IFA oder die Einsamkeit der Konsumenten

04.09.2007 von Manfred Bremmer
Im Kampf um Innovation und Marktdominanz reden Anbieter von Unterhaltungselektronik am Kunden vorbei.

Die Aussteller der IFA 2007 in Berlin haben auch dieses Jahr ausgiebig die Gelegenheit genutzt, ganze Hallenwände mit Flachbildfernsehern zu bepflastern. Der Markt ist heiß: Im ersten Halbjahr wurden hierzulande laut Erhebungen der GFK für 1,3 Milliarden Euro LCD-TVs verkauft, das sind 21 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahreszeitraum. Insgesamt wird für 2007 damit gerechnet, dass der Absatz der Flachmänner im Vergleich zum WM-Jahr 2006 um 50 Prozent auf 3,8 Millionen Stück klettert.

Die Unterhaltungselektronik ist in Aufbruchsstimmung, und sie verdankt das andauernde Hoch den IT-Innovationen, die ihr zu neuen Produkten verhelfen. Der wachsende Einfluss der IT hat jedoch nicht nur Vorteile, zumindest für die Konsumenten. War die Unterhaltungsbranche lange für leicht zu bedienende und funktionierende Geräte bekannt, hält inzwischen neben Digitalisierung und Konvergenz auch Komplexität Einzug. Hinzu drohen aus der PC-Welt bekannte Produktzyklen. Außerdem hat die Vielzahl von Schlagworten und Abkürzungen den Effekt, dass die Industrie am Käufer vorbeiredet. Primär angesprochen fühlt sich davon nur eine Spitze von Technikaffinen, während sich die breite Masse offenbar vor allem an den praktischen Gesichtspunkten (LCD-TVs = großer Bildschirm, weniger Platz) orientiert.

Alles Mattscheibe?

Das Versprechen einer hohen Bildqualität allein ist für die Kaufentscheidung offenbar wenig ausschlaggebend.

So ergab eine Umfrage von Pricewaterhouse-Coopers (PwC) im Vorfeld der IFA, dass mehr als die Hälfte der deutschen TV-Zuschauer mit dem Begriff des hoch auflösenden Fernsehens (HDTV = High Definition TV) nichts anfangen können. 53 Prozent der Befragten wissen nicht, was sich hinter der Abkürzung verbirgt. 42 Prozent scheint es ohnehin egal zu sein, da sie nicht vorhaben, sich in nächster Zeit einen Fernseher mit hoch auflösender Darstellung zu kaufen. In die gleiche Richtung zielt ein Umfrageergebnis der GfK, wonach sich 70 Prozent der Befragten mit der bekannten PAL-Qualität zufrieden zeigten.

Angesichts solcher Erkenntnisse wirkt der Streit um die rechtmäßige Nachfolge der DVD für die Speicherung und Wiedergabe hoch auflösender Filme als sinnloses Schattenboxen. In der einen Seite des Rings befindet sich der japanische Elektronikkonzern Toshiba, der zusammen mit Microsoft und Intel für die Verbreitung der HD-DVD wirbt. Konkurrent Sony setzt dagegen im Verbund mit Branchenriesen wie Philips oder (neuerdings) Acer auf die Blu-ray-Disc.

Henne-Ei-Problem: Die meisten TV-Sender unterstützen derzeit hoch auflösendes Fernsehen noch nicht.

Da es den Kontrahenten an technisch überzeugenden Argumenten mangelt, sollen vor allem der Preis für Datenmedien und Abspielgerät sowie das Angebot an verfügbaren Titeln den Kampf entscheiden. Entsprechend gab die HD-DVD-Gruppe rechtzeitig zur IFA bekannt, dass ab sofort die Filmstudios Paramount Pictures und Dreamworks exklusiv HD-DVD als hoch auflösendes Videoformat unterstützen. Zum Jahresende sollen außerdem die ersten HD-DVD-Player für unter 300 Euro auf den Markt kommen. Toshiba legt seinen Abspielgeräten als Gratisbeigabe gleich fünf kostenlose HD-DVDs dazu. Das ist wichtig, denn die meisten TV-Sender unterstützen hoch auflösendes Fernsehen noch nicht. Zum Anderen hilft die Gruppe damit der allgemeinen Marktstatistik auf die Sprünge.

Zweifelhafte Erfolgsmeldungen

Blu-ray vs. HD-DVD: Schaukampf vor leeren Rängen?

Die Blu-ray-Disc Association (BDA) konterte auf der IFA mit einer Reihe Erfolgsmeldungen. Unter anderem stellte die Gruppe den "DZ-BD7H" von Hitachi vor, der erste Camcorder, der eine Acht-Zentimeter-Blu-ray-Disk beschreiben kann. Außerdem wurde bekannt gegeben, dass in Europa inzwischen 1,3 Millionen Blu-ray-Player ausgeliefert wurden. Die BDA verschwieg allerdings den Aspekt, dass es sich bei 90 Prozent der verkauften Geräte um die Sony-Spielekonsole PS3 mit integriertem Blu-ray-Laufwerk handelte. Bester Blu-ray-Videotitel in Europa ist übrigens der James-Bond-Film "Casino Royale" – dieser wurde in Europa beim Kauf der - am Markt wenig erfolgreichen - Daddelbox verschenkt.

Olivier van Wynendaele, Sprecher der europäischen HD-DVD-Promotion-Group, gab zu, dass beide Formate derzeit noch weitgehend ohne Marktbedeutung sind. Von den aktuellen Video-Bestsellern in den USA seien 94 Prozent auf DVD, vier Prozent auf Blue-ray-Discs und zwei Prozent auf HD-DVD verkauft worden. Bei letzteren habe es sich zudem um eine Kombidisk gehandelt. Damit der Markt in Bewegung kommt, müssten die Verbraucher zunächst mehr über High Definition lernen, sagte van Wynendaele. Er verwies auf eine europäische Studie, wonach 75 Prozent der Befragten glauben, sie hätten HD längst zu Hause. In Wahrheit liege die Verbreitung von HD-TVs in Europa gerade einmal bei 20 Prozent. 90 Prozent der Verbraucher wüssten nicht einmal, dass es zwei Standards für hoch auflösende Datenträger gibt.

Allgemeine Funkstörung

Innovation gelangt häufig nur durch die durch die Hintertür in die deutschen Wohnzimmer, etwa beim Kauf eines digitalen Fernsehers.

Verwirrung ganz anderer Art kam bereits Mitte Juni auf, als bekannt wurde, dass schon für 2009 ein neuer DVB-T-Standard geplant ist. Der Nachfolger des digitalen Antennenfernsehens, "DVB-T2", soll eine höhere Bandbreite und damit auch die Übertragung von HD-Inhalten ermöglichen. Aktuelle Settop-Boxen, auf die viele Verbraucher gerade erst umstellten, gehören damit aber zum alten Eisen. Wie der "Vater des DVB-Standards", Professor Ulrich Reimers von der Technischen Universität Braunschweig, am Rande der IFA klarstellte, hält sich der potenzielle Schaden in Grenzen. Wenn Nutzer heute auf ein neues Gerät umstiegen, investierten sie sowieso in entsprechende Empfänger, um hoch auflösendes Fernsehen zu erleben. So sei etwa im Bereich Satellitenfernsehen der Wechsel vom DVB-S auf DVB-S2 bereits vollzogen worden, ohne dass es jemand registriert hätte, sagte Reimers gegenüber der COMPUTERWOCHE. Ob DVB-T2 in Deutschland überhaupt komme, sei ohnehin fraglich, nachdem die Sender derzeit erst DVB-T einführten. Im Bereich Kabel oder Satellit ja, aber welchen Sinn gebe das damit mögliche HDTV terrestrisch? DVB-T sei speziell zur Versorgung kleiner, portabler Geräte gedacht.

Handy-TV schleicht an den Start

Allmählich lichtet sich dagegen das Dickicht Mobiles Fernsehen oder Handy-TV, in dem sich bislang aber nur Hersteller und kaum Anwender verirrt hatten. Nach verschiedenen Ansätzen wird in der EU nun die Übertragung via DVT-H (Digital Video Broadcasting-Handheld) favorisiert, die 2008 rechtzeitig zur Fußball-Europameisterschaft und den Olympischen Spielen den Sendebetrieb aufnehmen soll. Interessiert sind hierzulande unter anderem die drei großen Mobilfunkanbieter T-Mobile, Vodafone D2 und O2, die sich zum Erhalt einer Sende- und Betreiberlizenz zu einem Konsortium zusammengeschlossen haben. Auf den Zuschlag hofft aber auch Mobiles Fernsehen Deutschland (MDF), das bereits jetzt in 16 Ballungsräumen mit rund 16 Millionen Einwohnern sein Mobile-TV-Programm "Watcha" ausstrahlt. MDF nutzt dazu den von der Robert Bosch GmbH und dem Heinrich-Hertz-Institut entwickelten Standard Digital Media Broadcasting (DMB). Dabei handelt es sich um eine Weiterentwicklung des Hörfunkstandards Digital Audio Broadcast (DAB), der später um audiovisuelle Inhalte erweitert wurde. Außer von MDF wird DMB hauptsächlich von asiatischen Mobilfunkbetreibern unterstützt, Samsung und LG bieten passende Geräte an. Inzwischen haben sie aber Handys für das speziell für kleine Displays entwickelte DVB-H im Programm.

Während der Countdown für das neue Handy-TV läuft, hält der Netzausrüster Alcatel Lucent bereits ein Alternativsystem parat. Das Unternehmen bietet an, mit DVB-SH mobiles Fernsehen über Satelliten zu realisieren. Damit entfällt die Wartung und Errichtung Tausender Masten. Innerhalb von Gebäuden, wo keine Direktverbindung zum Satelliten möglich ist, wird das Signal aus Bereichen des UMTS-Spektrums eingespielt.