Dass der deutsche Fußballbund durch große Innovationsfreude auffiele, wagt niemand zu behaupten. Die Organisation in relativ autarken Verbänden und die Beschäftigung zahlreicher ehrenamtlicher Mitarbeiter erschweren die Bedingungen für die Einführung neuer Techniken und Verfahren.
Tatsächlich aber hat der DFB schon 2002 einen eigenen IT-Dienstleister gegründet. Die DFB Medien ist eine hundertprozentige Tochergesellschaft mit Hauptsitz in Frankfurt am Main und einer großen Dependance in Hannover. Ihre Aufgabe ist es, Software für die Landesverbände und die DFB-Zentrale zu erstellen. Zudem betreibt sie die integrative Web-Plattform "DFBnet", über die sie die Anwendungen bereitstellt, sowie - mit Unterstützung der Telekom - die Site www.fussball.de, auf der sich 26.000 Vereine mit 180.000 Mannschaften und 6,7 Millionen Mitgliedern wiederfinden.
Sofern diese Mitglieder aktiv sind, benötigen sie einen Spielerpass. Ohne den dürfen sie bei Wettkampfspielen nicht auflaufen. Auf diesem Pass ist neben den Standarddaten des Spielers oder der Spielerin auch der Verein vermerkt, für den sie oder er aufläuft. Wechselt ein Spieler den Verein, so bekommt er einen neuen Spielerpass. Solange er den nicht hat, darf er höchstens zum Daumendrücken mit auf die Bank.
Im Normalfall muss der Verein bis heute einen Papierantrag ausfüllen, ihn mit einer Gebührenmarke versehen und zum jeweiligen Verband schicken. Der bearbeitet diesen Antrag und schickt ihn zurück an den Verein. Vor allem in den Hauptwechselperioden im Winter und Sommer dauert es Tage oder sogar Wochen, bis der Spieler das neue Dokument in den Händen hält und sein erstes Match für seinen neuen Verein bestreiten kann. Und am 30. Juni bleiben die Verbandszentralen oft bis tief in die Nacht geöffnet - um all die persönlich überbrachten Last-minute-Anträge zu bearbeiten.
Der Papierversand entfällt
Dieses langatmige Verfahren möchte der DFB abkürzen, indem er den Vereinen die Antragstellung via Internet ermöglicht. Mit der von DFB Media erstellten Applikation "Pass Online" können die Vereine alle Vorgänge, die nur Erstellung einer Spielberechtigung nötig sind, online erledigen. Sie loggen sich über http://www.dfbnet.org in die Spielerpass-Datenbank ein und melden einen neuen Spieler an beziehungsweise ändern bereits vorhandene Einträge. Dabei prüft das System die Angaben automatisch auf Vollständigkeit und Konsistenz. Zudem entfällt der Versand der Papierdokumente.
Will der Spieler den Verein wechseln, so stellt der neue Club den Antrag, und der alte wird automatisch darüber informiert. Er hat dann zwei Wochen Zeit, Einspruch zu erheben. Doch in der Zwischenzeit kann der vom Verband und dem DFB bestätigte Antrag ausgedruckt und als vorläufige Spielberechtigung genutzt werden.
Software as a Service
Das System wird von DFB Medien im Software-as-a-Service-Betrieb angeboten. Das verringert die Eintrittsbarrieren für die Clubs. Neben einem PC mit Internet-Anschluss gehört zu den Voraussetzung eigentlich nur ein Vereinskonto, über das die Gebühren eingezogen werden - statt des Verfahrens über die Gebührenmarke. Ein solches Konto gibt es allerdings noch nicht in jedem Verein.
Das System muss aber per definitionem keineswegs flächendeckend einführt werden. Vereine, die es nicht nutzen können oder wollen, lassen es einfach. Schwieriger wird es, wenn sie wollen, aber der Verband Veto einlegt. Ob das System in einem geografischen Bereich genutzt wird, entscheidet der jeweilige Landesverband. Und der kann entweder mehr oder auch weniger innovationsfreudig sein.
21 Lösungen mit eigenem Workflow
Zu denen, die der neuen Applikation positiv gegenüberstehen, gehört Michal Hurler. Wie der Vizepräsident des württembergischen Fußballverbands berichtet, war sein Zuständigkeitsbereich bereits Pilotanwender für die DFB-Medien-Anwendung "Elektronisches Postfach". Auch Pass-Online ist dort bereits seit Anfang des Jahres produktiv im Einsatz. Wie Hurler berichtet, gab es dort für denselben Zweck 21 Insellösungen mit eigenem Datenmodell und Workflow, die nun obsolet werden.
Von der neuen Applikation verspricht sich Hurler eine deutliche Beschleunigung der Passvergabe. "Wenn am Donnerstag ein neuer Spieler kommt, kann er am Samstag schon spielen", so der geschäftsführende Verbandspräsident. Darüber hinaus lasse sich der Papieraufwand deutlich verringern.
Tatsächlich hätten viele der württembergischen Vereine von sich aus nach dem elektronischen Spielerpass gefragt, sagt Hurler. Und heute nähmen bereits 40 Prozent von ihnen an dem Verfahren teil. Sie müssten sich nur sich registrieren und ihr Einverständnis zum Bankeinzugsverfahren erklären, dann erhielten sie eine Kennung. Für die gut organisierten Vereine sei das kein Problem.
Allerdings berichtet Hurler von anfänglichen Fehlfunktionen, die in den vergangen Monaten bereinigt werden mussten. Doch jetzt, während der Wechselperiode, würden bereits 20 Prozent der "einfach gelagerten Fälle" über das System laufen - und die machen immerhin rund 95 Prozent aller Vorgänge aus.
Eine massive Änderung
Wenn der Spieler einen Betrug im Sinn hat, hilft Pass-Online auch nicht, räumt Walter Desch, Präsident des Fußballverband Rheinland, ein. Das hindere seinen Verband aber keineswegs, die Lösung ebenfalls zur neuen Spielzeit ausrollen zu wollen. Denn auch er sehe die Vorteile der Lösung. Allerdings sei diese Entscheidung nicht so einfach gefallen: "Das ist eine massive Änderung, die der Zustimmung des Verbandstages bedurft hat." Diese Änderung betrifft vor allem die Verantwortung für die Richtigkeit der Daten. Sie wird aus den Verbänden in die Vereine übertragen. Das ist selbstverständlich sinnvoll, denn die Vereine kennen den jeweiligen Spieler besser als der Verband. Das heißt, sie können etwaige Schummeleien - beispielsweise hinsichtlich des Geburtsdatums - leichter entdecken. Aber gleichzeitig bedeutet es, dass die Verbände den Vereinen ein stärkeres Vertrauen entgegenbringen.
Bei internationalen Spielerwechseln nutzt die Anwendung übrigens wenig. Hierfür gibt es ein vorgelagertes Vefahren der FIFA. Aber diese Vorgänge sind deutlich in der Minderzahl.
Ein Problem der Prozesse
Das Interesse der Verbände an der Lösung sei groß, beteuert DFB-Medien-Geschäftsführer Kurt Gärtner. Allerdings sehe er noch nicht überall die organisatorischen Voraussetzungen dafür geschaffen: "Die Einführung ist ja kein Problem der Technik sondern der Prozesse." Hier muss offenbar in einigen Verbänden noch nachgearbeitet werden. Gärtner ist jedoch optimistisch: Spätestens im kommenden Jahr würden voraussichtlich alle Verbände auf den Wagen aufspringen.
Die Verbände, die sich für eine Nutzung entscheiden, haben ein Interesse daran, auch die Vereine dafür zu begeistern, denn sie müssen erst einmal für die Nutzungsgebühr gerade stehen. Aber offenbar herrscht kein Mangel an Interesse - vor allem dort nicht, wo man eventuell Zurückhaltung erwarten würde. Gerade in den ländlichen Vereinen gebe es große Online-Akzeptanz, berichtet Desch: "Dort hat man ja kaum andere Möglichkeiten."
Manche Vereine müssten aber auch zu ihrem Glück gezwungen werden. In Duisburg habe er vor Jahren die DFBnet-Spielplanung etwa 120 Staffelleitern nahe bringen wollen, von denen einige älter als 70 gewesen seien. Die hätten ihn damals "nach Strich und Faden" beschimpft, einige sogar mit Rücktritt gedroht. Ein Jahr später habe er wieder vor diesen Leuten gestanden - als plötzlich einer von ihnen aufgestanden sei und sich ausdrücklich für die Anschaffung von Computern und Internet-Anschlüssen bedankt habe. Mit den Worten: "Das ist Lebensqualität pur."
Kommentar: IT mit Gips am Bein
Manche nennen ihn "Fußball-Mafia", andere einen "Schnarchverein". Der Deutsche Fußballbund hat weder bei den Fans noch bei Unbeteiligten einen guten Ruf: Zu viele alte Männer, zu hierarchische Strukturen, zu wenig Innovationskraft. Hinsichtlich der Informationstechnik hängt der DFB dem Stand der Technik häufig um Jahre hinterher. In vielen der 26.000 deutschen Fußballvereinen wird noch mit Papier, Bleistift und Telefon gespeichert beziehungsweise kommuniziert; Computer mit Internet-Anschluss sind keineswegs gang und gäbe. Anwendungen wie der "elektronische Spielbericht", die in deutschen Großunternehmen nur ein Achselzucken oder müdes Grinsen hervorrufen, werden als revolutionäre Errungenschaft gefeiert.
Und das nicht einmal zu Unrecht. Denn die Struktur des DFB erschwert die Einführung flächendeckender Anwendungen immens. Nach außen erscheint sie klar gegliedert und zentral gesteuert. Im Innern gibt es jedoch die auch aus den Unternehmen bekannten "Fürstentümer". Die fünf Regionalverbände sind wiederum in 21 Landesverbände aufgespalten. Und jeder dieser Verbände darf selbständig entscheiden, ob er eine Applikation nutzen will oder nicht.
Das ist auch für die DFB Medien keine einfache Situation. Der 2002 gegründete IT-Dienstleister des Deutschen Fußballbunds stellt das DFBnet und die darauf basierenden Anwendungsmodule im SaaS-Modus zur Verfügung. Als hundertprozentiger Tochterbetrieb des DFB muss er zwar keine externe Konkurrenz fürchten, aber er riskiert trotzdem, dass er keine Abnehmer findet. Die Alternative heißt dann eben: Papier, Bleistift etc.
Übertragen auf ein Unternehmen sieht das in etwa so aus: Marketing und Vertrieb nutzten die Finanzsoftware von SAP, Entwicklung und Produktion schicken hingegen Faxe mit den aktuellen Zahlen an die Fibu-Abteilung. Dieses Beispiel mag hinken. Aber Tatsache ist: Die IT des DFB muss auf Krücken gehen. Karin Quack