DFB goes IT

Heute Vereinswechsel, morgen Fußball spielen

07.06.2010 von Karin Quack
Wie lassen sich Verbandssatzungen aus den 50er Jahre in moderne Web-Applikationen umsetzen? Diesen Spagat versucht DFB Medien unter anderem mit der Anwendung "Pass-Online".
Im Innern der DFB-Zentrale

Dass der deutsche Fußballbund durch große Innovationsfreude auffiele, wagt niemand zu behaupten. Die Organisation in relativ autarken Verbänden und die Beschäftigung zahlreicher ehrenamtlicher Mitarbeiter erschweren die Bedingungen für die Einführung neuer Techniken und Verfahren.

Tatsächlich aber hat der DFB schon 2002 einen eigenen IT-Dienstleister gegründet. Die DFB Medien ist eine hundertprozentige Tochergesellschaft mit Hauptsitz in Frankfurt am Main und einer großen Dependance in Hannover. Ihre Aufgabe ist es, Software für die Landesverbände und die DFB-Zentrale zu erstellen. Zudem betreibt sie die integrative Web-Plattform "DFBnet", über die sie die Anwendungen bereitstellt, sowie - mit Unterstützung der Telekom - die Site www.fussball.de, auf der sich 26.000 Vereine mit 180.000 Mannschaften und 6,7 Millionen Mitgliedern wiederfinden.

Sofern diese Mitglieder aktiv sind, benötigen sie einen Spielerpass. Ohne den dürfen sie bei Wettkampfspielen nicht auflaufen. Auf diesem Pass ist neben den Standarddaten des Spielers oder der Spielerin auch der Verein vermerkt, für den sie oder er aufläuft. Wechselt ein Spieler den Verein, so bekommt er einen neuen Spielerpass. Solange er den nicht hat, darf er höchstens zum Daumendrücken mit auf die Bank.

Im Normalfall muss der Verein bis heute einen Papierantrag ausfüllen, ihn mit einer Gebührenmarke versehen und zum jeweiligen Verband schicken. Der bearbeitet diesen Antrag und schickt ihn zurück an den Verein. Vor allem in den Hauptwechselperioden im Winter und Sommer dauert es Tage oder sogar Wochen, bis der Spieler das neue Dokument in den Händen hält und sein erstes Match für seinen neuen Verein bestreiten kann. Und am 30. Juni bleiben die Verbandszentralen oft bis tief in die Nacht geöffnet - um all die persönlich überbrachten Last-minute-Anträge zu bearbeiten.

WM-Favorit
Christine Künne, IT- und KT-Leiterin, Jowat
"Ich denke, in diesem Jahr ist Spanien mal dran. Die waren noch nie Weltmeister. Außerdem möchte ich persönlich mir möglichst oft Fernando Torres ansehen. Leider wird das deutsche Team wohl im Halbfinale rausfliegen. Es ist zwar bekannt als typische Turniermannschaft. Aber durch den Ausfall von Adler und Ballack ist es etwas geschwächt. Ich möchte aber, dass es bis ins Halbfinale kommt, damit ich zumindest dahin regelmäßig am "Public Viewing" teilnehmen kann."
Matthias Karlshaus, Operations & Projekte, Sal. Oppenheim
"Weltmeister wird Spanien; spielen den schnellsten und taktisch besten Konzeptfußball. Deutschland scheidet im Viertelfinale aus. Dahin kommt die Mannschaft mit guter Taktik von Jogi Löw, aber dann reicht die individuelle Klasse nicht mehr aus."
Reinhard Clemens, Geschäftsführer T-Systems
"Mein Favorit ist Spanien. Die Spanier haben eine geschlossene Teamleistung schon beim Erreichen der Europameisterschaft abgeliefert. Trotz toller Einzelspieler ist das Team der Star. Für das deutsche Team kann es zum Halbfinale reichen, aber alles darüber hinaus wäre ein sehr überraschender Erfolg. Das Fehlen von Leistungsträgern ist bei einem weltweit hohen Niveau kaum zu kompensieren."
Thomas Hemmerling-Böhmer, Leiter IT, Karl Storz
"Die Elfenbeinküste wird gewinnen. Die Vorrundengruppe G ist zwar sehr stark. Aber Brasilien wird mit den ungewohnt kalten Temperaturen nicht zurecht kommen. Dadurch übersteht die Elfenbeinküste die Gruppenphase und gerät in einen Lauf, der nicht mehr aufzuhalten ist. Es wird endlich Zeit für einen afrikanischen Weltmeister. Immerhin wurde auch die letzte Afrikameisterschaft von einem afrikanischen Team gewonnen ;-) Das deutsche Team landet … zunächst in Johannesburg und dann wieder in Frankfurt, nachdem es im Viertelfinale rausgeflogen ist."
Wolfgang Gaertner, CIO Core Banking, Deutsche Bank
"Frankreich wird Weltmeister. Denn diesmal lassen sich die Spieler nicht provozieren. Außerdem freuen wir uns auf die Superstimmung, wenn wir im Sommer an den Atlantik fahren. Das deutsche Team kommt wieder ins Finale, erreicht also Platz 2. Dort gibt es genug coole junge Spieler. Und 2014 in Brasilien schaffen sie es."
Ohlaf Röper, Leiter IS, Uhde
"Spanien wird gewinnen. Nach der jahrzehntelangen ausschließlichen Fixierung der spanischen Spieler auf eine - jeweils übergroße und berühmte - Vereinsmannschaft gelang es 2008 erstmals, dieses ganze riesige Potenzial in eine Nationalmannschaft zu projizieren. Die Spanier sind nicht wie andere auf das Provozieren von Fouls und Schinden von Frei- und Strafstößen angewiesen. Deutschland wird leider das Viertelfinale nicht überstehen. Irgendwie drängt sich mir der Eindruck auf, dass das Turnier beim Trainer und einigen Schlüsselspielern nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit erfährt. Sommermärchen fallen nicht vom Himmel, schon gar nicht regelmäßig."
Stafanie Kemp, Group Information Officer, Vorwerk
"Weltmeister wird Deutschland. Na wer denn sonst! Was mich da so sicher macht? Nichts, aber das ist immer ein guter Tipp."
Volker Smid, Deutschlandchef, HP
"Geht man nach dem Gesetz der Serie, dann wird keine europäische Mannschaft den Titel erringen (außerhalb Europas wurde seit 1930 nie ein europäisches Land Fußball-Weltmeister, Anm.d.Red.) Ich denke, dass eine südamerikanische Mannschaft Weltmeister wird. Und da favorisiere ich Argentinien. Maradonas Team verfügt über außergewöhnliche Spieler. Zu nennen wären hier nebem dem Weltfußballer Lionel Messi Spieler wie Carlos Tévez, Diego Milito oder Gonzalo Higuain . Allein diese vier stehen für den wahrscheinlich weltbesten Sturm – Albtraum jeder Verteidigung. Aber es gibt für mich zwei Geheimfavoriten. zum einen die Niederlande, die ích für sehr stark halte. Vielleicht erleben wir aber auch eine Überraschung der besonderen Art. Das Wetter, ein hochmotivierter Coach und die lange "Durststrecke" könnte - nach 44 Jahren - durchaus wieder einmal den Engländern in die Karten spielen. Was die deutsche Mannschaft betrifft, so wünsche ich dem Team und uns allen eine WM, die Spaß macht."
Karl-Heinz Streibich, CEO Software AG
"Deutschland wird Weltmeister, denn das ist eine spielstarke Mannschaft, die ihre Fähigkeiten gerade im Turnier entwickelt - wie sich bei der letzten Weltmeisterschaft gezeigt hat. Obwohl es bei der diesjährigen WM mit vielen neuen Spielern an den Start geht, wird dieses Team den nötigen Spielgeist gerade rechtzeitig abrufen. Wenn erfahrene Spieler wie Michael Ballack verletzungsbedingt ausfallen, bedeutet das ja auf der anderen Seite, dass sich für Nachwuchsnationalspieler neue Chancen ergeben. Und die werden sie sich nicht entgehen lassen. Der zweite Favorit ist Spanien. Das ist auch eine spielstarke Mannschaft mit einer Reihe von Weltstars."
Bernd Hilgenberg, CIO, Fressnapf
"Argentinien wird Weltmeister. Zur Begründung wäre der derzeit beste Fussballer der Welt anzuführen: Lionel Messi, ein argentinischer Fußballspieler in Diensten des FC Barcelona. Er wurde 2009 sowohl zu Europas Fußballer des Jahres als auch zum Weltfußballer des Jahres gewählt. Auch sonst ist diese Mannschaft mit Spielern aus den europäischen Top-Ligen gespickt. Das deutsche Team wird das Viertelfinale erreichen und dann ausscheiden. Es wird ein gutes Turnier spielen, allerdings wird es nicht zu Sieg reichen, da Mannschaften wie Spanien, Brasilien, Argentinien und auch Italien in der Spielanlage eine Spur weiter sind."
Uwe Siller, KI/IV/Organisation, Bitburger
"Deutschland wird Weltmeister, weil es dazu mal wieder Zeit wird und ich Lust auf ein neues Sommermärchen habe."
Eirch Ehbauer, CIO, Apollo Optik
"Dieses Mal tippe ich auf Spanien. Die haben mich bei der Europameisterschaft überzeugt und sind sehr eingespielt. Das deutsche Team schafft es wieder ins Halbfinale, das war's dann. Sicher bin ich mir aber nicht, es wird bestimmt wieder Überraschungen geben. Falls ich diesmal wieder richtig liege, biete ich meine Dienste als Wahrsager an, dann kann es kein Zufall sein." (Anmerkung der Redaktion: Ehbauer war vor vier Jahren der Einzige, der auf Italien setzte.)
Michael Kranz, CIO, Krones
"Weltmeister wird Deutschland, weil der Mut von Joachim Löw, jungen Spielern eine Chance zu geben, belohnt werden wird. Nach dem Ausfall von Michael Ballack gilt außerdem: Jetzt erst recht!"

Der Papierversand entfällt

Dieses langatmige Verfahren möchte der DFB abkürzen, indem er den Vereinen die Antragstellung via Internet ermöglicht. Mit der von DFB Media erstellten Applikation "Pass Online" können die Vereine alle Vorgänge, die nur Erstellung einer Spielberechtigung nötig sind, online erledigen. Sie loggen sich über http://www.dfbnet.org in die Spielerpass-Datenbank ein und melden einen neuen Spieler an beziehungsweise ändern bereits vorhandene Einträge. Dabei prüft das System die Angaben automatisch auf Vollständigkeit und Konsistenz. Zudem entfällt der Versand der Papierdokumente.

Will der Spieler den Verein wechseln, so stellt der neue Club den Antrag, und der alte wird automatisch darüber informiert. Er hat dann zwei Wochen Zeit, Einspruch zu erheben. Doch in der Zwischenzeit kann der vom Verband und dem DFB bestätigte Antrag ausgedruckt und als vorläufige Spielberechtigung genutzt werden.

Software as a Service

Das System wird von DFB Medien im Software-as-a-Service-Betrieb angeboten. Das verringert die Eintrittsbarrieren für die Clubs. Neben einem PC mit Internet-Anschluss gehört zu den Voraussetzung eigentlich nur ein Vereinskonto, über das die Gebühren eingezogen werden - statt des Verfahrens über die Gebührenmarke. Ein solches Konto gibt es allerdings noch nicht in jedem Verein.

Das System muss aber per definitionem keineswegs flächendeckend einführt werden. Vereine, die es nicht nutzen können oder wollen, lassen es einfach. Schwieriger wird es, wenn sie wollen, aber der Verband Veto einlegt. Ob das System in einem geografischen Bereich genutzt wird, entscheidet der jeweilige Landesverband. Und der kann entweder mehr oder auch weniger innovationsfreudig sein.

21 Lösungen mit eigenem Workflow

Zu denen, die der neuen Applikation positiv gegenüberstehen, gehört Michal Hurler. Wie der Vizepräsident des württembergischen Fußballverbands berichtet, war sein Zuständigkeitsbereich bereits Pilotanwender für die DFB-Medien-Anwendung "Elektronisches Postfach". Auch Pass-Online ist dort bereits seit Anfang des Jahres produktiv im Einsatz. Wie Hurler berichtet, gab es dort für denselben Zweck 21 Insellösungen mit eigenem Datenmodell und Workflow, die nun obsolet werden.

Von der neuen Applikation verspricht sich Hurler eine deutliche Beschleunigung der Passvergabe. "Wenn am Donnerstag ein neuer Spieler kommt, kann er am Samstag schon spielen", so der geschäftsführende Verbandspräsident. Darüber hinaus lasse sich der Papieraufwand deutlich verringern.

Tatsächlich hätten viele der württembergischen Vereine von sich aus nach dem elektronischen Spielerpass gefragt, sagt Hurler. Und heute nähmen bereits 40 Prozent von ihnen an dem Verfahren teil. Sie müssten sich nur sich registrieren und ihr Einverständnis zum Bankeinzugsverfahren erklären, dann erhielten sie eine Kennung. Für die gut organisierten Vereine sei das kein Problem.

Allerdings berichtet Hurler von anfänglichen Fehlfunktionen, die in den vergangen Monaten bereinigt werden mussten. Doch jetzt, während der Wechselperiode, würden bereits 20 Prozent der "einfach gelagerten Fälle" über das System laufen - und die machen immerhin rund 95 Prozent aller Vorgänge aus.

Eine massive Änderung

Walter Desch, Fußballverband Rheinland

Wenn der Spieler einen Betrug im Sinn hat, hilft Pass-Online auch nicht, räumt Walter Desch, Präsident des Fußballverband Rheinland, ein. Das hindere seinen Verband aber keineswegs, die Lösung ebenfalls zur neuen Spielzeit ausrollen zu wollen. Denn auch er sehe die Vorteile der Lösung. Allerdings sei diese Entscheidung nicht so einfach gefallen: "Das ist eine massive Änderung, die der Zustimmung des Verbandstages bedurft hat." Diese Änderung betrifft vor allem die Verantwortung für die Richtigkeit der Daten. Sie wird aus den Verbänden in die Vereine übertragen. Das ist selbstverständlich sinnvoll, denn die Vereine kennen den jeweiligen Spieler besser als der Verband. Das heißt, sie können etwaige Schummeleien - beispielsweise hinsichtlich des Geburtsdatums - leichter entdecken. Aber gleichzeitig bedeutet es, dass die Verbände den Vereinen ein stärkeres Vertrauen entgegenbringen.

Bei internationalen Spielerwechseln nutzt die Anwendung übrigens wenig. Hierfür gibt es ein vorgelagertes Vefahren der FIFA. Aber diese Vorgänge sind deutlich in der Minderzahl.

Ein Problem der Prozesse

Das Interesse der Verbände an der Lösung sei groß, beteuert DFB-Medien-Geschäftsführer Kurt Gärtner. Allerdings sehe er noch nicht überall die organisatorischen Voraussetzungen dafür geschaffen: "Die Einführung ist ja kein Problem der Technik sondern der Prozesse." Hier muss offenbar in einigen Verbänden noch nachgearbeitet werden. Gärtner ist jedoch optimistisch: Spätestens im kommenden Jahr würden voraussichtlich alle Verbände auf den Wagen aufspringen.

Die Verbände, die sich für eine Nutzung entscheiden, haben ein Interesse daran, auch die Vereine dafür zu begeistern, denn sie müssen erst einmal für die Nutzungsgebühr gerade stehen. Aber offenbar herrscht kein Mangel an Interesse - vor allem dort nicht, wo man eventuell Zurückhaltung erwarten würde. Gerade in den ländlichen Vereinen gebe es große Online-Akzeptanz, berichtet Desch: "Dort hat man ja kaum andere Möglichkeiten."

Manche Vereine müssten aber auch zu ihrem Glück gezwungen werden. In Duisburg habe er vor Jahren die DFBnet-Spielplanung etwa 120 Staffelleitern nahe bringen wollen, von denen einige älter als 70 gewesen seien. Die hätten ihn damals "nach Strich und Faden" beschimpft, einige sogar mit Rücktritt gedroht. Ein Jahr später habe er wieder vor diesen Leuten gestanden - als plötzlich einer von ihnen aufgestanden sei und sich ausdrücklich für die Anschaffung von Computern und Internet-Anschlüssen bedankt habe. Mit den Worten: "Das ist Lebensqualität pur."

Kommentar: IT mit Gips am Bein

CW-Redakteurin Karin Quack

Manche nennen ihn "Fußball-Mafia", andere einen "Schnarchverein". Der Deutsche Fußballbund hat weder bei den Fans noch bei Unbeteiligten einen guten Ruf: Zu viele alte Männer, zu hierarchische Strukturen, zu wenig Innovationskraft. Hinsichtlich der Informationstechnik hängt der DFB dem Stand der Technik häufig um Jahre hinterher. In vielen der 26.000 deutschen Fußballvereinen wird noch mit Papier, Bleistift und Telefon gespeichert beziehungsweise kommuniziert; Computer mit Internet-Anschluss sind keineswegs gang und gäbe. Anwendungen wie der "elektronische Spielbericht", die in deutschen Großunternehmen nur ein Achselzucken oder müdes Grinsen hervorrufen, werden als revolutionäre Errungenschaft gefeiert.

Und das nicht einmal zu Unrecht. Denn die Struktur des DFB erschwert die Einführung flächendeckender Anwendungen immens. Nach außen erscheint sie klar gegliedert und zentral gesteuert. Im Innern gibt es jedoch die auch aus den Unternehmen bekannten "Fürstentümer". Die fünf Regionalverbände sind wiederum in 21 Landesverbände aufgespalten. Und jeder dieser Verbände darf selbständig entscheiden, ob er eine Applikation nutzen will oder nicht.

Das ist auch für die DFB Medien keine einfache Situation. Der 2002 gegründete IT-Dienstleister des Deutschen Fußballbunds stellt das DFBnet und die darauf basierenden Anwendungsmodule im SaaS-Modus zur Verfügung. Als hundertprozentiger Tochterbetrieb des DFB muss er zwar keine externe Konkurrenz fürchten, aber er riskiert trotzdem, dass er keine Abnehmer findet. Die Alternative heißt dann eben: Papier, Bleistift etc.

Übertragen auf ein Unternehmen sieht das in etwa so aus: Marketing und Vertrieb nutzten die Finanzsoftware von SAP, Entwicklung und Produktion schicken hingegen Faxe mit den aktuellen Zahlen an die Fibu-Abteilung. Dieses Beispiel mag hinken. Aber Tatsache ist: Die IT des DFB muss auf Krücken gehen. Karin Quack