Spitzencluster und Theseus

IKT-Forschung in Deutschland - es geht voran

10.05.2010 von Rochus Rademacher
Die Bundesregierung entdeckt die IKT-Forschung - allerdings nur langsam. Es geht immer um die eine Frage: Wie können andere Branchen von Informationstechnik profitieren und wettbewerbsfähiger werden?

"Elektromobilität ohne IKT geht nicht", sagt Andreas Goerdeler, Ministerialrat Referat Entwicklung konvergenter IKT im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi). "Wenn Batterielade-Management und Navigation nicht ineinander fließen, erreicht ein Fahrzeug nicht die nächste Ladestation."

Im Projekt E-Mobility wird deshalb eine Lade-, Steuerungs- und Abrechungsinfrastruktur erarbeitet. Gleichzeitig erfolgt eine Verknüpfung mit dem E-Energy-Programm für IKT-basierende Energiesysteme: "Wir brauchen Koordination, damit nicht alle Autos gleichzeitig Strom zapfen", begründet Goerdeler die Maßnahme. Außerdem müsse im Auto ausreichend Energie gespeichert werden können: "Bei viel Wind und Sonne könnte Energie im Smart Grid erzeugt werden, die im Auto zwischengespeichert und bei weniger Wind und Sonne rückgespeist wird."

Hat Visionen zur Mobilität der Zukunft: Andreas Goerdeler vom BMWi.

Das BMWi achtet peinlich genau darauf, dass nicht nur Konzerne wie SAP, RWE oder John Deere am IKT-Energiemodell feilen. "Wir führen über die Ausschreibungen auch den Mittelstand heran", berichtet Goerdeler. Für die großen Konzerne sei es nützlich, sich mit den kleinen auszutauschen und deren Bedarf kennen zu lernen. So baut etwa ein hessischer Kleinbetrieb im Allgäuer Elektromobilitätsprojekt "E-Tour" Fahrzeuge auf Elektroantrieb um - und neben der Industrie sind auch die Forschungsinstitute involviert.

Politik setzt noch falsche Prioritäten bei Forschungsförderung

Die Informations- und Kommunikationstechnik als Schlüssel für neue Mobilitätskonzepte? Ganz so weit ist es offenbar noch nicht. Lutz Heuser, Leiter von SAP Research, stellt klar, eine Anhörung des Landes Baden-Württemberg über Elektromobilität habe gezeigt, "erst kommen die großen Automobilhersteller, dann die Zulieferer, dann ein IT-Unternehmen und dann die Versorger."

Dass IKT für die deutsche Volkswirtschaft als Querschnittsdiszplin eine entscheidende Rolle spielt, betont auch immer wieder Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer: "Wir sind nur der Hidden Champion. Die staatliche Unterstützung geht immer noch stark in die alten Kanäle wie etwa Weltraumforschung. Der Übergang in Hightech-Welten vollzieht sich sehr langsam", lautet seine Bilanz.

Dabei habe Deutschland eine gute Ausgangsposition: "In der Hightech-Strategie der Regierung steht kaum etwas über betriebswirtschaftliche Anwendungssoftware, dabei sind wir hier Weltmeister." Immerhin hat das Forschungsministerium (BMBF) den mit 40 Millionen Euro Fördergeldern ausgestatteten Cluster "Softwareinnovationen für das digitale Unternehmen" in der Region Rhein-Main-Saar angesiedelt. Der Cluster gilt als "Silicon Valley" Europas und soll die technologische und methodische Erforschung und Entwicklung von Softwarelösungen für das digitale Unternehmen vorantreiben. Die Top-Softwarehäuser sind ebenso wie Forschungseinrichtungen beteiligt und steuern erhebliche Mittel bei.

Scheer sieht diese Fortschritte, vermisst aber noch immer das flächendeckende, eindeutige Bekenntnis der Politik zur IKT. "SAP, Software AG, IDS Scheer, Kleinunternehmen und die Hauptforschungsorganisationen sind mit ihrem ersten Antrag durchgefallen - da wurde Oldenburg vorgezogen mit der Entwicklung von Hörgeräten", spottet der Bitkom-Chef, der strategische Uneinsichtigkeit beklagt.

Theseus-Projekt - langsam tut sich was

Zu den größten Software-Forschungsprojekten Deutschlands gehört das viel diskutierte "Theseus", in dessen Rahmen heute insbesondere an semantischen Technologien gearbeitet wird. Diese sollen nun in sechs Anwendungsszenarien ihren Reifegrad beweisen. Bislang lässt sich jedoch der erzielte Fortschritt für Anwenderbranchen nur schwer darstellen.

Interessant erscheint vor allem das stark von SAP-Forschern getriebene Teilprojekt Texo, das Unternehmen ermöglichen soll, Dienste im Internet zu finden und zu kombinieren. Dahinter steckt die Vision einer Web-basierenden Dienstleistungsgesellschaft, zu der kleine, agile Betriebe, aber auch Großunternehmen mit granularen, kombinierbare Services beitragen, aus denen dann neue Wertschöpfungsszenarien entstehen können. BMWi-Ministerialrat Goerdeler ist stolz auf die in diesem Zusammenhang entstandene Universal Services Description Language (USDL): "Sie ist als Standard vorgeschlagen und wird vielleicht zur Grundlage für das Hypethema Service-Clouds."

Theseus versinnbildlicht die Technikstrategie des BMWi. "Wir schlagen die Brücke von Technologie, die in nur wenigen Domänen verbreitetet ist, hin zur Anwendung - es wird also nicht nur schön über semantische Technologien geforscht, es soll Zählbares für den Standort herauskommen", erklärt Goerdeler. Zur Halbzeit des Projekts 2009 ist deshalb auch der Mittelstand in die Umsetzung einbezogen worden - damit aus Technik vermarktbare Innovationen werden.

IT-Kompetenz des Standorts braucht Sichtbarkeit

Hier geht es nicht zuletzt um internationale Wettbewerbsfähigkeit. "Unsere IT-Kompetenz muss im Ausland sichtbar sein, deshalb brauchen wir eine Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft", fordert etwa Wolf-Dieter Lukas. Ausgangspunkte können aus Sicht des Ministerialdirektors im BMBF die Forschungs-Cluster sein. "Wir haben drei Spitzen-Cluster installiert - den Software-Cluster im Großraum Darmstadt-Walldorf, den Embedded-Cluster in München und den Logistik-Cluster in Nordrhein-Westfalen. Die werden sich schnellstmöglich vernetzen."

Herauskommen soll emergente Software, die Servicekomponenten unterschiedlicher Dienstleister zu vollständigen Services im zukünftigen Internet der Dienste verbinden soll. Die Logistik liefert das Anwendungsszenario, über Embedded Systems verknüpft sich die klassische IT mit der realen Welt, um mit dem Informationsrückfluss die Prozesse zu optimieren.

Ein erstes BMBF-Projekt aus dem Komplex mit Namen SoKNOS lernt schon laufen. Entstanden ist ein Cockpit für den Führungsstab in Katastrophenszenarien. Das Projekt hat zum Ziel, im Ernstfall mittels IKT schnellstmöglich alle wichtigen Daten und Fakten aus unterschiedlichen Quellen und Systemen zusammenzutragen, sie für die verschiedenen Einsatzkräfte aufzubereiten und die Arbeit in einem gemeinsamen Einsatzzentrum zu unterstützen. Die verschiedenen Informationen laufen dabei auf einem großformatigen Touch-Display zusammen.

Basierend auf den Konzepten aus SoKNOS wird die Vision eines umfassenden Urban-Managements in Zusammenarbeit von SAP Research mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz und TZS vorangetrieben. "Das ist ein Megathema bei SAP", betont SAP-Forschungschef Heuser. "Die Informationen von Wetterdienst und Behörden kommen über das Internet der Dienste und verbinden sich mit dem Internet der Dinge, das durch die Sensoren und Aktuatoren repräsentiert wird."

Zu der digitalen Modulierung kommen noch hochpräzise Karten mit Verkehrsflussanalyse und Katastrophensimulation hinzu. Ein Oberbürgermeister weiß also, wie er den Ernstfall einer Überschwemmung in den Griff bekommen kann und was es kostet: Er bekommt eine Entscheidungsgrundlage für die Risikobewertung.

"Intelligenz in den Systemen vermeidet von vornherein Sicherheitsprobleme- die Systeme informieren automatisch die Verantwortlichen, wenn etwa Naturkatastrophen, terroristische oder kriminelle Angriffe drohen", erläutert DFKI-Chef Professor Wolfgang Wahlster. Die Investitionen in die Infrastruktur soll ein Triple-Play einspielen: "Die gleiche Technik für das Urban Management dient auch der energiebezogenen Ressourcenschonung und der Verkehrsflussoptimierung."

Datenschutz in kritischen Umgebungen wird neu definiert

Die Praxis zeigt, dass moderne Sicherheitssysteme mit betriebswirtschaftlicher Software verknüpft sein sollten. So weist das Lufthansa-Management darauf hin, dass an einem Großflughafen wie Frankfurt wegen des ständigen Personalwechsels das Sicherheitssystem auf dem neuesten Stand sein müsse, um alle Zugangsberechtigungen überprüfen zu können - vom Koffertransportsystem bis hin zur Parkhauskontrolle: Sicherheit verlange für aktuelle Daten nach einer Koppelung der Sicherheitssysteme mit CRM- und Personalmanagement-System.

Dass die Datenschutzfraktion aufstöhnt, will BMBF-Ministerialdirektor Lukas vermeiden. "Wenn im Flughafen jemand in die falsche Richtung läuft, so dürfen dessen Daten wegen eines Anfangsverdachts aufgenommen werden. Darum geht es: Erkennen, wo etwas nicht so läuft, wie es laufen sollte." Durch das Zusammenbringen von Sensoren, Aktuatoren, Kamera und Bildauswertung solle also nicht der Einzelne überwacht werden: "Wir wollen statistisch auffällige Dinge erkennen, was mit dem Datenschutz vereinbar ist."

Die BMBF-Förderstrategie zielt dabei auch auf exportfähige Produkte für Weltmärkte ab. "Wir haben ein Image in der Welt, dass wir langweilig sind und unsere Sachen funktionieren - und genau um letzteres geht es doch im IT-Bereich." Das soll im Sicherheitsbereich ausgespielt werden: "Nicht umsonst schnürt der Deutsche seinen Gürtel und trägt auch noch Hosenträger."

Für SAP Research-Leiter Heuser ist das Szenario generell lehrreich. "Beim Management von Städten und Regionen müssen viele betriebswirtschaftlichen Prozesse unterstützt und koordiniert werden, das reicht bis hin zur Verbindung der verschiedenen ERP-Systeme für öffentliche Verwaltung und Privatwirtschaft." Zu den Anforderungen von Interoperabilität und Sicherheit geselle sich mit dem Internet der Dinge nun noch Adaptivität hinzu.

Dieses Prinzip des Wirtschaftens über das Future Internet will das BMBF durch seine drei Spitzencluster federführend ausprägen. Dynamische Adaptivität und Quality of Service, das ist aus Sicht des Software-Engineering die Herausforderung, erläutert Professor Dieter Rombach, Leiter des Fraunhofer-Instituts IESE. "Große Systeme werden sich dynamisch verändern und sollen trotzdem die erwartete Qualität abliefern." In der Wirtschaft kündigten sich durchgängige Geschäftsmodelle an, die separate Organisationen wie Dienstanbieter und Zulieferer sowie Endkunden ohne Medienbruch zusammenführen.

"Mit dem Internet der Dinge bekommen die Systeme Augen und Ohren, sie nehmen die Umgebung wahr", so der Softwaretechniker. Stelle das System beispielsweise fest, dass eine Lieferung zu spät komme, dann werde dies durch eine Alternative ausgeglichen - ohne Verzug für den Endkunden. Als Beispielsszenario wählt Rombach die Maßanfertigung seines Anzugs, bei dem eine Firma ein 3-D-Bild von ihm erstellt, die Näherei designt und der Zulieferer auf Basis der Daten die Stoffe schickt. "Als Letzterer ausfiel, dauerte die Herstellung acht statt zwei Tage. Wenn wir verzögerungsfrei eine Anbindung hinbekommen, ist der Anzug in zwei Stunden fertig - dafür brauchen wir Interoperabilität. Und Datensicherheit, denn ich will nicht, dass meine 3-D-Daten durchs Netz geistern."