Windel mit Sensor und mehr

Hartmann wird zum digitalen Lösungsanbieter

05.11.2020 von Wolfgang Herrmann
Für ihre digitale Transformation hat sich die Hartmann Gruppe ehrgeizige Ziele gesteckt. Eine Gesundheitsplattform auf Basis von Cloud-Technologien spielt dabei eine zentrale Rolle.
CIO Sinanudin Omerhodzic definierte neue Rollen für die IT-Organisation der Hartmann Gruppe.
Foto: Paul Hartmann AG

Die "digitale Transformationsreise" des Traditionsunternehmens aus Heidenheim begann 2017. Das Ziel: Hartmann will als "Digital Solution Leader" in den Bereichen Desinfektion, Wund- und Inkontinenzmanagement wahrgenommen werden. Die IT-Organisation soll sich dabei zur treibenden Kraft entwickeln. CIO Sinanudin Omerhodzic setzt vier Schwerpunkte auf diesem Weg: Er will die Innovationsfähigkeit steigern, produktorientierte "High-Performance Teams" entwickeln, eine digitale Gesundheitsplattform implementieren und digitales Know-how aufbauen. Mit dem Transformationsprogramm bewarb sich die Hartmann Gruppe beim DIGITAL LEADER AWARD 2020. Das Team um Omerhodzic, der inzwischen CIO von Aldi Nord ist, konnte damit den zweiten Platz in der Kategorie STRATEGY erringen.

Die digitale Plattform adressiert mehrere Problemfelder, die das Kerngeschäft des Unternehmens betreffen. Im Bereich Desinfektion geht es beispielsweise darum, Infektionen rechtzeitig zu erkennen und Ausbrüche zu vermeiden. In diesem Kontext entstand die Software EPIDIS, die nosokomiale Infektionen (Krankenhausinfektionen) mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) frühzeitig identifizieren und davor warnen soll. Auch im Bereich Wundmanagement setzt das Unternehmen auf KI, um etwa eine dedizierte Wunddokumentation stationär wie auch ambulant zu ermöglichen.

Entlastung für das Pflegepersonal

Beim Thema Inkontinenzmanagement lautet das wichtigste Ziel, das Pflegepersonal in den Einrichtungen zu entlasten. Alle zwei Stunden müssen Pflegekräfte überprüfen, ob das Inkontinenzprodukt eines erkrankten Bewohners gewechselt werden muss, auch nachts. Hartmann untersucht deshalb den Einsatz von Sensoren, die einen notwendigen Wechsel des Inkontinenzprodukts anzeigen und damit dem Personal Arbeit ersparen. Auch der Materialeinsatz lässt sich auf diese Weise optimieren.

Hohe Prozesskosten gehören im Krankenhausumfeld generell zu den größten Herausforderungen. Um hier Verbesserungen zu erzielen, entwickelte Hartmann unter anderem "digitale Schränke", die das darin gelagerte medizinische Material automatisch nachbestellen, wenn ein definierter Mindestbestand unterschritten wird. Neben einer Senkung der Prozesskosten führt dies dazu, dass medizinische Produkte zeit- und mengengerecht verfügbar sind.

Technisch basiert die Gesundheitsplattform auf Microsoft Azure. Die interne IT nutzt sie für Anwendungen wie die "digitale Windel" und die KI-gestützte Wundbewertung. Neben KI kommen auch Data-Analytics- und IoT-Technologien zum Einsatz. Die Hartmann Gruppe arbeitet mit einer Reihe von Technologielieferanten zusammen, darunter SAP, Siemens und Microsoft. Darüber hinaus kooperiert das Unternehmen mit Startups, die beispielsweise bei der Entwicklung der digitalen Windel unterstützt haben.

Neue Rollen in der IT

Zur Transformation gehören auch Veränderungen in der IT-Organisation. Zwar bildet die sogenannte "robuste IT" weiterhin das Fundament zum Planen, Bauen und Betreiben von IT-Systemen, wie der CIO erläutert. Doch sie wird schrittweise ergänzt um eine "agile IT". Um die beiden Pole zu verbinden, definierte Hartmann drei neue Rollen.

So gibt es nun den "Technology Leader Market", der über umfangreiche Marktkenntnisse verfügt und diese der IT vermittelt, um Innovationen voranzutreiben. Der "Technology Leader Scout" sucht systematisch nach neuen Technologien und befeuert auf diese Weise den digitalen Wandel. Last, but not least sorgt der "Technology Leader Process" für eine kontinuierliche Verbesserung der internen Prozesse. Die drei Rollen bilden das "Hartmann OneIT Team". Sie stehen in engem Austausch und tragen dazu bei, dass sich die IT insgesamt zum digitalen Wegbereiter im Unternehmen entwickelt.

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die Mentalität der Mitarbeiter. Hartmann will weg von einem Mindset nach dem Motto: "We must change". Stattdessen soll die Devise künftig lauten: "We want to change". Um das zu erreichen, setzte das Management ein umfangreiches Change-Management-Programm auf. Dazu gehören insbesondere Schulungsmaßnahmen zu den Themen Digitalisierung und den neuen Rollen in der IT.

Erste Erfolge können sich sehen lassen. Nach Angaben der Protagonisten hat sich beispielsweise die Kooperation mit Partnern wie SAP verbessert. Mit dem Projekt "Saving Patient Lives with SAP Data Intelligence" wurde Hartmann mit dem SAP Innovations Award 2020 ("Best Run Leader") ausgezeichnet.

Lessons Learned

Die Erkenntnisse aus der bisherigen Transformation fasst das Hartmann-Team so zusammen: Innovationen lassen sich nur umsetzen, wenn veraltete Plattformen und unflexible Architekturen abgeschafft und vorhandene Systeme harmonisiert werden. Gefragt sei dabei der Einsatz skalierbarer Technologien wie zum Beispiel Cloud Computing. Darüber hinaus sollte spezifisches lokales Wissen organisationsübergreifend genutzt werden, um Synergien herzustellen. Last, but not least hänge der Erfolg der Transformation von motivierten Mitarbeitern ab, die die Zukunft mitgestalten können.