffen. So behalten Sie einen klaren Kopf und werden schneller fertig. Weil die Ablenkungen ausbleiben. Und weil Sie sich nicht jedes Mal wieder neu in eine Aufgabe einfinden müssen.
2. Geizen Sie nicht mit Puffern
Wer sich einen Tagesplan schreibt, sollte alle To dos mit Prioritäten versehen. Obendrauf viel Zeit für Unvorhergesehenes freihalten! Je größer der Puffer, desto seltener gerät man bei Zusatzaufgaben gleich in Panik.
3. Erobern Sie sich Rückzugsgebiete
Im Auge des Orkans kann niemand klar denken. Suchen Sie sich persönliche Oasen, an denen Sie ungestört werkeln können. Ein zeitweiser Wechsel aus dem Großraumbüro ins Einzelzimmer oder aus der Wohnküche ins Arbeitszimmer kann wahre Produktivitätswunder vollbringen.
4. Schalten Sie ab
Ständige Erreichbarkeit erwartet niemand von Ihnen, höchstens Sie selbst. Nehmen Sie sich immer wieder mal Auszeiten zum Aufladen Ihres körperlichen und seelischen Akkus. Und wenn Sie auch ihr Smartphone zwischendurch mal ausschalten, werden Sie verwundert feststellen, dass in dieser Zeit die Welt nicht untergegangen ist.
5. Genießen Sie Ihre Aufgaben
Klar gibt es lästige Arbeiten, die einfach abgehakt werden müssen. Viele unserer To-dos aber bringen richtig Spaß. Stöhnen Sie also nicht über jede zusätzliche Aufgabe, sondern nehmen Sie sich Zeit, das Schöne auch wirklich auszukosten. Dazu gehört übrigens auch eine abgehakte To-do-Liste am Ende des Tages. Die Psychologen haben ein schönes Wort dafür: Erledigungsfreude.