Prognosen für 2020

IDC skizziert die CIO-Agenda

10.12.2019 von Wafa  Moussavi-Amin
Sich in Zeiten stürmischer Veränderungen aus dem Fenster zu lehnen und zu prognostizieren, was auf CIOs zukommt, ist nicht einfach. Die Marktforscher von IDC wagen den Versuch.
IDC hat Prognosen und Empfehlungen formuliert, die CIOs helfen sollen, das digitale Zukunftsunternehmen zu schaffen.
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Der Science-Fiction-Autor William Gibson sagte einmal: "Die Zukunft ist da, sie ist einfach nur nicht gleichmäßig verteilt." Das trifft auch auf den Digitalisierungsstand vieler Unternehmen im Jahr 2019 zu: Einige wenige haben sich den Bestwerten in Sachen Speed, Skalierung und Connectivity angenähert, aber viele beschäftigen sich immer noch mit isolierten Initiativen zur digitalen Transformation - getrieben von Wettbewerb und Markt.

Dabei wird die Zeit zum Handeln knapp. Je später sich die Unternehmen auf den Weg machen, desto größer ist der aufzuholende Rückstand. IDC hat einige Prognosen und Empfehlungen formuliert, die CIOs darin unterstützen sollen, das digitale Zukunftsunternehmen zu schaffen.

Prognose 1: Bis 2024 werden sich 80 Prozent der digital fortschrittlichen Unternehmen strategisch auf einen breiten, flexiblen Self-Service-Mashup aus digitalen Tools verlassen und damit das bisherige "Walled-Garden"-Modell als IT-Basis ersetzen.

Um die Umstrukturierung zu bewältigen, brauchen CIOs einen klaren Entwurf vom angestrebten Zustand der digitalen Organisation. Es geht darum, ein gemeinsames Bild mit Managern sowie Fach- und Führungskräften zu entwickeln und anschließend im Unternehmen und mit den wichtigsten Partnern zu teilen.

Da Enterprise-Applikationen immer häufiger in Fachbereichen und von externen Technologieanbietern betrieben werden, muss die IT-Organisation durch Schulungen und Support den architektonischen Zusammenhalt, die Sicherheit und die Stabilität gewährleisten. Das erfordert einen Wandel: IT-Mitarbeiter müssen künftig auch die Rolle des Lehrers und Mentors ausfüllen können.

Prognose 2: Bis 2023 werden 65 Prozent der CIOs eine Führungsrolle auch jenseits der klassischen IT-Abteilung einnehmen. Sie werden ihre IT-Bereiche zu Kompetenzzentren entwickeln, um digitale Innovationen und die unternehmensweite Zusammenarbeit voranzutreiben.

CIOs stehen vor einer großen Herausforderung: Sie haben zwar prinzipiell Zugang zu leistungsfähigen, digitalen Technologien, doch deren Beschaffung und Einsatz wird von den Fachbereichsleitern mit ihren eigenen digitalen Agenden maßgeblich mitbestimmt. Dabei können die Business-Entscheider auch auf Cloud-Anbieter und Service Provider zurückgreifen und so die zentrale IT umgehen.

CIOs haben damit zwei Möglichkeiten: Sie kämpfen um den Erhalt ihres Status quo oder sie nutzen die neue Situation, die ihnen große Chancen bietet - vorausgesetzt, sie sind willens und fähig, sich weiterzuentwickeln. Da die IT-Kompetenz in den Fachabteilungen ständig zunimmt, besteht die wichtigste Aufgabe des CIO künftig darin, eine IT-Organisation aufzubauen, die ein Zentrum für digitales Wissen, Technologien und Best Practices darstellt. Die IT muss in der Lage sein, die digitalen Maßnahmen im Unternehmen proaktiv konzipieren und integrieren zu können, um digitale Innovationen zu schaffen.

Prognose 3: Funktionale Unzulänglichkeiten, zunehmende Cyber-Bedrohungen und architektonische Zwänge werden 65 Prozent der Unternehmen dazu bringen, bis 2023 ältere Systeme umfassend zu modernisieren und dafür erhebliche Investitionen in ihre Technologieplattform zu stecken.

Legacy-Systeme sind eine Herausforderung für CIOs, da sie wertvolle IT-Ressourcen beanspruchen und gleichzeitig den Fortschritt behindern. Seit Jahren sind CIOs zu Kompromissen gezwungen. Das Patchen und Instandhalten von Altsystemen kann angesichts der wachsenden CyberBedrohungen nicht die Lösung sein.

Die Bekämpfung von Sicherheitslücken ist aber aus Sicht des Topmanagements kein gutes Argument, um Budgets locker zu machen. Man möchte hören, wie IT-Investitionen das Business voranbringen und zukunftssicher gestalten. Beispielsweise könnte ein ansprechendes und immersives Kundenerlebnis ein Business Case sein, der es rechtfertigt, Altsysteme abzulösen, die solche Funktionen nicht unterstützen können.

Prognose 4: Bis 2023 werden 70 Prozent der IT-Unternehmen als Basis ihres IT-Multi-Cloud-Ansatzes ein strategisches Container-/Abstraktions-/API-Playbook implementieren, um die Portabilität von Anwendungen und die Hosting-Flexibilität zu verbessern.

Die digitale Transformation braucht IT-Umgebungen und Anwendungen, die modular, skalierbar, portabel und einfach zu verwalten sind. Das sind Qualitäten, die weit über das hinausgehen, was traditionelle und auch virtuelle Computerumgebungen können.

Erfolgreiche Unternehmen setzen Container- und Abstraktionsstrategien ein. Sie verdoppeln ihre API- und Microservices-Anstrengungen, um Prozesse zu modernisieren und zu automatisieren, eine unabhängige Computer- und Anwendungsumgebung zu erreichen sowie Qualität und Skalierbarkeit zu erhöhen. CIOs, die sich nicht mit solchen Ansätzen beschäftigen, werden Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen müssen.

IT-Organisationen werden zu Integratoren

Prognose 5: Bis 2022 werden sich 70 Prozent der IT-Organisationen wandeln. Sie sind dann nicht mehr Hersteller und Betreiber, sondern Designer und Integratoren digitaler Lösungen. Das gilt für jedes Produkt, jeden Service und jeden Prozess.

Über viele Jahre hinweg haben CIOs die Systeme und Anwendungen ihrer Unternehmen entwickelt und implementiert. Dabei haben sie viel Know-how aufgebaut, vor allem im Bereich kritischer Systeme. Mit dem Aufkommen von Cloud-Anwendungen, Low-Code- und No-Code-Tools sowie allgegenwärtigen Open-Source-Lösungen verändert sich die Rolle der IT dramatisch. CIOs sind zu einem Wandel hinsichtlich Kultur, Aufbau und Betrieb ihrer Organisation gezwungen.

Die Crux besteht darin, dass in den Fachabteilungen immer mehr Aufgaben für das Entwickeln und Bereitstellen von Technologien übernommen werden - unabhängig davon, ob die IT diese Veränderung unterstützt oder nicht. Wenn CIOs sich weigern, diese Verlagerung von IT-Aufgaben und -Rollen zu akzeptieren und Verantwortung an die Fachabteilungen abzugeben, könnte das zum Bumerang werden. Besser ist es, diese fundamentale Veränderung zusammen mit den Fachabteilungen und dem Management zu planen und zu steuern.

Prognose 6: Bis 2023 werden 80 Prozent der IT-Organisationen ihre Softwareentwicklung so verkürzt haben, dass sie mindestens wöchentlich Code-Updates und -Revisionen ausspielen und damit Business-Mehrwert generieren können.

Die meisten CIOs kommen aus einer klassischen Projektwelt, in der Software in Zyklen von Monaten, nicht selten Jahren entwickelt und ausgerollt wurde. Inzwischen führt aber das Zusammenwirken von agiler Entwicklung und konsumorientierter Technologie ebenso wie die immer höhere Geschwindigkeit der digitalen Wettbewerber dazu, dass dieses Tempo völlig unhaltbar geworden ist. Die Applikationen und Webangebote von Facebook, Amazon und Co. geben das Tempo vor, das Anwender heute erwarten.

CIOs müssen sich auf diese hohe Geschwindigkeit der Softwarebereitstellung einlassen, entsprechendes Wissen aufbauen und den Mehrwert für Anwender und Kunden ständig erhöhen. Wir sprechen hier nicht nur von kosmetischen Änderungen und Funktionsoptimierungen. Noch wichtiger ist, dass CIOs anfangen, wie die Gründer von Technologie-Start-ups zu denken und zu handeln. Deren Fähigkeit, schnell und kontinuierlich Softwareinnovationen zu liefern, ist für das junge Unternehmen überlebenswichtig.

Prognose 7: Digitale Innovationen entscheiden künftig über den Unternehmenserfolg. Bis 2022 werden 40 Prozent der CIOs wie Innovationstreiber agieren, also digitale Visionen ausarbeiten und ihr Wissen ins Unternehmen tragen.

CIOs, die sich von rein operativ orientierten Technikern zu geschäftsorientierten Enablern entwickelt haben, stehen vor einer großen Herausforderung: Sie müssen sich zu unternehmerischen Führungspersönlichkeiten im Bereich der Digitalen Transformation entwickeln.

Erfolgreichen Innovationsführern gelingt es, überzeugende digitale Visionen zu formulieren und das Unternehmen für deren Umsetzung zu gewinnen. Obwohl technologischer Sachverstand eine Grundvoraussetzung ist, hängt der Erfolg eher von Faktoren ab wie Kommunikationsfähigkeit, Aufbau und Pflege von Beziehungen sowie der Fähigkeit, Versprechen einzuhalten.

Prognose 8: Bis 2022 wird der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) den IT-Betrieb erweitern, optimieren und beschleunigen. Für 60 Prozent der großen IT-Organisationen wird das zu den wichtigsten IT-Transformations-Initiativen gehören.

Ein erheblicher Teil der IT-Prozesse und -Aufgaben wiederholt sich und eignet sich deshalb hervorragend für eine Automatisierung. Andere Servicebereiche, einschließlich Helpdesks, können durch KI, maschinelles Lernen und Bots ergänzt werden. Sie bewältigen Routineanforderungen wie Passwort-Rücksetzungen und reichen komplexere Probleme an das Support-Personal durch.

CIOs sollten ihre strategischen Imperative festlegen: Was ist ihnen am wichtigsten? Kostensenkung, die Steigerung des IT-Durchsatzes oder vielleicht der alternative Einsatz von Mitarbeitern? Sich festzulegen hilft bei der Entscheidung, wie die Automatisierung angegangen werden soll.

Prognose 9: Bis 2024 werden drei von vier CIOs alle IT-Ressourcen (Budgets, Assets, Fachkräfte) umbauen, um Ressourcen in Echtzeit bereitzustellen, die Agilität des Unternehmens voranzutreiben und Fixkosten zu senken.

CIOs stehen in ihrem Bemühen um Agilität vor vielen Hindernissen. Das wohl größte ist der Mangel an Flexibilität hinsichtlich Finanzen und Ressourcen, die nötig wäre, um den sich schnell ändernden geschäftlichen Anforderungen und Prioritäten gerecht zu werden. IT-Zyklen sind in Jahresbudgets, Jahres-Performance-Management und Jahreszielsetzung festgelegt. Leider kennt aber die digitale Disruption keinen Kalender.

Der Druck des digitalen Wandels und auch des Wettbewerbs wird viele CIOs dazu zwingen, fließende, rollierende Ansätze für Finanzierung, Asset Management, Talent und andere Ressourcen einzuführen. Kurze agile und iterative Zyklen können helfen, den Einsatz von IT-Ressourcen kontinuierlich anzupassen und auf veränderte Geschäftsanforderungen zu reagieren. CIOs werden auch ihre Finanzierungs- und Bewertungsmodelle umstellen müssen. Das wird substanzielle Veränderungen in den IT-Betriebsabläufen und -Prozessen erfordern.

Prognose 10: Bis 2023 werden 60 Prozent der CIOs dazu angehalten, ansprechende agile und selbstlernende Arbeitsumgebungen zu schaffen und offizielle Programme zur Mitarbeiterzufriedenheit zu implementieren.

Nachdem eine Reihe von unübersichtlichen und meist erfolglosen Initiativen zur Mitarbeiterbindung ausprobiert wurde, setzen sich CIOs jetzt strategisch mit ergebnis- und zielorientierten Programmen auseinander, die kontinuierliches Lernen, Zusammenarbeit und Innovation in digitalen Arbeitsbereichen miteinander verbinden. Die Future Workspaces sind kontextbezogen, verändern sich je nach Aufgabenstellung und berücksichtigen diverse Arbeitsmodi und -stile.

Immer häufiger werden immersiver Mitarbeitererlebnisse und Arbeitsbereiche geschaffen, die Elemente aus Virtual und Augmented Reality enthalten. Das führt dazu, dass sie die Produktivität der Mitarbeiter steigert und die Modernität der Lernumgebung zu einem wichtigen Faktor dabei wird, Talente einzustellen.

Wie geht es weiter für CIOs?

Mit der steigenden Geschwindigkeit der digitalen Transformation wachsen die Anforderungen rasant. Die gute Nachricht für CIOs ist, dass ihre Rolle in den Unternehmen immer wichtiger wird, wenn es um digitale Innovationen geht. Die schlechte Nachricht: Innovationsführer zu sein, wird angesichts der hohen Veränderungsgeschwindigkeit von Tag zu Tag anspruchsvoller.

CIOs sollten eine gute Strategie haben, um die einzelnen Puzzleteile ihres Umbauplans in handhabbare Abschnitte zu gliedern und dabei immer noch eine ganzheitliche Sicht zu behalten. Wichtig ist, dass digitale Initiativen des Business einen fundierten Maßnahmenplan mitbringen. Wir glauben, dass unsere Prognosen und Empfehlungen hinsichtlich Employee und Customer Experience, die Bereitstellung von Tools für Fachbereiche und Partner, die Flexibilisierung von IT-Ressourcen, die Automatisierung des IT-Betriebs und die schnelle Softwarebereitstellung wesentliche Grundlagen für den Erfolg sein werden.

Tempo ist das Gebot der Stunde. Die Beute geht an die Schnellsten - vorausgesetzt, sie haben eine strukturierte und gleichzeitig flexible Strategie zum Aufbau ihres digital-nativen Unternehmens im Gepäck.