PEARL: Zartes Pflänzchen oder kräftiger Trieb?

Hohe Investitionen wecken hohe Erwartungen

24.06.1977

Am 9. März 1977 fand in Augsburg ein Aussprachetag über PEARL statt. Das BMFT mit dem Projektträger GfK (Gesellschaft für Kernforschung) und die VDI/VDE-GMR traten damit zum ersten Mal vor die breite Öffentlichkeit, um den Entwicklungsstand und die bisherigen Erfahrungen zu präsentieren.

PEARL - das heißt Process- and Experiment Automation Realtime Language - wird als universelle, höhere Echtzeitprogrammiersprache bezeichnet. Vom Typ her gehört sie in die Klasse der verfahrensorientierten Sprachen, deren "klassische" Vorbilder FORTRAN, COBOL und PL/1 seit etwa 1965 ihren Siegeszug in der Großrechner-Programmierung angetreten haben (Bild 1). Folgerichtig wurden auch viele Elemente dieser Vorbilder in PEARL übernommen. Dazu gehört vor allem die Einführung einer Blockstruktur und der Kontrollstrukturen der "Strukturierten Programmierung".

Neu entwickelt werden mußten Sprachmittel zum Verkehr mit der projektspezifischen Peripherie, wobei man hier ganz besondere Probleme zur Gewinnung portabler Programmsysteme zu überwinden hatte. Durch eine Trennung des Programms in Problem- und Systemteil werden unvermeidliche Anpassungen beim Wechsel des Rechnertyps hinter eine klare Schnittstelle verlegt. Neu entwickelt wurde auch die gesamte Steuerung und Synchronisierung paralleler Rechenprozesse, das sog. "Tasking".

Mit diesen Sprachelementen wird das benötigte Betriebssystem festgelegt und hier liegt einer der Gründe, warum die Entwicklung von PEARL nunmehr schon über 5 Jahre dauert. Es mußte nicht nur die Sprache definiert und entsprechende Compiler implementiert, sondern auch die vorhandenen Realzeit-Betriebssysteme angepaßt oder völlig neu entwickelt werden. Die bisherigen Entwicklungskosten seit 1972 betragen etwa 50 Mio. DM, 30 Mio. DM davon wurden vom BMFT als Förderung über das Projekt PDV beigesteuert.

Mit Recht wartet man also in der gesamten Prozeßrechner-Branche auf die Ergebnisse dieser großen Anstrengung. In Augsburg, sollte der Vorhang etwas gelüftet werden. Dort wollte man hören, wann die "steinzeitliche" Assemblerprogrammierung endgültig in die Ecke gedrängt werden kann.

Der generelle Eindruck von der Tagung war recht zwiespältig. Da rennt die Gruppe der Entwickler gegen das Feindbild "Assembler" und demonstriert damit indirekt wenig Vertrauen in die Vorteile von PEARL. Im Kampf gegen Überliefertes werden so notwendige Übergangslösungen wie Prozeß-FORTRAN und bewährte, aber weniger umfassende Sprachen wie CORAL 66 vom Tisch gewischt, als wären sie böse Verführer auf dem Wege zur sonnigen PEARL-Zukunft. Leider sind solche Sprachen aber die einzige Chance der Anwender, schon heute etwas effektiver und komfortabler zu arbeiten.

Die Tagung hat bestätigt, daß PEARL-Systeme der deutschen Hersteller, mit Ausnahme von BBC, nicht vor 1978 für Anwender verfügbar sein werden (Bild 2). Man läßt sich also weiterhin Zeit und begründet dies mit der jetzt erst fertiggewordenen endgültigen Definition von BASIS-PEARL und FULL-PEARL. Nur BBC setzt einen eigenen PEARL-Subset in großem Umfang ein und hat bereits 25 PEARL-Systeme ausgeliefert. Diese Firma besitzt als einzige größere Erfahrungen mit dem industriellen Einsatz von PEARL und nennt gegenüber Assembler Einsparungen von 20%-30% über das gesamte Projekt. Sind diese Einsparungen von den übrigen deutschen Herstellern vernachlässigbar oder gibt es negative Seiten, die BBC verschweigt?

Interessant waren die Aussagen über die internationalen Chancen von PEARL. Frankreich entwickelt weiterhin eine eigene Sprache; England USA wollen in 3 Jahren ebenfalls eigene Sprache fertig haben.

Stellt man demgegenüber die leicht überzogene Darstellung der heutigen Verbreitung von PEARL und des großen Intresses staatlicher Forschungsbetriebe und militärischer Stellen, so wird offenbar, daß PEARL trotz stattlicher Fördergelder noch immer ein zartes Pflänzchen ist, von dem auch heute noch keiner weiß, was ihm an nationalem und internationalem Geschick bevorsteht.

300 Teilnehmer beim Aussprachetag dokumentierten ihr großes Interesse, aber auch ihre große Scheu vor kritischen Fragen. In zwei Jahren, hieß es im Schlußwort, soll es endlich zur Sache gehen.

* Dipl.-Ing. Hans Rueff ist Mitarbeiter der Gesellschaft für Prozeßsteuerungs- und Informationssysteme mbH, Aschaffenburg.