Was Unternehmen tun können

Hilfe - meine Eltern brauchen Hilfe!

18.03.2013 von Ingrid  Weidner
Arbeitgeber merken allmählich, welche Auswirkungen der demografische Wandel auf ihre Beschäftigten hat. Einige reagieren vorbildlich, wie Beispiele zeigen.

Mit Sportprogrammen, ausgewogener Ernährung in der Kantine oder einem Gesundheits-Check unterstützen viele Firmen ihre Mitarbeiter. Das ist gängige Praxis. Doch auf viele 40- bis 64-Jährige kommt eine andere Belastung zu, über die sie oft nur ungern sprechen. Neben den heranwachsenden Kindern benötigen auch die eigenen Eltern Hilfe im Alltag.

Viele Pflegebedürftige sind auf die Unterstützung von Angehörigen angewiesen. Was tun, wenn diese schon reichlich Anforderungen in ihrem Beruf zu stemmen haben?
Foto: Robert Kneschke - Fotolia.com

Verlässliche Zahlen, wie viele Berufstätige heute schon Pflegeaufgaben übernehmen, gibt es nicht. Stefan Reuyß, Soziologe am Institut für sozialwissenschaftlichen Transfer (Sowitra) in Berlin, schätzt, dass zwei Drittel der Pflegenden diese Aufgaben mit ihrem Erwerbsleben in Einklang bringen müssen. Die Schattenseiten des demografischen Wandels zeigen sich schon jetzt. Rund 2,34 Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig, etwa die Hälfte wird zu Hause versorgt. Weitere drei Millionen Bürger benötigen Unterstützung im Haushalt. Die Zahl derer, die nicht ohne fremde Hilfe leben können, summiert sich so auf über fünf Millionen Menschen. Hierzulande leben mittlerweile mehr Pflegebedürftige als Kinder unter drei Jahren. In den kommenden Jahren verschiebt sich dieses Ungleichgewicht weiter.

Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit schwinden

Gleichzeitig aber steigen die Anforderungen im Berufsleben. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwinden immer mehr. Neue Kommunikationsformen erleichtern es Arbeitgebern, schneller und unabhängig vom Büroalltag ihre Mitarbeiter zu erreichen. IT-gestützte Kommunikationsgeräte spielen dabei eine wichtige Rolle. Schon heute beklagen sich immer mehr Berufstätige über die hohe Belastung. Die Zahl der Burnout-Fälle steigt rasant - auch wenn es zu diesem "Krankheitsbild" unterschiedliche Meinungen gibt. Eine Reihe von Unternehmern versteht, unter welchem Druck manche Mitarbeiter stehen, und bieten Unterstützung an.

Burnout
Zielsicher in die Katastrophe
Viele Menschen steuern - bewusst oder weniger bewußt - über Jahre hinweg zielsicher auf den Burnout zu. Werden konsequent die häufigsten 13 Fehler gemacht, ist früher oder später der Burnout garantiert!
Allzeit bereit!
Bei Ihrem Job werden "flexible" Arbeitszeiten und Überstunden als selbstverständlich erwartet, auch Reisetätigkeiten, wechselnde Arbeitsplätze, internationale Zusammenarbeit über mehrere Zeitzonen hinweg und Erreichbarkeit 24 Stunden an sieben Tagen per Blackberry, Handy & Co.
Brennen für den Job
Ihre Tätigkeit begeistert Sie, Überstunden stören Sie nicht. Sie stehen für Flexibilität, Schnelligkeit und höchste Qualitätsansprüche. Das Team, der Chef, der Auftraggeber und alle anderen können sich stets auf Sie verlassen. Sie sind ehrgeizig, der nächste Schritt zum Projekt-Manager, Team- oder Abteilungsleiter winkt und fordert vollen Einsatz auf gleichbleibend hohem Niveau. Brennen Sie für Ihre Aufgaben, das Projekt, Ihr Team, Ihr Unternehmen - bis Sie ausgebrannt sind.
Entspannen? Was ist das?
Signale wie anhaltende Müdigkeit, Unkonzentriertheit, Leistungsabfall, Schlafstörungen sowie die Unfähigkeit abzuschalten und aufzutanken, ignorieren Sie. Bedienen Sie sich bei auftretenden Zipperlein großzügig an Produkten der Pharmaindustrie.
Nur nicht wütend werden
Kümmern Sie sich auf keinen Fall um Ihre Gefühle. Wut, Ärger, Ängste, das Gefühl von Überforderung oder ständiger Gehetztheit ignorieren Sie, ebenso wie das Schwinden Ihrer Lebensfreude, zunehmende Teilnahmslosigkeit, Sinn- und Lustlosigkeit und Depressionen. Bei zunehmendem Leeregefühl lösen Sie sich von der Idee, dass Arbeit Sie innerlich erfüllen könnte.
Immer schön fleißig sein!
Ineffektiv verbrachte Arbeitszeit kompensieren Sie mit Mehrarbeit. Das vertreibt auch die Langeweile am Wochenende und im Urlaub. Sind Sie Freiberufler, verzichten Sie ganz auf Urlaub. Sie müssen die Aufträge abarbeiten, oder das Geld reicht nicht. Machen Sie möglichst mehrere Dinge gleichzeitig, um Zeit zu sparen. Sagen Sie "Ja" zu jeder neuen Aufgabe.
Verzweifelt? Sie doch nicht!
Machen Sie sich unentbehrlich. Auch wenn es unmöglich ist und Sie der Verzweiflung nah sind, versuchen Sie, möglichst alle Erwartungen von Teamkollegen, Auftraggebern, internen und externen Projektmitarbeitern, Vorgesetzten und Ihrer Familie und Freunde zu erfüllen. Am besten übertreffen Sie noch deren Erwartungen.
Warnsignale?
Verwerfen Sie sämtliche Warnungen, Vorhaltungen, Vorwürfe, Bitten und Sorgen von Ihrer/m Partner/in, Angehörigen oder Kollegen. Ihre Ausreden sollten wasserdicht sein: "Nach diesem Projekt wird alles besser" oder "nur noch dieser Fall". Oder: "Die Umstände/der Vorgesetzte/der Auftraggeber zwingen mich dazu, ich habe keine Wahl."
Im Hamsterrad
Hämmern Sie sich und anderen ein, es geht nicht anders, in Ihrem Job jedenfalls nicht. Wenden Sie sich dennoch auf Drängen anderer an eine professionelle Beratung, werden Sie es sicher verstehen, die Sinnlosigkeit dieser Maßnahme unter Beweis zu stellen.
Nur nicht drüber reden!
Gehen Sie auf Distanz zu Menschen, zu denen erstaunlicherweise noch Kontakt besteht. Als Eigenbrötler können Sie leichter die Fassade wahren. Sagen Sie niemandem, wie es Ihnen geht. Gemeinsame Mittags- und Kaffeepausen mit Kollegen sind zeitlich unmöglich, die Zeit mit der Familie wird immer knapper.
Jede Minute zählt - zum Arbeiten.
Streichen Sie sämtliche Hobbys einschließlich sportlicher Betätigungen. Falls Sie doch noch ein Privatleben haben, gestalten Sie die Terminplanung zwischen ihm und dem Job noch engmaschiger, nutzen Sie jede freie Minute.
Gesund leben? Maßlos überschätzt!
Gesundes Essen wird als Zeitkiller abgeschafft zugunsten von Fast Food und belegten Semmeln. Damit Sie überhaupt entspannen und von Ängsten und anderen unangenehmen Gefühlen abschalten können, gönnen Sie sich regelmäßig abends etwas Alkoholisches.
Perfektion, Perfektion, Perfektion
Seien Sie nie zufrieden mit Ihren Ergebnissen, auch wenn andere begeistert sind. Sie sind Ihr strengster Kritiker. Weniger als perfekt kommt für Sie nicht in Frage. Stecken Sie sich zusätzliche Ziele. Erlernen Sie eine Fremdsprache, machen Sie eine berufsbegleitende Ausbildung und laufen Sie Marathon.
Probleme? Ach was!
Lösen Sie keine Konflikte und Probleme grundlegend. Schieben Sie alles vor sich her, damit der Berg von Unerledigtem immer höher wird.
Ein Ausstieg ist möglich!
Falls Sie sich in unserem Text zu stark wiedererkennen, steiegen Sie aus! Je früher, desto besser. Gehen Sie zum Arzt, ändern Sie Ihre Lebensweise, solange es noch früh genug ist. Das raten Ihnen Ruth Hellmich, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin von CoachingTraining.

Gunther Olesch, Geschäftsführer für Personal, Informatik und Recht bei Phoenix Contact in Blomberg, gehört dazu: "Unsere Vision ist es, die Mitarbeiter ganzheitlich zu betrachten. Wenn Menschen Probleme haben, leidet auch ihre Leistungsfähigkeit." Der Elektrotechnik-Riese aus Ostwestfalen-Lippe beschäftigt dort rund 4000 Mitarbeiter, weitere 2450 arbeiten in anderen Niederlassungen in Deutschland, und weltweit summiert sich die Zahl der Beschäftigten auf 12.700.

Gunther Olesch, Geschäftsführer bei Phoenix Contact, bietet seinen Mitarbeitern bei Problemen die Unterstützung durch eine Sozialpädagogin an.
Foto: Privat

Dass Olesch seine Sorgfaltspflicht gegenüber den Angestellten ernst nimmt, zeigt das vielfältige Engagement des Unternehmens. Neben Sportprogrammen, Ernährungsberatung oder Gesundheits-Checks gibt es seit gut einem Jahr ein weiteres Angebot. Mitarbeiter am Firmensitz in Blomberg können sich bei persönlichen Problemen an eine ausgebildete Sozialpädagogin wenden. Die angestellte Fachkraft residiert in einem etwas abseits gelegenen Büro, so dass die Ratsuchenden dort mehr oder weniger ungesehen anklopfen können. Selbstverständlich unterliegen die Gespräche der Schweigepflicht.

Die Idee dahinter ist klar formuliert. Hilfesuchende können zunächst 45-minütige Beratungstermine buchen, doch danach sollen sie gemeinsam mit der Sozialpädagogin die weiteren Schritte planen und sich an externe Experten wenden. "Allein im ersten Jahr fanden 1600 Gespräche statt. Wir freuen uns natürlich, dass das Angebot so gut angenommen wird", erzählt Olesch. Doch auch gegenüber dem Personalchef gilt die Schweigepflicht der Sozialpädagogin. Ob Schulden, Scheidung, Drogenprobleme der Kinder oder Abhängigkeiten von Alkohol oder Schmerzmitteln vorliegen, erfährt in der Personalabteilung niemand. Lediglich eine anonymisierte Statistik gibt einen Überblick. Daraus ist ersichtlich, dass etwa gleich viele Männer wie Frauen Rat suchen - und zwar unabhängig von Alter oder Ausbildung.

Mitarbeiter bringen Probleme mit

Andreas Krause, Datev: "Wir haben eine kollegiale Beratung ins Leben gerufen, in der Mitarbeiter ihre Erfahrungen weitergeben."
Foto: Privat

Auch für Andreas Krause ist klar, dass sich schwierige Situationen im Privatleben negativ auf die Arbeit auswirken können. "Wir pflegen eine Kultur der Achtsamkeit", sagt der Leiter Personalservice bei der Nürnberger Datev. Er ist verantwortlich für die Beratung der Mitarbeiter. Wegsehen sei der falsche Weg: "Wir haben eine Reihe von Instrumenten entwickelt. In der Personalabteilung gibt es Ansprechpartner für Führungskräfte und Mitarbeiter, an die sich Betroffene mit Fragen zu Beruf und Familie wenden können."

Das Durchschnittsalter der Datev-Mitarbeiter liegt bei 45 Jahren. Kein Wunder also, wenn das Thema der Elternpflege und -betreuung immer mehr Beschäftigte betrifft. Auch in Nürnberg übernimmt die Personalabteilung die ersten Gespräche. Ein Kooperationsvertrag mit dem Unternehmen Familienservice ermöglicht es den Betroffenen, sich weitere Unterstützung zu holen. Außerdem entschloss sich Datev, eine kollegiale Beratung ins Leben zu rufen. "Mitarbeiter geben ihre Erfahrungen an Kollegen weiter. Im Intranet stellen sie sich kurz vor und ermuntern Betroffene, sich an sie zu wenden", erläutert Krause. Auch für Führungskräfte existieren solche Angebote. Auf diese Weise entsteht ein persönlicher Austausch, der zwar die professionelle Beratung nicht ersetzen, jedoch die emotionale Belastung abfedern kann.

Freiwilligkeit im Vordergrund

Wer einen Fulltime-Job hat, kann die unterschiedlichen Betreuungs- oder Pflegeaufgaben oft nicht parallel bewältigen. Deshalb bieten Unternehmen solchen Mitarbeitern verschiedene Teilzeitmodelle an. "Bei uns gibt es kurz- und langfristige Lösungen. Über Gleitzeit ist es möglich, auch kurzfristig einen ganzen Tag frei zu nehmen", berichtet Krause. Wünscht sich der Mitarbeiter eine längerfristige Lösung, greifen mehrere Betriebsvereinbarungen. "Möchte eine Mutter ihr Kind ins Krankenhaus begleiten, kann sie sich unbezahlt von der Arbeit freistellen lassen", erläutert der Nürnberger Personaler. Verschiedene Teilzeitmodelle mit reduzierter Wochenarbeitszeit sind möglich.

Datev bietet seinen Angestellten auch Sabbaticals an. Ob jemand auf Weltreise gehen, sich weiterbilden oder einen Verwandten pflegen möchte - all diese Varianten sieht die Vereinbarung vor. "Wenn sich ein Kollege für die Pflege von Angehörigen freistellen lassen will, ist das auch kurzfristig möglich", sagt Krause. Wer beispielsweise ein Jahr frei nehmen wolle, könne weiterhin 75 Prozent seines Gehalts beziehen. Nach diesem Jahr steige die Person wieder als Vollzeitkraft ein und erhalte für drei weitere Jahre nur 75 Prozent ihres Gehalts, bis die Differenz beglichen ist.

Bis zu zwei Jahren Pause

Auch eine Beurlaubung von bis zu zwei Jahren sei möglich. Dann erhöhe sich die Gesamtlaufzeit der Vereinbarung auf sechs Jahre. Das Gehalt reduziere sich in dieser Zeit auf 66 Prozent. "Wir übernehmen als Arbeitgeber auch einen Teil des Risikos. Außerdem bieten wir unseren Mitarbeitern eine Wiedereinstellungsgarantie", so der Datev-Personaler. Diese Garantie gelte für eine befristete Unterbrechung von bis zu 42 Monaten. Das Familienpflegezeitgesetz (siehe Kasten Seite 40) nimmt Datev nicht in Anspruch.

Auch Gunther Olesch von Phoenix Contact hält die gesetzliche Regelung für zu kompliziert: "Wir haben unterschiedliche Arbeitszeitmodelle eingerichtet. Jeder Mitarbeiter kann bis zu 210 Stunden auf seinem Gleitzeitkonto ansammeln oder auch als eine Art Kredit in Anspruch nehmen." Eine bereits vor zwölf Jahren ausgehandelte Betriebsvereinbarung sieht vor, dass Beschäftigte regelmäßig tageweise von zu Hause aus arbeiten können. Um allerdings in den Genuss dieses Privilegs zu kommen, bedarf es einer Begründung. "Es muss nachvollziehbar und gerecht gegenüber den Kollegen sein, weshalb jemand diese Variante wählt", schränkt der IT- und Personal-Manager Olesch ein.

Allerdings sehen die befragten Unternehmen auch klare Grenzen des Engagements. Wer seine Probleme weiterhin für sich selbst lösen möchte, wird nicht zu einem Beratungstermin gezwungen. Weder Gesundheits-Checks noch Sportprogramme oder Hilfsangebote sind verpflichtend. "Mit den Angeboten möchten wir unseren Mitarbeitern Optionen bieten. Niemand muss daran teilnehmen", versichert Olesch.

Auch Andreas Krause von Datev weiß, dass es unangenehme Themen und Grenzen gibt. "Wir haben eine Betriebsvereinbarung zum Thema Sucht und bieten Hilfe statt Kündigung an. Das hilft vielen, sich zu öffnen und Hilfe in Anspruch zu nehmen", erläutert der Datev-Mann. Wird das Gehalt eines Mitarbeiters gepfändet, weiß die Gehaltsabrechnung davon: "Wir gehen in extremen Fällen aktiv auf die Kollegen zu und raten zu einer Schuldnerberatung." (hk)

Work-Life
Robert Laube, Director und Service Line Lead Business Intelligence für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, drei Kinder:
"Ich habe E-Mails von meinem Mobiltelefon verbannt. Auch nehme ich mir, wann immer möglich, die Zeit, morgens mit meinen Kindern zu frühstücken und sie in die Schule und den Kindergarten zu bringen."
Yasmine Limberger, Group Manager Personalmarketing für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, ein Kind:
"Ich will vor allem das Gefühl haben, dass es meiner Tochter gut geht, ich aber auch als Teilzeitführungskraft einen guten Job mache. Außerdem benötige ich auch ein wenig Luft für persönliche Dinge. Das bedarf einer exakten Terminplanung. Man darf Dinge nicht liegenlassen, sondern muss seine Prioritäten zeitnah abarbeiten und immer alles im Blick behalten."
Petra Kaltenbach-Martin, Service Line Lead Dynamics CRM für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, ein Kind:
"Es ist schwierig, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Bisher klappt es aber mit viel Organisation. Beispielweise nutze ich die Schlafzeiten meines Kindes, um Dinge abzuarbeiten. Zudem muss man viel Energie und Motivation für Kind und Beruf mitbringen. Dennoch ist es schön, beide Welten zu verbinden."
Hans-Peter Lichtin, Country Director Avanade Schweiz, zwei Kinder:
"Die gemeinsame Zeit mit meiner Familie versuche ich so bewusst wie möglich zu nutzen. Es gibt Tage, da kann ich durchaus mit meiner Familie frühstücken und auch zu Abend essen. Das Wochenende verbringe ich mit meiner Familie."
Dominik Steiner, Business Development Executive Avanade Schweiz, Zwillinge:
"Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig, dass man lernt, sich persönlich abzugrenzen und sich Freiräume schafft oder auch spontane Freiräume mal für sich nutzt. Ich versuche von Zeit zu Zeit früh nach Hause zu gehen und so den Abend mit der Familie zu genießen und arbeite dann liegen gebliebene Arbeit am Abend nach - etwa wenn meine Kinder im Bett sind. Oder ich frühstücke mit den Kindern und bringe sie dann in die Tagesstätte. An einem solchen Tag beginne ich dann eben eine Stunde später zu arbeiten."
Eva Steiger-Duerig, HR & Recruiting Consultant bei Avanade, zwei Kinder:
"Wir haben die Kinderbetreuung sehr gut organisiert. Zudem habe ich das Glück, dass die Stadt Zürich ein gutes Kinderbetreuungsangebot hat und mein Mann sich auch an der Kinderbetreuung mitbeteiligt. Dennoch ist das Betreuungsangebot in Zürich auch mit sehr hohen Kosten verbunden."
Carmen Egelhaaf, Senior Marketing Specialist Avanade, ein Kind:
"Abends schreibe ich mir eine Checkliste, was privat am nächsten Tag alles organisiert und erledigt werden will: Lebensmittel einkaufen, aufräumen, Hemden und Blusen zur Reinigung bringen, Geburtstagskarte an Tante Irmgard schreiben, Geschenk für das Patenkind besorgen etc., damit ich nach der Arbeit gleich durchstarten kann. Unsere Putzfrau trägt viel dazu bei, dass ich von einigen Haushaltsaufgaben entlastet bin und möglichst viel Zeit mit meinem Sohn verbringen kann. Und ein Netzwerk von Freunden (da keine Oma in der Nähe) hilft aus, wenn mein Sohn krank ist oder Kindergartenferien zu überbrücken sind."
Andrea Cebulsky, Director Legal Europe Avanade, zwei Kinder:
"Sicherlich ist auch das Reisen manchmal eine Herausforderung - ich bin fast immer mindestens ein- bis zweimal die Woche unterwegs. Ein-Tages-Reisen sind noch zu managen. Problematischer wird es, wenn man für ein paar Tage weg muss, dann muss auch mal die Oma mithelfen. Da ist es dann wichtig, dass man frühzeitig planen kann, insbesondere weil mein Mann die Woche auch unterwegs ist. Der Terminkalenderabgleich mit vier Familienmitgliedern ist manchmal eine Herausforderung für sich."

Familienpflegezeitgesetz

Seit Januar 2012 ist das Familienpflegezeitgesetz in Kraft. Arbeitnehmer können ihre Arbeitszeit reduzieren, um Angehörige zu pflegen. Für einen Zeitraum von maximal 24 Monaten können Beschäftigte ihre Arbeitszeit auf bis zu 15 Wochenstunden minimieren. Wenn beispielsweise eine Vollzeitkraft ihre wöchentliche Stundenzahl von 40 auf 20 verringert, beträgt das Gehalt 75 Prozent des letzten Bruttoentgelts. Nach maximal zwei Jahren muss der Pflegende wieder Vollzeit arbeiten, erhält aber so lange nur 75 Prozent des Gehalts, bis die Differenz wieder ausgeglichen und das vom Arbeitgeber gewährte Darlehen zurückgezahlt ist. Der Arbeitgeber kann diese Kosten über ein zinsloses Bundesdarlehen des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Ausgaben (BAFzA) finanzieren. Allerdings müssen Arbeitnehmer ein mögliches Ausfallrisiko mit einer Versicherung abfedern.

Es gibt keinen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit. So kompliziert der Titel klingt, ist auch die Handhabe. Zwar gebe es Interesse an dem Gesetz, doch nach Angaben des Familienministeriums wird das Familienpflegezeitgesetz lediglich in rund 200 Fällen genutzt. Doch manche Firma greift die Idee auf, ohne das Darlehen in Anspruch zu nehmen, und entwickelt eigene Konzepte und Betriebsvereinbarungen.

Weitere Infos unter http://www.familien-pflege-zeit.de

"Die Pflege von Angehörigen ist in vielen Firmen ein Tabu"

Das Institut für sozialwissenschaftlichen Transfer (Sowitra) in Berlin fragte in einer Studie pflegende Angestellte und Führungskräfte aus unterschiedlichen Branchen und Unternehmen, wie sich Berufsleben und Pflege vereinbaren lassen. Stefan Reuyß, Soziologe, Gründungsmitglied und Partner am Sowitra, erläutert im Gespräch mit Ingrid Weidner, was sich die Betroffenen von ihrem Arbeitgeber wünschen.

CW: Wenn die Vereinbarkeit von Beruf und Familie diskutiert wird, geht es meistens um die Betreuung von Kindern. Wieso taucht das Thema Pflege so selten auf?

Stefan Reuyss, Sowitra: "Firmen müssen sich von der Idee des fürsorgefreien Beschäftigten verabschieden."
Foto: Privat

REUYSS: In vielen Firmen ist es noch ein Tabu, darüber zu sprechen. Fotos von seinen Kindern stellt man sich gerne auf den Schreibtisch, ein Bild eines kranken Angehörigen dagegen nicht. Pflege und die Vereinbarkeit mit dem Beruf führen leider immer noch ein Schattendasein. Außerdem fehlt es bei vielen Personalverantwortlichen an Wissen und Umsetzungsideen. Auch an ihrer Unternehmenskultur müssen viele noch arbeiten.

CW: Wie lässt sich das ändern?

REUYSS: Indem darüber gesprochen wird - mit Artikeln in der Mitarbeiterzeitung, dem Intranet oder indem Experten zu Vorträgen eingeladen werden. Unternehmen und ihre Mitarbeiter können sich so mit dem Thema vertraut machen, denn es betrifft in Zukunft immer mehr Arbeitnehmer. Firmen müssen sich von der Idee des fürsorgefreien Beschäftigten verabschieden. Es gibt bald nur noch wenige Mitarbeiter in der mittleren Lebensphase, die sich weder um eigene Kinder noch um Angehörige kümmern müssen.

CW: Sollten Betroffene mit ihren Kollegen und dem Chef darüber sprechen?

REUYSS: Ich halte es für die bessere Lösung, offen darüber zu sprechen, auch wenn es viele ungern tun. Oftmals bemerken die Vorgesetzten sowieso die Veränderung, beispielsweise wenn Fehlzeiten zunehmen oder die Arbeitsleistung nachlässt. Auch das Risiko, selbst krank zu werden, steigt für die Pflegenden.

CW: Welche Schlüsse und Empfehlungen konnten Sie aus ihrer Studie ableiten?

REUYSS: Drei Handlungsfelder haben sich herauskristallisiert: Arbeitszeit, Unternehmens- und Arbeitskultur sowie Arbeitsorganisation. Die wenigsten möchten ihren Beruf aufgeben und sich ganz der Pflege widmen. Viele sagten uns, dass der Betrieb für sie als sozialer Ort sehr wichtig ist. Viele können es sich auch finanziell nicht leisten, ganz aus dem Berufsleben auszusteigen. Daher wünschen sie sich mehr Einfluss auf die Arbeitszeitgestaltung, so dass sie beispielsweise Arbeitsbeginn und Ende frei wählen und bei Bedarf ihre Arbeitszeiten reduzieren können. Auch Verständnis von Vorgesetzten und der Kollegen ist von hoher Bedeutung.

CW: Gerade in der IT-Branche wird von vielen Arbeitnehmern erwartet, sehr flexibel und auch außerhalb der Bürozeiten erreichbar zu sein. Was empfehlen Sie in diesen Fällen?

REUYSS: Wir müssen uns sowohl von der Anwesenheitskultur als auch von der ständigen Verfügbarkeit verabschieden. Vielmehr sind Planbarkeit und verlässliche Arbeitszeiten wichtig. Mitarbeiter brauchen auch mehr Gestaltungsspielraum bei den Arbeitsinhalten. So haben sich in unserer Studie einige Führungskräfte dafür entschieden, Leitungsaufgaben wie die Personalführung abzugeben, da sie schon in der Pflege viele Aufgaben managen müssen und sich nicht noch um das Personal kümmern konnten. So ein Angebot verschiedener Maßnahmen ist ein guter Weg, um den Betroffenen Beruf und Pflege zu ermöglichen. Viele Beschäftigte können es sich auch finanziell nicht leisten, ganz aus dem Berufsleben auszusteigen.

CW: Ist Pflege eine klassische Aufgabe von Frauen?

REUYSS: Zwei Drittel der Pflege werden momentan von Frauen geleistet. Doch das ändert sich langsam, der Anteil der Männer steigt stetig an. (Ingrid Weidner)

Kompakte Informationsquelle

Der kürzlich erschienene Ratgeber "Eltern unterstützen, pflegen, versorgen" beantwortet sachlich knapp und übersichtlich alle wichtigen Fragen rund um das Thema Pflege. Gerade wenn die erwachsenen Kinder plötzlich aufgrund einer Erkrankung ihrer Eltern mit all den neuen Fragen konfrontiert werden, können sie dort nachlesen und finden viele weiterführende Adressen und Beratungsstellen. Übersichtlich aufbereitete Adress- sowie Stichwortverzeichnisse erleichtern die schnelle Suche. Auch neue Änderungen der Pflegereform haben die Autorinnen eingearbeitet. Durch das übersichtliche Layout können Interessierte ganz leicht querlesen und bei Bedarf einzelne Kapitel vertiefen.

Katharina Henrich, Aline Klett: Eltern unterstützen, pflegen, versorgen. Stiftung Warentest, Berlin 2012, 255 Seiten, 19,90 Euro.