Kreativität

Im Dunkeln ist gut denken

16.02.2013 von Kristin Schmidt
Menschen sind im Dunkeln kreativer. Das haben Dortmunder Forscher in einer Studie herausgefunden.
Die Studienteilnehmer befinden sich in einem Raum absoluter Dunkelheit, wie es ihn in der Natur nicht gibt.
Foto: lassedesignen - Fotolia.com

Sie sehen einfach nichts, alles ist schwarz, an die sprichwörtliche Hand vor Augen ist überhaupt nicht zu denken. Die Teilnehmer des Experiments mussten ihre Uhren ablegen. Die Ziffernblätter könnten leicht leuchten. Selbst der blinkende Punkt am Handy, der eine angekommene SMS vermeldet, strahlt förmlich durch den dicken Jeansstoff der Hosentasche hindurch. Die Studienteilnehmer befinden sich in einem Raum absoluter Dunkelheit, wie es sie in der Natur nicht gibt. Ein dichter Nadelwald bei Nacht wirkt dagegen wie ein lichtdurchfluteter Wintergarten.

Diese totale Finsternis fasziniert Strategieberater Michael Lück schon seit 2005. Er hat begonnen Messestände zu verdunkeln, um den Kunden alleine durch ühlen oder schmecken die Produkte seiner Auftraggeber näher zu bringen. Er veranstaltet für Unternehmen Seminare zur Team- oder Strategieentwicklung und Personalauswahl in absoluter Dunkelheit.

Dabei ist ihm aufgefallen, dass seine unsichtbaren Gesprächspartner in der Dunkelkammer wesentlich kreativer sind als außerhalb. Prinzipiell hielt Lück seine Beobachtung für plausibel. Keine Ablenkung von außen, weniger Hemmungen und eine größere Offenheit machen die kreativen Ausbrüche seiner Meinung nach möglich.

Dass Lücks Einschätzung nicht bloß Auswüchse einer geistigen Umnachtung sind, haben BWL-Professor Hartmut Holzmüller und seine Kollegin Vanessa Hasselhoff nun für den Strategieberater herausgefunden. Doch das Ergebnis überraschte selbst die Experten. "Mit einer fast 30 Prozent höheren Kreativität haben wir nicht gerechnet", sagt der Forscher der TU Dortmund.

In einer Versuchsreihe mussten 74 Teilnehmer jeweils acht Aufgaben lösen. Die einen in Kleingruppen in normal beleuchteten Räumen, die anderen in totaler Dunkelheit.

Was zeichnet "Innovatoren" aus?
Ein echter Entrepreneur oder Innovator an der Unternehmensspitze zu sein, verlangt mehr als ein Unternehmen zu managen und die Ressourcen effektiv zu nutzen. Es schließt kreative Elemente ein wie das Identifizieren von Marktchancen, das Finden neuer Geschäftsideen und deren Umsetzung in Form neuer Geschäftsmodelle. Das setzt gewisse persönliche Eigenschaften voraus:
Neugier
Entrepreneure hinterfragen auch scheinbar selbstverständliche Dinge und wollen diese verstehen. Sie stellen Fragen, die andere nicht stellen - zum Beispiel: Warum muss ein Auto ein Lenkrad haben? Warum stapeln sich in meiner Schublade die Gebrauchsanleitungen und Fernbedienungen? Muss ein Unternehmen eine "Zentrale" haben?
Innere Unruhe
Entrepreneure geben sich mit bestehenden Lösungen nicht zufrieden. Sie hinterfragen auch Selbstverständlichkeiten wie etwa, dass in nahezu jedem Haushalt eine Bohrmaschine vorhanden ist, mit der sie ein- oder zweimal jährlich Löcher in ihre Wände bohren, obwohl sie das eigentlich lästig finden. Also ergibt sich die Frage: "Wie könnte man Dinge anders befestigen?" So gelangen sie zu ganz neuen Problemlösungsansätzen und schließlich zu Produkten, die sich verkaufen lassen.
Imagination
Entrepreneure verfügen über die Fähigkeit, sich Dinge anders vorzustellen als sie gerade sind. Sie sehen beim Betreten einer leeren Wohnung nicht die kahlen, kalten Räume - also die Realität. Sie sehen vor ihrem geistigen Auge vielmehr, wie die eingerichtete Wohnung künftig aussehen könnte. Sie sehen also die Möglichkeiten, Potenziale und Chancen.
Ausdauer und Beharrlichkeit
Entrepreneure zeichnen sich durch eine gewisse "Starrköpfigkeit" aus. Sie glauben auch noch an eine Lösung, wenn die ersten Versuche gescheitert sind und fast alle im Umfeld sagen "Das klappt nie". Zugleich bewahren sie jedoch den erforderlichen Realitätsbezug, ohne den sie Phantasten wären.
Unternehmer- statt Managergeist:
Entrepreneure sind Macher und Erfinder zugleich. Sie verfügen wie Edison über einen gesunden Pragmatismus. Ein typisches Beispiel ist Reinhold Würth, der aus der väterlichen Schraubenhandlung die weltweit agierende, auf Befestigungs- und Montagetechnik spezialisierte Unternehmensgruppe Würth entwickelte. Ein weiteres Beispiel ist Artur Fischer, der die Fischerwerke gründete, die heute noch auf ihrer Webseite stolz verkünden: "Aus der Belegschaft stammen jährlich 13,2 Patentanmeldungen pro 1000 Mitarbeiter (Industriedurchschnitt: 0,54). Bezogen auf die Zahl der Mitarbeiter meldet Fischer mehr Patente an als jeder der zehn aktivsten Anmelder in Deutschland."

Nenne alle runden Dinge, die dir einfallen!

Nenne alle runden Dinge die dir einfallen! Schnell kommen in beiden Gruppen Begriffe wie Ball oder Rad. Doch in der absoluten Finsternis träumen die Dortmund-Fans plötzlich von der Meisterschale, anderen fallen spontan zehn Küchenutensilien ein, die rund sind. Auch bei anderen Aufgaben, wie "Nenne ungewöhnliche Anwendungen für Kaugummi!" oder "Was kann man mit einer Zeitung machen!" lag die Anzahl der Antworten der lichtlosen Gruppen um durchschnittlich 30 Prozent höher als die der anderen.

Auch in Bezug auf die Vielfalt der Ideen konnten die Teilnehmer aus der Dunkelkammer besser abschneiden. Bei der Frage "Was kann man mit einer Zeitung alles anstellen?", kamen sie nicht nur darauf, sie zu lesen oder zu kaufen. Ungewöhnliche Antworten, wie verbrennen oder mit dem Papier die Badewanne zu verstopfen, wurden in den Raum gerufen.

Die Sehenden waren deutlich befangener. Sie konzentrierten sich meistens auf den Bastelaspekt. Papierhütte, Flieger oder gefaltete Schiffchen sind zwar durchaus originell, wurden von den Juroren aber als wenig abwechslungsreich bewertet.

Etwas weniger eindeutig ist der Unterschied in der Originalität der Ideen. Hier übertreffen die in Dunkelheit ersonnenen Antworten die anderen kaum.

Dennoch sind sowohl die Forscher als auch Strategieberater Lück davon überzeugt, dass die gedankliche Freiheit im Dunkeln größer und das der Hauptgrund für die höhere Kreativität ist. Menschen könnten die Reaktionen der anderen auf ihre Antworten nicht sehen und halten sich im weiteren Verlauf der Gesprächsrunde nicht zurück.

Außerdem sei man eher dazu bereit, gesellschaftlich unangepasste Antworten zu geben, wenn man dabei nicht gesehen wird. Wem als erstes das Wort "klauen" einfällt, wenn es darum geht, was man mit einem Kaugummi machen kann, würde im Hellen vermutlich schweigen.

So entstehen innovative Ideen
Die besten Ideengeber im Unternehmen sind nicht die Führungskräfte, sondern die Mitarbeiter und die Kunden, sagt Anne M. Schüller.
1. Ist-Analyse:
Beleuchten Sie die zu optimierende Situation beziehungsweise das zu lösende Problem aus verschiedenen Perspektiven, vor allem aber aus der Sicht des Kunden. Machen Sie dazu Kunden- und Konkurrenzbeobachtungen sowie Interviews mit Mitarbeitern und Externen. Auch Branchenfremde können sinnvolle Beiträge liefern.
2. Ziel-Definition:
Wo wollen Sie hin, was soll am Ende des Prozesses erreicht sein? Dies muss deutlich werden, damit die Ideen-Generierung eine Richtung bekommt. Gehen Sie dabei von kundenrelevanten, differenzierenden Merkmalen aus: Was können wir für unsere Kunden besser, schneller, einfacher, billiger machen. Formulieren Sie all das schriftlich.
3. Zusammenstellung des Teams:
Dazu gehören insbesondere die Mitarbeiter, die von der späteren Umsetzung betroffen sind. Damit minimieren Sie von vorne herein aufkommende Widerstände. Sorgen Sie für Visionäre, Querdenker, Missionare, Macher, Kundenbotschafter und Bedenkenträger im Team ebenso wie für Experten und Laien. Mischen Sie alt und jung, Männer und Frauen. Briefen Sie das Team sorgfältig. Ein geschulter Moderator kann helfen, die Prozessschritte zielgerichtet zu steuern.
4. Ideen-Generierung:
Begeben Sie sich an einen neutralen, störungsfreien, inspirierenden Ort und setzen Sie passende Kreativitätstechniken ein. Sorgen Sie am Anfang für gute Laune und ein Kreativ-Warm-up. Zeiteinheiten von 30 bis 60 Minuten sind optimal. Hören Sie nicht zu schnell auf, in dieser frühen Phase benötigen Sie ein Maximum an Ideen. Speichern Sie alle Ideen. Und beachten Sie die drei goldenen Regeln einer Kreativ-Sitzung: - Quantität vor Qualität, Inspiration ist erwünscht - alle Teilnehmer sind gleichberechtigt, keine Hierarchie - keinerlei Kritik, weder positiver noch negativer Art
5. Ideen-Bewertung und -Selektion:
Benutzen Sie jeweils passende Bewertungs- und Selektionstechniken, um die gefundenen Ideen zu verdichten, zu kombinieren und die Spreu vom Weizen zu trennen. Dies kann ein separates Bewertungsteam tun, dem auch Kunden angehören. Erstellen Sie eine Prioritäten-Liste, sortieren Sie nach Marktfähigkeit, Machbarkeit, Zeithorizont, Wirtschaftlichkeit und Nichtkopierbarkeit. Dabei kommt es erfahrungsgemäß zu weiteren Ideen. Am Ende dieses Prozesses verbleiben einige wenige aussichtsreiche Favoriten. Geben Sie diesen Namen und definieren Sie das weitere Vorgehen, beispielsweise in Form eines Projekts.
6. Implementierung:
Sorgen Sie zunächst für interne Akzeptanz, vor allem bei den ‚betroffenen‘ Mitarbeitern. Dies erfolgt am besten durch Involvieren und frühzeitige, regelmäßige, offene Kommunikation. Stellen Sie die notwendigen Ressourcen bereit. Kommunizieren Sie aktiv mit dem Markt, insbesondere mit den anvisierten Zielgruppen und mit der Presse. Bringen Sie Ihre Idee beziehungsweise Innovation zügig in den Markt, und zwar zum richtigen Zeitpunkt. Experimentieren Sie und testen Sie Varianten. Lassen Sie die Kunden schließlich mitentscheiden.
7. Kontrolle und Optimierung:
Vergleichen Sie die Ergebnisse mit Ihrer Zieldefinition. Holen Sie sich Feedback vom Kunden, hören Sie dabei auch auf die leisen Töne und die kritischen Hinweise. Optimieren Sie kontinuierlich, das heißt: Beginnen Sie diesen Prozess von vorn. Sorgen Sie für einen regelmäßigen Nachschub an unverbrauchten, außergewöhnlichen Ideen.

(Quelle: Wirtschaftswoche)