DHS: Project Hostile Intent

Heimatschutz: Lassen US-Überwacher alle Hemmungen fallen?

31.01.2008 von Katharina Friedmann
Das US-Department of Homeland Security (DHS) finanziert futuristische Techniken, um Reisende bis in die intimsten Details durchzuchecken.

Wir schreiben das Jahr 2012: Sobald Sie ein Flughafengebäude betreten, werden Sie von Maschinen beobachtet. Sind Sie ein Tourist – oder ein Terrorist, der sich als Urlauber tarnt? Noch während Sie die Fragen der Sicherheitskontrolleure beantworten, beginnen die Systeme, Sie abzuchecken. Dabei speist ein ganzes Bündel von Sensoren – Video, Audio, Laser, Infrarot – eine Flut von Echtzeitdaten zu Ihrer Person in einen Computer ein, der über spezielle Algorithmen zur Erkennung verdächtiger Individuen verfügt.

Das System deutet Ihre Gesten und Mimik, analysiert Ihre Stimme und sondiert Ihren ganzen Körper, um Temperatur, Pulsrate, Atmung, Schweißbildung und andere physiologische Merkmale zu bestimmen – all das, um herauszufinden, ob Sie eventuell Täuschungsabsichten hegen. Wer den Test nicht besteht, wird beiseite genommen und aggressiveren Befragungen und Durchsuchungen unterzogen.

Klingt wie Science Fiction – ist es aber nicht

Es handelt sich hierbei nicht etwa um vage Zukunftsvisionen: Die US-Heimatschutzbehörde DHS ist einem Bericht der CW-Schwesterpublikation "Computerworld" zufolge bereits emsig dabei, dieses futuristisch anmutende Szenario Wirklichkeit werden zu lassen.

Seit die DHS-Abteilung Human Factors im Juli vergangenen Jahres Forscher mit der Entwicklung von Techniken für das "Project Hostile Intent" beauftragte, ist das Interesse an - wie es einige Wissenschaftler nennen - "Behavioral Profiling" (das DHS spricht hier lieber von der "Einschätzung kulturell neutraler Verhaltensweisen") zur Aufdeckung von Täuschungsversuchen gestiegen. Das Projekt widmet sich der Entwicklung von Systemen, die verhaltensspezifische und physiologische, mit Täuschung assoziierte Schlüsselmerkmale automatisch identifizieren und analysieren. Es ist Teil einer größeren Initiative namens "Future Attribute Screening Technologies Mobile Module" mit dem Ziel, eigenständige automatisierte Screening-Systeme zu kreieren, die tragbar und verhältnismäßig leicht zu implementieren sind.

Die amerikanische Heimatschutzbehörde hegt aggressive Pläne für die Technik: Bereits in diesem Frühjahr ist eine erste Demo für die ihr angeschlossene Verkehrsverwaltungsbehörde TSA (Transportation Security Administration) geplant, im Jahr 2010 sollen dann Testeinsätze folgen. Bis 2012 hofft die US-Behörde, den Startschuss für den Rollout der Systeme etwa an Flughäfen und Grenzübergängen geben zu können.

Im Erfolgsfall ließe sich die Technik auch im Privatsektor verwenden – etwa als Zugangskontrolle in Gebäuden oder auch für Bewerbungsgespräche. Skeptikern zufolge dürfte die für ein solches System erforderliche Entwicklungszeit jedoch ungleich länger dauern als der vom DHS angesetzte Zeitrahmen – wenn es überhaupt jemals funktionsfähig wird. "Es ist eine technisch gute Idee – voller Haken", meint etwa Bruce Schneier, Chief Technology Officer (CTO) bei dem auf Sicherheit spezialisierten Beratungsunternehmen BT Counterpane. Zwar sei es tatsächlich sinnvoller, sich auf verdächtige Personen als auf suspekte Objekte zu konzentrieren - immerhin ließen sich die seit 30 Jahren zu Screening-Zwecken an Flughäfen eingesetzten Magnetometer unschwer außer Gefecht setzen. Die für das DHS-Projekt benötigte Technik brauche jedoch mindestens noch 15 Jahre, wirft Schneier ein. "Bislang beherrschen wir ja nicht einmal die Gesichtserkennung."

Laut Sharla Rausch, Director der DHS-Abteilung Human Factors, zieht die Behörde jedoch bereits positive Resultate: So liege die unter Laborbedingungen erzielte Präzisionsrate derzeit zwischen 78 und 81 Prozent. In einem operativen Szenario müsse die Trefferquote natürlich höher liegen, räumt Rausch ein.

Die Forschungsaktivitäten konzentrieren sich auf drei Kernbereiche. Dabei handelt es sich zum einen um die Erkennung von Gesten und "Microfacial Expressions", sprich: minimale Veränderungen in der Mimik, die nur für den Bruchteil einer Sekunde in einem Gesicht wahrzunehmen sind. Zum anderen werden Variationen in der Stimmlage und -lautstärke als mögliche Indikatoren für Unaufrichtigkeit analysiert. Des Weiteren beschäftigen sich die vom DHS beauftragten Forscher mit der Messung physiologischer Merkmale wie Blutdruck, Pulsrate, Hautfeuchtigkeit und Atmung, wie sie traditionell mit Lügendetektoren assoziiert werden.

Anhand der Kombination dieser Faktoren hofft das DHS, Trefferquoten zu erzielen, die über die eines Lügendetektors hinausgehen. Damit liegt die Messlatte allerdings nicht allzu hoch, denn die Zuverlässigkeit von Polygraphen wird von Wissenschaftlern seit jeher in Frage gestellt. Trotz Jahrzehnte langem Fine-Tuning sind die von Lügendetektoren erzeugten Testergebnisse vor Gericht nach wie vor unzulässig und nach Meinung von Experten in hohem Maß von den Fähigkeiten des jeweiligen Prüfers abhängig. Security-Experte Schneier geht hier sogar noch weiter: Polygraphen basierten auf "Fake"-Technik, die lediglich in Kinofilmen funktioniere und sich auch dort nur deshalb halten könne, weil die Leute wollten, dass sie funktioniere.

Selbst die Annahme, dass die Kombination der Ergebnisse aus den drei aufgeführten Bereichen eine höhere Trefferquote ergeben könnte, ist noch nicht überprüft: Laut Rausch gibt es in der Forschung keinerlei Hinweise darauf, dass diese Faktoren jemals kombiniert worden sind.

Lügen hören

Ein ganzes Heer von Forschern bastelt mittlerweile an den Teilen des Hostile-Intent-Puzzles. Julia Hirschberg, Professorin für Informatik an der Columbia University, versucht beispielsweise zu ergründen, inwieweit sich die Täuschungsversuche eines Lügners anhand von variierenden Sprachmerkmalen aufdecken lassen. Bislang sollen bereits 250 akustische, lexikalische und die Intonation betreffende Besonderheiten identifiziert worden sein, die auf die Unaufrichtigkeit einer Person hindeuten könnten. Die Treffgenauigkeit liegt derzeit bei 67 Prozent. "Nicht wirklich umwerfend", räumt Hirschberg ein - aber immer noch besser als bloße menschliche Beobachtung, behauptet die Wissenschaftlerin.

Nun basieren diese Ergebnisse auf Experimenten unter Laborbedingungen, bei denen die Probanden bei jeder Lüge ein Pedal drücken müssen und maschinell lernende Systeme die Resultate liefern, was laut Hirschberg "nicht ideal" ist. Hinzu kommt, dass die Trefferquote beim Erkennen von Täuschungsversuchen je nach kulturellem Hintergrund und Art der Persönlichkeit variiert. Bislang will die Forscherin vier oder fünf Persönlichkeitsarten identifiziert haben, die die Interpretation der Ergebnisse beeinflussen können. Selbst wenn die Berücksichtigung des jeweiligen Typus die Trefferquote erhöhen mag (gesetzt den Fall, der jeweilige Typus lässt sich identifizieren) - ist zu bezweifeln, ob die Prüfer an Flughäfen oder Grenzübergängen über den hierzu erforderlichen Einblick verfügen.

Verräterische Gesten und Gesichtsausdrücke

Die Forschungsaktivitäten von Dimitris Metaxas, Informatikprofessor an der Rutgers University, werden vom DHS und der dem US-Außenministerium angeschlossenen Defense Academy for Credibility Assessment (DACA) finanziert. Sein Auftrag lautet, mittels Technik die Bedeutung kaum wahrnehmbarer Gesichtsausdrücke (Microfacial Expressions) und Gesten zu ergründen und zu analysieren. "Ich versuche, Gesichtsausdrücke und Körperbewegungen zu finden, die nicht der Norm entsprechen und sich möglicherweise mit Täuschungsversuchen assoziieren lassen", berichtet der Wissenschaftler. Dabei geht es primär um Bewegungen etwa von Augenbrauen und Mund sowie Kopf und Schultern. Genauer wollte er nicht werden - die Indikatoren seines Interesses sollen geheim gehalten werden. Auch seine Kollegin Rausch legt hier Wert auf Diskretion: Obwohl sie der Überzeugung ist, dass "Microfacial Expressions" unfreiwillig auftreten, soll die Art der vom DHS gemessenen Gesichtsausdrücke nicht preisgegeben werden – nur für den Fall…

Einwände und Hindernisse

Skeptikern zufolge wird ein Technik-basierendes System zur Interpretation von Gesichtsausdrücken niemals funktionieren. Die Ekman Group hat TSA-Personal in Verfahren geschult, die dabei helfen sollen, die Minimalveränderungen in der Mimik zu erkennen und zu deuten. Laut John Yuille, Director der Ekman Group, lässt sich diese Disziplin, bei der es sich um eine "Sozialwissenschaft" handle, nicht automatisieren. Gesichtsausdrücke könnten lediglich Hinweise auf Unaufrichtigkeit geben, erforderten dann aber "menschliches Interpretieren". "Unsere Methodik lässt sich durch technische Intervention nicht verbessern", statuiert Yuille.

Technik sei derzeit nicht das seine Forschungsarbeiten ausbremsende Problem, entgegnet Metaxas, der die Basistechnik zur Gesichtsuntersuchung bereits realisiert haben will: So sollen damit ausgestattete Kameras, bis zu 2,7 Meter von der Testperson entfernt, bereits Präzisionsraten zwischen 70 und 80 Prozent liefern. Eine Herausforderung sei vielmehr die Optimierung der Algorithmen, die diese Gesichtsausdrücke in Bezug zu Täuschungsabsichten setzen. Dazu benötige er mehr Informationen von Psychologen.

Aber selbst die Theorien, nach denen diese Gesichtsausdrücke mit versuchter Täuschung in Zusammenhang stehen, stützen sich bislang auf rein akademische Untersuchungen, die zwar im Labor getestet, nicht aber unter Realbedingungen belegt worden sind.

Hinzu kommt, dass Regeln im jeweils richtigen Kontext anzuwenden sind. So gilt es laut Hirschberg, einen Gesichtsausdruck im Zusammenhang mit dem zeitgleich Gesprochenen zu sehen und dessen Bedeutung dann richtig zu interpretieren. Darüber hinaus müsse das System in der Lage sein, Unstimmigkeiten zwischen einem Gesichtsausdruck (einer Geste) und dem Gesagten zu bestimmen – eine Aufgabe, die "für einen Computer sehr schwer zu bewältigen ist", klärt die Wissenschaftlerin auf. Aus diesem Grund erfolge dieser Abgleich im Labor bislang manuell.

Für das Fine-Tuning der Algorithmen holte sich Metaxas Unterstützung von Judee Burgeon, Professorin für Communications, Family Studies und menschliche Entwicklung an der University of Arizona. Ihr zufolge mangelt es in diesem Kontext an tiefer gehender Forschung. Nicht erwiesen sei beispielsweise, ob Gesichtsausdrücke den unterschwelligen Emotionen entsprechen beziehungsweise inwieweit sich diese Gefühlszustände auf Täuschungsversuche beziehen.

Verhaltensbasierendes oder ethnisches Profiling?

Nach Meinung von Experten sind Indikatoren für Täuschung oder Betrug zudem stark kulturabhängig. Eine Analyse, die diesen Aspekt vernachlässigt, würde demnach weniger zu einem verhaltensbasierenden, als vielmehr zu einem ethnischen Profiling führen. Dabei sollen die anvisierten Analyseautomaten gerade dazu dienen, die Voreingenommenheit der menschlichen Entscheidungsfindung zu eliminieren.

Tatsächlich ist die Entwicklung "kulturell neutraler" Indikatoren erklärtes Ziel des Project Hostile Intent. Rausch ist davon überzeugt, dass sich universelle kulturübergreifende Micro-Gesichtsausdrücke und andere Faktoren identifizieren lassen – wann auch wohl nicht mehr rechtzeitig für die ersten Demonstrationssysteme. Bis 2010 werde das DHS jedoch über Maschinen verfügen, die lediglich auf kulturneutrale Indikatoren hin testen, versichert Rausch.

Für Metaxas gilt es nun, die grundsätzliche These zu beweisen, dass Microexpressions und Täuschung in Bezug zueinander stehen. Dazu sind allerdings weitere Tests mit echten Befragungen erforderlich, was nicht leicht ist. Datenschutz- und Sicherheitsbedenken haben Metaxas und andere Forscher bislang davon abgehalten, etwa an Flughäfen Verhöre zu überwachen oder vorzunehmen. Selbst das DHS sehe sich bei diesbezüglichen Feldtests mit Hindernissen konfrontiert, räumt Rausch ein. Ein weiteres Problem unter Realbedingungen: "Man weiß nie wirklich, wann eine Person lügt."

Für BT-CTO Schneier kann das Project Hostile Intent kein Patentrezept zum Schutz vor Terrorismus sein - selbst wenn es letztendlich erfolgreich sein sollte. Das Risiko lasse sich zwar reduzieren, nicht aber eliminieren. "Wenn wir die perfekte Sicherheit in Flughäfen erreicht hätten, würden Terroristen eben Einkaufszentren bombardieren", gibt Schneier zu bedenken.

"Wir werden keine Terroristen schnappen, sondern viele unschuldige Menschen", befürchtet Barry Steinhardt, Director des Technology and Liberty Project bei der American Civil Liberties Union. Für ihn bergen die vom DHS anvisierten Mechanismen zum Passenger-Screening die Gefahr, dass sich insbesondere ethnische Minderheiten in einem Netz aus Verdacht und Misstrauen verfangen. Anlass zu echter Sorge sieht Steinhardt jedoch vorerst nicht. Das Project Hostile Intent sei lediglich das jüngste Beispiel für eine lange Liste ebenso kostspieliger wie gescheiterter Initiativen von Seiten der Heimatschutzbehörde und der TSA. "Hunderte von Milliarden Dollar" seien seit den Terroranschlägen im September 2001 auf diese Weise verschwendet worden. (kf)